Roentgen Der Plotter
Erste Ebook Auflage
ISBN: 978-3-941657-94-6
Verlag: CONTE-VERLAG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Freiburg-Krimi
E-Book, Deutsch, 230 Seiten
ISBN: 978-3-941657-94-6
Verlag: CONTE-VERLAG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Freiburg 2011. Am Tresen des Café Montparnass schwadroniert die Alt-Achtundsechziger-Riege über die Vergangenheit und träumt vom bewaffneten Kampf. Doch Gegenwart kennt keine Nostalgie. Breiviks Amoklauf und die Sarrazin-Debatte geben den Takt vor. Dann stirbt plötzlich der Plotter. Der Plot-Erfinder, der nie ein Buch fertig bekam, wurde vom Bücherregal erschlagen. Als sein Freund Martin im Nachlass ein brisantes Manuskript findet, eröffnen sich ganz neue Theorien. Nur müsste man dann mit einer Polizistin zusammenarbeiten, karrieregeil und voller Hass auf 68er. Die Polizei hätte die Geschichte gerne den Wagenburglern angehängt. Aber Juli, die Bullin, hat reichlich Grips und geht mit Martin auf Mördersuche im Freiburger Hier und Jetzt. Dabei geraten sie in einen Strudel aus "inkorrekter" Fremdenfeindlichkeit, islamistischem Fundamentalismus und Polizeiinteressen.
Doch die Vergangenheit holt irgendwann alle ein …
Autoren/Hrsg.
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Mittwoch, 27. Juli 2011 Martin Ich hatte am Montag das Kapital des Plotters mitgenommen und ins Regal gestellt. Mittwoch suchte ich etwas, stieß wieder auf das Kapital und zog es heraus. Dabei fiel es mir auf den Boden und klappte auf. Die Texte waren immer noch mit verblassender Schrift markiert, kommentiert und unterstrichen. Aber in der Mitte war ein Rechteck in die Seiten eingeschnitten. In dem Fach lagen Geldscheine: 4 800 Euro. Und ein Blatt, kaum lesbar, vervielfältigt mit einer Umdruckmaschine. Wie damals vor vierzig Jahren eben Flugblätter gedruckt wurden. Wie oft hatte ich welche entworfen? Ich weiß es nicht mehr, kein einziges meiner Flugblätter habe ich aufbewahrt. Gegen Hochschulgesetze, für die Drittelparität, für eine Hochschulreform, gegen die Reaktion. Irgendwann ähnelten sich die Flugblätter und ich gab es auf, welche zu schreiben. Ich erinnerte mich an den Geruch der Farbe, die schwarzen Pfoten. Erst musstest du den Text auf eine Matrize tippen – wehe, du hattest dich vertippt. Dann musste der Korrekturlack her, der Text wurde mit dem roten Lack überstrichen und wenn der getrocknet war, wurde der verbesserte Text darüber getippt. Dann die Arbeit, das Flugblatt zu vervielfältigen. Die Matrize wurde in die Umdruckmaschine gespannt, eine schwarze Farbtube eingesetzt. Mit der Handkurbel wurde dann Blatt für Blatt gedruckt. Eine Heidenarbeit, wenn tausend Exemplare verteilt werden sollten. Politische Arbeit war Anfang der Siebziger Handarbeit. Es gab auch elektrische Umdrucker, doch diese Geräte waren teuer. Nur wohlhabende linke Organisationen besaßen solche, und sie ließen nur befreundete oder verbündete Gruppen ihre Flugblätter dort drucken. Aber nur die. Man achtete auf Linientreue in diesen Jahren. Die Vorderseite des Flugblattes titelte: Die Schweine wollen räumen. Offenbar mit einer Schablone in großen Blockbuchstaben direkt auf die Matrize geschrieben. Keine Lettraset Buchstaben, die man auf eine Vorlage aufklebte und dann zum Brennen brachte. Das war die Komfortversion des Flugblattdrucks. Die Vorlage auf Papier erstellen, diese Vorlage wurde dann auf eine Matrize gebrannt. Sehr viel besser als direkt auf die Matrize zu tippen, aber auch sehr viel teurer. Die normalen Wachsmatrizen kosteten nicht mal fünfzig Pfennige, die gebrannten schlugen mit fünf Mark zu buche. Dieses Flugblatt war mit einer Wachsmatrize erstellt und die Überschriften mit Schablone direkt auf die Matrize geschrieben worden. Offenbar von einer Gruppe gedruckt, die wenig Geld hatte und keine Beziehungen zu besser ausgerüsteten Genossen. Und ganz unten lag noch ein Blatt. Das war gut lesbar und offenbar mit einem modernen Drucker erstellt worden. Wie sich die Zeiten ändern. Auf dem Blatt stand: Die Arbeit und die Gruppe sind das, was zählt. Wir haben uns dazu verpflichtet, weil wir Brüder und Schwestern sind, die ein Ziel haben. Nicht für uns tun wir das, nicht um Reichtum, Macht oder Einfluss zu gewinnen, nicht um Karriere zu machen, sondern für ein anderes Leben, eine bessere Welt. Wir selbst sollten ohne private Wünsche sein, denn was wir wünschen, ist für alle bestimmt: Kampf den Unterdrückern, Freiheit für die Völker! Dafür kämpfen wir. Wenn die Arbeit getan und alles gut verlaufen ist, werden wir uns die Hände reichen und sagen, dass es eine Aktion war, die uns diesem Ziel nähergebracht hat. Andere Genossen sollten wir nicht in Verwirrung stürzen, sondern mit ihnen reden und ihnen Mut machen. Denkt daran, dass wir im Gedächtnis unserer Mitkämpfer weiterleben, denen wir so ein Vorbild werden. Dass wir weiterleben in den Kämpfen nach unserem Tod, der deshalb, wenn er uns trifft, nicht vergeblich war. Von uns soll es nur heißen: Verhaftet oder tot, aber nicht, wir hätten den Kampf aufgegeben. Jedem ist der Tod beschieden, aber nicht jeder Tod hat die gleiche Bedeutung. Wie Mao sagte: »Der Tod des einen ist gewichtiger als der Tai-Berg, der des anderen hat weniger Gewicht als Schwanenflaum.« Wir kämpfen für das Volk, und unser Tod hat mehr Gewicht als der Tai-Berg, aber der Tod derer, die für die Unterdrücker kämpfen, ist bedeutungslos wie Schwanenflaum. Denkt immer an Kim Il Sung: »Ist es besser, sich einfach hinzulegen und zu sterben, oder aufzustehen und Widerstand zu leisten?« Damit die falschen Ansichten der Menschen vom Leben nicht von den richtigen abgelöst werden, dafür stirbt, wer im Kampf für die Unterdrücker stirbt. Doch so sterben wir Revolutionäre nicht, wir sterben nicht auf den Knien, wir sterben aufrecht, sterben kämpfend, und unser Tod rüttelt die Welt auf. Die Zukunft lächelt dir zu, junge Schwester, und dir, junger Bruder, weil euer Leben nicht vergebens war, ihr eure Träume nicht an der Reihenhausgarderobe abgegeben und vergessen habt. Daran denkt, bevor ihr zu eurem letzten Einsatz aufbrecht, das soll euch Stütze sein und Halt geben. Die Älteren sollen den Jüngeren Mut machen, die Stärkeren die Schwächeren stützen und alle sollen sagen: »Es gibt kein richtiges Leben im falschen, wohl aber den Kampf, der uns zum Sieg führt und in dem wir unseren Frieden und ewiges Andenken finden.« Das klang bekannt, wenn auch mindestens so alt wie das Flugblatt. Ein altes RAF-Pamphlet? Auch die RAF hatte gebombt. Immerhin hatte sie keine Genickschüsse in Jugendlagern abgegeben. Aber über jeden Anschlag hatte sich Franz Josef Strauß so gefreut wie Five über Anschläge der Al Kaida. Verdammt, die hätten ihm kein schöneres Geburtstagsgeschenk machen können als einen großen Anschlag in Oslo mit vielen Toten. Nur Pech, dass es dann ein Christ war. Das passte ihm so gar nicht. Vermutlich war es Tarnung, in Wirklichkeit steckten doch die Musels dahinter. Auch bei der RAF hatten viele Linke geglaubt, dass es sich in Wirklichkeit um eine vom Verfassungsschutz und der CIA ferngesteuerte Gruppe gehandelt hatte. Da fiel mir der Plot des Plotters ein. Über die Muslime und die Christen und dass sie sich zusammentun. Ich sollte den Ordner mit den Plots retten. Ich ging auf den Balkon, turnte um die Absperrung herum auf den des Plotters und spähte ins Zimmer. Die Bücher lagen immer noch auf dem Boden, jetzt auf einen unordentlichen Haufen aufgetürmt. Die Sanitäter hatten schließlich den Leichnam befreien müssen, auch wenn die Polizei das erst gestattet hatte, nachdem sie ihn und seine Bücher aus sämtlichen verfügbaren Winkeln aufgenommen hatte. »Woher hattest du das Geld?«, fragte ich in die Stille hinein. Niemand antwortete mir. Aber das Fenster war gekippt, das hatte die Kripo wohl übersehen. Oder dachte, dass niemand über den Balkon einsteigen würde. Oder glaubte selbst gar nicht an die Möglichkeit, dass es Mord sein könnte. Jedenfalls gelangte ich in das Apartment. Den roten Ordner fand ich nicht. In dem großen Bücherhaufen lag auch sein Laptop. Ich zog ihn heraus, er brauchte ihn nicht mehr, aber ich würde ihn brauchen können. Mit Korrekturen für Verlage macht man keine großen Sprünge. Der Plotter hatte immer das neueste Modell. Für einen guten Laptop und guten Wein, dafür gab er Geld aus. Die Hose dagegen war abgeschabt, sein Pullover zog Fäden. Morgens aß er in der Pflasterstub’, mittags im Essenstreff, und unterhielt sich mit den Obdachlosen und anderen Gestrandeten, die sich dort täglich versammelten. Wenn ich mit ihm durch die Stadt ging, wurde er an jeder Ecke von abgerissenen Typen angesprochen. Dem einen fehlten die Vorderzähne, der zweite hatte ein verschorftes Gesicht, andere zeigten mit geplatzten Äderchen und rotem Gesicht an, welchem Stoff sie mehr zusprachen als ihnen gut tat. Mit jedem Verkäufer des Freien Bürgers wechselte er wenigstens ein paar kurze Worte. Mit der Zeit grüßten sie auch mich, wenn ich alleine durch die Stadt ging. Ich klappte den Laptop auf. Der Bildschirm war zersplittert. Ich schaltete ihn ein, nichts rührte sich. Das war’s also gewesen. Andererseits konnte ich mir von 4 800 Euro leicht einen neuen leisten. Wenn ich mich zum Erben ernannte. Wo hatte er das Geld her? Drogen? Einbruch? Krumme Geschäfte? Mir schien er immer sauber zu sein. Doch wer will das schon wissen? Wenn die höchsten Banker krumme Dinger drehen, kann man von Hartz-IV-Leuten keine weiße Weste erwarten. Aber die Exposés. Die wollte ich retten, bevor der Rest hier im Müll oder dem Fairkauf landete. Verwandte? Jemand wie der Plotter hat keine Verwandten. Also, ermahnte ich mich, Martin, du bist jetzt der Einzige, der das Andenken an den Plotter hochhält. Und so begann ich nach dem dicken Ordner zu suchen, in dem der Plotter seine Plots abheftete. Rot war der. Doch ich fand ihn trotzdem nicht. Ich drehte alles um und um, fand vier Ordner, einen mit Kontoauszügen, einen mit Bedienungsanleitungen für den Laptop und einen mit diversesten Briefen, erstaunlicherweise von einer Fondsgesellschaft. Ein weiterer enthielt Steuererklärungen. Steuererklärungen! Welcher Gast der Pflasterstub’ erklärt seine nicht vorhandenen Einkünfte dem Finanzamt? Plotter, warum hast du mir nicht vertraut? Doch die Einkünfte waren nicht hoch. Zumindest die, die er dem Finanzamt erklärte. Ein wenig mehr als Hartz IV, das war’s aber auch schon. Und keiner der Ordner war rot. Keiner enthielt Exposés. Die Morde an Grinsekatze kamen nicht vor. Na gut, was soll’s. Dann eben keine Geschichten, die ich ihm bei der Beerdigung mit ins Grab geben konnte. Dein Pech, Plotter, du hättest sie nicht verstecken...