E-Book, Deutsch, Band 199, 64 Seiten
Reihe: Dr. Karsten Fabian
Ritter Dr. Karsten Fabian 199 - Arztroman
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-7325-5719-6
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Der Landarzt und die blinde Frau
E-Book, Deutsch, Band 199, 64 Seiten
Reihe: Dr. Karsten Fabian
ISBN: 978-3-7325-5719-6
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Vor einigen Monaten hat Sven Heller sich mit einer Frau verlobt, die er nicht liebt. Warum? Weil die Eltern dieser Frau so reich sind, dass sie die lebensrettende Operation seiner Mutter bezahlen konnten.
Von Heidegrets Seite ist es mit Sven offenbar die große Liebe, das redet sie sich jedenfalls ein. Für Sven ist Heidegret aber viel zu verwöhnt und oberflächlich, als dass er mehr als Sympathie für sie empfinden könnte. Doch jetzt kann er die Verlobung nicht mehr lösen - schließlich wäre seine Mutter ohne Heidegrets Hilfe gestorben. Da ist er ihr zu Dank verpflichtet.
Oder ist Svens Opfer zu groß?
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Frau Semmelweiß, die tüchtige Haushälterin der beiden Landärzte von Altenhagen, blieb stehen und sah dem jungen Mann nach, der mit flüchtigem Gruß an ihr vorbeigegangen war. Lange blieb sie allerdings nicht stehen.
So schnell es ihre Fülle erlaubte, folgte sie Sven Heller und packte seinen Arm.
»Sieht man dich auch mal wieder hier?«, fragte sie überaus freundlich, und es störte sie wenig, dass ihr Lächeln kein Echo auf dem Gesicht des jungen Mannes fand. »Immer fleißig beim Studieren? Das ist richtig, da werden sich deine Eltern freuen. Schmal im Gesicht siehst du aus und ein bisschen blass. Kommst wohl zu wenig an die frische Luft?«
Sven Heller blickte finster in das runde, gutmütige Gesicht der Frau. Sie sollte ihn gefälligst in Ruhe lassen.
Aber genau das wollte Gerlinde Semmelweiß nicht.
»Bist du denn wohl allein hier?«, fuhr sie neugierig fort. »Oder hast du deine hübsche kleine Braut mitgebracht? Sie ist ja eine richtige Augenweide.«
»Ja. Sie ist mitgekommen«, rang Sven sich widerwillig ab. »Ich muss weiter, meine Mutter wartet mit dem Mittagessen auf mich.«
»So früh schon?« Gerlinde begriff natürlich sofort, dass Sven nur eine faule Ausrede gebraucht hatte. »Bleibt ihr nur übers Wochenende oder länger?«
»Wahrscheinlich nur übers Wochenende. Das hängt von verschiedenen Umständen ab.«
»Dann stimmt es wohl, dass ihr euch hier ein Haus kaufen wollt? Kaufen oder bauen?« In solch wichtigen Fragen war Gerlinde fürs Genaue. »Wo ihr noch nicht einmal verheiratet seid … Wenn man selbst baut, dann hat man alles so, wie man es sich wünscht. Ein altes Haus ist doch man immer ein Kompromiss.«
»Wir wissen noch nicht, wofür wir uns entscheiden werden. Ich muss jetzt wirklich weiter, Frau Semmelweiß. Grüßen Sie zu Hause, bitte.«
»Mach ich, Sven, mach ich. Wird ja nicht leicht sein, hier was Passendes zu finden, wo Baugrundstücke so knapp geworden sind. Aber deine Eltern werden euch schon bei der Suche helfen. Du solltest mal bei Osterloh fragen. Der kann gut Geld gebrauchen und würde sich vielleicht von einem Bauplatz trennen. Musst nur aufpassen, dass er nicht zu viel verlangt. Der nimmt es ja vom Lebendigen. Andererseits habt ihr es ja. Du machst wirklich eine gute Partie, Sven. Da werden deine Eltern doch glücklich sein. Wer heiratet schon eine Arzneimittelfabrik?«
»Ich weiß es nicht. Ich heirate eine junge Frau, keine Fabrik.«
»Brauchst ja nicht gleich in die Luft zu gehen«, empörte sich Gerlinde. »Man darf ja wohl noch sagen, was man denkt, und wo sie die einzige Tochter ist … einziges Kind überhaupt … Also da wärst du doch schön dumm, hättest du dir die Gelegenheit entgehen lassen. Und besonders hübsch ist sie außerdem und toll verliebt … Aber ich sehe schon, du willst unbedingt weiter. Dass ihr jungen Leute heutzutage allesamt keine Zeit mehr habt. Früher war das anders. In meiner Jugend mussten wir auch viel arbeiten, aber Zeit für einen kleinen Schwatz hatten wir immer. Und deine Mutter, wie geht es der? Habe sie ein paar Tage nicht gesehen.«
»Danke, gut.«
»Dass die Operation geglückt ist … aber das hätte ich euch vorher sagen können. Ich hab das Horoskop für deine Mutter gestellt und anfangs sah es ja wirklich schlecht aus, bis der junge Doktor auf diesen Amerikaner gestoßen ist, der die Operation wagte. Hier wollte ja keiner so recht ran. Also, dann grüß mal schön zu Hause und ganz besonders herzlich deine kleine Braut.«
»Danke.«
Sven schüttelte die haltende Hand halb mit Gewalt ab und machte, dass er weiterkam. Er liebte dieses Heidedorf, aber manchmal fiel es ihm schwer, auch alle Bewohner zu lieben. Diese aufdringliche Neugier allenthalben!
Andererseits war es so, dass einer dem anderen half, wenn es nötig war, ohne ein Wort darüber zu verlieren. Er ging noch immer schnell, bis er die elterliche Apotheke erreicht hatte. Sein Gesicht hellte sich allerdings nicht auf, als er die Treppe zur ersten Etage hinaufging.
Die Wohnung befand sich über den Geschäftsräumen, eine sehr schöne, vor zwei Jahren erst gründlich renovierte Wohnung. Es hatte damals einen Haufen Geld gekostet, denn Michael Heller wollte auch eine moderne Apotheke haben. Die Fassade war neu gestaltet worden und dazu gleich die Inneneinrichtung.
Als er ins Wohnzimmer kam, stand Heidegret Lehmkuhl auf und lief ihm entgegen, ihre Arme ausgebreitet.
»Wo hast du nur so lange gesteckt?«, fragte sie anklagend. »Du wolltest nur eine Kleinigkeit besorgen und bleibst gleich stundenlang weg. Liebst du mich gar nicht mehr?«
»Ich musste im Geschäft warten und bin auf dem Rückweg aufgehalten worden. Die Semmelweiß hat mich festgehalten. Sie wollte wissen, ob wir ein Haus kaufen oder bauen wollen.«
»Natürlich bauen. Während ich hier auf dich warten musste, habe ich mal den Grundriss für unser Haus gezeichnet. Da, schau ihn dir an. Das hier ist das Wohnzimmer. Achtzig Quadratmeter. Und hier die Diele, von der geht es dort in die Küche, daneben in die Vorratsräume, und eine Gästetoilette ist auch eingeplant. Unsere Schlafräume sind in der ersten Etage.« Eifrig glitt Heidegrets Zeigefinger über die geschickt gemachte Skizze. »Was sagst du dazu, mein Gebieter?«
»Ach, habe ich auch eine Meinung?«, fragte Sven ironisch.
»Schließlich sollst du dort ja auch wohnen. Ob wir den Kamin vielleicht lieber hier einbauen lassen? Und davor dann eine bequeme Sitzgruppe?«
»Mach, was du willst«, knurrte Sven.
Die wirklich hübsche Heidegret runzelte die Stirn.
»Was passt dir denn nun schon wieder nicht?«, fragte sie aufgebracht. »Ich kann machen, was ich will, du hast an allem etwas auszusetzen.«
»Hast du dir einmal überlegt, was solch ein Haus kosten wird?«, fragte Sven ebenso wütend. »Bestimmt über fünfhunderttausend, wenn nicht eine Portion mehr.«
»Na und? Wir haben es doch. Vati ist glücklich, wenn er mir Geld geben darf. Und dann noch so gut angelegtes Geld.«
»Angelegt für ein Wochenendhaus. Und dann solch eine Prachtvilla. Nein, Heidegret, das passt mir allerdings wirklich nicht.«
»Soll ich an unseren Wochenenden in einer Hundehütte hausen?«, fragte Heidegret gekränkt. »Schließlich kann ich Ansprüche stellen.«
»Das beginne ich allmählich zu begreifen«, knurrte Sven.
»Manchmal bist du unausstehlich«, beklagte sich die junge Frau. »Ich weiß wirklich nicht, weshalb ich mich mit dir eingelassen habe.«
»Du kannst ja mal darüber nachdenken, vielleicht fällt es dir noch ein«, antwortete Sven. »Ich will solch ein Haus nicht. Anfangs werde ich kaum viel Zeit haben, am Wochenende hierherzukommen. Ich muss mich einarbeiten.«
»Das ist mir bekannt. Aber du solltest auch wissen, dass ich in deinem Leben zuerst komme. Ich und nicht die dumme Arbeit! Ich will nicht einmal so leben wie meine Mutter. Die kriegt meinen Vater selten genug zu Gesicht. Manchmal wundere ich mich, wie sie es geschafft haben, mich zu machen. Wahrscheinlich auf der Couch in Vaters Büro.«
Sven liebte es nicht, wenn Heidegret in dieser Art sprach. Sie mochte es ganz witzig finden, er nicht.
»Mal wieder eingeschnappt? Ich möchte, dass zwischen uns von Anfang an Klarheit herrscht, wie unsere Zukunft aussehen soll. Ich will dich und kein Arbeitstier.«
»Der Betrieb deines Vaters erfordert den vollen Einsatz eines Mannes. Man kann ihn nicht mit der linken Hand führen.«
»Schon mal von tüchtigen Mitarbeitern gehört? Mir scheint, du musst noch viel lernen, Liebling. Aber keine Angst, ich bringe es dir schon noch bei. Komm …« Sie nahm seine Hand und zog ihn auf den Flur.
»Wohin?«, fragte Sven arglos.
Heidegret lachte, als sie die Tür zu seinem Zimmer aufstieß.
»Muss ich dir jetzt auch noch sagen, was ich will?«, fragte sie, schlang die Arme um seinen Nacken und küsste ihn leidenschaftlich.
»In einer halben Stunde wird gegessen«, murmelte Sven zwischen Heidegrets Küssen.
»Dann haben wir noch Zeit genug.« Die junge Frau knöpfte sein Hemd auf.
Sven blieb nichts anderes übrig, als das zu tun, was sie von ihm erwartete. Er verdankte Heidegret sehr viel. Die Operation seiner Mutter hatte über zweihundertfünfzigtausend Euro gekostet, und als sie das Geld nicht auftreiben konnten, hatte Heidegrets Vater es ihnen großzügig gegeben. Es blieb ja sozusagen in der Familie.
***
Sie hat mich gekauft, dachte Sven verdrossen, als er sich wieder anzog. Ich bin ein Prinzgemahl. Ein ganzes Leben. Und weil er das nicht sein wollte, war er entschlossen, seinem Schwiegervater zu beweisen, dass seine Tochter eine gute Wahl mit ihrem Ehemann getroffen hatte. Er würde für zwei arbeiten.
»Was für ein Gesicht machst du nur.« Heidegret musste lachen, als sie ihn anschaute. »Findest du wirklich, dass ich ein schlimmes Mädchen bin?«, fragte sie übermütig. »Sei doch froh, dass du keine prüde Frau bekommst, die immer Migräne hat, wenn du mal was von ihr willst. Jetzt habe ich richtigen Hunger. Was machen wir heute Nachmittag?«
»Schlag was vor.«
»Dann fahren wir nach Bremen und bummeln durch die Geschäfte. Die haben ja jetzt eine neue Passage gebaut. Ungewöhnlich hässlich, den Bildern nach zu urteilen, aber sie sind natürlich wahnsinnig stolz darauf. Ich möchte mir etwas kaufen.«
»Was?«
»Irgendetwas wird sich schon was finden.« Heidegret musste wieder...




