Ritter Dr. Karsten Fabian - Folge 145
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-7325-1962-0
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Dr. Fabian und eine Kollegin am Abgrund
E-Book, Deutsch, Band 145, 64 Seiten
Reihe: Dr. Karsten Fabian
ISBN: 978-3-7325-1962-0
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Gerade hat Dr. Fabian einen Brief von einer Ärztin bekommen, einer ehemaligen Kollegin aus dem Elbe-Krankenhaus. Dr. Diane Lüthke will die Familie Fabian besuchen und für ein paar Wochen bleiben.
Florentine, Dr. Fabians Frau, ist ganz vertrauensvoll, sie freut sich einfach nur auf den Besuch, aber die Haushälterin Gerlinde Semmelweiß ist gleich misstrauisch geworden. Da geht irgendwas nicht mit rechten Dingen zu, findet sie. Sie glaubt einfach nicht, dass den Landarzt und diese fremde Frau nur ärztliche Kollegialität verbindet ...
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»Heute ist nur ein Brief für Sie dabei, Herr Doktor«, teilte die Haushälterin Gerlinde Semmelweiß dem jungen Landarzt mit, als sie mit einem Stapel Post in der Hand ins Haus kam.
»Danke, Frau Semmelweiß.« Karsten Fabian streckte seine Hand aus, aber die Haushälterin ließ sich Zeit, bevor sie ihm den Umschlag reichte.
»Von einer Frau Doktor Lüthke aus Hamburg – vielleicht eine ehemalige Kollegin von Ihnen, die schöne Erinnerungen aufwärmen möchte?«
»Haben Sie den Brief denn noch nicht gelesen?«, tat Karsten erstaunt.
Als echte Altenhagenerin war Gerlinde nämlich unglaublich neugierig.
»Der Umschlag ist doch verschlossen, Herr Doktor«, erinnerte Gerlinde kopfschüttelnd. »Wie könnte ich den Brief denn da wohl lesen? Wollen sie ihn nicht aufmachen?«
»Nachher«, lehnte Karsten freundlich, aber bestimmt ab.
»Es ist bloß, weil ich ja wissen muss, ob sie vielleicht zu uns kommen will. Falls ich ein Bett beziehen und mehr Essen kochen muss und so. Aber daran denken Sie ja nicht.«
»Weil ich weiß, dass unser Haushalt bei Ihnen nicht nur in den besten, sondern in den allerbesten Händen ist, Frau Semmelweiß. Sie werden das schon schaffen.«
Die füllige Frau lächelte geschmeichelt. Solche dick aufgetragenen Komplimente gingen ihr runter wie Öl.
»Ich gebe mir Mühe«, erwiderte sie gespielt bescheiden. »Ob sie wohl lange bleiben will? Wie alt ist sie denn, diese Frau Doktor Lüthke?«
»Ich habe damals leider versäumt, sie danach zu fragen«, bedauerte Karsten.
Aber weil auch er neugierig war, riss er jetzt den Umschlag auf, und prompt stellte sich Gerlinde neben ihn, um mitlesen zu können.
»Hat die vielleicht eine Klaue … können Sie das denn wirklich entziffern, Herr Doktor? Das sind ja die reinsten Hieroglyphen.«
Der junge Landarzt grinste. »So etwas lernt man auf der Universität, Frau Semmelweiß. Frau Doktor Lüthke möchte am Wochenende kommen und bittet mich, ihr in einem Gasthaus ein Zimmer zu reservieren.«
»Dann verstehen Sie sich nicht so gut mit ihr, dass sie bei uns wohnen soll?«, fragte Gerlinde und blickte erwartungsvoll in das gut geschnittene Gesicht des Mannes.
»Sie wird selbstverständlich bei uns wohnen. Ihre Einwilligung vorausgesetzt, Frau Semmelweiß«, setzte er hinzu, und Gerlinde überhörte natürlich die leichte Ironie in seiner Stimme.
»Mir kommt es nicht darauf an, für einen mehr zu kochen. Und so viel wird sie ja nicht essen. Ist sie denn jung oder schon ein bisschen älter?«
Es interessierte sie brennend, ob diese Diane Lüthke vielleicht eine verflossene Liebe von Dr. Fabian war. Dann musste Florentine, die Frau des jungen Arztes, nämlich ein bisschen aufpassen.
Gerlinde war grundsätzlich misstrauisch, vor allem Männern gegenüber. Männer waren ihrer Meinung nach alle gleich, und das hieß gleich unzuverlässig.
»Sollen Sie anrufen oder schreiben? Ich meine nur, weil heute schon Donnerstag ist, und da wird die Zeit ja ein bisschen knapp, wenn Sie schon dieses Wochenende kommen will. Oder erst nächstes? Was hat sie denn geschrieben?«
»Sie will dieses Wochenende kommen und bittet um meinen Rückruf.«
»Warum haben Sie das nicht gleich gesagt? Sie muss man aber auch alles fragen, Herr Doktor. Was isst sie denn wohl besonders gern, wissen Sie das? Wenn sie bloß so kurz kommt, dann möchte man sie ja auch ein bisschen verwöhnen. Oder ist das womöglich eine, die nur rohes Gemüse isst?«
Von Vegetariern hielt Gerlinde nichts. Die meisten waren schrecklich dünn und glaubten sich im Besitz der alleinigen Wahrheit, fand die Haushälterin, und solche Menschen konnte sie nun mal nicht leiden.
»Ihr wird schon schmecken, was hier auf den Tisch kommt, Frau Semmelweiß. Ich muss mich jetzt auf den Weg machen, meine Patienten warten.«
»Fahren Sie denn auch zu dem alten Finke? Was fehlt dem eigentlich genau? Wenn der sich hinlegt, also, das ist ein ganz schlechtes Zeichen. Hoffentlich stirbt er nicht, wo er nach dem Tod von der Marie doch wieder geheiratet hat und so. Aber seine neue Frau erbt dann ja alles, und der Junge ist auch noch da …«
»Finke kann sich noch Zeit lassen, bis er seiner Marie folgen muss, denke ich. Aber nun will ich endlich los.«
Der jüngere der beiden Landärzte war heute Morgen zu einem Notfall gerufen worden und hatte deshalb die Patienten, die er zu Hause aufsuchte, warten lassen müssen. Mit seinem Freund und Kollegen Albrecht Heideck wechselte er sich mit der Arbeit in der Praxis und den Hausbesuchen umschichtig ab. Eine Regelung, die beiden sehr zugutekam.
»Dann fahren Sie bloß vorsichtig, Herr Doktor«, gab Gerlinde ihm mit auf den Weg. »Ob ich wohl den Rehbraten aus der Truhe nehme? Wird eigentlich Zeit, dass er auf den Tisch kommt. Und wenn ich ihn gut spicke … Wild wird ja leicht trocken, wenn man es nicht sorgfältig vorbereitet.«
Aber da war der junge Doktor schon zur Tür raus. Gerlinde seufzte, holte den Korb mit den Kartoffeln aus der Speisekammer und begann, die Portion fürs Mittagessen zu schälen.
***
Sie war noch nicht halb fertig, als Grete Roloff, die größte Klatschbase von Altenhagen, an der Haustür klingelte.
»Ich bin es bloß«, sagte sie gespielt bescheiden.
»Das sehe ich, ich bin ja nicht blind. Dann komm mal rein. Du willst bestimmt ne Tasse Kaffee haben.«
»Wenn du eine übrig hast … Was gibt es denn so Neues bei euch?«, fragte die zaundürre Grete, als sie in der Küche Platz genommen hatte.
»Nicht viel, bloß dass wir am Wochenende Besuch kriegen. Eine Frau Doktor aus dem Elbe-Krankenhaus. Sie hat sich selbst eingeladen. Wenn das mal keine verflossene Liebe vom jungen Doktor ist. Du weißt ja, wie manche Weiber sind, die stört es gar nicht, wenn ein Mann verheiratet ist. Hauptsache, sie haben ihren Spaß.«
»Und was sagt Florentine dazu?«, fragte Grete elektrisiert.
Ihre vogelartigen Augen begannen, sensationslüstern zu glänzen.
»Die weiß das noch nicht, und ich werde es ihr auch nicht sagen. Das soll der Doktor mal lieber selbst tun.«
Grete stieß ein hohles Kichern aus. »Und du meinst, er würde ihr sagen, wie es wirklich ist?«
»Da hast du auch wieder recht. Aber eins weiß ich jetzt schon: Ich werde beide Augen offen halten, wenn die bei uns wohnt. Er sollte ihr ja eigentlich ein Zimmer im ›Blechernen Krug‹ reservieren, aber daran denkt er nicht.«
»Ist ja auch viel bequemer so, wenn sie quasi Tür an Tür wohnen. Dann hat er es nicht so weit.«
Grete war glücklich, wieder einmal einer Skandalgeschichte auf der Spur zu sein. Altenhagen, das verträumte Kirchdorf inmitten der Lüneburger Heide, machte zwar einen ruhigen, fast verschlafenen Eindruck, aber wenn man hinter die Fassaden der Häuser blickte, dann kam man häufig aus dem Staunen nicht mehr heraus.
»Ich will aber nichts gesagt haben.« Gerlinde hob flüchtig ihren Kopf von der Kartoffel, die sie schälte, und fixierte Grete streng. »Nicht dass es nachher heißt, ich tratschte etwas rum.«
»Natürlich nicht. Ja, dann vielen Dank für den Kaffee. Ich will weiter. Und am Samstag kommt sie?«
»Am Wochenende, hat sie geschrieben. Vielleicht auch schon Freitagabend.«
»Wenn sie es gar nicht mehr abwarten kann … Ob die beiden sich wohl immer getroffen haben, wenn der Doktor angeblich einen Patienten in Hamburg besucht hat? Wundern würde mich das ja nicht.«
»Mich auch nicht. Es ist ja leicht möglich … Die arme Florentine.«
Die Haushälterin hatte zwar keinen Grund, Karsten Fabian zu misstrauen, denn direkt erwischen lassen hatte er sich noch nicht. Aber weil er ein Mann war …
***
Mittags kam Florentine Fabian eine Viertelstunde früher in die Löwenvilla, wie das Ärztehaus genannt wurde, zurück.
»Was habe ich da bei Lammers gehört?«, wandte sie sich stirnrunzelnd an Gerlinde. »Mein Mann soll eine frühere Freundin zu uns eingeladen haben?«
»Da weiß ich nichts von«, erklärte Gerlinde. »Sie hat ihm bloß geschrieben, dass sie ihn besuchen will und sich riesig darauf freut, und gefragt, ob er ihr nicht ein Zimmer bei Helene reservieren lassen könne. Aber da war er dagegen. Und wie er dagegen war! Sie soll hier bei uns wohnen, hat er gesagt, und ich sollte ein besonders feines Essen machen und Blumen in ihr Zimmer stellen.« Inzwischen hatte Gerlindes Fantasie gearbeitet und Einzelheiten erfunden, die für die Haushälterin Wirklichkeit geworden waren. »Pass bloß gut auf, Florentine. Ich will ja nichts gesagt haben, aber Gelegenheit macht Diebe. Und wo die sozusagen unter einem Dach wohnen …«
»Ich werde Karsten selbst fragen«, entschied Florentine. »Ist er noch nicht zurück?«
»Nein, er hat gerade angerufen, dass wir mit dem Essen nicht auf ihn warten sollen. Er musste noch nach Amelinghausen. Dass die noch keinen eigenen Arzt haben, also, das verstehe ich nicht. Das ist doch so weit zu fahren für unseren Doktor, und wenn da mal jemand schnell einen Arzt braucht … Aber das geht mich ja nichts an. Er kriegt das Essen eben aufgewärmt.«
Und das schadete ihm gar nichts, fand Gerlinde. Er sollte froh sein, dass sie ihm überhaupt noch was auf den Tisch stellte. Eine so nette Frau wie Florentine zu betrügen!
In den letzten Monaten war er nämlich eigentlich ziemlich häufig nach Hamburg gefahren, um dort im Elbe-Krankenhaus...




