Rollins / Cantrell Die Apokalypse des Blutes
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-641-16466-9
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Thriller
E-Book, Deutsch, Band 3, 544 Seiten
Reihe: Erin-Granger-Reihe
ISBN: 978-3-641-16466-9
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das leibhaftige Böse treibt auf der Erde sein Unwesen, und die Archäologin Erin Granger ist die Einzige, die es aufhalten kann. Doch dafür muss sie ein uraltes Rätsel lösen, das im Evangelium des Blutes geschrieben steht: Was ist der Kelch des Luzifer und wie kann er neu geschmiedet werden? Und was hat es mit dem Rat des Unsterblichen Lazarus auf sich, dass sie Evas gebrochenes Versprechen an die Schlange im Paradies erfüllen soll? Erin läuft die Zeit davon, doch sie ist entschlossen, die Aufgabe zu lösen - auch wenn sie dafür im wahrsten Sinne des Wortes die Tore der Hölle durchschreiten muss ...
Neueste Technologiekenntnisse und fundierte wissenschaftliche Fakten, genial verknüpft mit historischen und mythologischen Themen - all das macht die Abenteuerthriller von James Rollins zum einzigartigen Leseerlebnis. Der passionierte Höhlentaucher James Rollins betreibt eine Praxis für Veterinärmedizin in Sacramento, Kalifornien.
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Sommer 1606
Prag, Böhmen
ENDLICH IST ES so gut wie vollbracht …
In seinem verborgenen Laboratorium stand der als John Dee bekannte Alchemist vor einer großen Glocke aus makellosem Glas. Sie ragte so hoch auf, dass ein Mann darin aufrecht stehen konnte. Das Wunderwerk war von einem berühmten Glasmacher von der fernen Insel Murano bei Venedig erschaffen worden. Eine Gruppe von Kunsthandwerkern hatte ein Jahr dafür gebraucht, wobei große Blasebälge und eine nur wenigen Meistern bekannte Technik zum Einsatz gekommen waren, die es erlaubte, eine gewaltige Perle aus geschmolzenem Glas zu drehen und zu einer perfekten Skulptur zu formen. Anschließend hatte es fünf weitere Monate gedauert, die kostbare Glocke von der Insel zum kalten Hof des heiligen Kaisers Rudolf II. im fernen Norden zu transportieren. Bei ihrem Eintreffen befahl der Kaiser, ein geheimes Alchemistenlabor darum herum zu errichten, umgeben von Werkstätten und tief unter den Straßen Prags gelegen.
Das war zehn lange Jahre her …
Jetzt stand die Glocke auf einem kreisförmigen Metallpodest in der Ecke des Hauptlabors. Die Ränder des Podests waren rot von Rost. Nahe der unteren Hälfte der Glocke war eine runde Tür, ebenfalls aus Glas, außen verstärkt mit dicken Metallstäben und luftdicht versiegelt.
John Dee erschauerte. Zwar war er erleichtert, dass er sein Werk vollendet hatte, doch er fürchtete sich auch. Er hatte dieses Höllengerät zu hassen begonnen, denn er wusste, welch grauenhaftem Zweck es dienen sollte. In letzter Zeit vermied er es nach Möglichkeit, sich der Glocke zu nähern. Tagelang werkelte er in seinem Laboratorium herum, den langen Kittel voller Chemikalienflecken. Sein weißer Bart tauchte beinahe in die Gefäße ein, seine tränenden Augen waren von der staubigen Oberfläche der Glasglocke abgewendet.
Aber jetzt ist die Aufgabe so gut wie vollendet.
Er ging zum Kamin, stellte sich auf die Zehenspitzen und langte zum Marmorsims hoch. Mit knotigen Fingern öffnete er die kunstvolle Verriegelung, hinter der eine kleine Kammer zum Vorschein kam. Nur er und der Kaiser wussten vom Vorhandensein der Kammer.
Als er die Hand hineinschob, wurde hinter ihm laut geklopft. Er drehte sich wieder zu dem in der Glocke eingesperrten Wesen um. Vor wenigen Stunden hatten es dem Kaiser treu ergebene Männer eingefangen und hierhergebracht.
Ich muss mich beeilen.
Das unheilige Wesen schlug gegen die Innenseite der Glocke, als spürte es, was ihm bevorstand. Trotz seiner übernatürlichen Kräfte konnte es sich nicht befreien. Das hatten schon ältere und weit mächtigere Kreaturen versucht und waren gescheitert.
Im Lauf der Jahre hatte John viele solche Wesen in der Glaszelle eingesperrt.
So viele …
Obwohl er wusste, dass ihm nichts geschehen konnte, klopfte sein schwaches Herz wie verrückt, denn der animalische Teil von ihm spürte die Gefahr auf eine Weise, gegen die seine Vernunft nicht ankam.
Er atmete stockend aus, griff in die Geheimkammer im Kaminsims und holte einen in ein Wachstuch eingeschlagenen Gegenstand heraus. Das Objekt war mit einer scharlachroten Kordel verschnürt und in einer Wachshülle eingeschlossen. Darauf bedacht, das Wachs nicht zu zerbrechen, trug John das Bündel an seine Brust gedrückt zum verhangenen Fenster. Trotz des Tuchs und der Wachshülle ging von dem Gegenstand eine unheimliche Kälte aus, die auf seine Finger und seinen Brustkorb ausstrahlte.
Er zog die dicken Vorhänge einen Spaltbreit auf und ließ einen Strahl Morgenlicht ein. Mit zitternden Händen legte er das Paket in die Lichtinsel auf der steinernen Tischplatte und stellte sich an die andere Seite, sodass nicht der kleinste Schatten auf den Gegenstand fiel. Er löste ein scharfes Flensmesser vom Gürtel und durchschnitt damit das Wachs und die rote Kordel. Behutsam teilte er das Tuch, von dem sich weiße Talgflocken lösten und auf den Tisch fielen.
Die tschechische Morgensonne fiel auf das, was im Kokon aus Wachs und Tuch verborgen war: einen wunderschönen Edelstein, so groß wie seine Handfläche und smaragdgrün funkelnd.
Doch es war kein Smaragd.
»Ein Diamant«, flüsterte er in der Stille des Raums.
Es war wieder Ruhe eingekehrt, denn das Wesen in der Glocke zitterte vor dem, was auf dem Schreibtisch leuchtete. Die Augen des Wesens huschten umher, denn das vom Edelstein reflektierte Licht malte Netzmuster an die verputzten Wände.
Ohne sich von der Angst der Gefangenen stören zu lassen, blickte John in den Diamant hinein, in dessen Innerem tiefe Schwärze wogte. Sie bewegte sich wie eine Mischung aus Rauch und Öl, wie ein lebendiges Etwas, das in dem Diamant so unentrinnbar gefangen war wie die Kreatur in der Glocke.
Dafür sei Gott gedankt.
Er berührte den eiskalten Edelstein mit der Fingerspitze. Der Legende nach stammte der Stein aus einem Bergwerk im Fernen Osten. Wie allen großen Edelsteinen sagte man auch diesem nach, auf ihm liege ein Fluch. Menschen hatten getötet, um ihn in ihren Besitz zu bringen, und waren bald darauf gestorben, als er erneut den Besitzer gewechselt hatte. Kleinere Diamanten aus derselben Gesteinsader schmückten die Kronen ferner Herrscher, doch dieser hier hatte keine solch eitle Verwendung gefunden.
Behutsam hob er den grünen Diamanten hoch. Jahrzehnte war es her, dass man ihn ausgehöhlt hatte. Zwei Juweliere waren erblindet, als sie mit winzigen Bohrern mit Diamantspitze den Hohlraum im prachtvollen grünen Herzen des Steins geschaffen hatten. Ein Knochensplitter, so schmal, dass er beinahe durchscheinend war, verschloss die kleine Öffnung – er war vor über tausend Jahren in einem Grab in Jerusalem gefunden worden, der letzte erhaltene Überrest Jesu Christi.
Wenigstens behauptete man das.
John hustete. Metallischer Blutgeschmack füllte seinen Mund, und er spuckte in den Holzeimer neben dem Schreibtisch. Die Krankheit, die von innen her an ihm nagte, ließ ihn in letzter Zeit kaum mehr in Ruhe. Er rang nach Atem und fragte sich, ob er je wieder Luft bekommen würde. Seine Lunge pfiff wie ein undichter Blasebalg.
Ein gedämpftes Klopfen an der Tür ließ ihn zusammenfahren. Der Edelstein entglitt seinen Fingern und fiel herab. Mit einem erstickten Schreckenslaut versuchte er, das kostbare grüne Objekt aufzufangen.
Der Stein landete auf dem Boden, doch er zerbrach nicht.
Ein durchdringender Schmerz strahlte von Johns Herzen in den linken Arm aus. Er fiel gegen das dicke Tischbein. Ein Becherglas zerschellte auf dem Boden, gelbe Flüssigkeit breitete sich auf den Holzdielen aus. Rauch kräuselte sich vom Rand des Bärenfells empor.
»Meister Dee!«, rief jemand mit jugendlicher Stimme an der anderen Seite der Tür. »Ist alles in Ordnung?«
Das Schloss klickte, die Tür schwang auf.
»Bleib …«, John keuchte vor Anstrengung, »… weg, Vaclav.«
Der junge Mann eilte seinem Meister trotzdem zu Hilfe. Er half John auf die Beine. »Bist du krank?«
Johns Krankheit vermochten nicht einmal die tüchtigsten Alchemisten am Hofe Kaiser Rudolfs zu heilen. Er rang nach Luft und ließ sich vom Jungen halten, bis sein Husten sich allmählich beruhigte. Der durchdringende Schmerz aber ließ nicht nach wie sonst.
Der junge Lehrling berührte sanft Johns schweißfeuchte Stirn. »Du hast heute Nacht nicht geschlafen. Als ich heute Morgen kam, war dein Bett unberührt. Ich wollte nachsehen, ob …« Vaclav stockte, als er zur Glasglocke sah und das darin eingesperrte Wesen bemerkte. Dieser Anblick war nicht gedacht für seine unschuldigen Augen.
Vaclav keuchte auf vor Überraschung und Entsetzen.
Die Frau erwiderte den Blick des Jungen, als er die Hand auf die Glockenwandung legte. Sie kratzte mit dem Fingernagel am Glas. Sie hungerte schon seit Tagen.
Vaclav musterte die Nackte. Welliges blondes Haar fiel ihr auf die Schultern und die bloßen Brüste. Sie hätte beinahe als schön gelten können. Doch im schwachen Licht, das durch die Vorhänge fiel, verlieh das dicke Glas ihrer schneeweißen Haut einen grünlichen Schimmer, als wäre sie bereits in Verwesung übergegangen.
Vaclav drehte sich fragend um. »Meister?«
Der Lehrling war im Alter von acht Jahren in seinen Dienst eingetreten. John hatte erlebt, wie er zu einem jungen Mann herangewachsen war, der eine große Zukunft vor sich hatte, denn er verstand sich auf das Mischen von Heiltränken und die Destillation von Ölen.
John liebte ihn, als wäre er sein leiblicher Sohn.
Dennoch zögerte er keinen Moment, als er das scharfe Flensmesser hob und dem Jungen die Kehle aufschlitzte.
Vaclav fasste sich an die Wunde und blickte John ungläubig in die Augen. Blut strömte zwischen seinen Fingern hervor und tropfte auf den Boden. Er sank auf die Knie und versuchte mit beiden Händen, die Blutung zu stillen.
Das Wesen in der Glocke warf sich mit solcher Gewalt gegen die Wandung, dass das schwere Metallpodest schwankte.
Riechst du das Blut? Erregt dich das?
John bückte sich und hob den grünen Edelstein auf. Er hielt ihn ins Sonnenlicht und überprüfte den Verschluss. Dunkelheit wogte im Stein, als suchte sie nach einem Riss, doch es gab keinen Ausgang. Er bekreuzigte sich und murmelte ein Dankgebet. Der Diamant war unbeschädigt.
John legte den Edelstein wieder in den Sonnenschein und kniete neben Vaclav nieder. Er strich dem jungen Mann das lockige Haar aus dem Gesicht.
Vaclavs Lippen bewegten...