E-Book, Deutsch, 174 Seiten
Remar Schuldsaldo
1. Auflage 2016
ISBN: 978-87-11-51299-9
Verlag: Lindhardt og Ringhof Forlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 174 Seiten
ISBN: 978-87-11-51299-9
Verlag: Lindhardt og Ringhof Forlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Schulden häufen sich. Brigitte weigert sich mittlerweile die Post zu öffnen. Und der Kaufmann sieht sie auch schon so sonderbar an, wenn sie sagt, er solle aufschreiben. Lange kann das nicht mehr gutgehen. Frits Remar erzählt in diesem spannenden, psychologischen Krimi von zwei rechtschaffenen Menschen, die ein Verbrechen begehen, aus dem es so schnell kein Entkommen gibt...-
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Fast automatisch kuppelte ich aus, wie jeden Abend an dieser Stelle, und schaltete vom dritten in den zweiten Gang. Langsam ließ ich das Kupplungspedal los und merkte zufrieden, wie der Motor ohne jeden Ruck bremste. Ich hatte den kleinen Teufelswagen allmählich im Griff. Anfangs hatte ich Schwierigkeiten mit ihm gehabt. Der Sprung vom Volkswagen zu einem BMW 2002 war größer gewesen, als ich gedacht hatte. Er kam auch teurer zu stehen. Ich spürte, daß sich eine Sorgenfalte in meine Stirn grub. Ich mußte einen Bogen um Sörens Volvo machen. Er war gerade im Begriff, in seine Garage einzubiegen, ungeschickt wie immer. Nach dem Überholen ließ ich das Gaspedal los, trat leicht auf die Bremse, blinkte nach rechts und bog in meine eigene Garage ein. Birgitte war zu Hause. Ihr kleiner roter Fiat stand auf seinem Platz in der Doppelgarage. Während ich hineinfuhr, ging das Licht an. Ich bremste, legte den Leerlauf ein und ließ den Motor noch ein paar Sekunden laufen, bevor ich ihn abstellte. Mit einem leichten Seufzer nahm ich die schwarze Mappe, die neben mir lag, an mich und stieg aus. Ein Weilchen blieb ich neben dem Wagen stehen und blickte in den Garten hinaus. Er glich allen anderen Vorgärten an der Straße. Er war von einem halbmeterhohen Steinmäuerchen umgeben, bepflanzt mit niedrigen blühenden Sträuchern und Zierblumen. Die Häuser an der Straße sahen eins wie das andere aus, obwohl sie verschieden waren. Gelbe Ziegel, schwarzes Eternitdach, L-förmig oder langgestreckt, Fenster bis zum Boden, Türen aus Naturholz, helle Vorhänge. Ich atmete abermals auf. Ich fühlte mich hier wohl. Zwar fühlte ich mich noch nicht richtig daheim, aber ich hatte die unklare Empfindung, daß ich es verdiente, in einem solchen Haus zu wohnen, einen BMW zu fahren und solche Nachbarn zu haben. Ich drückte auf den Knopf an der Wand, und die große Garagentür kippte mit leisem Zischen hinunter. Dann ging ich am Wagen entlang zu der Tür, die in die Diele führte. Als ich die Tür hinter mir schloß, erlosch das Licht in der Garage automatisch. Zufrieden schaute ich mich in der großen, fast viereckigen Halle um. Birgitte hatte einen guten Geschmack. Von ihr hatte ich viel gelernt. Der Fußboden aus dunkelbraunen Fliesen, da und dort ein echter Teppich als gedämpfter Farbfleck, ringsum gelbe Backsteinwände. Zwischen der Wohnzimmer- und der Küchentür hing ein abstraktes Gemälde in braunen, gelben und violetten Tönen. Links von der breiten Haustür mit Milchglasscheiben stand ein niedriger weißer Tisch mit rotem Telefonapparat, daneben ein blaubemalter Lehnstuhl mit orangefarbenen Kissen, auf der anderen Seite der Tür ein steinerner Blumenkasten mit grünen Pflanzen. An der Decke hing eine riesige kupferne Kugellampe. Ringsum an den Wänden waren diskrete Lämpchen angebracht. »Hallo!« rief ich. »Da bin ich!« Maria stürzte aus der Küche und fiel mir um den Hals. Ihre langen braunen Haare flatterten, als ich sie herumwirbelte. Sie umarmte mich fest und gab mir einen innigen, nassen Kuß. Ich stellte sie auf die Füße und wischte mir mit dem Rockärmel den Mund ab. »Guten Tag«, sagte Birgitte. Sie stand in der Küchentür und lehnte sich mit der einen Hüfte an den Rahmen. Ihre lange schwarze Hose saß wie angegossen. Der ärmellose, in Rippen gestrickte weiße Pullover spannte sich über ihren großen, festen Busen. Ich konnte den Blick nicht davon losreißen. Noch immer hatte ich mich nicht daran gewöhnt, daß ich mit Birgitte verheiratet war. Dabei dauerte unsere Ehe nun schon über zwölf Jahre. Ich hatte sie an der Universität kennengelernt. Damals fehlten mir noch zwei Jahre bis zum Abschluß meines Studiums. Sie hatte erst damit angefangen. Mehrere Monate lang versäumten wir beide die Vorlesungen. Wir kamen in der ganzen Zeit buchstäblich nicht aus dem Bett. Es war herrlich und zugleich schrecklich. Ich versäumte nicht nur die Vorlesungen, sondern arbeitete auch sonst nicht. Und ich hatte im Gegensatz zu Birgitte keine Reserven. Sie hatte ihren Vater, der damals in Geld schwamm. An sich machte es mir nichts aus, ›ausgehalten‹ zu werden. Darüber wurde nicht gesprochen. Aber trotzdem ... Birgitte war jetzt zu mir getreten. Sie schmiegte sich an mich, und ich fühlte die Wärme ihres Körpers durch den dünnen Stoff. Sie legte den einen Arm um meine Schulter und streichelte meinen Nacken. Es rieselte mir über den Rücken. Dann öffnete sie ganz leicht den Mund und küßte mich lange und ausgiebig. Es war einer jener Küsse, die gewöhnlich damit endeten, daß ich sie hochhob und ins Schlafzimmer trug. »Komm und schau, Papa!« sagte Lars hinter mir. Er war zwölf Jahre alt und im Gegensatz zu Maria hellblond. Er hatte immer irgend etwas gebastelt, das ich mir sofort ansehen mußte, wenn ich nach Hause kam. Ich ließ Birgitte los und sagte: »Laß mich wenigstens erst die Jacke ausziehen.« »Du mußt auch sehen, was ich gemacht habe«, rief Maria aus ihrem Zimmer. »Laßt Vater erst einmal hereinkommen, bevor ihr ihn überfallt«, mahnte Birgitte und schaute mich prüfend an. »Hattest du einen anstrengenden Tag?« »Nicht schlimmer als sonst«, sagte ich und zuckte schicksalsergeben die Schultern. »Du weißt ja, wie es ist. Und du?« Sie gab keine Antwort, sondern drehte sich um und ging in die Küche. Ich zog mein Jackett aus und hängte es in den eingebauten Schrank, ehe ich ihr folgte. Die Mappe ließ ich neben dem Schrank stehen. Der Eichentisch am Fenster war für uns vier gedeckt. Auf dem Herd dampften zwei Töpfe. In dem einen rührte Birgitte energisch. »Wo ist Susanne?« fragte ich. »Ich habe ihr freigegeben«, antwortete Birgitte, während sie weiterrührte. »Ich hatte Lust, uns selbst etwas Gutes zu kochen.« Ich äugte in die Töpfe, nahm ihr den Holzlöffel aus der Hand und schnupperte daran. Genüßlich schnalzte ich mit der Zunge. »Mhm, chinesisch. Din Chop suey.« Sie wandte den Kopf und strahlte mich an. Es kam mir vor, als läge auch Bewunderung in ihrem Blick. Ich leckte den Löffel ab und rieb mir die Hände. Ich merkte selbst, daß meine Augen unruhig und meine Bewegungen fahrig waren. Aber Birgitte merkte es nicht, sie betätigte sich weiter am Herd. Ich ging wieder in die Halle, nahm meine Mappe und begab mich ins Wohnzimmer. Es war enorm groß, fast siebzig Quadratmeter. Mit weißen Wänden, gefüllten Bücherregalen, mehreren abstrakten Bildern, einer teuren Stereo-Anlage, bequemen, tiefen Sesseln, Glastischen und einem Spannteppich. Ich ging zum Schreibtisch und stellte die Mappe neben den Stuhl auf dem Boden. Auf dem Schreibtisch lagen sechs ungeöffnete Briefumschläge. »Du hast die Post nicht aufgemacht«, rief ich. »Was sagst du?« antwortete sie leicht gereizt. »Du hast die Post nicht aufgemacht«, wiederholte ich noch lauter. »Nein, damit habe ich aufgehört.« Ich setzte mich und begann die Umschläge aufzuschlitzen. Ich hätte sie nicht öffnen müssen, um zu erfahren, was sie enthielten. Ich wußte es im voraus. Trotzdem schlitzte ich das erste Kuvert erregt auf und faltete den Brief mit heftigen Bewegungen auseinander. Am liebsten hätte ich ihn zerrissen. Ich warf ihn hin und ließ die Hände auf den Schreibtisch sinken. Ruhig Blut, sagte ich zu mir und holte tief Atem. Deshalb ändert sich nichts. Deshalb ändert sich überhaupt nichts. Ich zitterte innerlich, aber meine Hände lagen unbeweglich auf der Schreibtischplatte. Ich starrte darauf, während ich das innere Zittern bekämpfte. Fast gelang es mir. Irgendwie verdichtete es sich zu einem schmerzhaften Knoten im Zwerchfell. Aber alles andere war besser als das Zittern. Alles andere, wenn es nur nicht äußerlich zu sehen war. Ich nahm den Brief wieder auf. Es war eine Rechnung der Autowerkstatt. Neue Stoßdämpfer 498 Kronen; Bolzen, Schraubenmuttern, Splinte und Federn 17 Kronen; Arbeitszeit . . . Die Zahlen verschwammen vor meinen Augen. Alles zusammen 930 Kronen. Zahlbar in 30 Tagen netto. Ich öffnete den nächsten Brief. »Bei Durchsicht unserer Bücher haben wir leider festgestellt, daß . . .« Das war von einem Warenhaus. Das Soll war unter allen Umständen, auch unter den günstigsten, mindestens doppelt so hoch, als es hätte sein dürfen. Ich warf den Brief wütend hin und nahm den dritten zur Hand. Gartenarchitekt . . . Rasenfläche . . . 710 Quadratmeter . . . Summa summarum . . . Im vierten Brief teilte mir meine Bank mit, daß mein Konto jetzt um 25 384,11 Kronen überzogen sei. Es stand nichts davon da, daß man den Ausgleich baldigst erwarte; aber das lag nur daran, daß der Bankdirektor ein guter Freund von mir war. Es hätte eigentlich darin stehen müssen. Ich durfte mein Konto nicht über 15 000 Kronen überziehen. Die beiden letzten Briefe öffnete ich gar nicht erst. Sie waren ohnehin nur kleine Katastrophen im Vergleich zu den ersten vier. Ich zog die mittlere Schreibtischlade auf, fegte alles hinein und knallte sie zornig zu. Ich begriff nicht, wie das Ganze zugegangen war. Ich verdiente bei der Medicochemico 130 000 Kronen pro Jahr und Birgitte mit ihrer Halbtagsarbeit ungefähr 50 000. Wie war es bloß schiefgegangen? Was konnten wir einsparen? Wo klemmte das Räderwerk? Ich raffte mich auf und ging ins Schlafzimmer. Ich wußte nicht, woran es lag, aber ich wurde immer aufgeregt, wenn ich im Schlafzimmer stand. Hätte ich Birgitte gefragt, so hätte sie mir sicher eine erschöpfende psychologische...