E-Book, Deutsch, Band 184, 64 Seiten
Reihe: Dr. Karsten Fabian
Ritter Dr. Karsten Fabian - Folge 184
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-7325-4603-9
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kleiner Mann mit großen Plänen
E-Book, Deutsch, Band 184, 64 Seiten
Reihe: Dr. Karsten Fabian
ISBN: 978-3-7325-4603-9
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Zum Geburtstag des Bürgermeisters Gottlieb Fiedler trifft sich die ganze Familie auf dem Fiedler-Hof. Gottliebs Tochter Florentine Fabian freut sich immer, ihre drei Brüder wiederzusehen. Aber ihrem Mann Karsten und ihr fällt gleich auf, wie schlecht Gabriel aussieht. Seine Frau hat er zu Hause gelassen, nur seinen Sohn Daniel mitgebracht.
Florentine hat immer gedacht, Simone und Gabriel führen eine gute Ehe, aber auf dieser Familienfeier kommen furchtbare Dinge ans Licht ...
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»Ob acht Torten genügen?«, fragte Hermine Fiedler und sah ihren Gottlieb fragend an. »Was meinst du?«, drängte sie, als der keine Antwort gab. »Eigentlich …«, fuhr sie zögernd fort, »was übrig bleibt, gebe ich den Kindern einfach mit.«
Gottlieb Fiedler, reichster Bauer von Altenhagen und gleichzeitig Bürgermeister des schönen Heidedorfes, grinste nur. In allen Haushaltsangelegenheiten tat Hermine sowieso, was sie wollte, und deshalb hatte er es sich schon längst abgewöhnt, sich zu ihren Problemen zu äußern.
»Ich mache noch eine Apfeltorte und vielleicht noch ein Blech Butterkuchen dazu«, entschied die Bäuerin. »Die Kinder haben ja meistens viel Hunger, wenn sie mal bei uns sind.«
Sie stieß einen gekonnten Seufzer aus, denn sie sah ihre große Familie viel zu selten. Da hatte sie nun vier Kinder, drei wohlgeratene Söhne und eine hübsche Tochter, und wann sah sie die einmal? Eigentlich nur zu den wenigen Festtagen, die eine Familie vereinen, also Geburtstage, ein Weihnachtstag, und das war schon fast alles.
»Deine Ruhe möchte ich auch mal haben«, meckerte sie ihren Mann an, der gelassen am Küchentisch saß und das Kreisblatt las. »Du hast es gut, du brauchst dich um nichts zu kümmern. Simone hat mir letztes Mal gar nicht gefallen, als sie Weihnachten da waren.«
»Hm«, brummte Gottlieb nur.
»Sie war so blass, und … ich weiß nicht, ob es in der Ehe der beiden wohl nicht stimmt? Der Gabriel bekommt ja nie seinen Mund auf.«
»Hat er sicher nicht von dir«, meinte Gottlieb und gestattete sich ein flüchtiges Grinsen.
Seine Hermine war eine prächtige Frau, und ihr einziger Fehler, wenn man ihn überhaupt Fehler nennen wollte, war, dass sie ziemlich viel redete. Er hatte sich allerdings angewöhnt, kaum noch hinzuhören. Sie wiederholte sich häufig. Und meistens waren es sowieso Bemerkungen, die keine Antwort erforderten.
»Und wie verliebt waren sie anfangs. Ich hatte ja erst Bedenken, muss ich ehrlich sagen, als sie damals in Bremen einfach so zusammenwohnten, ohne verheiratet zu sein. Aber als Daniel dann kam …«
»Hm«, machte Gottlieb Fiedler wieder.
»Ob die wohl auch geheiratet hätten, wenn das Kind damals nicht unterwegs gewesen wäre?« Hermine knallte die Tüte mit dem Zucker auf den Tisch. »Ich weiß nicht recht … sie wollte sich ja nie binden.«
Und diese Tatsache hatte die gute Hermine ihrer Schwiegertochter bis heute nicht verziehen. Da hatte die nun Gelegenheit gehabt, einen Fiedler zu heiraten – und wollte nicht. Damals hatte Simone allerdings noch studiert, Jura, und ehrgeizig war sie, das musste auch Hermine ihr lassen. Inzwischen auch erfolgreich. Sie war Staatsanwältin geworden, während Gabriel es immerhin zum Richter gebracht hatte.
»Du könntest eigentlich die Äpfel für den Kuchen schälen«, meinte sie und gab ihrem Mann einen etwas unsanften Knuff. »Ich habe auch bloß zwei Hände.«
»Willst du mich zum Invaliden machen?«, fragte ihr Mann und ließ die Zeitung einen Moment sinken. »Verletzungen an den Händen kann ich mir nicht erlauben. Außerdem kannst du es viel schneller als ich. Wenn du es nicht schaffst, lass es einfach bleiben. Acht Torten sind reichlich.«
»Das sagst du, aber wenn sie nachher nicht satt werden …«
Hermine Fiedler war eigentlich immer in Bewegung, hatte ständig etwas zu tun, und deshalb ärgerte es sie ein bisschen, dass ihr Gottlieb jetzt nur so dasaß. Das kam allerdings selten genug vor, das musste sie zugeben, aber wenn es einmal der Fall war, machte es sie richtig kribbelig.
»Ich gucke mir dann mal buten un binnen an«, brummte Gottlieb und faltete die durchgelesene Zeitung zusammen.
Wenn es seine Zeit erlaubte, interessierte er sich für diese Regionalsendung, die aus Bremen kam und über die viele sich aufregten. Er nicht. Schließlich war er selbst so etwas Ähnliches wie ein Politiker und wusste, wie es in dem Geschäft zuging. So leicht konnte ihn sowieso nichts aus der Ruhe bringen. Vor allem hatte er keine Lust mehr, sich Hermines Monolog anzuhören.
Als er im Sessel vor dem Fernseher saß, schaltete er den Apparat nicht ein. Was Hermine da über Gabriel und Simone gesagt hatte, beschäftigte auch ihn seit Längerem.
Sein zweitältester Sohn war keiner, der sein Herz auf der Zunge trug. Und das nicht nur, weil Schweigen zu seinem Beruf gehörte. Schon als Kind hatte er alles mit sich selbst abgemacht, nur in ganz großen Ausnahmefällen Rat oder Hilfe bei seinem Vater gesucht. Obwohl er wusste, dass der immer für seine Kinder da war, ganz gleich, was sie angestellt haben mochten.
Die beiden haben nur einen Sohn, überlegte Gottlieb. Wollen sie keine weiteren Kinder, oder klappt es bei Ihnen nicht mehr?
Beim Nachdenken rieb sich Gottlieb mit der flachen Hand sein Kinn. Seine anderen Söhne und auch Florentine, die einzige Tochter, hatten alle mehr Kinder. Sie waren eine große Familie, die Fiedlers, und in alle Winde zerstreut. Sein Ältester, der Martin, hatte in Ubbelohde eingeheiratet und war dort inzwischen sogar Bürgermeister geworden. Markus hatte studiert und arbeitete als Diplom-Ingenieur auf Baustellen in aller Welt. Die Einzige, die sie hier häufig zu sehen bekamen, war Florentine, verheiratet mit dem Landarzt Karsten Fabian. Und stolze Mutter von drei Kindern. Gottlieb hatte allen Grund, auf seine Tochter stolz zu sein.
Er beschloss, sich jetzt einen Heidjer zu genehmigen. Der schmeckte allerdings nur gut gekühlt, und das hieß, dass Gottlieb in die Küche an den Kühlschrank gehen musste. Er grinste in Erwartung des Kommentars, den seine Hermine auch prompt gab.
»Muss das sein?«, fragte sie mürrisch. »Morgen, wenn die Kinder kommen, kannst du trinken, so viel du willst, aber heute schon …«
»Heute ist heut, und was morgen ist, weiß man nicht. Vielleicht geht die Welt über Nacht unter. Groß wundern würde mich das nicht.«
»Bei den Politikern, die wir haben …«
Aus Hermines Ton sprach ihre ganze Abneigung gegen die herrschende Klasse. Sie saß am Küchentisch und schälte unglaublich flink die Äpfel für den Kuchen. Der Teig war inzwischen fertig. Ihr ging alles rasch von der Hand. Manchmal hatte Gottlieb sogar den Eindruck, als hätte sie vier Hände.
»Sprichst du morgen mal mit Gabriel? Ob Simone vielleicht krank ist?«
»Dann werden sie es uns schon sagen. Wozu haben wir einen Arzt in der Familie? Mach dir doch keine unnötigen Sorgen und gackere nicht über ungelegte Eier.«
»Einer genügt«, fauchte Hermine, als ihr Mann sich noch einen zweiten klaren Schnaps eingießen wollte.
»Irrtum. Auf einem Bein kann man nicht stehen.« Gottlieb ärgerte sich schon längst nicht mehr über solche Ermahnungen. Er wusste schließlich, was er an seiner Hermine hatte. Sie war eine rundherum prächtige Frau mit kleinen Fehlern. Aber wer hatte die nicht? »Sogar ich«, sagte er aus seinen Gedanken heraus.
»Was ist los?«, wollte seine Frau aufhorchend wissen.
»Nichts von Bedeutung. Mir ist eben nur eingefallen, dass selbst ich nicht vollkommen bin.«
»Das hätte ich dir schon lange sagen können«, meinte Hermine.
Sie stand auf und nahm ihm die Flasche aus der Hand, denn mehr als zwei Beine hatte er nicht. Konnte ja sein, dass er das vergaß. Und auf zu vielen Beinen konnte ein Mann auch nicht stehen. Allerdings musste sie zugeben, dass ihr Gottlieb genau wusste, wie viel er vertragen konnte. Er hielt auch darin, wie immer, Maß, ein besonnener und umsichtiger Mann.
Zehn Kuchen … am liebsten hätte Hermine ja noch mehr gebacken. Ihre Enkelkinder aßen ihren Kuchen am liebsten, behaupteten sie. Das lag natürlich daran, dass Hermine stets nur frische Butter und viele Eier dazu nahm. Die jungen Frauen waren ja alle angesteckt von den neumodischen Ideen, was gesunde Ernährung anging. Und dabei brauchte man ihre Söhne und Florentine doch nur anzuschauen, um zu sehen, wie gesund die zu Hause ernährt worden waren.
Gesünder als jetzt, sinnierte Hermine. Gabriel war richtig dünn geworden. Und er hatte Falten im Gesicht, die dort noch nicht hingehörten.
Wann habe ich ihn zuletzt mal lachen gesehen?, überlegte seine Mutter. Sie konnte sich wirklich nicht mehr daran erinnern. Auf jeden Fall machte er keinen glücklichen, nicht einmal einen zufriedenen Eindruck.
Sie seufzte, als sie begann, die Apfelstücke auf dem Kuchen zu verteilen. Sie hatte es nicht leicht, fand sie, und es wurmte sie manchmal, dass Gottlieb so wenig Verständnis für ihre Sorgen aufbrachte.
»Das läuft sich alles zurecht«, pflegte er zu sagen, wenn sie ihm mit ihren Bedenken kam. »Die Kinder sind allesamt erwachsen und müssen selbst wissen, was sie wollen.«
Das war zwar richtig, aber sie blieben doch immerhin ihre Kinder, fand Hermine. Mit dem Herzen konnte sie sich einfach nicht abfinden, dass die ihre Hilfe nicht mehr brauchten. Auf jeden Fall stand für sie fest, dass irgendetwas mit Gabriel nicht in Ordnung war. Wenn Gottlieb nicht mit ihm reden will, dann werde ich es tun, beschloss sie. Obwohl feststand, dass Gottlieb eine diplomatischere Ader hatte als sie.
Ihr rundliches Gesicht wirkte fast versorgt, als sie das Blech in den Backofen schob. Anschließend stellte sie den Kurzzeitwecker, denn einmal war es ihr passiert, dass sie einen Kuchen glatt vergessen hatte. Das Ergebnis sah aus wie ein Brikett. Nur roch es scheußlich. So etwas passierte einer Hermine nur einmal.
Habe ich alles vorbereitet?, dachte...




