E-Book, Deutsch, Band 16, 304 Seiten
Reihe: Anaconda Kinderbuchklassiker
Rhoden Emmy von Rhoden, Der Trotzkopf
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-7306-9125-0
Verlag: Anaconda Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Vollständige, ungekürzte Ausgabe
E-Book, Deutsch, Band 16, 304 Seiten
Reihe: Anaconda Kinderbuchklassiker
ISBN: 978-3-7306-9125-0
Verlag: Anaconda Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Emmy von Rhoden (1829-1885) war eine deutsche Schriftstellerin. Sie schrieb zahlreiche Erzählungen, die im 'Familienbuch des österreichischen Lloyd' und in der Berliner Zeitschrift 'Victoria' veröffentlicht wurden. Ihr Roman 'Der Trotzkopf. Eine Pensionsgeschichte für erwachsene Mädchen' wurde wenige Wochen nach ihrem Tod veröffentlicht und ein riesiger Erfolg, der bis heute anhält. Er gehörte als sog. 'Backfisch-Roman' über Generationen hinweg zur Standard-Lektüre heranwachsender Mädchen. Aufgrund des Erfolgs verfasste Emmy von Rhodens Tochter Else Wildhagen zwei Fortsetzungen: 'Aus Trotzkopfs Brautzeit' und 'Aus Trotzkopfs Ehe'. Die niederländische Schriftstellerin Suze la Chapelle-Roobol (1855-1923) beendete den Trotzkopf-Zyklus schließlich mit dem Band 'Trotzkopf als Großmutter'. Die Geschichten wurden 1983 als 8-teilige Fernsehserie für den Bayerischen Rundfunk verfilmt.
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»Papa, Diana hat Junge!«
Mit diesen Worten trat ungestüm ein junges, schlankes Mädchen von fünfzehn Jahren in das Zimmer, in welchem sich außer dem Angeredeten, dessen Frau und dem Prediger des Ortes noch Besuch aus der Nachbarschaft, ein Herr von Schäffer mit Frau und seinem erwachsenen Sohn, befand.
Alles lachte und wandte sich dem kleinen Backfisch zu, der ohne jede Verlegenheit auf den Papa zueilte und ausführlich über das wichtige Ereignis berichtete.
»Es sind vier Stück, Papa«, erzählte sie lebhaft, »und braun sehen sie aus, wie Diana. Komm, sieh dir sie an, es sind zu reizende Tierchen! Vorn an den Pfötchen haben sie weiße Spitzen. Ich habe gleich einen Korb geholt und mein Kopfkissen hineingelegt, sie müssen doch warm liegen, die kleinen Dinger.«
Herr Oberamtmann Macket hatte den Arm um die Schulter seines Lieblings gelegt und strich ihm das wirre Lockenhaar aus dem erhitzten Gesicht. Dabei sah er sein Kind mit wohlgefälligen Blicken an, was eigentlich zu verwundern war, da Ilse in einem Aufzug hereingekommen, der durchaus nicht geeignet war, Wohlgefallen zu erregen, besonders in diesem Augenblick, wo fremde Augen denselben musterten. Das verwaschene dunkelblaue Kattunkleid, blusenartig gemacht und mit einem Ledergürtel gehalten, mochte wohl recht bequem sein, aber kleidsam war es nicht und einige Flecken und Risse darin dienten ebenfalls nicht dazu, die Eleganz desselben zu heben. Die hohen, plumpen Lederstiefel, die unter dem kurzen Kleid hervorblickten, waren tüchtig bestaubt und sahen eher grau als schwarz aus. Aber wie gesagt, Herrn Macket genierte dieser Aufzug gar nicht, er sah in die fröhlichen braunen Augen seines Lieblings, um dessen Kleider kümmerte er sich nicht.
Er war im Begriff, sich zu erheben, um seines Kindes Wunsch zu erfüllen, als seine Gattin, eine vornehme Erscheinung mit sanften und doch bestimmten Zügen, ihm zuvorkam. Sie hatte sich erhoben und trat auf Ilse zu.
»Liebe Ilse«, sagte sie in freundlichem Ton und nahm dieselbe bei der Hand, »ich möchte dir etwas sagen, Kind. Willst du mir auf einen Augenblick in mein Zimmer folgen?«
Sehr ruhig, aber sehr bestimmt waren die Worte gesprochen und Ilse fühlte, dass ein Widerstand dagegen vergeblich sein würde. Ungern und gezwungen folgte sie der Mutter in das anstoßende Gemach.
»Was willst du mir sagen, Mama?«, fragte sie und sah Frau Macket trotzig an.
»Nichts weiter, mein Kind, als dass du sogleich auf dein Zimmer gehst und dich umkleidest. Du wusstest wohl nicht, dass Gäste bei uns waren?«
»Doch, ich wusste es, aber ich mache mir nichts daraus«, gab Ilse kurz zur Antwort.
»Aber ich, Ilse. Ich kann nicht gleichgültig dabei sein, wenn du in einem so unordentlichen Kostüm dich blicken lässt. Du bist kein Kind mehr mit deinen fünfzehn Jahren; bedenke, dass du seit Ostern konfirmiert bist, eine angehende junge Dame aber muss den Anstand wahren. Was soll der junge Schäffer von dir denken, er wird dich auslachen und dich verspotten.«
»Der dumme Mensch!«, fuhr Ilse auf. »Ob der über mich lacht oder spottet, ist mir ganz gleichgültig. Ich lache auch über ihn! Tut, als ob er ein Herr wäre mit seinem Klemmer und geht doch noch in die Schule.«
»Er ist in Prima auf dem Gymnasium und zählt neunzehn Jahre. Nun sei vernünftig und kleide dich um, Kind, hörst du?«
»Nein – ich ziehe kein anderes Kleid an, ich will mich nicht putzen!«
»Wie du willst, aber dann bitte ich dich, ja ich wünsche es entschieden, dass du in deinem Zimmer bleibst und dein Abendbrot dort verzehrst«, gab Frau Macket mit großer Ruhe zur Antwort.
Ilse biss auf die Unterlippe und trat mit dem Fuß heftig auf die Erde, aber sie sagte nichts. Mit einer schnellen Wendung ging sie zur Tür hinaus und warf dieselbe unsanft hinter sich zu. Oben in ihrem Zimmer ließ sie sich auf einen Stuhl fallen, stützte die Ellbogen auf das Fensterbrett und weinte Tränen des bittersten Unmutes.
»Oh wie schrecklich ist es jetzt!«, stieß sie schluchzend heraus. »Warum hat auch der Papa wieder eine Frau genommen – es war so viel, viel hübscher, als wir beide allein waren! Alle Tage muss ich lange Reden hören über Sitte und Anstand, und ich will doch keine Dame sein, ich will es nicht – und wenn sie es zehnmal sagt!«
Als sie mit ihrem Vater noch allein war, führte sie freilich ein ungebundeneres und lustigeres Leben. Niemand hatte ihr Vorschriften zu machen oder durfte ihre dummen Streiche hindern; was sie auch ausführte, es galt alles als unübertrefflich. Das Lernen wurde nur als langweilige Nebensache betrachtet und die Gouvernanten fügten sich entweder dem Willen ihrer Schülerin oder sie gingen davon. Beklagte sich ja einmal diese oder jene bei dem Vater und hatte derselbe auch wirklich den festen Entschluss gefasst, ein Machtwort zu sprechen gegen sein unbändiges Kind, er kam nicht dazu, es auszuführen. Sobald er mit ernster Miene ihr gegenübertrat, fiel Ilse ihm um den Hals, nannte ihn ihren »einzigen kleinen Papa«, trotzdem er ein sehr großer, kräftiger Mann war, und küsste ihm Mund und Wangen. Versuchte er, ihr ernste Vorstellungen zu machen, hielt sie ihm den Mund zu.
»Ich weiß ja alles, was du mir sagen willst, und ich will mich ganz gewiss bessern!«, mit solchen und ähnlichen Worten und Versprechungen tröstete sie den Papa – ach und wie gern ließ er sich also trösten! Er konnte dem Kind nie ernstlich zürnen, es war sein Alles.
Als Ilses Mutter starb, legte sie ihm das kleine, hilflose Ding in den Arm. Es hatte die schönen, frohen Augen der früh Geschiedenen geerbt, und blickte sie ihn an, war es ihm, als ob die Gattin, die er so sehr geliebt hatte, ihn anlächle.
Lange Jahre war er einsam geblieben und hatte nur für sein Kind gelebt. Da lernte er seine zweite Frau kennen. Ihr kluges, sanftes Wesen fesselte ihn so, dass er sie heimführte.
Frau Anne betrat das Haus ihres Mannes mit dem festen Vorsatz, seinem Kind die treueste, liebevollste Mutter zu sein und alles aufzubieten, um ihr die früh Verlorene zu ersetzen; indes jede herzliche Annäherung von ihrer Seite scheiterte an Ilses trotzigem Widerstand. Bald ein Jahr waltete sie nun schon als Frau und Stiefmutter und noch immer hatte sie es nicht vermocht, Ilses Liebe zu gewinnen. –
Die Gäste blieben zum Abendessen auf Moosdorf, so hieß das große Gut des Oberamtmann Macket. Als der Tisch gedeckt war und alle sich an demselben niedergesetzt hatten, fragte Herr Macket, warum Ilse noch nicht anwesend sei.
Frau Anne erhob sich und zog an der Klingelschnur. Der eintretenden Dienstmagd befahl sie, das Fräulein zu Tisch zu rufen.
Ilse saß noch in derselben Stellung am Fenster. Sie hatte sich eingeschlossen und die Magd musste erst tüchtig pochen und rufen, bevor sie sich bequemte, die Tür zu öffnen.
»Sie sollen herunterkommen, Fräulein, die gnädige Mama hat es befohlen«, sagte Kathrine und betonte das »sollen« und »befohlen« so recht auffallend.
»Ich soll!«, rief Ilse und wandte den Kopf hastig herum, »aber ich will nicht! Sag das der gnädigen Frau Mama!«
»Ja«, sagte Kathrine, so recht befriedigt von dieser Antwort, denn auch sie war durchaus nicht damit einverstanden gewesen, dass wieder eine Frau in das Haus gekommen war, welche der schönen Freiheit ein Ende gemacht hatte, »ja, ich werd’s bestellen. Gnädiges Fräulein haben ganz recht, das ewige Befehlen, wenn man selbst alt genug ist, ist höchst unpassend, noch dazu, wenn fremde Leute dabei sind.«
Und sie ging hinunter in das Speisezimmer und führte wörtlich Ilses Bestellung aus.
Herr Macket blickte seine Frau verlegen an, er wusste gar nicht, was diese Antwort bedeuten sollte. Sie verstand seine stumme Frage, und ohne im Geringsten den Unmut merken zu lassen, den sie in ihrem Innern empfand, sagte sie gelassen: »Ilse ist nicht ganz wohl, lieber Mann, sie klagte etwas über Kopfschmerzen. Kathrine hat ihre Bestellung ungeschickt ausgerichtet.«
Alle Anwesenden errieten sofort, dass Frau Anne eine Ausrede machte, nur Herr Macket glaubte, dass es sich in Wahrheit so verhielt.
»Wollen wir nicht lieber einen Boten zum Arzt schicken?«, fragte er besorgt.
Die Antwort darauf gab ihm sein Kind selbst, das heißt, sie bewies ihm, dass ihr kein Finger wehtat. Laut jubelnd und lachend trieb sie einen Reif mit einem Stock über den großen Rasenplatz, und der Jagdhund Tyras sprang demselben nach, und wenn er mit seinen Pfoten den Reif beinahe erhascht hatte und ihn doch nicht halten konnte, stieß er ein ärgerliches Geheul aus, worüber Ilse sich totlachen wollte.
Herrn Mackets Gesicht verklärte sich ordentlich bei diesem Anblick. Er stand auf, trat in die offenstehende Flügeltür des Zimmers, und eben im Begriff, Ilse zu rufen, hielt ihn Frau Anne davon zurück.
»Lass sie, ich bitte dich – lieber Mann«, bat sie, vor Unwillen leicht errötend, und zu den Gästen gewendet setzte sie hinzu: »Es tut mir leid, nun doch die Wahrheit sagen zu müssen, indes Ilses Benehmen zwingt mich...