Reuth | Hitler | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 688 Seiten

Reihe: Piper Taschenbuch

Reuth Hitler

Eine politische Biographie
17001. Auflage 2017
ISBN: 978-3-492-96712-9
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Eine politische Biographie

E-Book, Deutsch, 688 Seiten

Reihe: Piper Taschenbuch

ISBN: 978-3-492-96712-9
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
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War Hitler, dessen Name für Diktatur, Krieg und Völkermord steht, das zwangsläufige Resultat der deutschen Geschichte? Ralf Georg Reuth beantwortet diese Frage in seiner politischen Biographie mit einem klaren Nein. Aber Hitlers Weg zur Macht war ohne die überwältigende Niederlage im Ersten Weltkrieg, ohne Angst vor dem Bolschewismus und ohne die Demütigung der Nation durch Versailles nicht möglich. Eine brisante politische Biographie über ein dunkles Kapitel Deutschlands. »Eine vielfach anregende Lektüre.« Hans Mommsen, Süddeutsche Zeitung
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Prolog

November 1918 – An der Wegscheide ins Ungewisse

Der vom Gaskrieg erblindete, etwas sonderliche Gefreite, den sie am 21.Oktober 1918 ins Pasewalker Lazarett brachten, war ein Namenloser aus dem Millionenheer des Weltkriegs. Er besaß nichts. Er hatte keinen Beruf erlernt, er hatte auch keine Familie oder sonst eine Bindung mit Ausnahme der zu seinen Kameraden. Lediglich sein für Mannschaftsdienstgrade selteneres Eisernes Kreuz Erster Klasse hob ihn heraus. Er wäre wohl nie aus der Anonymität getreten, hätte niemals die Macht im Staat übernommen und als »Führer« und Reichskanzler die Bühne der Weltpolitik betreten, um dort zwölf Jahre lang so unheilvoll zu agieren, wären da nicht jene Ereignisse gewesen, die mit dem Herbst 1918 heraufzogen und das Jahrhundert so entscheidend prägten.

Im fünften Jahr der Weltkriegskatastrophe hatte sich die Widerstandskraft der Deutschen allmählich erschöpft. Millionen waren gefallen, Hunderttausende in den Hungerwintern gestorben. Schwer hatten Not und Entbehrung auf der Bevölkerung gelastet. Zur kollektiven Kriegsverdrossenheit hatte freilich auch die halbabsolutistische Ordnung des Kaiserreichs beigetragen, eine längst überlebte Ordnung mit einem Dreiklassenwahlrecht in Preußen, die politisch nur noch durch die quasidiktatorisch regierende Dritte Oberste Heeresleitung unter Erich Ludendorff und Paul von Hindenburg aufrechterhalten wurde. Als Sprachrohr der Massen hatten die sogenannten Mehrheitsparteien des Reichstags – SPD, Zentrum und Fortschrittspartei – neben einer ehrenvollen Beendigung des Krieges schrittweise Reformen im Inneren gefordert. Da diese verweigert wurden und ein Ende des Krieges unabsehbar war, hatte sich die Stimmung insbesondere in der Arbeiterschaft verschlechtert. Bei den Ersatzeinheiten in der Etappe war es nicht anders. Auch dort breitete sich rasch jenes Gedankengut aus, das von Rußland herüberkam, wo sich im November 1917 die Bolschewiki an die Macht geputscht hatten. Sie waren es, die den in der USPD organisierten Sozialisten den Weg wiesen – einen Weg, der über Demonstrationen, Streiks und Revolution zum Frieden führen sollte.

Was dann Anfang Oktober 1918 geschah, hatte aus der Sicht der Deutschen, ob an den Fronten des Weltkriegs oder in der Heimat, etwas Befreiendes und Schockierendes gleichermaßen: Nach Jahren von der Führung zur Schau gestellter schier unerschütterlicher Siegesgewißheit hieß es nun plötzlich, der Krieg sei nicht mehr zu gewinnen. Die Regierung Georg von Hertling trat ab. Das preußische Herrenhaus gestand das geheime und gleiche Wahlrecht zu, und mit dem liberalen Fürsten Prinz Max von Baden wurde der Anhänger eines Versöhnungsfriedens Reichskanzler. Er stützte sich auf ein Kabinett, in dem erstmals mit Friedrich Ebert und Philipp Scheidemann Sozialdemokraten Regierungsverantwortung trugen. Sogleich ging ein Waffenstillstandsgesuch an den amerikanischen Präsidenten. Von Woodrow Wilson versprach sich die neue Reichsregierung einen fairen Frieden, hatte dieser doch in seinen Vierzehn Punkten vom Januar 1918 unter anderem die Schaffung eines auf dem demokratischen Gedanken basierenden Europa gefordert, in dem die Staatsgrenzen im wesentlichen identisch mit den Nationalitätengrenzen sein sollten. In den Noten über dessen Bedingungen, die bald zwischen Washington und Berlin ausgetauscht wurden, war die Rede von der Räumung der besetzten Gebiete, von der Einstellung des uneingeschränkten U-Boot-Kriegs und der Demokratisierung des Reiches.

Doch die mit Wilsons Namen verbundenen Hoffnungen auf ein würdiges Ende des Krieges und einen gerechten Frieden trogen. Am 23.Oktober 1918, fünf Tage bevor Deutschland durch Verfassungsänderung nun endgültig eine parlamentarisch-konstitutionelle Monarchie wurde, kam eine dritte Note des amerikanischen Präsidenten, die die Bevölkerung schockierte und ihr das »Wehe den Besiegten« vor Augen führte. Die Alliierten nannten darin ihrerseits Voraussetzungen für einen Waffenstillstand, die aus dem deutschen Gesuch de facto eine Kapitulation machten. Von der Obersten Heeresleitung hörte man nun, daß sie die Bedingungen des Gegners, zu denen unter anderem die Abdankung des Hohenzollernkaisers gehörte, für unannehmbar halte. Ludendorff forderte, den Widerstand »mit den äußersten Kräften fortzusetzen«. Aus der Marine drangen derweil Gerüchte, daß nun die Flotte, die aus Furcht vor der Überlegenheit der Briten nie aufs Spiel gesetzt worden war, auslaufen werde, um die im Felde nicht errungene Entscheidung des Krieges in einer offenen Seeschlacht im Ärmelkanal herbeizuführen.

Entsprechend groß war die Unruhe unter den Matrosen. Niemand wollte – da nun der lange ersehnte Friede so greifbar nahe zu sein schien – noch in letzter Stunde für Kaiser und Vaterland fallen. In Scharen wandte man sich deshalb jenen zu, die der Revolution des Proletariats und dem Völkerfrieden das Wort redeten. Als die Schlachtkreuzer und weitere Kriegsschiffe, die auf der Wilhelmshavener Reede zusammengezogen worden waren, den Befehl zum Auslaufen erhielten, ließen die Mannschaften die Feuer der Kessel ausgehen und zogen statt der Reichskriegsflaggen rote Fahnen auf. Mehr als 1000 Meuterer und ihre Anführer wurden festgenommen. Als Antwort darauf bildeten sich die ersten Matrosenräte. Zum Fanal für den Aufstand wurden schließlich die Schüsse einer Militärpatrouille auf demonstrierende Marineangehörige am 3.November in Kiel, die acht Tote forderten. Auf Schiffen und in Kasernen wählte man nun auch hier Soldatenräte, die die sofortige Beendigung des Krieges und die Abdankung der Hohenzollern verlangten. Den Matrosen und deren Forderungen schlossen sich die Kieler Arbeiter an. Schon bald lag die zivile und militärische Gewalt in den Hafenstädten in den Händen der Roten.

Wie gebannt schaute das national gesinnte Deutschland nach Norden, wo ein Sozialdemokrat namens Gustav Noske als Abgesandter der Reichsregierung die Lage zu stabilisieren suchte. Man fürchtete nämlich, daß die Kieler Matrosen die Rolle spielen würden, die die Kronstädter in der russischen Revolution gespielt hatten. Solche Szenarien konnten die Frontsoldaten nicht nachvollziehen, die in den Schützengräben Flanderns oder in den U-Booten auf dem Atlantik unter unbeschreiblichen Entbehrungen und ständiger Todesangst ihre Pflicht getan hatten. Sie sahen in den Aufständischen, denen das Trommelfeuer und das Dröhnen der Wasserbomben erspart geblieben waren, »Kameradenschweine« und »Vaterlandsverräter«. Daß die staatliche Ordnung, die sie für unerschütterlich hielten, nun wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen sollte, konnten sich die Männer mit ihrer Pflichtauffassung und Treue gegenüber Kaiser und Vaterland am allerwenigsten vorstellen.

So brach dann auch für den Gefreiten, wie er sechs Jahre nach dem November 1918 schrieb, »plötzlich und unvermittelt das Unglück herein«. Seine »erste Hoffnung« sei es gewesen, »daß es sich bei dem Landesverrat um eine mehr oder minder örtliche Sache handeln könnte«, um einen »Putsch der Marine«, »der in den nächsten Tagen niedergeschlagen werden würde«. Nachdem die Revolte bald zu einem regelrechten Flächenbrand angeschwollen war und, von den deutschen Küsten ausgehend, schnell auf das gesamte Reichsgebiet übergegriffen hatte, hätten auch im Pasewalker Lazarett – wie er weiter berichtete – »vollständig revolutionäre Zustände« geherrscht. Und so sei es für ihn zur »entsetzlichste[n] Gewißheit« geworden, daß das, »was ich für eine lokale Sache gehalten hatte […] eine allgemeine Revolution sein« sollte [1] .

Die Schuld daran gaben die Frontsoldaten nicht nur der radikalen Linken, sondern den politischen Parteien, die nun an die Macht gelangt waren, schien es doch gerade deren Repräsentanten in den zurückliegenden Kriegsjahren an Entschlossenheit gefehlt zu haben. Der Gefreite schrieb darüber: »Man verstand gar nicht, warum auf einmal Drückeberger das Recht besitzen konnten, über das Heer hinweg sich die Herrschaft im Staate anzumaßen.« [2] Statt gemeinsam die Kräfte zu mobilisieren, hatten diese Parteien aus der Sicht des Schützengrabens im Gegeneinander Zwietracht gesät und damit der Revolution den Weg geebnet. »Was ging uns das allgemeine Wahlrecht an? Hatten wir etwa deswegen vier Jahre lang gekämpft?« fragte sich gewiß nicht nur dieser eine. Zu dem »ganze[n] Pack«, wie er sich ausdrückte [3] , paßte es nur allzu gut, daß es auch noch das Unfaßbare zu verantworten schien. Gerüchte besagten nämlich, daß einer von ihnen, der Zentrumspolitiker Matthias Erzberger, der – wie es in einem vaterländischen Werk über den Weltkrieg später hieß – »niemals eine Kugel hat pfeifen hören« [4] , Anfang November Berlin verlassen habe, um im Auftrag der neuen Reichsregierung den Krieg durch einen Waffenstillstand – so wie ihn die Feinde forderten – zu beenden.

Von außen betrachtet, schien es so, als hätten die Dinge erst ihren verhängnisvollen Lauf genommen, seitdem die Politik das Sagen hatte. Niemand wußte – weil es wie ein Staatsgeheimnis gehütet wurde –, daß die Entwicklung von der Obersten Heeresleitung in Gang gesetzt worden war. Am 29.September 1918 hatte nämlich Ludendorff die Konsequenz daraus gezogen, daß der entscheidende Durchbruch der materiell weit überlegenen, mit der modernen Panzerwaffe ausgerüsteten alliierten Armeen im Westen geglückt war. Dem hatte er kaum noch etwas entgegenzusetzen, waren doch die ohnehin überspannten deutschen Kräfte mit dem Scheitern der...


Reuth, Ralf Georg
Ralf Georg Reuth, geboren 1952 in Oberfranken, studierte Geschichte sowie Germanistik und promovierte 1983 über Hitlers Strategie. Er ist Journalist und Autor mehrerer Bücher zur Geschichte und Vorgeschichte des »Dritten Reiches«, aber auch zur Wende 1989/90.



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