E-Book, Deutsch, 512 Seiten
Reserve
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-641-30762-2
Verlag: Penguin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Deutsche Ausgabe von »Spare«
E-Book, Deutsch, 512 Seiten
ISBN: 978-3-641-30762-2
Verlag: Penguin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Es war eines der berührendsten Bilder des 20. Jahrhunderts: Zwei Jungen, zwei Prinzen, die hinter dem Sarg ihrer Mutter gehen, während die Welt voller Trauer und Entsetzen zusieht. Beim Begräbnis von Prinzessin Diana fragten sich Milliarden von Menschen, was die Prinzen in diesem Moment dachten und fühlten – und welchen Verlauf ihr Leben von diesem Augenblick an wohl nehmen würde.
Für Harry ist jetzt der Moment gekommen, endlich seine Geschichte zu erzählen.
In seiner unverstellten, unerschrockenen Offenheit ist »Reserve« ein einzigartiges Buch voller Einblicke, Eingeständnisse, Selbstreflexion und der hart erkämpften Überzeugung, dass die Liebe die Trauer für immer besiegen kann.
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Wir wollten uns ein paar Stunden nach der Beerdigung treffen. Im Park von Frogmore, bei der alten gotischen Ruine. Ich war als Erster da.
Ich blickte mich um, sah niemanden. Warf einen Blick aufs Handy. Keine Nachrichten, nichts auf der Mailbox.
Sie kommen wohl zu spät, dachte ich und lehnte mich an die Steinmauer.
Dann steckte ich das Handy weg und sagte mir: Ganz ruhig bleiben.
Das Wetter war typisch für April. Nicht mehr Winter, aber auch noch kein Frühling. Die Bäume kahl, die Luft schon mild. Der Himmel grau, doch die Tulpen kamen. Das Licht war fahl, und trotzdem leuchtete der indigoblaue See, der sich durch den Park wand. Wie schön das alles ist, dachte ich. Und auch wie traurig.
Einst glaubte ich, ich würde den Rest meines Lebens an diesem Ort verbringen. Stattdessen hatte er sich nur als weitere Zwischenstation erwiesen.
Als meine Frau und ich von hier geflohen waren, aus Angst um unseren Verstand und unsere körperliche Unversehrtheit, wusste ich nicht, wann ich jemals hierher zurückkehren würde. Das war im Januar 2020. Heute, fünfzehn Monate später, stand ich hier, wenige Tage nachdem ich beim Aufwachen zweiunddreißig verpasste Anrufe vorgefunden und ein kurzes Gespräch mit Granny geführt hatte, das mir das Herz stocken ließ:
Der Wind frischte auf, wurde immer kälter. Ich zog die Schultern hoch, rieb mir die Arme, bereute, dass ich ein so dünnes Hemd angezogen hatte. Wünschte, ich hätte den Beerdigungsanzug angelassen. Wünschte, ich hätte daran gedacht, mir einen Mantel mitzunehmen. Ich wandte mich vom Wind ab und sah die gotische Ruine düster aufragen, diese Ruine, die ebenso gotisch war wie das Millennium Wheel. Irgendein gewiefter Architekt, ein bisschen Bühnenzauber. Wie so vieles hier, dachte ich.
Von der Mauer aus ging ich hinüber zu einer kleinen Holzbank und setzte mich. Dort warf ich einen weiteren Blick aufs Handy, spähte den Gartenweg entlang.
Wieder einer dieser Windstöße. Wie seltsam, aber er erinnerte mich an Grandpa. An sein unterkühltes Auftreten vielleicht. Oder seinen eisigen Humor. Mir kam eines dieser Jagdwochenenden in den Sinn, es musste Jahre her sein. Ein Freund von mir, der nur höflich Konversation betreiben wollte, fragte Grandpa, was er denn von meinem neuen Bart halte, der in der Familie für Unmut und in der Presse für viel Wirbel gesorgt hatte. Grandpa sah meinen Freund an, musterte mein Kinn und ließ ein teuflisches Grinsen aufblitzen.
Alle lachten. Bart oder Nicht-Bart, das war hier die Frage, doch nur Grandpa stand es zu, Bart zu verlangen.
Ich dachte an Grandpas klare Ansichten, seine vielen Leidenschaften – Kutschefahren, Grillen, Jagen, Essen, Bier. Die Art, wie er das Leben genoss. Das hatten er und meine Mutter gemeinsam. Vielleicht war er ja genau deshalb ein solcher Fan von ihr gewesen. Lange bevor sie Prinzessin Diana wurde, damals, als sie einfach nur Diana Spencer war, Kindergärtnerin und heimliche Geliebte von Prinz Charles, war mein Großvater ihr lautstärkster Fürsprecher gewesen. Manche meinen gar, er habe die Ehe meiner Eltern überhaupt erst eingefädelt. Wenn das stimmt, dann könnte man sagen, dass Grandpa der eigentliche Ursprung meiner Welt war. Ohne ihn wäre ich nicht hier.
Und mein älterer Bruder ebenso wenig.
Andererseits, vielleicht wäre unsere Mutter dann noch hier. Wenn sie Pa nicht geheiratet hätte … Ich dachte zurück an eines unserer letzten Gespräche, nur zwischen Grandpa und mir, kurz nach seinem siebenundneunzigsten Geburtstag. Er dachte über das Ende nach. Er könne seinen Leidenschaften nicht mehr nachgehen, sagte er. Was er jedoch am meisten vermisse, sei die Arbeit. sagte er, Er wirkte nicht mal traurig, nur bereit.
Nun ließ ich meinen Blick in die Ferne schweifen, hin zu der Mini-Skyline aus Grabmälern und Krypten, die längs des Parks emporragte. Der Royal Burial Ground. Die letzte Ruhestätte so vieler von uns – darunter Königin Victoria. Und auch die berüchtigte Wallis Simpson. Und ihr doppelt berüchtigter Gatte Edward, der einstige König und mein Urgroßonkel. Nachdem Edward für Wallis seinen Thron aufgegeben hatte, nachdem sie aus Großbritannien geflohen waren, sorgten sie sich bereits um ihre allerletzte Rückkehr – beide besessen von dem Wunsch, genau hier dereinst bestattet zu werden. Die Queen, meine Großmutter, gab ihrem Flehen nach. Doch sie ließ sie in sicherer Entfernung von allen anderen bestatten, unter einer windschiefen Platane. Ein letzter strenger Fingerzeig, vielleicht. Eine letzte Verbannung, möglicherweise. Ich fragte mich, was Wallis und Edward jetzt wohl über diesen ganzen Aufwand dachten. Ist es das alles am Ende wirklich wert gewesen? Ich fragte mich, ob sie sich darüber tatsächlich Gedanken machen konnten. Schwebten sie in luftigen Gefilden irgendwo umher und haderten noch immer mit ihren Entscheidungen, oder waren sie einfach nirgendwo und dachten gar nichts? Konnte es nach all dem wirklich ein Nichts geben? Geht das Bewusstsein, wie auch die Zeit, je zu Ende? Vielleicht, dachte ich, nur vielleicht, sind sie ja jetzt gerade hier, neben dieser nachgemachten gotischen Ruine, oder genau neben mir, und lauschen heimlich meinen Gedanken. Und wenn ja …
Der Gedanke an sie gab mir, wie immer, neue Kraft, erfüllte mich mit Hoffnung. Und einem stechenden Gefühl der Trauer.
Ich vermisste meine Mutter jeden Tag, doch an genau diesem, kurz vor dieser nervenaufreibenden Verabredung in Frogmore, merkte ich, wie sehr ich mich nach ihr sehnte, und ich konnte nicht mal sagen, warum. Wie so vieles an ihr war es schwer in Worte zu fassen.
Obwohl meine Mutter eine Prinzessin war und benannt nach einer Göttin, erschienen mir beide Begriffe immer zu schwach, irgendwie unzureichend. Ständig verglichen die Leute sie mit Ikonen und Heiligen, von Nelson Mandela über Mutter Teresa bis zu Jeanne d’Arc, doch jeder dieser Vergleiche, so hochgesteckt und liebevoll gemeint sie auch waren, kam mir völlig unpassend vor. Selbst als bekannteste Frau des Planeten, eine der beliebtesten dazu, war meine Mutter einfach unbeschreiblich, so war es nun mal. Und dennoch … wie konnte jemand, der von allem alltäglichen Ausdruck so meilenweit entfernt war, in meinem Kopf nur so real sein, so spürbar präsent, so ungemein lebendig? Wie konnte es sein, dass ich sie sehen konnte, so deutlich wie den Schwan, der auf dem tiefblauen See nun auf mich zuglitt? Wie konnte ich noch immer ihr Lachen hören, so laut wie das Lied der Singvögel in den kahlen Bäumen? Es gab so viel, woran ich mich nicht erinnern konnte, weil ich noch so jung gewesen war, als sie starb, doch das viel größere Wunder war, dass ich noch so viel von ihr wusste. Ihr umwerfendes Lächeln, ihr verletzlicher Blick, ihre kindliche Freude an Filmen, Musik, Kleidung und Süßigkeiten – und an uns. Oh, wie sie meinen Bruder und mich geliebt hat. , das hat sie einem Reporter einst gestanden.
Nun, Mummy … ich dich auch.
Vielleicht war sie aus demselben Grund allgegenwärtig, der sie auch so unbeschreiblich machte – weil sie Licht war, pures und strahlendes Licht, und wie soll man Licht denn beschreiben? Selbst Einstein hatte seine Mühe damit. Kürzlich richteten Astronomen ihre größten Teleskope neu aus, peilten einen winzigen Ausschnitt im Weltall an und entdeckten einen atemberaubenden Himmelskörper, den sie auf den Namen Earendel tauften, das altenglische Wort für Morgenstern. Milliarden von Kilometern weg von hier, entfernt sich Earendel rasend schnell von unserer Galaxie und jagt auf die Außenbereiche des bekannten Universums zu. Schon jetzt ist er dem Urknall, dem Augenblick der Schöpfung, näher als unserer Milchstraße, und doch können wir ihn mit unseren schwachen Menschenaugen irgendwie noch sehen, weil er so unfassbar hell und funkelnd leuchtet.
war meine Mutter.
Das war der Grund, warum ich sie sehen konnte, spüren konnte, jederzeit, doch ganz besonders an jenem Aprilnachmittag in Frogmore.
Das – und weil ich ihre weiße Fahne trug. Ich war in diesen Park gekommen, weil ich Frieden wollte. Ich wollte ihn mehr als alles andere. Wollte ihn um meiner Familie willen und um meinetwillen – doch auch um ihretwillen.
Die Leute vergessen oft, wie rastlos meine Mutter sich für Frieden einsetzte. Sie reiste mehrmals um die Welt, stakste durch Minenfelder, umarmte AIDS-Kranke, tröstete Kriegswaisen, arbeitete unermüdlich, um irgendjemandem irgendwo auf dem Planeten Frieden zu bringen. Ich wusste, wie sehr sie gewollt hätte – nein, wollte –, dass zwischen ihren beiden Söhnen Frieden herrschte, und zwischen uns und Pa. Und innerhalb der ganzen Familie.
Seit Monaten herrschte bei den Windsors Krieg. Gewiss, im Laufe der Jahrhunderte hatte es in unseren Reihen immer wieder Streit gegeben, doch diesmal war es anders. Das hier war ein vollständiger öffentlicher Bruch, und er drohte irreparabel zu werden. Obwohl ich also im Grunde genommen einzig wegen Grandpas Beisetzung nach Hause geflogen war, hatte ich um dieses geheime Treffen mit meinem älteren Bruder Willy und meinem Vater gebeten, um die Lage der Dinge mit ihnen zu besprechen.
Um einen...