E-Book, Deutsch, 381 Seiten
Ritscher Systemische Modelle für die Soziale Arbeit
8. Auflage 2020
ISBN: 978-3-8497-8225-2
Verlag: Carl Auer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein integratives Lehrbuch für die Theorie und Praxis
E-Book, Deutsch, 381 Seiten
ISBN: 978-3-8497-8225-2
Verlag: Carl Auer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dieses Buch leistet einen wichtigen Beitrag dazu, die Lücke zwischen Sozialer Arbeit einerseits und Systemtheorie andererseits zu verkleinern, indem es die Methoden und Handlungsorientierungen aus beiden Bereichen verknüpft. Es macht so die Grenzen zwischen Sozialarbeit, Sozialpädagogik, Therapie und Beratung durchlässig und überwindbar.
Die soziale Arbeit gewinnt durch diese Integration eine Vielzahl von Methoden; die Systemtherapie schärft den Blick für soziale Zusammenhänge über das konkrete Bezugssystem hinaus.
Wolf Ritscher entwirft hilfreiche Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten für Theorie und Praxis. In diesem Sinne ist dies ein Lehrbuch für alle, die sich mit der systemischen Arbeit im psychosozialen Feld befassen.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychotherapie / Klinische Psychologie Systemische Beratung & Therapie
- Sozialwissenschaften Pädagogik Teildisziplinen der Pädagogik Sozialpädagogik
- Sozialwissenschaften Soziologie | Soziale Arbeit Soziale Arbeit/Sozialpädagogik Soziale Arbeit/Sozialpädagogik, Theorie und Methoden
Weitere Infos & Material
Einleitung: Zur Einfädelung systemischer Theorie und Praxis in die Soziale Arbeit
Das Welt- und Menschenbild des systemischen Ansatzes weist in vieler Hinsicht eine Überschneidung mit den Grundideen der Sozialen Arbeit auf, und in ihrer Praxis gewinnen die Methoden der systemischen Arbeit eine immer größere Wichtigkeit. Mit dem vorliegenden Buch soll diese Entwicklung gefördert werden, indem ich in mehreren Schritten die „Einfädelung“ der System- und Familientherapie in die Soziale Arbeit und deren Ausweitung zur systemischen Sozialen Arbeit nachzeichne. Damit möchte ich die bisher oft pragmatisch vollzogene Integration systemischer Denk- und Handlungskonzepte in die Soziale Arbeit der Reflexion und Kritik zugänglich machen. Die Soziale Arbeit gewinnt durch diese Integration einen einheitlichen theoretischen Rahmen und mithilfe der vielen systemischen Methoden neue Spielräume für ihre Praxis. Sie lässt sich in fünf Schritten vollziehen. •In einem ersten Schritt (im zweiten Kapitel) werden Soziale Arbeit und System- bzw. Familientherapie unter dem gemeinsamen Dach der systemischen Metatheorie angesiedelt. Damit finden deren Begriffe und Konzepte Eingang in die theoretischen Überlegungen und Praxiskonzepte der Sozialen Arbeit. Systemtherapie und Soziale Arbeit können sich erkenntnistheoretisch auf eine systemische Sicht der lebendigen Welt verständigen. Die Welt und jede Form sozialer Realität zeigt sich als Beziehungsnetz, Ereignisse als Beziehungsereignisse und Informationen als Beziehungsinformationen. Ich entwerfe deshalb ein allgemeines Modell für die Beschreibung sozialer Systeme. Dessen sechs Perspektiven ermöglichen eine zirkuläre und ganzheitliche Sicht auf soziale Wirklichkeiten und deren Beschreibung. •Mit einem zweiten Schritt (im dritten Kapitel) wechseln wir die Ebene des Zugangs zu sozialen Wirklichkeiten. Von der Beschreibung allgemeiner Prinzipien eines die Wahrnehmung und Beschreibung leitenden systemischen Denkmodells kommen wir zu Modellen, welche die sozialen Kontexte darstellen, in denen Menschen ihr Beziehungsleben gestalten. Dabei orientiere ich mich an dem ökosystemischen Modell von Uri Bronfenbrenner (1978), das um eine spezifische Sicht auf die „Risikogesellschaft“ (Beck 1986) erweitert wird. •Im dritten Schritt (im vierten Kapitel) wende ich mich der Familie als einem besonderen sozialen System zu. Sie ist das wichtigste Sozialisationssystem und die immer noch bedeutsamste private Lebensform in unserer Gesellschaft. Deshalb bleibt trotz der Entwicklung einer auf viele soziale Systeme anwendbaren Systemtherapie die systemische Familientherapie und Familiensozialarbeit ein eigenständiger Bereich. Innerhalb der Sozialen Arbeit ist der Bezug auf die Familie in der Jugendhilfe zentral, aber auch in anderen Arbeitsfeldern ist sie ein bedeutungsvoller Kontext und muss bei den Interventionen berücksichtigt werden. Dafür ist es notwendig, den Blick auf die Dynamik, die Beziehungsmuster und die Entwicklungsphasen von Familiensystemen zu lenken. Diese Muster bilden das theoretische „Netz“, mit dessen Hilfe die Wirklichkeiten einer Familie hypothetisch „eingefangen“ und aus der Perspektive der Beobachterin rekonstruiert werden können. Die dadurch entstehenden Informationen können für die Auftragsklärung, Zielfindung und Interventionen genutzt werden und sind Teil des Veränderungsprozesses. Gerade an diesem Punkt ist auf den Anfang der Achtzigerjahre vollzogenen Sprung von der Familien- zur Systemtherapie zu verweisen. Entscheidend ist nun nicht mehr das Setting („Therapie findet nur statt, wenn die ganze Familie im Raum versammelt ist“), sondern entscheidend sind die systemischen Modelle im Kopf der Therapeutin bzw. Sozialarbeiterin. Sie ermöglichen den systemischen Blick auf das Problem- und Unterstützungssystem und die „maßgeschneiderte“ Verwendung systemischer Methoden an den entsprechenden Punkten des Unterstützungsprozesses. Das kann in den unterschiedlichsten Settings und Subsystemen geschehen. Dieser Gesichtspunkt ist besonders wichtig in der Arbeit mit diskontinuierlichen, chaotischen und unstrukturierten Problemsystemen, die wichtige Adressaten der Sozialen Arbeit sind. •In einem vierten Schritt (im fünften Kapitel) verbinde ich theoretische Konzepte der Sozialen Arbeit, die mit der systemischen Metatheorie vereinbar sind oder – wie bei den Konzepten der Gemeinwesenarbeit – direkt als systemisch bezeichnet werden. Als Rahmen der dadurch entstehenden systemischen Sozialen Arbeit wähle ich fünf primäre Handlungsbereiche der Sozialen Arbeit: Einzelfallarbeit, Gruppenarbeit, Gemeinwesenarbeit, Arbeit in sozialen Organisationen und Qualitätssicherung. Den Ausgangspunkt meiner zusammenführenden Darstellung bildet eine dem Ausbildungscurriculum für Sozialarbeiterinnen an der Hochschule für Sozialwesen Esslingen zugrunde gelegte Gegenstandsbeschreibung der Sozialen Arbeit. Dadurch wird die von vielen Kolleginnen befürchtete „Kolonialisierung der Sozialen Arbeit“ durch eine von außen an sie herangetragene „Modetheorie“ verhindert. Die originären Grundlagen der Sozialen Arbeit, d. h. ihre gesellschaftliche Funktion, ihre Adressatinnen, Arbeitsfelder, Ziele, Handlungsbereiche und Handlungsformen bleiben erhalten. Dass sie nun in eine systemische Sicht der Wirklichkeit integriert werden, ist kein Akt der Willkür, denn ich behaupte, dass die Sozialarbeit in ihrem Kern immer schon eine systemische Orientierung hatte, um ihrem zentralen Auftrag – der Lösung bzw. Milderung von materiellen und kommunikativen Problemen im Feld des Sozialen – gerecht zu werden. Mein ehemaliger Hochschulkollege Werner Müller hat für dieses Kapitel die Teile über Gemeinwesenarbeit und Arbeit in sozialen Organisationen verfasst und das gesamte Kapitel kritisch gegengelesen. Dafür danke ich ihm sehr herzlich. •Mit einem fünften Schritt (im sechsten Kapitel) kommt diese Entdeckungsreise zu ihrem vorläufigen Ende. Hier werden die in der systemischen Sozialen Arbeit verwendbaren Methoden und Handlungsrichtlinien vorgestellt. Ich spreche in diesem Zusammenhang nicht von Therapie oder Sozialarbeit, sondern nur allgemein von Systemischer Arbeit; in ihr sind Sozialpädagogik, Therapie, Beratung und materielle Unterstützung als Teilbereiche enthalten. Zusammen mit den im selben Kapitel dargestellten originären Methoden der sozialen Arbeit ermöglichen sie eine theoretisch reflektierte und methodisch gesicherte Praxis der systemischen Sozialen Arbeit. Ihre Ziele heißen Empowerment, Hilfe zur Selbsthilfe und die Erschließung der dafür notwendigen Ressourcen. Die Falldarstellung im ersten Kapitel sowie die Praxisbeschreibungen des siebten Kapitels zeigen, wie systemische Metatheorie und Methoden mit der klassischen Sozialen Arbeit zu einer einheitlichen praxisrelevanten Konzeption zusammenwachsen. Für die Beiträge des siebten Kapitels danke ich Jürgen Armbruster und Gabriele Rein vom Sozialpsychiatrischen Dienst Stuttgart-Freiberg, Karlheinz Menzler-Fröhlich vom Wohnverbund Stuttgart-Nord und Klaus Döhner-Rotter vom Projekt Jugendhilfe im Lebensfeld (ProJuLe) in Bad Rappenau sehr herzlich. Die Falldarstellung des ersten Kapitels entstammt einem Video, das im Rahmen eines von mir geleiteten Projektes an der Hochschule für Sozialwesen Esslingen entstanden ist. Dieses Werkstattvideo zeigt die praktische Umsetzung der in diesem Buch entfalteten Modelle für die Soziale Arbeit (zur Bezugsquelle siehe Kap. 1, Anm. 1). Von der systemischen „Einrahmung“ der Sozialen Arbeit profitieren beide Seiten. Die Einführung der systemischen Metatheorie schärft den Blick der Sozialarbeiterinnen für Netzwerke, kommunikative Rückkoppelungseffekte (Zirkularität), den Beziehungssinn von Symptomen und Ressourcen, die das System selbst für die Lösung seiner Probleme aktivieren kann. Die Erschließung des Methodenspektrums der Systemtherapie vermittelt den Sozialarbeiterinnen Kompetenzen, sich an das Problemsystem anzukoppeln und gemeinsam Lösungen zu finden, die neue Entwicklungschancen und Handlungsspielräume eröffnen. Die Integration systemischer Theorie und Praxis in die Soziale Arbeit hat auch einen rückbezüglichen Effekt. Die System- und Familientherapie wird im ursprünglichen Sinn des Wortes politisch und schärft den Blick für die Lebenswelt ihrer Auftraggeberinnen. Überschaubare Mikrosysteme wie die Familie werden nun als Teil des Gemeinwesens (griechisch polis) wahrgenommen. Der Zugang zu seinen infrastrukturellen Angeboten (Schule, Kindergarten, soziale Dienste, aber auch Verkehrsmittel, Müllabfuhr, Krankenhäuser usw.), informellen (z. B. Nachbarschaft, Freunde) und formalen Netzwerken (z. B. Vereine, Kirchengemeinden, Parteien) ist ein wesentlicher Faktor für den „gelingenden Alltag“. Ist der...