E-Book, Deutsch, 208 Seiten
Rupp Notfall Seele
4. aktualisierte Auflage 2017
ISBN: 978-3-13-158414-4
Verlag: Thieme
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Ambulante Notfall- und Krisenintervention in der Psychiatrie und Psychotherapie
E-Book, Deutsch, 208 Seiten
ISBN: 978-3-13-158414-4
Verlag: Thieme
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Psychiatrischer Notfall! In dieser meist überraschenden Situation mit unklarer Lage vor Ort sind Kommunikation und Situationsregie entscheidend.
Dieser Titel gibt praxisnahe Anregungen, wie Sie als Krisenhelfer im vorklinischen Bereich direkt Beziehung mit den Betroffenen aufnehmen, die richtigen Entscheidungen treffen und auch die Chancen in der Krise erkennen.
- Wie beurteilt man die akute Lage trotz unvollständiger Information?
- Wie kommuniziert man mit verwirrten, unruhigen, wahnhaften, betrunkenen, schwierigen oder verzweifelten Menschen?
- Wie moderiert man im systemischen Kontext?
- Wann sollen Medikamente eingesetzt werden?
- Wie schützt man sich selbst vor Gewalt und Überforderung?
Der übersichtlich aufbereitete Leitfaden ist symptomorientiert gegliedert und enthält zahlreiche Fallbeispiele. Er liefert wertvolles Wissen als einführendes Lehrbuch in die Methodik der Notfallintervention, echte Praxistipps zur Vorbereitung auf eine Krisensituation und eine gute Übersicht über die Krankheitsbilder der Akutpsychiatrie.
Die 4. Auflage wurde aktualisiert und um die Glasgow Coma Scale sowie einen Algorithmus für den Umgang mit Gewaltandrohung ergänzt.
Jederzeit zugreifen: Der Inhalt des Buches steht Ihnen ohne weitere Kosten digital in der Wissensplattform eRef zur Verfügung (Zugangscode im Buch). Mit der kostenlosen eRef App haben Sie zahlreiche Inhalte auch offline immer griffbereit.
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1;Manuel Rupp: Notfall Seele;1
2;Innentitel;4
3;Impressum;5
4;Vorwort zur 4. Auflage;6
5;Inhaltsverzeichnis;7
6;I Grundlagen der Notfall- und Krisenintervention;14
6.1;1 Notfall und Krise;15
6.1.1;Grundbegriffe;15
6.1.1.1;Seelische Krise;15
6.1.1.2;Seelischer Notfall;16
6.1.1.3;Notfall- und Krisenintervention;17
6.1.2;Forschung;18
6.1.2.1;Untersuchung der psychischen Reaktion unter kritischer Belastung;18
6.1.2.2;Methodisches Vorgehen in der Krise;19
6.1.3;Angebot und Nachfrage;20
6.1.3.1;Inanspruchnahme;20
6.1.3.2;Problemgruppen;20
6.1.3.3;Einsatzort;20
6.1.3.4;Maßnahmen;21
6.1.4;Risikofaktoren des Seelennotfalls;21
6.1.4.1;Lebensgeschichte;21
6.1.4.2;Psychische Störung;21
6.1.4.3;Körperliche Störung;21
6.1.4.4;Soziale Belastung;22
6.1.4.5;Wechsel grundlegender sozialer Lebensbedingungen;23
6.1.4.6;Beziehungsmangel und Beziehungsstörung;24
6.1.5;Eskalation von der Krise zum Notfall;24
6.1.5.1;Psychopathologisches Modell der seelischen Krise;24
6.1.5.2;Beziehungsdynamisches Modell der familiären Krise;26
6.1.5.3;Eskalationsstufen von der Krise zum Notfall;26
6.2;2 Schlüsselsyndrome;29
6.2.1;System der Schlüsselsyndrome;29
6.2.2;Schlüsselsyndrom „benommen, verwirrt“;30
6.2.2.1;Laienbeschreibung einer akuten hirnorganischen Beeinträchtigung;30
6.2.2.2;Erscheinungsbild des Schlüsselsyndroms;30
6.2.2.3;Formen der Bewusstseinsstörung;30
6.2.3;Schlüsselsyndrom „unruhig-komisch-wahnhaft“;31
6.2.3.1;Laienbeschreibung eines psychoseartigen Zustandsbilds;31
6.2.3.2;Erscheinungsbild des Schlüsselsyndroms;31
6.2.3.3;Krankheitsbilder;32
6.2.3.4;Beziehungsdynamik: Familien mit schizophreniekranken Menschen;34
6.2.4;Schlüsselsyndrom „verzweifelt, suizidal“;35
6.2.4.1;Laienschilderung von Verzweiflung und Suizidalität;35
6.2.4.2;Erscheinungsbild des Schlüsselsyndroms;35
6.2.4.3;Krankheitsbilder;36
6.2.4.4;Seelische Dynamik: Wut und Ärger gegen sich selbst;37
6.2.4.5;Beziehungsdynamik: Familien mit depressiven Menschen;38
6.2.4.6;Exkurs: Suizidabsicht – psychische Krankheit oder freier Willensakt?;39
6.2.5;Schlüsselsyndrom „Konflikt, Gewalt“;39
6.2.5.1;Laienschilderung von aggressivem Verhalten;39
6.2.5.2;Erscheinungsbild des Schlüsselsyndroms;40
6.2.5.3;Beziehungsdynamik bei Gewalttätigkeit in der Familie;41
6.2.6;Schlüsselsyndrom „Alkohol-, Drogenproblem“;43
6.2.6.1;Laienschilderung eines Suchtsyndroms;43
6.2.6.2;Nicht-substanzspezifische Erscheinungsbilder;43
6.2.6.3;Substanzspezifische Syndrome;45
6.2.6.4;Psychische, körperliche und soziale Dynamik der Abhängigkeit;48
6.2.6.5;Beziehungsdynamik;49
6.2.7;Schlüsselsyndrom „Angst, Panik“;50
6.2.7.1;Laienschilderung einer Panikattacke;50
6.2.7.2;Erscheinungsbild des Schlüsselsyndroms;50
6.2.7.3;Krankheitsbilder;51
6.2.7.4;Seelische Dynamik bei der Entstehung von Angst;53
6.2.7.5;Beziehungsdynamik bei Panikpatienten;54
6.2.8;Schlüsselsyndrom „chronisch-akut“;55
6.2.8.1;Laienschilderung eines Menschen mit auffälliger Persönlichkeit;55
6.2.8.2;Erscheinungsbild des Schlüsselsyndroms;55
6.2.8.3;Krankheitsbilder;55
6.2.8.4;Psychosoziale Dynamik: Helfer-Patient-Verstrickung;57
6.2.9;Unklare Syndrome: mehrdeutig, unvertraut;57
6.2.9.1;Mehrdeutige Syndrome;57
6.2.9.2;Unvertraute Syndrome;58
6.3;3 Setting, Prinzipien, Selbsthilfe;59
6.3.1;Versorgungsnetz, Helfer und Patienten;59
6.3.1.1;Versorgungsnetz und Helfer;59
6.3.1.2;Auftraggeber und Patienten;60
6.3.2;Interventionsort;61
6.3.2.1;Intervention in der eigenen Institution;61
6.3.2.2;Hausbesuch;62
6.3.2.3;Intervention in einer fremden Institution;63
6.3.3;Interventionsprinzipien;65
6.3.4;Zielsetzung;67
6.3.4.1;Vorrangiges Ziel der Notfallintervention;67
6.3.4.2;Längerfristiges Ziel der Nachbetreuung und der Krisenintervention;67
6.3.5;Selbsthilfe der Helfer;68
6.3.5.1;Irrwege;68
6.3.5.2;Ausweg: Instrumentarium der Selbsthilfe;70
6.4;4 Ablauf einer Notfallintervention;72
6.4.1;Ablauf in Phasen und Schritten;72
6.4.2;Erstkontaktphase, Auftragsklärung;72
6.4.2.1;Telefonische Kontaktaufnahme;72
6.4.2.2;Telefonische Klärung des Auftrags;73
6.4.3;Vorbereitungsphase;74
6.4.3.1; Triage;74
6.4.3.2; Vorbereitung;76
6.4.3.3; Begrüßungsintervention;77
6.4.4;Abklärungsphase;79
6.4.4.1; Gesprächsführung;79
6.4.4.2; Abklärung;80
6.4.4.3; Beurteilung und Hilfestrategie;83
6.4.5;Maßnahmephase;86
6.4.5.1; Notfallkonferenz;86
6.4.5.2; Ambulante Maßnahmen;87
6.4.5.3; Evaluation – Klinikeinweisung?;89
6.4.6;Nachbetreuungsphase und Übergang zur Krisenintervention;90
6.4.6.1;Abschied;90
6.4.6.2;Nachbetreuung;91
6.4.6.3;Übergang zur Krisenintervention;91
6.5;5 Kommunikation, Medikation, Klinikeinweisung;94
6.5.1;Kommunikation und therapeutische Haltung;94
6.5.1.1;Kommunikation;94
6.5.1.2;Therapeutische Haltung;94
6.5.2;Medikation und Notfallkoffer;96
6.5.2.1;Grundsätze der medikamentösen Therapie im Notfall;96
6.5.2.2;Psychiatrischer Notfallkoffer;96
6.5.2.3;Medikamentöse Behandlung der wichtigsten Syndrome;98
6.5.3;Einweisung in die Psychiatrie;98
6.5.3.1;Empfehlungen für die Einweisung ambivalenter Patienten;98
6.5.3.2;Kurzzeitige Unterbringung bzw. stationäre Krisenintervention;99
6.5.3.3;Einweisung auf eine offene Station einer psychiatrischen Klinik;99
6.5.3.4;Zwangseinweisung;99
6.5.3.5;Einweisungszeugnis;100
6.5.3.6;Unlösbare Situation;100
7;II Praxis der Notfall- und Krisenintervention;102
7.1;6 Benommen, verwirrt;103
7.1.1;Erstkontaktphase, Auftragsklärung;103
7.1.2;Vorbereitungsphase;104
7.1.2.1; Telefonische Triage;104
7.1.2.2; Telefonische Intervention bei bedrohlicher Bewusstseinsstörung;107
7.1.2.3; Begrüßungsintervention;108
7.1.3;Abklärungs- und Maßnahmephase vor Ort und Medikation;108
7.1.3.1;Bei akuter Lebensgefahr;108
7.1.3.2;Einweisungszeugnis;109
7.1.3.3;Falls keine akute Lebensgefahr;110
7.1.3.4;Bei Delir (wechselnd verwirrt-verworren-halluzinatorischer Zustand);111
7.1.3.5;Bei Krampfanfall mit Bewusstseinsverlust bzw. bei epileptischem Dämmerzustand;112
7.2;7 Unruhig-komisch-wahnhaft;113
7.2.1;Erstkontaktphase, Auftragsklärung;113
7.2.2;Vorbereitungsphase;114
7.2.2.1; Triage;114
7.2.2.2; Vorbereitung;114
7.2.2.3; Begrüßungs„intervention;114
7.2.3;Abklärungsphase;116
7.2.3.1; Gesprächsführung;116
7.2.3.2; Abklärung;118
7.2.3.3; Beurteilung und Hilfestrategie;118
7.2.4;Maßnahmephase;118
7.2.4.1; Notfallkonferenz;118
7.2.4.2; Ambulante Maßnahmen;119
7.2.4.3; Evaluation – Klinikeinweisung?;124
7.2.5;Nachbetreuungsphase und Übergang zur Krisenintervention;126
7.2.5.1;Empfehlungen für Abschlusskontakte;126
7.2.5.2;Ambulante sozialpsychiatrische Nachbetreuung;126
7.2.5.3;Empfehlungen für die Angehörigenarbeit;126
7.3;8 Verzweifelt, suizidal;128
7.3.1;Erstkontaktphase, Auftragsklärung;128
7.3.2;Vorbereitungsphase;128
7.3.2.1; Triage;128
7.3.2.2; Vorbereitung;128
7.3.2.3; Begrüßungsintervention;129
7.3.3;Abklärungsphase;129
7.3.3.1; Gesprächsführung;129
7.3.3.2; Abklärung;132
7.3.3.3; Beurteilung und Hilfestrategie;133
7.3.4;Maßnahmephase;135
7.3.4.1; Notfallkonferenz;135
7.3.4.2; Ambulante Maßnahmen;136
7.3.4.3; Evaluation – Klinikeinweisung?;137
7.3.5;Spezialproblem: Akut traumatisierte Menschen;138
7.3.5.1;Grundsätze bei der Betreuung von Opfern;138
7.3.6;Nachbetreuungsphase und Übergang zur Krisenintervention;139
7.4;9 Konflikt, Gewalt;142
7.4.1;Erstkontaktphase, Auftragsklärung;142
7.4.2;Vorbereitungsphase;142
7.4.2.1; Triage;142
7.4.2.2; Vorbereitung;143
7.4.2.3; Begrüßungsintervention;144
7.4.3;Abklärungsphase;146
7.4.3.1; Gesprächsführung;146
7.4.3.2; Abklärung;148
7.4.3.3; Beurteilung und Hilfestrategie;149
7.4.4;Maßnahmephase;151
7.4.4.1; Notfallkonferenz;151
7.4.4.2; Ambulante Maßnahmen bei aggressivem Konflikt ohne offene Gewalt;152
7.4.4.3;Evaluation: zusätzliche Maßnahmen mit Drohung, Gewalt oder Missbrauch;153
7.4.5;Spezialproblem: Missbrauch und Misshandlung;155
7.4.6;Spezialproblem: Notfallbetreuung von Tätern;156
7.4.6.1;Empfehlungen für den Umgang mit grundsätzlich einsichtigen Tätern;156
7.4.7;Nachbetreuungsphase gefährdeter Familien;157
7.5;10 Alkohol-, Drogenproblem;158
7.5.1;Erstkontaktphase, Auftragsklärung;158
7.5.2;Vorbereitungsphase;159
7.5.2.1; Triage;159
7.5.2.2; Vorbereitung;160
7.5.2.3; Begrüßungs„intervention;161
7.5.3;Abklärungs- und Maßnahmephase;162
7.5.3.1; Gesprächsführung;162
7.5.3.2; Weiteres Vorgehen je nach Zustandsbild;163
7.5.4;Nachbetreuungsphase und Übergang zur Krisenintervention;169
7.5.4.1;Vorgehen bei schwer Süchtigen;169
7.5.4.2;Vorgehen bei wiederholt gescheitertem Entzug;169
7.6;11 Angst, Panik;171
7.6.1;Erstkontaktphase, Auftragsklärung;171
7.6.2;Vorbereitungsphase;171
7.6.2.1; Triage;171
7.6.2.2; Vorbereitung;174
7.6.2.3; Begrüßungs„intervention;175
7.6.3;Abklärungsphase;176
7.6.3.1; Gesprächsführung;176
7.6.3.2;Abklärung, Beurteilung und Hilfestrategie;177
7.6.4;Maßnahmephase;177
7.6.4.1; Notfallkonferenz;177
7.6.4.2; Maßnahmen;177
7.6.4.3; Evaluation – Klinikeinweisung?;179
7.6.5;Nachbetreuungsphase und Übergang zur Krisenintervention;179
7.7;12 Chronisch-akut;180
7.7.1;Erstkontaktphase, Auftragsklärung;180
7.7.1.1;„Chronisch-akuter Patient“: innere Wahrnehmung des Helfers;180
7.7.1.2;Risikomerkmale chronisch-akuter Patienten;181
7.7.2;Vorbereitungsphase;181
7.7.2.1; Triage;181
7.7.2.2; Vorbereitung und Setting;181
7.7.3;Abklärungsphase;182
7.7.3.1; Gesprächsführung;182
7.7.3.2; Abklärung;183
7.7.3.3; Beurteilung und Hilfestrategie;184
7.7.4;Maßnahmephase;184
7.7.4.1; Notfallkonferenz;184
7.7.4.2; Allgemeine Maßnahmen;186
7.7.4.3; Evaluation;187
7.7.5;Spezialproblem: Daueranrufer;187
7.7.5.1;Grundsätze im Kontakt mit Daueranrufern eines Krisendiensts;187
7.7.6;Nachbetreuungsphase und Übergang zu befristeter Krisenintervention;188
7.7.6.1;Empfehlungen zur Gestaltung der therapeutischen Beziehung;188
8;III Anhang;190
8.1;13 Formulare und Merkblatt;191
8.1.1;Formular „Klinikeinweisung“;191
8.1.2;Formular „Patientendokumentation“;192
8.1.3;Merkblatt „Algorithmus bei Gewaltandrohung“;194
8.2;14 Literatur;196
8.3;15 Glossar;199
9;Sachverzeichnis;205
1 Notfall und Krise
1.1 Grundbegriffe
1.1.1 Seelische Krise
Krise im weiteren und engeren Sinn. Bei einer Krise im weiteren Sinn wird durch eine innere oder äussere Belastung das seelische und psychosoziale Gleichgewicht gefährden. Ein zunehmend großer Teil der psychischen Energie wird zur Bewältigung der Belastung und der inneren Erschütterung gebunden.
Bei Menschen ohne vorbestehende psychische Störung zeigen sich dann Unbehagen und Anspannung, z.B. auch Schlafstörungen, jedoch noch keine eigentlichen Krankheitssymptome. Dies wäre eine Krise im engeren Sinn. Die Betroffenen sind noch entscheidungs- und handlungsfähig. Ein Rückbezug auf ihre Ressourcen ist möglich. Die Krisenhelfer können mit ihnen kurzfristig verlässliche Vereinbarungen treffen. Menschen mit einer vorbestehenden psychischen Störung sind krankheitsbedingt vermindert belastbar; bei ihnen lässt sich eine Akzentuierung einer vorbestehenden Symptomatik feststellen, was bei Andauern der kritischen Belastung schließlich zu einem Rückfall bis hin zu einem eigentlichen ? „Notfall“ führen kann. Normal belastbare Menschen können jedoch auch in eine Notfallsituation geraten, wenn das Missverhältnis zwischen Belastung und Ressourcen zu groß wird und das Bewältigungsvermögen übersteigt. Dies ist bei Traumatisierung oder chronischen Krisen mit größerer Wahrscheinlichkeit der Fall.
Definition
Von einer „Krise“ im engeren Sinn wird in diesem Buch dann gesprochen, wenn kein psychischer bzw. psychosozialer Gleichgewichtsverlust eintritt und mit dem Patienten und seinen Angehörigen Vereinbarungen getroffen werden können.
Bei hohen Wellen: Krise und Krisenintervention.
Abb. 1.1 In der Krise wird die Kraft zur Stabilisierung des psychischen Gleichgewichts verwendet. Wie bei einer Ruderpartie, die in unruhige Gewässer geraten ist.
Krisen und Notfälle können in unterschiedlichen Lebenszusammenhängen entstehen:
-
Entwicklungskrise: Das sind normale Durchgangsstadien bei der Entwicklung durch innere Neuorientierung
-
im Rahmen der Ablösung von Jugendlichen,
-
bei Menschen in einer länger dauernden Psychotherapie usw.
-
-
Belastungskrise: Dazu kommt es durch innere (z.B. Krankheit) bzw. äußere Belastung (z.B. psychosozialer Stress); Spezialfälle sind traumatische Krisen, z.B. eine akute Belastungsreaktion oder PTBS (posttraumatische Belastungsstörung, engl. Posttraumatic Stress Disorder, PTSD). Neben diesen typischen Traumafolgereaktionen können jedoch zahlreiche andere psychische Störungsbilder auftreten.
-
Veränderungskrise ? [13]: Eine solche Krise entsteht durch umfassenden Wechsel der Lebensumstände (Life Events), z.B.
-
bei Geburt eines Kindes oder
-
bei Verlust eines Angehörigen.
-
-
Chronische Krise ? [26] ? [59]: Dabei handelt es sich um eine schwere Dauerkrise bei Suchtkranken, Borderline-Patienten usw.
Gefährdung des psychischen Gleichgewichts. Im Folgenden wird zwischen „Krise Definition“ (im engeren Sinn) und „Notfall “ – der akut gefährlichen Krise – unterschieden.
1.1.2 Seelischer Notfall
Angesichts drohender Selbst- oder Fremdgefährdung und akuter Überforderung der Angehörigen wird unverzügliche Hilfe erwartet. Damit soll eine (vermeintliche oder tatsächliche) akute Gefahr für psychische Integrität, Leib, Leben und soziale Vernetzung abgewendet werden. Die bisherige Problembewältigung versagt, was nicht nur mit dem seelischen Gleichgewichtsverlust des Patienten, sondern ebenso sehr mit einer Überforderung seines Beziehungsumfelds zusammenhängt. Notfallpatienten sind zudem meist nicht mehr vertragsfähig: Es sind Symptome aufgetreten, die ihre aktuelle Urteils- und Handlungsfähigkeit erheblich einschränken.
Definition
Der Notfall – sofortiger Handlungsbedarf wegen akuter Selbst- oder Fremdgefährdung – wird als Spezialfall einer Krise verstanden.
Bei Sturm: Notfall und Notfallintervention.
Abb. 1.2 Beim Notfall besteht akute Gefährdung! Die Entscheidungs- und die Vertragsfähigkeit sind schwer beeinträchtigt. Aktive, eingreifende Soforthilfe von außen ist notwendig, wie bei der Rettung eines Ertrinkenden.
Das Hinzuziehen professioneller Helfer ist ein Eskalationszeichen. Normalerweise kümmern sich Familienangehörige, Arbeitskollegen und bereits behandelnde Therapeuten um notleidende Menschen. Erst wenn die Lage weiterhin akut bleibt, wird die Beanspruchung der Betroffenen zu groß, sodass außenstehende professionelle Helfer hinzugezogen werden.
Merke
Jeder seelische Notfall ist auch ein psychosozialer Notfall.
1.1.3 Notfall- und Krisenintervention
Bei der Intervention werden alle verfügbaren Ressourcen zusammengefasst, um einen nicht wiedergutzumachenden Schaden abzuwenden. Dabei muss gehandelt werden, bevor die Ursachen für die psychische Notlage genau bekannt sind. Vieles muss sozusagen experimentell getan werden, um am Effekt einer kleinen Maßnahme die Gefährdung von Patient und Bezugspersonen erkennen zu können. Schnelle, wirksame und damit gut überblickbare, einfache (jedoch nicht simple) Vorgehensweisen sind erforderlich. Während der Intervention müssen sie ständig überprüft – evaluiert – werden. Somit ist es hilfreich, sich schon vor dem Einsatz mit den eigenen professionellen Handlungs- und Entscheidungsmustern auseinanderzusetzen, damit das eigene Repertoire erweitert werden kann. Auch bei viel Erfahrung ist Notfallhilfe mit außerordentlichen Anstrengungen verbunden. Der Einsatz muss deshalb zeitlich limitiert werden, um den Helferkreis nicht zu erschöpfen. Entscheidungen sind rasch zu treffen. Ein Notfalleinsatz mit einem Hausbesuch ist in der Regel innerhalb von 1–2 Stunden abgeschlossen – nämlich dann, wenn die Hilfe durch reguläre Helferdienste und Angehörige weitergeführt werden kann und keine akute Gefahr mehr für Leib, Leben und Integrität des Patienten und dessen Umfeld besteht.
Die Notfallintervention ist eine interdisziplinäre Aufgabenstellung. Deshalb kommen in diesem Buch sowohl pflegerische, psychotherapeutische und medizinische wie auch sozialarbeitsbezogene Gesichtspunkte zur Sprache. Wie in anderen Notsituationen geht es um einen möglichst nutzbringenden Verbund helfender Kräfte in methodischer Zusammenarbeit.
Merke
Notfallintervention bei seelischen Krisen ist eine interdisziplinäre Aufgabe.
Notfallhelfer brauchen Professionalität, ein gut reflektiertes Selbstverständnis der eigenen Rolle, eine therapeutische, d.h. auf Kommunikation und Entwicklung hin orientierte Grundeinstellung sowie Interesse an der Lebensweise von Menschen, die nicht der eigenen Subkultur angehören. Daneben erfordert der Notfalleinsatz die Fähigkeit zu fairer Konfrontation mit Respekt für die Entwicklungskompetenz der Patienten, zudem Entschlossenheit, Improvisationsfreude, die Bereitschaft, mit Angehörigen zusammenzuarbeiten, sowie Hartnäckigkeit und Mut, eine notwendige Entscheidung auch unter widrigen Umständen umzusetzen. Nicht zuletzt ist – neben einem Grundwissen über die Eigenheiten psychischer Erkrankungen – ein Wissen um die eigenen Schwächen und Stärken, die eigenen Möglichkeiten und Grenzen, notwendig.
Die ambulante Nachbetreuung nach einem Notfall entspricht methodisch einer Krisenintervention (bei einer Krise im engeren Sinn). Die Erfahrungen beim Notfalleinsatz können dabei genutzt werden. Die unmittelbare Ursache für den psychosozialen Gleichgewichtsverlust wird benannt, der Patient wird gestützt und er lernt, seine Ressourcen besser zu nutzen. Eine solche Nachbetreuung kann mit...