Römmele | Zur Sache! | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 144 Seiten

Römmele Zur Sache!

Für eine neue Streitkultur in Politik und Gesellschaft

E-Book, Deutsch, 144 Seiten

ISBN: 978-3-8412-1737-0
Verlag: Aufbau Digital
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Warum wir wieder lernen müssen, richtig zu streiten Ohne Streit ist unsere Demokratie nicht überlebensfähig. Wir brauchen die Auseinandersetzung, um eine öffentliche Meinungsbildung zu ermöglichen und die bestmöglichen Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Stattdessen erleben wir heute, dass Auseinandersetzungen immer seltener im direkten Dialog stattfinden, die Debatte hat sich in die sozialen Medien und die Talkshows verlagert hat. Dort gehen die Parteien mit ungeprüften Fakten und Behauptungen aufeinander los, bleiben Meinungen unversöhnlich nebeneinander stehen und werden keine Kompromisse mehr gesucht. Es herrscht ein Kampf um Aufmerksamkeit, Selbstbestätigung und Skandalisierung des Gegners. Andrea Römmele zeigt auf, wie es wieder möglich sein kann, miteinander zu streiten – ohne sich zu spalten.
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Worüber wir streiten
Aktuelle politische Debatten und ihr Streitwert: Geht es um Macht oder Inhalt?
Der Asylstreit in der Union
Sommerpause in der Politik, das bedeutete früher Sommerloch in der Presse. Während die politische Elite im Urlaub weilte, veröffentlichte die Presse Fotos der Kanzlerin beim Wandern oder berichtete über Krokodilsichtungen in heimischen Flüssen und Seen. Der politische Sommer 2018 begann hingegen mit einem Paukenschlag. Über Wochen herrschte in der Regierung ein Streit über die Asylpolitik, der den sonstigen politischen Betrieb in Deutschland so gut wie lahmlegte. Der Streit eskalierte jedoch nicht zwischen SPD und Union, sondern zwischen den Schwesterparteien CDU und CSU. Kern des Streits: der von Horst Seehofer, CSU-Vorsitzender und Bundesinnenminister, ausgearbeitete Masterplan Migration. Genauer gesagt ein Punkt des Plans. Dieser sieht unter anderem vor, bestimmte Gruppen von Asylbewerbern an der deutschen Grenze abzuweisen, und zwar ohne Absprachen mit den europäischen Nachbarländern. Noch bevor Seehofer seinen Plan öffentlich macht, stellt Angela Merkel in der Talksendung Anne Will klar, dass sie nationale Alleingänge der Bundesrepublik kategorisch ablehne. Am Tag darauf sagt Seehofer die geplante Vorstellung seines Masterplans ab. In der Folge sollte es Wochen dauern, bis der Plan erstmals öffentlich vorgestellt wird. Es kennen ihn zunächst nur Horst Seehofer und Angela Merkel. Ohne den Masterplan zu kennen, treffen sich die Unionsbundestagsabgeordneten am Tag nach der abgesagten Vorstellung desselben zu einer gemeinsamen Sitzung, in der sich der überwiegende Teil der Mitglieder hinter den Innenminister stellt. Ein Krisentreffen zwischen den Vorsitzenden der Unionsparteien bringt ebenfalls keine Entlastung. Merkel bietet an, bis zum EU-Gipfel, der zwei Wochen später stattfindet, bilaterale Vereinbarungen mit EU-Staaten zu treffen. Seehofer beharrt darauf, sofort zu handeln. Spätestens am Tag darauf wird das Ausmaß des Streits überdeutlich. Eine laufende Bundestagsdebatte muss für vier Stunden unterbrochen werden, damit die Unionsabgeordneten in getrennten Sitzungen beraten können. Insbesondere aus München erhält Seehofer jetzt viel Unterstützung. Er kündigt an, den nationalen Alleingang anzuordnen, wenn er bei der Parteivorstandssitzung am folgenden Montag dafür die Unterstützung der Partei erhalten sollte. Merkel droht für diesen Fall mit ihrer Richtlinienkompetenz. An diesem Wochenende scheint tatsächlich vieles möglich. Die Regierung ist noch keine hundert Tage im Amt, und schon sieht sie sich einer gewaltigen Krise gegenüber. Niemand ist sich sicher, ob die Koalition in der nächsten Woche noch stehen wird und ob es die Union zwischen CDU und CSU noch geben wird. Im Ergebnis räumt die CSU der Kanzlerin aber doch Zeit bis zum anstehenden EU-Gipfel ein. »An den stilvollen Bayern soll es nicht scheitern«, sagt Seehofer. Bei einem kurzfristig einberufenen Sondergipfel mit 16 EU-Mitgliedsstaaten und dem regulären EU-Gipfel gelingt es Merkel, mit einer Reihe von Staaten Absprachen zur beschleunigten Rücknahme von Flüchtlingen in Dublin-Fällen zu treffen. Seehofer betrachtet die Ergebnisse aber als »nicht wirkungsgleich« mit seinem Plan und damit als ungenügend. Er beharrt weiter auf seinem Standpunkt der nationalen Alleingänge. Er bietet seinen Rücktritt von allen Ämtern an, was aber insbesondere Alexander Dobrindt, der Landesgruppenchef, ablehnt. Am darauffolgenden Tag will man einen letzten Einigungsversuch starten. Nach langen Beratungen verständigt man sich auf ein »neues Grenzregime« an der deutsch-österreichischen Grenze. Seehofer bleibt Innenminister. Auch weil er die anstehenden Landtagswahlen nicht weiter gefährden möchte und, wie er einem Journalisten der Süddeutschen Zeitung sagt: »Ich lasse mich nicht von einer Kanzlerin entlassen, die nur wegen mir Kanzlerin ist.« Dieser Kommentar wird von der CDU, zumindest nach außen, völlig ignoriert. Zu groß die Erleichterung, dass die Regierungskrise damit vorerst beendet zu sein scheint. Aber der Konflikt ist keinesfalls zu Ende. Deutlich wird das bereits an diesem Tag, als Merkel und Seehofer nicht etwa gemeinsam, sondern Seehofer alleine vor die Mikrofone der versammelten Presse tritt. Das Vertrauensverhältnis zwischen den beiden ist zu diesem Zeitpunkt schon längst zerrüttet. 2004, Seehofer ist Fraktionsvize der Union, kann sich Horst Seehofer mit seiner Kritik an der Gesundheitsreform nicht gegen die Parteichefs Edmund Stoiber und Angela Merkel durchsetzen und tritt aus Protest von seinem Amt zurück. Viele Beobachter sehen hier den Kern des persönlichen Konflikts zwischen Merkel und Seehofer. Er brodelt lange vor sich hin, bis die hohen Einwanderungszahlen im Jahr 2015 die Situation weiter zuspitzen. Asyl und Flucht wird das entscheidende Thema zwischen Merkel und Seehofer. Im September 2015 bring Seehofer eine Begrenzung der Zuwanderung ins Spiel. Angela Merkel erteilt der »Obergrenze« eine umgehende Absage. Nicht die einzige Handlung der Kanzlerin, die Seehofer als Provokation auffasst. Während Seehofer die schwierige Lage an der bayrischen Grenze beklagt, wiederholt Merkel ihren berühmt gewordenen Satz »Wir schaffen das«. Im Anschluss kommt es beim CSU-Parteitag im November 2015 zum offenen Bruch zwischen den beiden. Nachdem Angela Merkel ihre Rede beendet hat, stellt sich Seehofer an das Podium und kritisiert ihre Politik auf offener Bühne, während die Kanzlerin, gleich einem zurechtgewiesenen Kind, danebensteht, um anschließend die Halle durch einen Seitenausgang zu verlassen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt ist die Bereitschaft, gemeinsame Lösungen zu finden, auf dem Tiefpunkt angelangt. Nach der Bundestagswahl 2017 droht die Regierungsbildung zeitweise an der CSU-Forderung nach einer Obergrenze zu scheitern. Als frisch vereidigter Bundesinnenminister stellt Seehofer dann im Frühjahr 2018 klar: »Ein Weiter-so möchte ich nicht«, und kündigt damit zumindest indirekt das kommende Donnerwetter an. Hinzu kommen vielfach kleinere Sticheleien, wie die immerwährende Auseinandersetzung darüber, ob der Islam nun zu Deutschland gehöre oder nicht. Als Angela Merkel ihre Antrittsrede zur vierten Amtszeit im Deutschen Bundestag hält, bejaht sie diese Frage ausdrücklich, obwohl Horst Seehofer sie nur kurze Zeit zuvor verneinte. Nun ist er derjenige, der wie ein Schuljunge auf der Regierungsbank sitzt und gerügt wird. Gerade an diesem Beispiel wird das Kernproblem dieser Konflikte deutlich: Es fehlt die Debatte. Plakative Aussagen führen nicht weiter, wenn kein inhaltlicher Diskurs dahintersteht. Auch wenn es große Vorbehalte gegenüber der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel gibt, lässt sich nicht wegdiskutieren, dass die Zahl der Ankommenden deutlich gesunken ist. Die Frage dreht sich also weniger darum, was mit jenen Flüchtlingen passiert, die nun in das Land kommen, sondern vielmehr darum, was mit denen passieren soll, die bereits hier sind. Der CSU ging es in diesem Streit aber nicht darum, sachorientierte Politik zu machen. Sie hatte die bayrischen Landtagswahlen im Blick und befürchtete aufgrund wachsender Umfragewerte der AfD, nicht die absolute Mehrheit zu erreichen. Als Grund für deren Erstarken hat die CSU die Flüchtlingspolitik im Jahr 2015 ausgemacht. Wir erinnern uns alle an die Bilder der großen Flüchtlingsgruppen, die über die Grenzen nach Deutschland kamen. Viele mit Fotos von Angela Merkel in der Hand, und viele von ihnen wurden an den deutschen Bahnhöfen mit Applaus und Geschenken empfangen. Diese Stimmung hat sich mittlerweile gedreht. Tatsächlich können populistische Strömungen eine Art Frühwarnsystem für ungenügend bearbeitete Probleme sein und als Auslöser Kurswechsel einleiten. Sie in so einem Fall zu ignorieren, kann dazu führen, dass sie in einer Art sich selbst bestätigenden Spirale immer stärker werden. Sie aber einfach zu kopieren im Glauben, sie dadurch überflüssig zu machen, stärkt sie noch mehr. Man legitimiert ihre Positionen, ihre Themen und ihre Sprache, was letztendlich dazu führt, dass die Anhänger solcher Positionen sich darin bekräftigt fühlen, ihre Stimme den Rechtspopulisten zu geben. Denn wenn andere Parteien versuchen, sie zu kopieren, wird dies automatisch als Erfolg des »Originals« gewertet. Statt also mit inhaltlicher Arbeit, vernünftiger Politik, klaren Positionen und einer sachorientierten Kommunikation eigene Standpunkte klarzumachen, versucht die CSU den Erfolg der AfD zu kopieren, statt sich mit ihr zu streiten. Die CSU möchte gegen die Bilder von »offenen Grenzen«, die eine unionsgeführte Regierung geöffnet hat, ankämpfen. Sie können zwar nicht einfach gelöscht werden, aber die Umsetzung der von Seehofer vorgeschlagenen Maßnahmen wäre in den Augen der CSU das Eingeständnis gewesen, dass die Entscheidung der Kanzlerin damals falsch war. Das Ziel, die Beschlüsse in der Flüchtlingspolitik von 2015 endgültig zu diskreditieren, erschien den Verantwortlichen in der CSU wichtiger, als sich den eigentlichen Herausforderungen der Integration zu stellen. Entscheidungen, die, in den Worten von Horst Seehofer, zu einer »Herrschaft des Unrechts« geführt haben. Diese Aussage führte wiederum dazu, dass der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, von »inakzeptabler Rhetorik« sprach. Die Überspitzung des Konflikts in Sprache und Handeln zeigt, wie wenig daran gelegen war, gemeinsame Lösungen zu finden, und wie sehr man den Konflikt um des Konfliktes willen suchte, weil man sich davon ein besseres Wahlergebnis versprach. Begriffe wie »Anti-Abschiebeindustrie«, wenn es um die Gewährleistung von...


Römmele, Andrea

Andrea Römmele, Jahrgang 1967, ist Professorin for Communication in Politics and Civil Society an der Hertie School of Governance in Berlin sowie Herausgeberin der Zeitschrift für Politikberatung. Langjährige Forschungs- und Lehraufenthalte an renommierten amerikanischen Universitäten. Sie gehörte u. a. zu den Wahlkampfteams von Gerhard Schröder und Hillary Clinton. Regelmäßige Medienauftritte (u.a. bei Maybrit Illner, Tagesschau, zeit.de, Focus, ARD Morgenmagazin, New York Times ). www.andrearoemmele.de. 


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