Ritter | Josefibichl | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 1, 304 Seiten

Reihe: Garmisch-Krimis

Ritter Josefibichl

Kriminalroman
11001. Auflage 2011
ISBN: 978-3-492-95585-0
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Kriminalroman

E-Book, Deutsch, Band 1, 304 Seiten

Reihe: Garmisch-Krimis

ISBN: 978-3-492-95585-0
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



In Garmisch-Partenkirchen rumort es gewaltig: Die Olympischen Winterspiele entzweien den Ort. Reiche Araber reißen sich die besten Immobilien unter den Nagel. Und der ehemalige Polizeireporter Hartinger ist wieder da. Er gilt als jähzorniger Gerechtigkeitsfanatiker, der vor seinem Weggang aus dem »goldenen Landl« oft mit der Obrigkeit aneinandergeraten war. Als junger Mann verließ er über Nacht den Ort, nachdem er mit dem Kaplan bis aufs Messer gestritten hatte. Den Grund dafür weiß niemand mehr so genau. Nur, dass in derselben Nacht das Auto des Kaplans in Flammen aufging. Als nun zwanzig Jahre später ein Franziskanerpater auf dem heiligen Josefibichl erdrosselt aufgefunden wird, steht der Hauptverdächtige schnell fest.

Marc Ritter, geboren 1967 in München, wuchs in Garmisch-Partenkirchen auf, wo er nach dem Abitur Zivildienst machte und für eine Garmisch-Partenkirchner Lokalzeitung über Politik, Sport und Nachtleben berichtete. Zum Studium von Germanistik, Politikwissenschaften und Werbepsychologie sowie einer Marketingausbildung kehrte er nach München zurück. Ritter arbeitete als Manager für große deutsche und amerikanische Print- und Online-Medien und ist seit mehreren Jahren als Unternehmensberater tätig. Er wohnt mit seiner Familie in München.
Ritter Josefibichl jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


1

Genau so hatte er es sich immer vorgestellt.

Schwitzend, keuchend, mit ziehenden Schmerzen in den Oberschenkeln den Berg hinauf. Mehr als mit der Hitze mit sich selbst kämpfend, die letzten zehn Höhenmeter doch noch durchzustehen. Dann, vor Freude, die Kuppe erklommen zu haben, mit letztem Atem »Hurra« schreien – um dann schockgefroren innezuhalten, weil da etwas, jemand lag. Etwas Totes, jemand Umgebrachter, ein ermordeter Mensch.

Er wusste nicht mehr, wann sich diese Vorahnung in seinem Hirn festgefressen hatte. Erst vor wenigen Wochen hatte er mit den Bergläufen angefangen. Recht bald musste es gewesen sein, dass er jedes Mal, wenn er einen steilen Buckel mit letzter Kraft hinter sich brachte, sich kurz vor Erreichen der Kuppe sagte: Dort liegt gleich eine Leiche.

Sein früheres Leben, all die schlimmen Bilder stiegen wohl bei großer körperlicher Anstrengung aus seinem Unterbewusstsein herauf. Andere verarbeiteten durch Träumen. Er verarbeitete durch Schwitzen.

Nun war es so weit. Die alte Phantasie wurde an diesem frühen Dienstagabend frische Realität.

Wenn auch alles anders war. Er war nicht ganz bis zur Kuppe gekommen. Der leblose Körper lag zehn Meter unterhalb in einer Mulde links neben seinem Laufweg. Er hätte ihn nicht gesehen, wäre er nicht einen Moment zuvor über einen der vom Regen freigewaschenen kindskopfgroßen Steine in der alten Fahrrinne gestolpert. Um ein Ausrutschen im lockeren Geröll zu vermeiden, war er nach links ins hohe Gras ausgewichen. Er fing sich rechtzeitig ab, um nicht zu fallen – und nicht auf der Leiche zum Liegen zu kommen.

Auch sonst unterschied sich die Szene von der in seinem Kopf. Der Körper war nicht halb verwest, kein Schmeißfliegenschwarm erhob sich, erschrocken vor seinem Schatten. Mit seinem geschulten Blick sah er nicht mehr als vier, fünf Fliegen ihre Arbeit an den Nasenlöchern verrichten, wo sie ein- und ausgingen. Die fleißigen Tierchen hatten erst begonnen, ihre Larven in der Leiche abzulegen.

Der wichtigste Unterschied zu seiner Phantasie bestand jedoch in etwas anderem. In seinem Kopf war es immer eine Tote, eine Ermordete gewesen, die ihm beim Laufen den Weiterweg versperrte. Nackt, vergewaltigt, mit dem Messer kreuz und quer aufgeschlitzt.

Doch dort lag keine geschändete Frau. Der tote Mensch vor ihm trug nicht einen weißen Rock und eine Jeansweste. Die Leiche war bekleidet mit der braunen Kutte der Franziskanermönche. Mit der Kutte, die er seit frühester Jugend kannte.

Auch ein Messer hatte der Arrangeur dieser Szene nicht verwendet, und es war auch nicht literweise Blut vergossen worden. Die weiße Kordel mit den geheimnisvollen Knoten, die zum Habit des Franziskaners gehörte, umspannte den dürren Mönchskörper nicht an der üblichen Stelle über der Hüfte. Vielmehr hatte sie wohl jemand um den Hals des Geistlichen gelegt und ausreichend lange zugezurrt, dass diesem der Kopf puterrot, die weit aus dem Mund gestreckte Zunge dunkelblau angelaufen und die Augäpfel wie bei einem gegrillten Fisch weit aus ihren Höhlen herausgetreten waren.

Karl-Heinz Hartingers nächster Blick ging von Kordel, Kopf, Zunge und Augäpfeln des Toten zu seinem eigenen linken Arm, an dem er die Sportarmbanduhr trug. Die zweiundzwanzig Jahre als Polizeireporter hatten ihn viel von der Präzision annehmen lassen, mit dem das ermittelnde Personal seiner Geschichten den Beruf ausübte. Um wie viel Uhr er den Toten gefunden hatte, wollte er sich auf die Sekunde genau einprägen. 12:53545556 … Verdammt, die Uhr zeigte natürlich noch die Stoppfunktion an, mit der er die Dauer seines Laufs hatte messen wollen. Darunter gab eine blinkende 156 Auskunft über seinen Puls. Sein Arzt hatte ihn strengstens ermahnt, die Herzfrequenz zu messen, wenn er nach zweiundzwanzig Jahren Lotterlebens mit Bergläufen seine alte Form wiederzufinden suchte.

Das war auf einen Schlag reichlich egal geworden. Sein Puls interessierte in diesem Moment nicht mehr. Es stellte sich die Frage, wer den Puls des dort vor ihm Liegenden zum Stillstand gebracht hatte. Zunächst musste Hartinger also feststellen, wann genau er den toten Mönch – wenn er von der Kutte auf die Berufung des Toten schließen konnte – gefunden hatte. Hektisch drückte er an der Uhr herum, deren Gepiepe das Ansteigen seiner Herzfrequenz über hundertsechzig Schläge pro Minute quittierte. Ganz ohne dass er auch nur einen Schritt machen musste.

Endlich – 17:34:45 zeigte die Uhr, nachdem er sich durch das Menü mit Kompass, Höhenmesser, Barometer und Kalender gedrückt hatte. Dieses Getippe hatte gefühlte zwanzig Sekunden gedauert.

Karl-Heinz Hartinger, zweiundvierzig, ehemals Polizeireporter in München, nach gescheiterter erster Existenz zurück auf Los gekehrt in seinen Heimatort Garmisch-Partenkirchen, um ein gesünderer, leichterer, anderer, ja besserer Mensch zu werden, fand knapp dreieinhalb Wochen nach seiner Ankunft im Olympiaort unter der Zugspitze am Dienstag, dem 27. Juli 2010, um 17 Uhr 34 Minuten und 24 Sekunden, während er einen gemäßigten Hügellauf absolvierte, auf der Anhöhe, die sie im Tal Josefibichl nannten, einen strangulierten Mönch.

Ganz genau so hatte er sich das nicht vorgestellt.

»Hartinger, ich glaub’s nicht.«

»Kannst wie früher Gonzo sagen.«

»Früher war früher. Jetzt ist jetzt. Heute bin ich der Polizeichef von Garmisch-Partenkirchen. Und du … du bist …«

»Sag’s nur, Bernbacher. Jetzt bin ich …?«

»Na ja, ich mein halt, Hartinger, ich mein, Gonzo, jetzt bist du halt …«

Bevor Bernbacher ewig nach den geeigneten Worten suchen musste, fasste Hartinger seinen Ruf selbst zusammen: »… eine gescheiterte Gestalt, die hier nichts mehr zu suchen hat?«

»Das sowieso.«

»Sonst noch was, Bernbacher?« Hartinger wollte es genau wissen.

»Na ja, in Anbetracht der Sachlage … unter Berücksichtigung der Fakten … bei Würdigung der Beweise … bist du … sind Sie unser Hauptverdächtiger, Herr Hartinger.«

Je offizieller sein alter Schulkamerad wurde, desto mehr musste Hartinger sich beherrschen. »Ja, spinnst jetzt komplett, Bernbacher? Sei bloß froh, dass du das in der Einsamkeit deines Dienst-Audis zu mir sagst. Meinst, ich komm hierher nach zweiundzwanzig Jahren, und als Erstes renn ich in den Wald und bring einen Mönch um? Sonst was? Meinst, ich hab nichts Besseres zu tun?«

Der Hellste war der Bernbacher Ludwig nie gewesen, das wussten im Ort, wie die Bewohner der Doppelgemeinde Garmisch-Partenkirchen ihre zwischen Stadt und Dorf unentschiedene Siedlung nannten, im Ort wussten das alle. Wie der Polizeichef werden konnte …

Na ja, viel hatten die ja auch nicht zu tun, versteckten sich den ganzen Tag im Bullenkloster gegenüber dem Friedhof. Ab und zu wurd’s ihnen dort drin zu langweilig, dann fielen sie aus und sperrten die Bahnhofsunterführung, um Alkoholsünder dingfest zu machen. So war das zumindest, als der Hartinger noch zu ebendiesen gehörte.

Wahrscheinlich überließen sie das aber mittlerweile den Spezialkräften aus Weilheim, wie sie das Strafzettelschreiben auch an die kommunalen Kräfte abgegeben hatten und das Suchen nach illegalen Einwanderern an die Schleierfahndung der Bundespolizei. Sie hockten also Tag und Nacht und Woche um Monat zwischen Mercedes- und Volkswagenniederlassung mit Blick auf den Partenkirchner Friedhof ihre Zeit ab, schauten sich ihr finales Ruheplatzerl schon einmal an (falls sie nicht aus Garmisch stammten und in die Erde des anderen Ortsteils kämen) und rührten derweil Nescafé in heißes Wasser. Und auf einmal sollten sie sich um einen Mord kümmern. Oder um etwas, was verdammt nach einem Mord aussah.

Zumindest so lange, bis in einer Stunde die Spurensicherer aus Weilheim oder gleich die Burschen vom LKA aus München anrückten. Klar, dass man da die Gelegenheit beim Schopf packen und den Herren Weilheimern und LKA-Spezis einen fertig verhafteten, überführten, geständigen Täter präsentieren wollte. Sonst konnte man sich ja kaum mal profilieren, stimmt’s, Herr Bernbacher? Die Behauptung »Wir haben wie in jedem Jahr die Verkehrssituation rund um das Neujahrsskispringen wieder eins a im Griff gehabt« reicht für den nächsten Stern natürlich nicht aus. Aber nicht mit dem Hartinger, lieber Bernbacher, da musst du deinen Bullenschädel schon ein bissl mehr anstrengen, dachte Hartinger.

»Schau her, Bernbacher, ist doch ein Schmarrn.« Hartinger versuchte es auf die sanfte Tour und redete mit Bernbacher wie mit einem Kind. »Und das weißt du selber am besten. Ich bin natürlich kein Hauptverdächtiger, weil ich nicht mal ein Verdächtiger bin. Ich bin nicht mal ein Augenzeuge, sondern nur der Zeuge, der den Toten zufälligerweise beim Joggen gefunden hat. Und wenn du magst, sag ich dir auch genau, warum ich als Verdächtiger von Haus aus ausscheiden muss.« Hartinger versuchte ruhig und dabei nicht arrogant zu wirken. Vergeblich.

»Da bin ich gespannt, Herr Hartinger.«

»Schau her, Bernbacher, da drüben, wo deine POMs gerade das rot-weiße Absperrband durchs Gelände ziehen und dabei wahrscheinlich die eine oder andere Spur zerstören, da liegt ein toter Mann, gekleidet im Habit eines Franziskanermönchs, dem Anschein nach erdrosselt mit seiner weißen Kordel. So weit d’accord, ich meine: Sind wir uns da einig?«

»Ich kann folgen, Herr Hartinger.«

»Echt? Hammer. Also: Diesen armen Menschen habe ich um kurz nach halb sechs...


Ritter, Marc
Marc Ritter, geboren 1967 in München, wuchs in Garmisch-Partenkirchen auf, wo er nach dem Abitur Zivildienst machte und für eine Garmisch-Partenkirchner Lokalzeitung über Politik, Sport und Nachtleben berichtete. Zum Studium von Germanistik, Politikwissenschaften und Werbepsychologie sowie einer Marketingausbildung kehrte er nach München zurück. Ritter arbeitete als Manager für große deutsche und amerikanische Print- und Online-Medien und ist seit mehreren Jahren als Unternehmensberater tätig. Er wohnt mit seiner Familie in München.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.