Richter / Brandt / Friedrich Faszinierend! Star Trek und die Wissenschaften Band 2
4. unveränderte Nachauflage 2012
ISBN: 978-3-86935-168-1
Verlag: Steve-Holger Ludwig
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
E-Book, Deutsch, Band 2, 264 Seiten, E-Book
Reihe: Star Trek und die Wissenschaften
ISBN: 978-3-86935-168-1
Verlag: Steve-Holger Ludwig
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Nicht Warpfeldtheoretiker, Exobiologen und Wissenschaftsoffiziere der Sternenflotte sind es, sondern Physiker, Politologen und Soziologen, Philosophen und Philologen, Literatur- und Medienwissenschaftler, die hier das Star Trek-Universum erforschen. Mit derselben Faszination und demselben Forscherdrang, mit denen auch die Crew der Enterprise den (Serien-)Weltraum erkundet, dringen sie dabei in die 'unendlichen Weiten' der erfolgreichsten Fernsehserie der Welt vor. Mit diesem zweibändigen Werk liegt die bis dato umfassendste Textsammlung deutschsprachiger Star Trek-Forschung vor.
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Assimilation – Koexistenz – Unzugänglichkeit. – Soziologische Betrachtungen zur Erfahrung des Fremden in STAR TREK
Roland Bausch
Die Soziologie der Zukunft ist längst in die Science-?ction ausgewandert. (Florian Rötzer 1998, 205)
Der Kontakt mit dem Fremden ist hauptsächlicher Gehalt der Star Trek-Serien, nicht nur nach außen bei der Entdeckung ›neuer Welten und Zivilisationen‹, auch nach innen durch Aufnahme nichtmenschlicher Besatzungsmitglieder in die Sternen?otte. Die in den einzelnen Episoden auftretenden unterschiedlichen Lebewesen können oft im ersten Moment gar nicht als solche wahrgenommen, sondern müssen erst in einem langsamen Kognitionsprozess von den Hauptakteuren als Lebensform (an-)erkannt werden. Bei der Beschreibung der Fremdkontakte besagt meine Ausgangsthese, dass sich in Star Trek implizit soziologische Erklärungsmodelle zur Erfahrung des Fremden ?nden lassen.15
1. Der Fremde in der Soziologie
Der Begriff des ›Fremdverstehens‹ bezeichnet in der Soziologie das »(phänomenologische) Verstehen des Anderen als alter ego (Fremd-Ich)« (Fuchs-Heinritz/Lautmann/Rammstedt 1995, 215). Der soziologische ›Urtext‹ zu einer Theorie des Fremden ist Georg Simmels Exkurs über den Fremden (1958). Er de?niert den Fremden als denjenigen, »der heute kommt und morgen bleibt« (ebd., 509). Der Prototyp des Fremden ist für ihn der reisende Händler, dem er »den spezi?schen Charakter der Beweglichkeit« zuschreibt (ebd.). Dieser Fremde hat zwar möglicherweise viele, aber nur lockere Verbindungen zu den Elementen der Gesellschaft, er kann daher eine objektive Haltung gegenüber den Einheimischen einnehmen. Mit Simmels Ausführungen hat Alfred Schütz’ Schrift Der Fremde. Ein sozialpsychologischer Versuch (1972) gemein, dass der bestimmte Andere als Fremder zunächst einmal Nichtmitglied des klassi?zierenden Sozialsystems ist; bei beiden Texten geht es um Fremdheit als sozialen Status. Schütz analysiert die subjektiven Prozesse, die den Fremden in der für ihn ungewohnten gesellschaftlichen Umgebung begleiten, aus der Perspektive des Fremden, während Simmel eher die Perspektive der Gesellschaft betrachtet.
Entscheidend ist, dass Fremdheit durch Begegnung bzw. Erfahrung entsteht und nicht a priori gegeben ist. Es handelt sich immer um Fremdheitsrelationen und nicht um genuine Person- oder Sacheigenschaften: »Fremdheit ist keine Eigenschaft, auch kein objektives Verhältnis zweier Personen oder Gruppen, sondern die De?nition einer Beziehung« (Hahn 1993, 23). Ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt die Relation der Nichtzugehörigkeit und/oder Unvertrautheit. Fremdheit ist relativ zu Ort, Zeitpunkt und Instanz der Zuschreibung, darüber hinaus ist sie auch ein graduelles Phänomen. Es geht neben der Untersuchung der Zurechnung auch um das Maß der Deklaration dessen, was fremd ist.
1.1. Dimensionen der Fremdwahrnehmung
Die Konstituierung von Fremdheit erfüllt grundlegende Funktionen für Ausbildung und Aufrechterhalten von Vergesellschaftungsstrukturen, sie bestimmt das ›Innen‹ und das ›Außen‹. Mit Ortfried Schäffter sollen vier elementare »Ordnungsschemata systemspezi?scher Innen/Außen-Beziehungen« (1991, 15) vorgestellt werden.
Ein erstes Deutungsmuster sieht Fremdheit als Resonanzboden von Eigenheit: Dieses Ordnungsschema geht von einer originär ungeteilten Basis von Eigenheit und Fremdheit aus. Das Fremde hat dabei den Part einer abgetrennten Ursprünglichkeit inne. Ein ›Urgrund‹ (ebd., 16) begründet ein Spannungsverhältnis elementarer Scheidungen, etwa dasjenige zwischen Innen und Außen. Am Anfang war die undifferenzierte Ganzheit, aus der das Eigene erst durch eine Trennung entsteht. Der Rest des ursprünglichen Ganzen bildet als verfremdete Außenseite oder Hintergrund nun eine Kontrastfolie zur Identität des Eigenen. Gleiche Abstammung ist der Schlüssel der Resonanz. Die Annahme einer grundsätzlichen Verstehbarkeit aller menschlichen Phänomene ist als gemeinsame anthropologische Basis Vorbedingung dieser Deutung von Fremdheit.
Der zweite Modus beschreibt Fremdheit als Negation von Eigenheit: In dieser Ordnungsstruktur erhält Fremdheit als explizite Opposition den Charakter des Artfremden, Abartigen. Im Gegensatz zum Resonanzmodell ist hier kein verstecktes ›Verschränkungsverhältnis‹ vorhanden, sondern eine gegenseitige Unvereinbarkeit: Während z.B. das Geschlechterverhältnis in der ersten Fremdheitsdimension aufgrund einer angenommenen originären Androgynie ein mögliches reziprokes Verständnis zwischen Mann und Frau suggeriert, hat diese zweite Fremdheitsdimension die Stringenz des Geschlechterkampfes zur Konsequenz. Die klare Grenzziehung zwischen Fremdem und Eigenem – mit dem Fremden als ausdrücklichem Gegenbild – schützt und stärkt die Identität und Integrität des Eigenen. Das Erscheinungsbild des Fremden ist das einer eindeutigen Kontrastgestalt, wobei sich sein ›Aussehen‹ zwischen unbestimmt und sehr konkret bewegen kann. Je stärker das Fremdbild zur Konstruktion der eigenen ›positiven Seite‹ benötigt wird, um so stärker ist der synchrone Aufbau einer ›negativen Seite‹.16
Bei steigender Komplexität einer gesellschaftlichen Ordnung reicht aber eine rein duale Struktur, ob als Resonanz oder Opposition, kaum noch aus. Ein drittes Ordnungsschema erklärt Fremdheit daher als prozessuale Ergänzung der Eigenheit: Das Fremde führt immer wieder zu einer dynamischen Selbstveränderung der eigenen Identität. Als Akkommodationswirkung dient das Fremde der strukturellen Ergänzung eines sich permanent entwickelnden Eigenen, es erfüllt die Funktion der Beschaffung von Zusatzinformationen.
Fremdheit als resonante Membran, als Gegenbild oder als vielfältige Ergänzung: bei allen drei Momenten steht der Aspekt des Nutzens im Vordergrund, Fremdheit erfüllt im Wesentlichen eine konstituierende Funktion für die eigene Identität. Fremdheit als reziproke Komplementarität soll diese Fixierung durchbrechen. Unterschiedliche Perspektiven existieren gleichzeitig nebeneinander – Schäffter spricht von »polyvalenten Strukturen eines polykontexturalen Universums« (ebd., 25). Das bedeutet, dass in diesem vierten Modus systemspezi?scher Innen-Außen-Beziehungen das Fremde nicht mehr einseitig gedeutet werden kann, vielmehr lassen die komplexen Ordnungsstrukturen nunmehr nur noch ein Wechselverhältnis zwischen allen potenziellen Deutungen des Fremden zu. Eine Einsicht in ein Verständnis von Fremdheit ist nur noch bedingt möglich. Fremdheit wird als »Zwang zur radikalen Anerkennung einer gegenseitigen Differenz, als Sensibilität für gegenseitige Fremdheit« (ebd., 26; Herv.d.Verf.) begriffen.
1.2. Inklusion und Exklusion
Die Zurechnungsstruktur von Fremdheit bedeutet immer eine Identi?zierung des Fremden als solchen. Fremdheit ist als soziale Konstruktion eine Grenzziehung, die etwas als ›nicht dazu gehörend‹ klassi?ziert. Die Leitlinie entlang Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit bezeichnet ein zentrales Schema in der Systemtheorie: das Selektionsprinzip von Systemen. Von Inklusion – dem Einschluss in das System – ist dann zu sprechen, wenn soziale Systeme auf Personen zugreifen, sie thematisieren und anreden – der Grenzfall der Inklusion ist die kommunikativ vermittelte Exklusion. Der Zeitpunkt des Ausschlusses ist also ein letzter Moment der Einbeziehung.
In archaischen Gesellschaften erfolgt die Inklusion der Mitglieder anhand der Zuordnung zu bestimmten ›Segmenten‹ der Gesellschaft, d.h. in der Regel zu einem Stamm oder Dorf. Die Zugehörigkeit wird durch den Familienverbund sichergestellt. Der Einschluss geht nach festen Regeln vor sich, z.B. stellt eine nach immer wieder denselben Ritualen ablaufende Heirat den Übergang von einer familialen zu einer anderen familialen Verbindung und damit die größere Einheit eines Stammes sicher. Das starre Reglement ist notwendig, da die übergreifende gesellschaftliche Einheit durch die Begegnung mit Fremden ihre Selbstverständlichkeit verlieren könnte. Der Fremde außerhalb des eigenen Territoriums gilt als eine potenzielle feindliche Gefahrenquelle, die sozialstrukturellen Bedingungen dieses Gesellschaftstyps lassen keinen dritten Status außerhalb des Freund-Feind-Schemas zu. Exklusion aus einem Segment bedeutet meist gleichzeitig den Einschluss in ein anderes Segment der Gesellschaft, z.B. das Übersiedeln von einem zu einem anderen Stamm, so dass eine menschliche Existenz ohne Inklusion in eines der Segmente praktisch unmöglich ist. Exklusion aus Familien kann auch den Ausstoß aus der gesamten gesellschaftlichen Welt nach sich ziehen – außerhalb aller Segmente gibt es aber kaum eine Chance des Überlebens.
Strati?zierte Gesellschaften regeln die Zugehörigkeit ebenfalls über eine einheitliche Inklusionsregelung, die nun mehrere, auch ungleiche Möglichkeiten bietet, je nach Schicht, Stand oder Kaste. Die Basis der Zugehörigkeit bildet wiederum die Familienherkunft. Jedoch kann man jetzt nur genau einem Teilsystem angehören, etwa dem ökonomischen oder dem politischen. Für Fremde hält die Gesellschaftsstruktur einen partiellen Inklusionsstatus bereit, sie können aufgrund ihrer Stellung...