Runkel | Von Sklaverei und Freiheit | Buch | 978-3-593-50996-9 | www.sack.de

Buch, Deutsch, 426 Seiten, Format (B × H): 141 mm x 215 mm, Gewicht: 541 g

Runkel

Von Sklaverei und Freiheit

Afrikanische Initiativen zur Abolition an der Goldküste (1841-1897)
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-593-50996-9
Verlag: Campus

Afrikanische Initiativen zur Abolition an der Goldküste (1841-1897)

Buch, Deutsch, 426 Seiten, Format (B × H): 141 mm x 215 mm, Gewicht: 541 g

ISBN: 978-3-593-50996-9
Verlag: Campus


Als die britische Kolonialmacht der neugegründeten Kronkolonie Goldküste im Dezember 1874 die Sklaverei für ungesetzlich erklärte, war das für die lokalen Eliten ein Affront. Viele von ihnen waren selbst Sklavenbesitzer; zudem fühlten sie sich übergangen und zu subordinierten Kolonisierten degradiert. Steffen Runkel zeichnet in seiner Studie auf breiter Quellenbasis die afrikanischen Diskurse und Initiativen zur Abolition nach, die zwischen 1841 und 1897 auf dem Gebiet des heutigen Ghana stattfanden. Er zeigt, wie sich aus ihnen Afrikanisierungs- und Elitenbildungsprozesse ergaben, die Auswirkungen weit über dieses Gebiet hinaus besaßen. Damit macht er Kolonialgeschichte als komplexe Interaktionsgeschichte fassbar.

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Inhalt
Einleitung 9
Sklaverei 39
1. Handlungsfelder
1.1 Institutionelle Verankerungen 75
1.2 Politik und öffentlicher Raum 100
1.3 Kolonialgerichte 146
1.4 Privat- und Geschäftskontakte 172
2. Konzepte und Debatten
2.1 Lokale Konzepte versus europäische Legislation 214
2.2 Lokale Debatten im Umfeld der Missionsgesellschaften 226
2.3 Lokale Debatten in der Goldküstenpresse 238
2.4 Lokale Debatten vor Gericht 252
2.5 Die Genese eines Topos 264
2.6 Lokale Abolitionisten 284
3. Diskursive Verschiebungen
3.1 "Without law there is no sin" (1868) 324
3.2 "Might makes Right" (1874/75) 338
3.3 "These men set themselves forward as the leaders of public opinion" (1885-87) 351
3.4 "Slavery as such has completely died out" (1890-92) 366
3.5 "It is my native land" (1897) 384
Freiheit? 394
Glossar Ga und Twi Wörter 399
Abbildungen 400
Abkürzungen 401
Literatur 402
Dank 425


Einleitung
Fanny Smith und sechs weitere Petentinnen in Cape Coast, Akoley Ankrah und ihre Mitstreiterinnen in Accra, James Hutton Brew in London. Was verband sie und die vielen weiteren Frauen und Männern miteinander, die zwischen 1841 und 1897 und noch darüber hinaus von der Goldküste und aus Übersee Petitionen und Briefe an das Colonial Office in London richteten und darin die Emanzipationsfrage sowie ihre eigene Stellung im kolonialen System thematisierten?
Viele von ihnen waren Sklavenbesitzerinnen und -besitzer und definierten für sich und andere die lokalen Abhängigkeitsverhältnisse mit eigenen gesellschaftlichen und moralischen Maßstäben. Sie alle waren Bewohnerinnen und Bewohner des britischen Protektoratsgebietes und ab 1874 der britischen Kronkolonie Goldküste oder stammten von dort und mussten sich dadurch mit kolonialen Stereotypen von Sklaverei sowie aufoktroyierten Emanzipationsvorgaben auseinandersetzen. Sie alle waren somit aber zugleich auch im kolonialen Sinne "Afrikaner" und erfuhren als solche unabhängig von ihrer sozialen Stellung, ihrer Bildung und ihrer familiären Herkunft in zunehmendem Maße ihre eigene Degradierung zu Kolonisierten. Auch dies bedeutete für sie Sklaverei. Prägnant formulieren Frederick Cooper, Thomas Holt und Rebecca Scott in der Einleitung ihrer Studie Beyond Slavery:

"A definition of slavery is in some sense necessarily timeless, but slavery was experienced in time; in other words, it has in each instance a history. And those histories, in turn, though unfolding in different parts of the world, were not separate, and they certainly were not equal."

Betrachtet man die vorangestellten Zitate, dann ist zu erkennen, welche Relevanz diese Aussage im Bezug auf die Emanzipationsfrage auch für die Goldküste und die von hier aus agierenden Frauen und Männer besaß.

In diesem Spannungsfeld der Ambivalenz zwischen der eigenen Beschäftigung mit der Emanzipationsfrage, der politischen Instrumentalisierung dieser Frage durch koloniale Akteure sowie des lokalen Widerstandes gegen diese rassistisch motivierte Willkür ist Von Sklaverei und Freiheit situiert.
Es ist hinlänglich bekannt, dass nach der Abolition des transatlantischen Sklavenhandels durch Großbritannien im Jahr 1807 das 19. Jahrhundert in Afrika selbst geprägt war von der zunehmenden Kolonisierung durch europäische Staaten. Der Übergang von der atlantischen zur kolonialen Ära ging einher mit einem rassistisch motivierten Überlegenheitsanspruch, der als Rechtfertigung dafür diente, die lokale Bevölkerung als Kolonisierte zu subordinieren. Zugleich ließen lokale Akteure diese Entwicklungen nicht passiv geschehen, sondern reagierten hierauf und protestierten gegen diese Willkür und ihre Entrechtung. Sie begannen, sich als Afrikaner zu verstehen und als solche vereint ihre Position innerhalb des kolonialen Gefüges neu definieren und gestalten zu wollen. An der Goldküste stehen die 1897 gegründete Aborigines' Rights Protection Society (ARPS) sowie die führende Rolle lokaler Politiker wie Joseph Ephraim Casely Hayford in der panafrikanischen Bewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts für diese Entwicklung. Neben den Forschungen Albert Adu Boahens, Evelyn Rowands und Robert W. Julys haben in jüngerer Zeit Historiker wie Toyin Falola und Philip Zachernuk dieser Entwicklung gewichtige Werke gewidmet, welche die Elitenforschung prägen. Für das Gebiet der Goldküste sind hier die opulente Studie von David Kimble aus dem Jahr 1963 sowie Francis Agbodekas bahnbrechende Arbeit zu lokalen Protestformen gegen die britische Kolonialherrschaft aus dem Jahr 1971 als Standardwerke zu nennen.

Zugleich wird die Transformation von Sklaverei in Westafrika im 19. Jahrhundert spätestens seit der gleichnamigen Studie Paul Lovejoys von 1983 sowie dem 1988 von Suzanne Miers und Richard Roberts herausgegebenen Sammelband The End of Slavery in Africa in der Historiographie als verflochtene Interaktionsgeschichte zwischen lokalen und europäischen Akteursgruppen begriffen. Diese und zahlreiche weitere Überblickswerke und Regionalstudien zeigen, wie abgeneigt und unfähig die Kolonialadministrationen waren, lokalen Formen von Sklaverei aktiv zu begegnen - aller nach außen vorgetragenen Emanzipationsrhetorik zum Trotz. Sie belegen die enge Zusammenarbeit zwischen kolonialen Offiziellen und sklavenbesitzenden Eliten, die gemeinsam die Mär einer milden Haussklaverei verbreiteten. Sie fokussieren andererseits in zunehmendem Maße die Initiativen von Sklavinnen und Sklaven und versuchen, deren Stimmen aus dem vorhandenen Quellenmaterial zu extrapolieren. So ist in den vergangenen Jahrzehnten ein Konsens darüber entstanden, dass die zunehmende koloniale Durchdringung Afrikas verbunden war mit einer Zunahme lokaler Abhängigkeitsverhältnisse und Formen (kolonialer) Zwangsarbeit sowie ihrer politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Nutzung durch lokale und koloniale Akteure. Lovejoy und Jan Hogendorn hat dies in ihrer 1993 erschienenen Untersuchung über die Abolition der Sklaverei im Kalifat von Sokoto bezeichnenderweise vom titelgebenden Slow Death for Slavery sprechen lassen. Wie anhaltend das Interesse an dieser Thematik ist, zeigt allein für den Bereich der Ghana Studies eine Reihe aktueller Panel und Veröffentlichungen, zuletzt der 2017 von Rebecca Shumway und Trevor Getz herausgegebene Sammelband Slavery and its Legacy in Ghana and the Diaspora.

Indes fehlt es an systematischen Untersuchungen, die dezidiert lokale Perspektiven auf die Abolitionsthematik in den Blick nehmen und sie in Verbindung setzen zu den - bekannten - politischen Meinungsäußerungen oftmals selbst sklavenbesitzender lokaler Eliten und Meinungsführer. Es fehlen ebenfalls Studien über die Reichweite lokaler Diskurse und die wechselseitigen Beeinflussungen lokaler und kolonialer Akteure in der Emanzipationsfrage. Es fehlen schließlich auch Antworten auf die Frage, wie sich die Forderungen nach der Freisetzung von der Kolonialherrschaft mit der Haltung lokaler Meinungsführer zu und ihrem Umgang mit Sklaverei vertrug. Hinsichtlich der Erklärbarkeit und der Bewertung der Verantwortlichkeiten des langsamen Endes der Sklaverei in Afrika ist dies ein beachtliches Desiderat.
Zwar stellt Cooper in seinem Beitrag zu oben genannter Studie auf allgemeiner Ebene bereits eine Verbindung zwischen Sklaverei, Formen kolonialer Zwangsarbeit und dem europäischen Imperialismus in Afrika her, gleichwohl fehlt der Nachweis dieses Postulats im Einzelfall. Im Dunkeln bleibt so weitestgehend, wie, wann, wo und warum lokale Akteure die Emanzipationsfrage politisch und gesellschaftlich thematisierten, welche Artikulationsmittel sie benutzten, wie sich ihre Diskurse entwickelten, wie Argumente in unterschiedlichen Kontexten neu konnotiert wurden und welche Wirkmacht sie damit entfalteten. Unklar bleibt, dass Anführer des panafrikanischen Protestes selbst Sklaverei praktizierten, aber diese auch erfuhren und wie dies sie und ihr Handeln prägte. Unbekannt bleibt so auch, wie - geographisch und politisch - grenzüberschreitend die Netzwerke und das Wirken dieser Akteursgruppe waren.
Für die Goldküste ist beispielsweise bislang nicht bekannt, dass lokale Initiativen "zur" Abolition sehr viel mehr darstellten, als vereinzelte Reaktionen auf koloniale Emanzipationsverordnungen. Vielmehr handelte es sich um konzertierte und über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg nachweisbare politische und gesellschaftliche Auseinandersetzungen mit einer lokal auch unabhängig von kolonialen Einflüssen als höchst relevant erachteten Thematik. In Reaktion auf koloniale und missionarische Reglementierungsversuche entwickelten sie sich zu einer mit Vehemenz geführten Auseinandersetzung mit der Kolonialherrschaft als solcher, die in Westafrika genauso wie in Europa ausgetragen wurde. Die Proklamation der Kronkolonie und des Protektoratsgebietes Goldküste im Jahr 1874 und die damit verbundene de jure Abolition der Sklaverei verhärteten diesbezüglich nur die Fronten. Sie machen das Gebiet der Goldküste aber auch zu einem prädestinierten Beispiel für solch eine Untersuchung, denn hier wurden früher als an anderen Orten im westafrikanischen Kontext lokale Abhängigkeitsverhältnisse durch allgemeingültige koloniale Emanzipationsdekrete reglementiert; ein Umstand, der mit dazu beigetragen haben dürfte, dass zum Themenkomplex Sklaverei und Abolition an der Goldküste einer der umfangreichsten regionalen Forschungsdiskurse existiert.
Dieses Buch über afrikanische Initiativen "zur" Abolition an der Goldküste im Zeitraum zwischen 1841 und 1897 schließt an diese Arbeiten an und versucht erstmals umfänglich die Einstellung lokaler Akteure zu Sklaverei und Sklavenhandel in dieser Region zu untersuchen und dabei eine historisch gesättigte Analyse lokaler Debatten, Handlungs- und Aushand-lungsstrategien in dieser Periode vorzunehmen. Hierzu wird analysiert, wie sich diese Akteure in den kolonialen Emanzipationsdebatten positionierten, wie sie eigene Konzepte von Sklaverei diskutierten und wie sie unterschiedliche Handlungsfelder und Artikulationsplattformen nutzten, um ihre Positionen auch überregional kommunizieren und dadurch Einfluss gewinnen zu können. Schließlich werden diese Initiativen in einen Zusammenhang mit den zeitgleichen Auseinandersetzungen lokaler Meinungsführer mit der Kolonialmacht gestellt, die in Prozessen der Elitenbildung beziehungsweise restrukturierung sowie der Afrikanisierung der lokalen Bevölkerung mündeten.
Das wichtigste Merkmal dieser Studie und ihre größte Innovation ist dabei, dass beide Entwicklungen als intrinsisch miteinander verbunden betrachtet werden. Beide, so das Argument, bedingten einander und können somit nicht getrennt voneinander betrachtet werden. Die Politisierung der Emanzipationsfrage, die im Folgenden für die Zeit zwischen 1841 und 1897 nachgewiesen wird, forcierte ursächlich die beschriebenen Elitenbildungs- und Afrikanisierungsprozesse an der Goldküste, wenn sie sie nicht sogar auslöste. Was als Frage der Emanzipation von Sklavinnen begann, endete damit letztlich in der Auseinandersetzung um die Emanzipation der lokalen Bevölkerung von der Kolonialherrschaft - mit Auswirkungen über die Grenzen der Goldküste hinweg. Stellte im Jahr 1841 die Protestpetition von Fanny Smith und ihren Mitstreiterinnen aus der "educated community" Cape Coasts den wahrnehmbaren Beginn dieses Prozesses dar, brach er somit auch nicht mit der Binnenzäsur des Jahres 1897 ab, sondern wirkte lange darüber hinaus. Tatsächlich stand zu diesem Zeitpunkt die Hochphase des Imperialismus erst noch bevor.
Die in diesem Buch vorgenommene Verknüpfung zweier bislang in der Historiographie nicht verbundener Forschungsstränge - der Eliten- und der Abolitionsforschung - schafft damit einen Ansatzpunkt, an dem zukünftige Untersuchungen ansetzen können. Denn sie zeigt so in forschungsstrategischer Hinsicht exemplarisch einen Weg auf, wie Afrikanerinnen und Afrikaner als treibende Kräfte in der Historiographie identifiziert werden können - mit Relevanz weit über das Gebiet der Goldküste hinaus.
Damit wird in diesem Buch eine politische Ideengeschichte der lokalen Elite an der Goldküste in dieser Transitionsphase vorgelegt, die durch ein quellennahes und deskriptiv-analytisches Vorgehen lokale Meinungsführer in der ganzen Bandbreite ihrer Binnenperspektiven und diskursiven Strategien sowie der von ihnen genutzten Handlungsfelder darstellt. Durch den methodischen Ansatz, gezielt lokale, afrikanische Perspektiven und Diskurse zu identifizieren und zu interpretieren, ist zugleich intendiert, das Forschungspostulat einzulösen, Kolonialgeschichte jenseits primär eurozentrischer Deutungsmuster zu schreiben. Dabei werden Afrikanerinnen und

Afrikaner als treibende Kräfte der Transformationsprozesse in der Postabolitionsphase fassbar, die kolonialen Emanzipatoren den Spiegel vorhielten und die britische Kolonialmacht im zynischen Widerspruch zwischen apostrophierter Zivilisierungsmission und realpolitischer Kolonialarroganz entlarvten. Darüber hinaus werden so erstmals systematisch das Wirken, die Wirkmacht und die Motivationen lokaler Abolitionisten an der Goldküste nachvollziehbar.
Es wird aber auch deutlich, wie sehr die Elitenbildungs- und Afrikanisierungsprozesse, die im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert an der Goldküste stattfanden, von zeitgleichen Erfahrungen und Entwicklungen in anderen Regionen des westlichen Afrikas wie Lagos und Sierra Leone sowie in der afrikanischen Diaspora in Europa beeinflusst waren und wie sie sich gegenseitig bedingten. Ist dies in der Elitenforschung ein allgemein bekannter und betonter Fakt, wird dies in der Abolitionsforschung bislang nahezu vollkommen ignoriert. Diese Untersuchung stellt denn heraus, wie wichtig es ist, die lokalen Akteure, ihr Handeln und ihre Motivationen sowohl in ihrer tatsächlichen Bandbreite als auch in ihrer Transkulturalität und Translokalität zu begreifen. Dies kann nur durch den Blick über einzelne Handlungsfelder und jenseits regionaler Grenzen hier in den westafrikanischen Raum hinein gelingen, denn in diesem "konjunktiven Erfahrungsraum" lebten die lokalen Akteure, hier wurde von ihnen Expertise im Umgang mit kolonialer Unterdrückung erzeugt, in ihm fand Wissenstransfer statt, und in ihm kam es zu einer Professionalisierung der politischen Protestformen, die schließlich in protonationalistischen und panafrikanischen Bewegungen mündete.
Wie hier bereits angedeutet, steht im Fokus dieser Untersuchung vor allem die Binnensicht der "educated community". Zwar ist intendiert, lokale Initiativen in ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen, und mitnichten soll hier ein eurozentrischer Ansatz durch einen "elitezentrischen" ersetzt werden. Indes trägt diese Akzentuierung neben der Quellenlage vor allem der Tatsache Rechnung, dass es primär diese Bevölkerungsfraktion war, die sich auf politischer Ebene und mit politisch-gesellschaftlicher Relevanz und Tragweite mit der Emanzipationsfrage befasst hat und dies schriftlich dokumentierte. Aus der "educated community" stammten zudem die lokalen Meinungsführer, welche die Afrikanisierungsprozesse initiierten und sich hierüber als intellektuelle Elite der Goldküste zu formieren begannen.
Wird hier von der Goldküste gesprochen, so muss eingeschränkt werden, dass sich diese Studie auf die Auseinandersetzungen mit der britischen Kolonialmacht beschränkt. Mögliche Initiativen in den bis 1850 unter dänischer und den bis 1872 unter niederländischer Kontrolle stehenden Gebieten werden somit nicht berücksichtigt. Indes bedingt die starke Fokussierung auf die "educated community" zugleich, dass dieses Buch vor allem in den kolonialen Zentren an der Küste, namentlich Cape Coast und Accra, lokalisiert ist, die während des gesamten Untersuchungszeitraums (auch) britisch beeinflusst waren. Insofern wirkt sich diese Akzentuierung auch im Hinblick auf die später alleinige britische Kolonialherrschaft an der Goldküste nicht negativ auf die Aussagekraft dieser Untersuchung aus.
Während so ein knappes Dutzend Männer als Meinungsführer fassbar sind, stellt zudem die Identifizierung lokaler Akteurinnen aus diesem Kreis ein großes quellenimmanentes Problem dar. Es ist frappierend, dass sowohl am Beginn des Untersuchungszeitraums als auch an seinem Ende jeweils eine Petition steht, die dezidiert von Frauen unterzeichnet wurde. Indes gibt es fast keine Quellen, welche die unmittelbare Teilnahme und Einflussnahme von Frauen auf die Emanzipationsdebatten zwischen diesen Daten belegen, obwohl sie implizit offenkundig ist. Gleiches gilt für die Initiativen anderer Bevölkerungsgruppen, insbesondere der Herrscher lokaler Staatswesen. All ihre Beiträge zu den lokalen Debatten und Initiativen sind, wo immer sie nachvollziehbar waren, mit in diese Studie eingeflossen.
Als aktive Akteurinnen und Akteure in dem Sinne, dass sie an den in dieser Studie im Fokus stehenden politischen und gesellschaftlichen Initiativen zur Abolition partizipierten, spielen auch Sklavinnen und Sklaven im Folgenden nur eine periphere Rolle. Dies spiegelt indes das Argument dieser Untersuchung, dass nämlich die Emanzipationsfrage - vor allem in der Außendarstellung - sehr schnell nicht mehr als eine unter moralischen Gesichtspunkten thematisierte Problematik, sondern allein als politisch instrumentalisierte und instrumentalisierbare Thematik interpretiert wurde.
Ursächlich hierfür war die koloniale Arroganz, welche sinnigerweise ein aus Irland stammender zeitgenössischer Journalist und Politiker, Stephen Gwynn, in prägnante Worte kleidete, die Casely Hayford 1903 in seinem Werk Gold Coast Native Institutions zitierte:

"In one breath Europe declares that African customs, all based on the assumption of slavery, are so wicked as to justify all wars of aggression upon the natives. In another, Europe declares that the African cannot be left free."

Während die Initiativen "zur" Abolition auch vor diesem Hintergrund vor allem Initiativen gegen die eigene koloniale Unterdrückung waren, wird im Folgenden aber auch ein Schwerpunkt auf den Nachweis abolitionistischer Aktivitäten lokaler Akteure auf politischer und gesellschaftlicher Ebene gelegt. Auf diesem Weg kommt dem Schicksal von an der Goldküste lebenden Sklavinnen und Sklaven und dorthin verschleppter Frauen, Männer und Kinder eine sehr unmittelbare Bedeutung für diese Studie zu. Damit wird aber zugleich behauptet, dass das Projekt der Sklavenemanzipation an der Goldküste keinesfalls als koloniales Projekt betrachtet werden kann, auf welches die lokale Bevölkerung nur - reaktionär - reagierte. Die lokalen Initiativen "zur" Abolition standen vielmehr im Zentrum äußerst vielseitiger Wechselbeziehungen, in denen Afrikanerinnen und Afrikanern eine wesentliche und oftmals entscheidende Rolle zukam.
Begriffsdefinitionen
Einige Begrifflichkeiten bedürfen einer präziseren Definition hinsichtlich ihrer im Folgenden verwendeten Bedeutung(en). Der Name "Goldküste" bezeichnet in geographischer Hinsicht den im Westen bis Newtown und im Osten bis Aflao bei Keta reichenden Küstenstreifen an der Westküste Afrikas und sein unmittelbares Hinterland, der so erstmals von europäischen Händlern genannt wurde. In politischer Hinsicht bezieht sich der Begriff auf das britische Kolonie- und Protektoratsgebiet gleichen Namens in seinen sich im Laufe des Untersuchungszeitraums verändernden Grenzen und Einflussräumen. Diese waren und wurden explizit selbst anlässlich der Proklamation der Kronkolonie und des Protektoratsgebietes Goldküste im Jahr 1874 nicht präzise definiert, weshalb die "Unschärfe des Begriffs […] nur die Unklarheit der historischen Verhältnisse [spiegelt]." In gesellschaftlicher Hinsicht bezieht sich die Bezeichnung auf den sich ebenso wandelnden und nur unscharf zu definierenden historischen Raum, den lokale Akteure begannen, sich als gemeinsamen Bezugsrahmen ihrer politischen Initiativen anzueignen.

Als "lokale Akteure" werden in dieser Studie diejenigen politisch aktiven Personen bezeichnet, die durch ihre Herkunft aus einem westafrikanischen Kontext politisch-sozial der Gruppe der "Kolonisierten" zugerechnet wurden. Es ist damit nicht beabsichtigt, zeitgenössischen Stereotypen zu folgen und Dichotomien zwischen "Afrikanern" und "Europäern" zu tradieren.

Insofern wird der Begriff alternativen Bezeichnungen wie "Afrikaner" vorgezogen, weil dies zunächst eine - negativ konnotierte - koloniale Fremdbezeichnung darstellte, die sich lokale Akteure erst allmählich als selbstbewusste Selbstbezeichnung aneigneten. Wie problematisch tatsächlich jede dichotome Betrachtungsweise ist, zeigt exemplarisch der Missionar Thomas Birch Freeman, der als in Großbritannien geborener Sohn einer englischen Mutter und eines auf den westindischen Inseln befreiten afrikanischen Sklaven im Jahr 1838 an die Goldküste kam und 1890 in Accra starb. Aus der hier verwendeten Definition eines lokalen Akteurs fällt er damit heraus, obwohl er eng in die lokalen Debatten eingebunden war und sich dezidiert mit der Emanzipationsfrage auseinandersetzte.

Die Definition "lokal" bezieht sich in solchen Zusammenhängen auf ein primäres Agieren dieser Akteure von der Goldküste aus. Sie limitiert die entsprechenden Initiativen aber nicht auf dieses Gebiet und deutet nicht auf eine begrenzte Reichweite hin. Vielmehr waren die lokalen Initiativen "zur" Abolition während des gesamten Untersuchungszeitraums überregional und oftmals unmittelbar auf eine Wirkung in der kolonialen Metropole London hin ausgerichtet. Einige der lokalen Akteure lebten und studierten über Jahrzehnte im Ausland, andere migrierten aus Sierra Leone und anderen Kolonien an die Goldküste und blieben dort für immer.
Als lokale Initiativen "zur" Abolition werden die Versuche lokaler Akteure bezeichnet, ihre Vorstellungen von Sklaverei, Abolition und dem angemessenen Umgang mit der Emanzipationsfrage auf politischer und gesellschaftlicher Ebene durchzusetzen.
Die Bevölkerungsgruppe, aus der die Mehrzahl dieser Initiativen hervorgingen und der die meisten der in diesem Buch namentlich identifizierten lokalen Akteure entstammten, ist die "educated community". In der Historiographie wird eine Vielzahl an Begriffen verwendet, um diese Fraktion zu benennen. Dies reflektiert die anerkannte Unmöglichkeit, sie ob ihrer Heterogenität eindeutig definieren zu können. Philip Zachernuk spricht von einer "amorphous group with an implicit rather than explicit sense of who belonged and who did not." Die im Folgenden verwendete Bezeichnung "educated community" folgt indes sowohl der zeitgenössischen Selbstbezeichnung einzelner dieser "communities" als auch dem Namen, mit welchem lokale Meinungsführer diese Gruppe als politisch relevante Kraft angesprochen und dazu aufgefordert haben, gemeinsam zu agieren. Zudem war es eine der zahlreichen Fremdbezeichnungen durch koloniale Akteure. Im engeren Sinn wird unter diesem Begriff hier mit Bezug auf Zachernuk die Gruppe derjenigen lokalen Akteure verstanden, die sich ob ihrer Transkulturalität von anderen Bevölkerungsgruppen unterschieden und zugleich ein gesellschaftlich und politisch artikuliertes und somit wahrnehmbares Interesse an der Aushandlung der eigenen Positionierung im kolonialen Gefüge besaßen.

Bereits David Kimble hat indes darauf hingewiesen, "that the concept of class structure is not particularly helpful in analysing the shifting patterns of African society." Er schlägt stattdessen vor, den Elitenbegriff in der Definition S. F. Nadels als Grundlage zu nehmen, "[which] enables us to classify the Western-educated group as an élite in Gold Coast society […]." In einem weitgefassten Sinn kann man dieser Definition durchaus folgen. Wie Zachernuk feststellt, waren sie in der kolonialen Ära gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen - primär durch den Faktor Bildung - im Vorteil, weil das koloniale System ihre intermediären Fähigkeiten benötigte und sie dadurch in der Lage waren, Prestige und Wohlstand zu akkumulieren. Trotz der Verbreitung, die Kimbles Konzeption erfahren hat, fällt es ihm aber schwer, die große Heterogenität innerhalb dieser "Elite" überzeugend im Sinne von Nadels Definition zu erklären.


Steffen Runkel war wiss. Mitarbeiter an der Universität Hannover.



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