E-Book, Deutsch, Band 16, 256 Seiten
Reitemeier / Tewes Dreck am Stecken
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-86532-705-5
Verlag: Pendragon
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Jupp Schulte ermittelt
E-Book, Deutsch, Band 16, 256 Seiten
Reihe: Regionalkrimis aus Lippe / Jupp Schulte ermittelt
ISBN: 978-3-86532-705-5
Verlag: Pendragon
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Beim Festakt zum 70. Jahrestag des lippischen Beitritts zum Land NRW will ein Mann einen Anschlag verüben, kann aber von der Detmolder Polizei daran gehindert werden. Der Attentäter wird festgenommen, aber unter ungeklärten Umständen überraschend schnell wieder auf freien Fuß gesetzt. Ein Vierteljahr später wird dieser Mann tot auf der Baustelle der Falkenburg gefunden.
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1
Die Sektgläser wurden erhoben. Dann erklang ein helles Klirren – Ausdruck der guten Stimmung, die bei den Detmolder Polizisten herrschte.
„Immer schön in die Augen sehen!“, meinte Oliver Hartel grinsend und prostete einer Kollegin von der Verkehrspolizei zu.
Polizeirat Jupp Schulte schob sich ein Lachskanapee in den Mund, kaute und nuschelte dabei: „Siebzig Jahre NRW interessieren mich nicht die Bohne, und die Rede unserer Landesmutter erst recht nicht. Seitdem Hanni uns um die verdiente Lohnerhöhung gebracht hat und die Polizei auch sonst wie ein Stiefkind behandelt, ist die bei mir unten durch. Der glaube ich kein Wort mehr. Aber die Schnittchen, die sie für uns geschmiert hat, die sind klasse.“
Ganz schön langweilig heute Abend, dachte Pauline Meier zu Klüt währenddessen. Sie hatte sich freiwillig für die Stallwache gemeldet, denn im Januar war weder auf ihrem Bauernhof noch in ihrem privaten Umfeld etwas los. Aufgesetzte Feiern wie diese, die gerade im Landestheater zelebriert wurde, interessierten doch außerhalb der Politik- und Verwaltungskaste niemanden. Das Geld hätte man sich auch sparen können. Oder aber damit den Menschen helfen, die ohnehin am Rande des Existenzminimums herumkrebsten.
Die Einladungen zur Siebzigjahrfeier waren erst vor ein paar Tagen auf den Tischen vieler Landkreisbediensteter gelandet. Der Flurfunk im Kreishaus hatte gleich darauf vermeldet, dass irgendwelche Verantwortlichen es verschlafen hätten, zu geeigneter Zeit die richtigen Leute einzuladen. Und als sich dann herausgestellt hatte, dass die bereits Eingeladenen nicht einmal das halbe Landestheater gefüllt hätten, da hatte man angeblich die Beschäftigten einiger lippischer Behörden mit Einladungen versehen, um zu verhindern, dass die Ministerpräsidentin und der Landrat vor leeren Rängen reden mussten.
Für die Richtigkeit dieser Aussage hätte Pauline Meier zu Klüt ihre Hand allerdings nicht ins Feuer gelegt. Doch bei vielen Kolleginnen und Kollegen, die von dieser Geschichte gehört hatten und nun glaubten, nur als Lückenbüßer zu der Feier geladen worden zu sein, herrschte natürlich eine gewisse Verärgerung. Nicht wenige von ihnen hatten es deshalb von vornherein abgelehnt, an der Veranstaltung im Landestheater teilzunehmen.
Das Summen des Diensttelefons riss Pauline Meier zu Klüt aus ihren Gedanken.
Schulte nahm sich ein Käsehäppchen. „Auch nicht schlecht!“, brummte er mit vollem Mund.
Eigentlich war er nur hergekommen, weil sein Kollege Lindemann es vorgeschlagen hatte. So hatten sie die Gelegenheit, einen entspannten Abend zusammen zu verbringen, und zwar auf Kosten des Landes.
„So blöd war die Idee, den Lipper zu spielen, ja doch nicht, Lindemann“, fuhr Schulte weitaus artikulierter fort.
Der Angesprochene sah seinen Chef fragend an.
„Wie, den Lipper spielen?“
„Na, die Einladung zu einer Feierlichkeit wahrnehmen, bei der es etwas zu essen und zu trinken gibt, ohne dass man etwas bezahlen muss. Wo alles, wie der Lipper zu sagen pflegt, für umsonst ist.“ Schulte grinste und dozierte weiter. „Und das Mitbringsel zu solchen Feten? Das ist oft der Bruder, der auf diese Weise dann auch noch satt wird.“
„Also, ich wiederhole Ihre Aussagen noch einmal. Nur um sicherzugehen, dass ich Sie richtig verstanden habe“, sagte Pauline Meier zu Klüt in den Telefonhörer. „Sie behaupten also, dass seit Tagen eine Terrorwarnung für die Feier ‚Siebzig Jahre Lippe in NRW‘ vorliegt. Und Sie behaupten weiter, dass diese Meldung vom LKA an die Kreispolizeibehörde Lippe weitergegeben worden sei?“
Die Person am anderen Ende, die sich mit Wintermeier gemeldet hatte, bestätigte ihre Zusammenfassung.
„Außerdem sagen Sie, dass ein Foto des voraussichtlichen Attentäters existiere und dass dieser den Behörden sogar bekannt sei?“
„Richtig. Ich habe Ihnen das Foto gerade noch einmal zugemailt. Sagen Sie bloß, bei Ihnen in der Behörde weiß niemand etwas von dieser Angelegenheit?“ In der Stimme schwang eine gehörige Portion Vorwurf mit.
Schon im nächsten Moment ertönte ein Klicken in der Leitung. Das Gespräch war beendet.
Pauline Meier zu Klüt legte den Hörer auf. Es musste gehandelt werden. Und zwar sofort.
Der Mann in der weißen Kellnerjacke öffnete den Kühlschrank und holte einen Pappkarton hervor. Er riss ihn auf und zog fünf Champagnerflaschen heraus, die er vor sich auf den Tisch stellte. Dann griff er noch einmal in die Kiste und entnahm ihr ein schweres Päckchen. Das dicke Papier leistete angemessenen Widerstand, dann hatte er es geschafft.
Es war gar kein Problem gewesen, die Pistole in das Theater zu schmuggeln. Niemand hatte auch nur eine der angelieferten Getränkeverpackungen kontrolliert.
Zärtlich und respektvoll zugleich strich er über den blanken Lauf der Smith & Wesson. Dann schob er seine Jacke zur Seite und steckte sich den kalten Stahl in den Hosenbund. Sofort spürte er die Kühle auf seiner Haut. Im ersten Moment fühlte es sich an, als habe er sich eine Stange aus Eis zwischen Hose und Rückgrat geschoben. Doch nach dem ersten kurzen Kälteschock strahlte die Waffe etwas Angenehmes aus. Sie gab ihm das Gefühl von Überlegenheit und Macht.
Unglaublich! Ein Attentäter auf der Feier im Landestheater! Wie war noch gleich die Handynummer von Erpentrup? Pauline Meier zu Klüt hatte fast alle Kontakte in ihrem Telefonbuch abgespeichert, aber nicht die des Detmolder Polizeichefs, der ihr oberster Vorgesetzte war. Wie komme ich nur schnell an diese verdammte Nummer, überlegte sie. Hastig tippte sie ein paar Zahlen in die Tastatur ihres Diensttelefons. In der Zentrale meldete sich ihr Kollege Egon Volle und sagte seinen Spruch auf.
Pauline Meier zu Klüt unterbrach ihn.
„Gib mir mal ganz schnell die Nummer von Erpentrup!“
„Die Nummer von Erpentrup? Was willst du denn damit?“, fragte Volle in aller Gemütsruhe.
„Ihn anrufen, was sonst?“, blaffte die Kommissarin.
„Ihn anrufen? Jetzt? Der ist doch im Landestheater. Meinst du denn, der würde an sein Telefon gehen?“
„Egon!“, schrie Pauline Meier zu Klüt in den Hörer. „Egon, die Handynummer!“
„Nun schrei doch nicht so. Ihr von der Kripo meint immer, ihr wärt etwas Besseres. Wenn ihr pfeift, dann müssten alle anderen springen, denkt ihr. Außerdem weiß ich gar nicht, ob ich die Nummer vom Chef rausgeben darf. Wo kämen wir denn hin …“
„Egon, die Nummer! Du hast genau drei Sekunden Zeit!“, schrie die Polizistin ihn an. „Eins!“
„Okay. Aber ein bisschen mehr Höflichkeit erwarte ich schon.“
Der Mann öffnete eine Flasche Champagner und schenkte ein. Nach dem siebten Glas musste er eine weitere Flasche entkorken. Es ist schwieriger, zehn Gläser von diesem Prickelwasser durch die Menge zu balancieren, als jemandem das Hirn wegzublasen, dachte er überheblich, während er das zehnte Glas mit Bedacht aufs Tablett stellte.
Kritisch beäugte er seine Kellnergarderobe in dem großen Wandspiegel. Sitzt super, die Jacke, dachte er. Die Waffe im Hosenbund verursacht nicht die kleinste Beule. Er hatte ein gutes Gefühl. Es würde nicht mehr lange dauern, dann war erledigt, was zu erledigen war, und die Welt sähe anders aus.
„Mann, Erpentrup, geh ran, geh verdammt noch mal an dein verflixtes Telefon!“, murmelte Pauline Meier zu Klüt halblaut und trat aufgeregt von einem Bein auf das andere.
„Der Teilnehmer kann den Anruf zurzeit nicht entgegennehmen. Wenn Sie eine …“
Na, da geht es eben nicht auf dem großen Dienstweg, dachte Pauline. Dann sollte sich Erpentrup nachher aber nicht beschweren, er sei wieder mal übergangen worden. So nach dem Motto, solche wichtigen Angelegenheiten müssten gefälligst über ihn laufen.
Mittlerweile war die E-Mail aus Düsseldorf mit dem Foto des vermeintlichen Attentäters bei ihr eingegangen. Die Kommissarin leitete sie umgehend weiter an ihre Kollegen. Mit der einen Hand bediente sie ihren Rechner, mit der anderen Hand das Telefon.
Sie erreichte Schulte, der sich flüsternd am anderen Ende meldete.
Im Festsaal des Landestheaters herrschte absolute Stille. Die Ministerpräsidentin genoss die uneingeschränkte Aufmerksamkeit, die ihr Vortrag über die Geschichte Nordrhein-Westfalens erweckte. Und sie genoss es, dass alle Anwesenden ihr zu folgen schienen. Da geschah das Unglaubliche.
„Wer hat am letzten Spieltag nichts zu feiern? FC Bayern!“, quäkte eine Kinderstimme. Mehrere hundert Köpfe drehten sich in die Richtung, aus der die Störung kam. Nach dieser hoffnungsvollen Aussage, die sich als Klingelton entpuppte, herrschte einige Sekunden lang Ruhe. Trotz der Dunkelheit, die über den Sitzreihen des Theatersaals lag, konnten einige Anwesende beobachten, wie ein Mann hektisch nach seinem Telefon suchte. Und dann begann die Kinderstimme erneut die hoffnungsfrohe Botschaft zu verbreiten: „Wer hat am letzten Spieltag nichts zu feiern? FC Bayern!“
Stille. Der Mann hatte sein Smartphone mittlerweile gefunden. Das hell erleuchtete Display war für alle sichtbar.
Der Störenfried, dieser unverschämte Kerl, drückte den Anruf jedoch nicht weg, nein, rotzfrech stand er auf und zwängte sich durch die Sitzreihe. Alle Gäste, die rechts von ihm in seiner Reihe saßen, mussten sich erheben, um ihn vorbeizulassen.
Was für eine Impertinenz, dachte die Ministerpräsidentin und war geneigt, die rücksichtslose Person, die sich da oben durch die Sitzreihen quälte, zu beschimpfen. Doch im letzten Moment wurde sie sich darüber klar, dass dies die nächste Ungehörigkeit des Abends gewesen wäre.
Pauline Meier zu Klüt war erleichtert. Zwar wurde aus dem...