Ritter Dr. Karsten Fabian - Folge 149
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-7325-2075-6
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Verena, die verleugnete Tochter
E-Book, Deutsch, Band 149, 64 Seiten
Reihe: Dr. Karsten Fabian
ISBN: 978-3-7325-2075-6
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Norbert Arbergens Leben verläuft in geregelten Bahnen. Im Heidedorf Altenhagen fühlt er sich wohl, seine Arbeit macht ihm Spaß, und mit seiner Frau führt er eine gute Ehe. Er ist Heidi immer treu gewesen - bis auf ein Mal.
Das war vor siebzehn Jahren. In einer Bierlaune hat Norbert sich verführen lassen. Heidi hat nie davon erfahren, und für Norbert ist diese Episode längst vorbei und vergessen. Bis eines Tages eine junge Frau anruft und ihm mit schüchtern klingender Stimme gesteht, dass sie ihn nun endlich kennenlernen will - ihn, ihren Vater ...
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»Bis heute Mittag dann.« Brigitte Dohrmann war in Eile – wie jeden Morgen. Sie nahm sich nicht einmal die Zeit, einen Blick in den Spiegel auf dem Flur zu werfen, bevor sie die Wohnungstür aufschloss. »Ich drücke dir die Daumen, dass dein Aufsatz gut wird, Verena. Schälst du schon Kartoffeln, Peter? Ich werde versuchen, pünktlich zu kommen.«
Der Mann, dem ihre Worte galten, schnitt eine Grimasse.
»Ich bin heute Morgen einfach nicht mehr dazu gekommen, das Essen vorzubereiten«, setzte Brigitte hinzu. »Du hast doch Zeit.«
»Lass nur, das mache ich schon. Dein Mann könnte sich sonst überarbeiten«, schaltete sich Verena, Brigittes Tochter, ein.
Sie zog den Kragen ihres Bademantels höher, als sie den Blick ihres Stiefvaters auffing. Wäre sie jünger, dann würde sie ihm jetzt die Zunge rausstrecken, aber mit stolzen sechzehn Jahren fühlte sie sich eher wie eine junge Dame.
»Lieb von dir. Hoffentlich erwische ich den Bus noch.« Brigitte hob grüßend die Hand und hastete davon.
Peter Dohrmann gähnte herzhaft, während er seine bildhübsche Stieftochter musterte.
»Musst du noch nicht in die Schule?«, fragte er.
»Die erste Stunde fällt heute aus. Die Sportlehrerin ist krank. Willst du zuerst ins Badezimmer, oder kann ich hinein?«
»Nach Ihnen, gnädiges Fräulein.« Peter Dohrmann sah sehr gut aus, selbst in seinem etwas schäbigen Morgenmantel. »Wie du vorhin richtig bemerkt hast, habe ich ja viel Zeit. Es ist nicht meine Schuld, dass ich keine Arbeit finde, mein Liebling.«
»Wer wirklich arbeiten will, der findet auch was. Aber es ist ja viel bequemer, von Muttis Geld zu leben.«
»Sie gibt mir sehr gern etwas ab, schließlich verdient sie mit ihrem Blumengeschäft ganz gut.«
»Das geht mich nichts an«, entschied Verena und ging ins Badezimmer.
Als sie unter der Dusche stand, hörte sie, dass jemand die Tür öffnete. Sie hatte nicht abgeschlossen.
»Soll ich dir den Rücken einseifen?«, fragte ihr Stiefvater und lachte. »Jetzt sind wir beide endlich mal allein in der Wohnung. Warum willst du heute überhaupt zur Schule gehen? Wollen wir es uns nicht ein bisschen gemütlich machen? Eine Flasche Wein steht im Kühlschrank …«
»Geh raus!«, schrie Verena und drehte das Wasser ab.
Ihr Handtuch hing draußen. Sie wagte nicht, die Tür der Duschkabine zur Seite zu schieben. Doch das brauchte sie auch gar nicht, denn das tat in diesem Augenblick schon ihr Stiefvater.
»Du bist wirklich ein ganz besonders hübsches Mädchen«, stellte er mit belegter Stimme fest. »Hast noch nicht viel mit Jungen gehabt, was? Du solltest dich überhaupt nicht mit unreifem Gemüse einlassen. Was du brauchst, ist ein Mann mit Erfahrung.«
Er nahm das Handtuch und machte Anstalten, Verena damit abzureiben. Aber das Mädchen ließ das nicht zu. Bevor der Mann ahnte, wie ihm geschah, erhielt er einen Stoß vor die Brust und taumelte ein paar Schritte zurück.
»Was soll das?«, fragte er aufgebracht. »Sei nicht so zickig. Du willst doch auch deinen Spaß haben. Oder hast du Angst vor deiner Mutter? Was die nicht weiß, macht sie nicht heiß. Nun komm schon. Ich bin ganz verrückt nach dir.«
»Verschwinde! Oder ich rufe die Polizei. Schämst du dich denn gar nicht? Ihr seid erst vier Wochen verheiratet, und …« Verenas Stimme brach vor Erregung.
»Rede nicht so viel. Deine Mutter wird nie erfahren, dass wir beide … Du wirst es ihr ja nicht erzählen.«
»Mach, dass du rauskommst!«
»Nun stell dich nicht so an, man kann alles übertreiben.«
Peter Dohrmann kannte die Frauen, und er glaubte zu wissen, was sie wirklich wollten. Ein »Nein« aus weiblichem Mund hatte ihn noch nie abgeschreckt.
Verena raste an ihm vorbei auf den Flur und dann in ihr Zimmer. Die Tür konnte sie zum Glück abschließen, obwohl sie das noch nie vorher gemacht hatte. Vor Aufregung zitterte sie am ganzen Leib.
Sekunden später trommelte ihr Stiefvater mit den Fäusten gegen das Holz.
»Mach auf!«, verlangte er. »Oder soll ich die Tür eintreten?«
»Wenn du nicht sofort aufhörst, rufe ich die Polizei«, drohte Verena.
»Bist du verrückt geworden? Nun mach schon auf!«
Verena zog sich überhastet an. Sollte sie die Polizei rufen? Sie blickte auf das Telefon in ihrem Zimmer. Sie hatte einen Nebenanschluss. Nur wenn ihre Mutter erfuhr, dass ihr Ehemann ihrer Tochter nachstellte …
Viel zu lange war Brigitte allein gewesen, bis sie endlich diesen Peter Dohrmann kennengelernt und sich in ihn verliebt hatte. Einen Mann, der in Verenas Augen absolut nichts taugte.
»Ein Streifenwagen kommt sofort«, rief sie durch die geschlossene Tür. »Pack am besten gleich deine Zahnbürste und deinen Waschlappen ein.«
Sie bluffte, doch da hörte sie schon einen grässlichen Fluch und gleich darauf das Schlagen einer Tür. Vorsichtig drehte sie den Schlüssel herum und wartete dann noch einen Moment, bevor sie öffnete.
Der Flur war leer, Peter war gegangen. Er hatte ihr geglaubt.
***
Was mache ich jetzt?, fragte sich die junge Frau. Einfach in die Schule gehen, als wäre nichts geschehen? Schon seit Langem waren ihr die Blicke des Mannes aufgefallen, aber sie hatte nie gedacht, dass Peter imstande sein würde, ihr wirklich nachzustellen.
Eines war Verena jetzt klar: Sie konnte nicht mehr hierbleiben. Auf keinen Fall wollte sie ihrer Mutter die Wahrheit sagen. Vielleicht glaubte die ihr nicht einmal.
Sie liebt Peter ja, dachte Verena, und wer liebt, der vertraut auch.
Sie schloss die Wohnungstür ab und stellte vorsichtshalber noch einen Stuhl unter die Türklinke. Falls Peter zurückkommen wollte, konnte er jetzt nicht herein.
Was mache ich nur?, fragte sich die junge Frau verzweifelt. Verwandte, zu denen sie flüchten konnte, hatte sie nicht. Die Eltern ihrer Mutter waren schon vor vielen Jahren gestorben, und ihr Vater …
Ein Ruck ging durch Verena, als ihr Vater ihr in den Sinn kam. Ein Vater auf dem Papier, weiter nichts. Er hatte die Unterhaltszahlungen für sie stets pünktlich überwiesen, das war aber auch eigentlich so ziemlich alles, was sie von Norbert Arbergen wusste. Und dass ihre Mutter sehr jung gewesen war, als sie sich Hals über Kopf in ihn verliebt hatte.
Arbergen war damals verheiratet gewesen. Ein Ehemann auf Abwegen. Und er hatte sich in all den vielen zurückliegenden Jahren weder um Verena noch um ihre Mutter gekümmert. Für ihn schien mit der Überweisung des Geldes die ganze Sache erledigt zu sein.
Soll ich zu ihm fahren?, überlegte Verena. Sie wusste, dass dieser Norbert Arbergen in der Lüneburger Heide wohnte. In einem kleinen Dorf namens Altenhagen.
Ich kann doch nicht einfach zu ihm hinfahren und sagen, hier bin ich, kümmere dich um mich, ich brauche deine Hilfe, überlegte sie.
Aber hierbleiben konnte sie auch nicht. Peter würde immer wieder versuchen, sich ihr zu nähern. Ihre Mutter war praktisch bis auf die Mittagspause den ganzen Tag in ihrem kleinen Blumengeschäft. So manchen Nachmittag hatte Verena ebenfalls dort verbracht und auf einem kleinen Tisch inmitten der Blütenpracht ihre Schularbeiten gemacht.
Sie konnte nicht immer zu ihrer Mutter laufen, machte Verena sich klar. Wenn sie an Peter dachte, an sein Gesicht, als er sie im Badezimmer angestarrt hatte, dann lief ihr ein Frösteln über den Rücken. Sie beschloss, einfach nach Altenhagen zu fahren und mit ihrem leiblichen Vater zu sprechen.
Wenn ich ihm meine Situation schildere, wird er mir helfen, dachte sie. Er muss mir helfen. Ich habe doch sonst niemanden …
Auf ihre Mutter konnte sie sich sonst immer verlassen, nur in diesem Fall nicht. Nicht viele Töchter hatten so großartige, verständnisvolle Mütter wie sie. Das war Verena klar. Und deshalb würde sie ihrer Mutter auch niemals vorsätzlich wehtun. Mochte sie weiterhin in der Illusion leben, dass Peter sie liebte. Irgendwann würden ihr schon die Augen aufgehen.
Aber nicht durch mich, schwor sich Verena.
Hastig packte sie einen kleinen Koffer mit allen notwendigen Sachen. Sie vergaß auch nicht, ihre Schulbücher hineinzulegen. Im Gegensatz zu den meisten Jugendlichen ging Verena ausgesprochen gern zur Schule. Sie lernte leicht und begriff schnell, war deshalb der Liebling ihrer Lehrer und trotzdem bei ihren Klassenkameradinnen und Kameraden beliebt. Niemand nannte sie eine Streberin.
Hoffentlich habe ich nichts vergessen, dachte Verena. Womit mein Vater wohl sein Geld verdient?
Ihre Mutter hatte ihre Fragen immer nur ausweichend beantwortet, auf viele allerdings hatte sie auch gar keine Antwort gewusst. Norbert Arbergen war nur eine kurze Episode in ihrem Leben gewesen.
***
Auf der Straße blieb Verena stehen und sah sich um. Nein, Peter war nicht in Sicht.
Wahrscheinlich sitzt er in seiner Stammkneipe und wartet auf das Eintreffen des Streifenwagens, dachte Verena. Sie verstand nicht, dass ihre Mutter sich in ihn verliebt hatte. Aber Liebe machte bekanntermaßen blind, diese alte Erfahrung bestätigte sich auch in diesem Fall wieder.
Mit dem Bus fuhr Verena zum Hauptbahnhof. Was für ein Glück, dass sie noch ein bisschen Geld hatte. Es würde für die Fahrt nach Altenhagen reichen. Und dort …
Wenn mein Vater nun verheiratet ist und seine Frau nichts von mir weiß?, schoss es ihr durch den Kopf, als sie sich auf dem Bahnsteig auf eine Bank...




