E-Book, Deutsch, 67 Seiten
Sabath Echo
2. Auflage 2025
ISBN: 978-3-8190-3578-4
Verlag: epubli
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 67 Seiten
ISBN: 978-3-8190-3578-4
Verlag: epubli
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Lily Sabath ist Poetry Slammerin und freie Autorin. Ihre Texte vereinen das Politische mit dem Persönlichen, sind oft satirisch-provokant und nie monoton. Im Juli 2022 wurde sie Vize-Landesmeisterin beim U20 BW-Slam in Heilbronn. Sie veröffentlicht ihre Texte in diversen Magazinen im Online- und Printformat. 'Echo' ist ihr erstes Buch.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
ECHO – Ein Sprachfragment
„spin me a thread from the
world’s beginning
down to my own lifetime, in one continuous poem.“
- Ovid, Metamorphoses
I. Die Begegnung
Das Buch war unscheinbar. Es war dünn und in einen schlichten grünen Einband gebunden. Zwischen den dicken, bunten Büchern, die daneben im Regal der Buchhandlung standen, ging es fast unter. Keine Beschriftung zierte den Buchrücken, lediglich als ich das Buch aus dem Regal zog, sah ich auf der Vorderseite in großen Lettern den Titel eingestanzt: “Echo – Ein Sprachfragment”. Ich fragte mich, was das sein sollte, ein Sprachfragment. Und wer ein Buch über Echos lesen würde, die ja selbst nichts sind, keine Geschichte erzählen. Nur der schwache Nachhall der Worte eines anderen. Ich hätte nicht mehr daneben liegen können. Aber damals wusste ich das noch nicht. Damals zuckte ich mit den Schultern, ging zur Kasse und nahm es mit, müde von den immer gleichen Buchtiteln in den immer gleichen aufmerksamkeitsheischenden Schriftarten und Farben, die viele der Bücher im Laden trugen. Nachher, im Café, wollte ich eigentlich anfangen, darin zu lesen, war aber zu abgelenkt von dauernd aufploppenden Nachrichten auf meinem Handy, die meine Aufmerksamkeit anforderten, schreienden Kindern am Nachbartisch, die mehr Süßigkeiten einforderten, und schreienden Stimmen in meinem Kopf, die mehr Leistung von mir verlangten, mich ermahnten, das noch so viel zu tun sei, dass ich mit herumsitzen und lesen nie etwas erreichen würde im Leben. Etwas erreichen im Leben. Das war mir schon immer wichtig gewesen. Ich wurde quasi mit ausgestreckter Hand geboren und recke mich seitdem hoch in die Luft, über mich selbst hinaus. Alles, was ich will, scheint immer gerade so außer Reichweite zu sein. Aber vielleicht könnte ich es ja doch zu fassen bekommen, eines Tages. Wenn ich mir nur mehr Mühe geben würde. Mich höher strecken würde. Höher, weiter, mehr. Die Superlative zerfleischen mich Tag und Nacht. Also fing ich erst eine Woche später an das kleine Buch zu lesen, an einem langsamen Sonntagmorgen, als die Stunden zäh wie Honig dahinflossen. Ich lernte Echo kennen, nicht ein das, sondern eine sie. Nicht die Geschichte eines Widerhalls, sondern die Geschichte eines lauten Schreis aus rauer Kehle, voller Leben und Wildheit und Verlangen. Eine Geschichte vom Geschichtenerzählen. Ein Liebesbrief an die stillen Menschen dieser Welt.
I. Echo
Guten Tag, wer auch immer dies liest. Ich bin Echo. Die Geschichte, die du gerade in den Händen hältst, ist meine. Es ist die Geschichte meines Fluches, und es ist die Geschichte von Gottheiten und solchen, die es sein wollten. Allen voran ist es ein Echo. Ein Sprachfragment, frisch aus meinem Hals gezogen. Wer ich bin? Darauf gibt es viele Antworten. Eine Nymphe aus den Zeiten der Antike. Ein Nebensatz in der bekannten griechischen Mythologie, hübsches Beiwerk, aber nicht mehr, wie bei so vielen Frauen, die in Vergessenheit geraten sind und deren Biographien überschrieben wurden von denen ihrer männlichen Zeitgenossen. Ich kenne mich aus mit Geschichten, war ich doch einst geschätzt als die beste Geschichtenerzählerin auf dem ganzen Olymp. Ein Segen, der mein Fluch werden sollte. Lass mich dir eine weitere Geschichte erzählen, die einzige, die ich nie erzählt habe. Meine.
***
Wir fangen an zu einer Zeit, als ich unbeschwert war. Ich bin auf dem Olymp aufgewachsen, diesem monumentalen Berg der griechischen Gottheiten und ihres Gefolges, zu welchem ich gehörte. Immer schon ragte die göttliche Präsenz über alles andere hinaus. Die Götter waren eitel und schnell beleidigt, es war also wichtig, ihnen stets zu huldigen. Hera und Zeus stritten dauernd, heftige Donnerwogen, die den Fels spalten und den ganzen Berg erschüttern konnten. Die Göttermutter und der Göttervater, in der längsten unglücklichen Ehe der Weltgeschichte vereint. Jeder wusste, dass Zeus nicht ehrlich zu Hera war und versuchte, mit fast jedem weiblichen Wesen zu schlafen, das ihm unter die Augen kam. Deshalb war ich auch sehr unglücklich, als er eines Tages schon auf mich wartete, als ich zu meinem liebsten Hain auf dem Berg spazierte. Normalerweise kamen dorthin Nymphen, Satyre, Halbgötter und kleinere Gottheiten, um meinen Geschichten zu lauschen, und es machte mir Spaß, dort meine kleine Magie zu wirken, wie ich das Geschichtenerzählen nannte. Ich stellte mir dann manchmal vor, wie die große Magierin Circe zu sein, die verzauberte Gemälde webte, welche jeden Betrachter hypnotisieren. Doch meine Werkzeuge waren weder Webrahmen noch Zauberei, sondern etwas viel simpleres - meine Worte. Ich wob sie zu magischen Geflechten, die meine Zuhörer in den Bann zogen. Ich konnte Worte zu Bildern machen, mit nur meiner Stimme epische Schlachten und tragische Liebesgeschichten in den Köpfen meiner Zuhörer lebendig werden lassen. Dies war meine Gabe und mein ganzer Stolz. Doch ich muss zugeben, dass ich nicht an diese Fertigkeit dachte, als ich Zeus auf mich warten sah, besuchte er Frauen doch ausschließlich zur Befriedigung seiner körperlichen, nicht seiner geistigen Gelüste. Natürlich wartete er mit seinem anzüglichsten Grinsen und dem üblichen überheblichen Gesichtsausdruck auf mich. Er hatte an diesem Tag die Gestalt eines sportlichen jungen Mannes gewählt, um vor mir zu erscheinen, doch ich merkte sofort, dass es Zeus war, so mächtig war seine Ausstrahlung. Er räkelte sich auf einem Felsen in der Sonne, die nur für ihn zu strahlen schien. Die Szenerie mochte natürlich wirken, wie die eines einfachen Mannes, der die Natur genoss, doch sie war alles andere als das. Alles auf dem Olymp war von den großen Gottheiten persönlich erschaffen und ausgewählt worden, jedes kleinste Detail wurde zur Perfektion stilisiert, denn nichts weniger als das würden sie in ihrem Heim erlauben. Die Götter hatten eigentlich schreckliche Angst vor der Natürlichkeit, die sie vor langer Zeit außerhalb des Olymp ins Leben gerufen hatten, denn diese war wild, rau, und fehlerbehaftet. Damit wollten sie sich nicht befassen und so schlossen sie lieber die Augen, während die Wälder draußen niederbrannten und die Menschen sich gegenseitig die Köpfe einschlugen. Perfektion ist faul, weil es hier nichts mehr zu verändern gibt. So war der Olymp zu einem Ort vollkommener Stasis geworden, und nur die niederen Geschöpfe wie ich hauchten diesem künstlichen Berg noch etwas Leben ein mit unseren Dramen des Alltags. Doch Zeus waren meine Gedanken zu seinem Werk natürlich herzlich egal. Er beugte sich zu mir herunter, als ich mich ihm näherte, und sah mich eindringlich an, bis ich erschauderte. Ich wollte nicht mit ihm schlafen. Ich hatte mir dann und wann Liebhaber und Liebhaberinnen genommen, sicher, aber nie jemanden mit Götterblut. Ich wollte nichts zu tun haben mit dieser Art von Macht und Wahnsinn und blieb lieber bei Menschen und anderen Nymphen. Doch die Aufmerksamkeit des Göttervaters zu erregen, war besonders verheerend. Er war nicht für seinen guten Umgang mit Ablehnung bekannt, und gleichzeitig das mächtigste Wesen dieser Welt. Man kann sich ausmalen, wie viele Frauen zum selben Schluss kamen: Widerstand wäre zwecklos. Ergebe dich und ertrage es, wie so viele deiner irdischen und göttlichen Schwestern es vor dir getan haben. Es war eine dieser Geschichten, die so alt sind wie die Welt selbst. Eine der Geschichten, die ich nur mit Wut im Bauch und Feuer in den Augen erzählte; die ich umdichtete, um Platz darin zu schaffen für Nemesis, die Göttin der Rache, die nicht ohne Grund weiblich war, und die ich in meinen Geschichten...




