Sade Klassiker der Erotik 4: Justine und das Unglück der Tugend
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-939907-79-4
Verlag: Passion Publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 4, 288 Seiten
Reihe: Klassiker der Erotik
ISBN: 978-3-939907-79-4
Verlag: Passion Publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das berühmte Werk de Sades wurde während seiner Haftzeit 1787 geschrieben. Justine und Juliette sind die Töchter eines bankrotten Kaufmanns. Nach dem Tod der nahezu mittellosen Mutter beschließt Juliette, als Prostituierte ins Bordell zu gehen, verübt eine Reihe von Verbrechen, erwirbt Reichtum und wird glücklich. Justine hingegen wählt den Weg der Tugend, erlebt hierbei eine Reihe von Abenteuern und Missgeschicken und wird fortwährend Verfolgungen, Erniedrigungen, Quälereien und Vergewaltigungen ausgesetzt.
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Es wäre ein Meisterwerk der Philosophie, wenn sie darlegte, welcher Mittel sich die Vorsehung bedient, um die Absichten, die sie mit dem Menschen hat, zu vollenden, und wenn sie Regeln aufstellte, die den unglücklichen Zweibeiner darüber aufklären könnten, wie er sich auf dem dornigen Lebenspfad zu bewegen hat, um den bizarren Launen jener Fatalität zuvorzukommen, die man mit zwanzigerlei Namen belegt hat, ohne dass man sie bislang zu erkennen oder zu definieren vermochte. Wenn wir aber mit allem Respekt für unsere gesellschaftlichen Konventionen und ohne jede Auflehnung gegen die dadurch errichteten Dämme dennoch nur auf Dornengestrüpp stoßen, während die Bösewichte nichts als Rosen ernten, werden dann nicht diejenigen, denen es so sehr an Tugend mangelt, dass sie sich über derartige Betrachtungen hinwegsetzen, werden sich diese Leute etwa nicht überlegen, dass es besser sei, sich mit dem Strom treiben zu lassen, als dagegen anzuschwimmen? Werden sie nicht sagen, dass die Tugend, so schön sie auch sein mag, die schlechteste Wahl sei, die man treffen könne, wenn sie sich als zu schwach erweist, gegen das Laster zu kämpfen, und wenn es in einem gänzlich verderbten Jahrhundert doch das sicherste ist, wie die anderen zu handeln? Die, wenn man so will, etwas Gebildeteren, werden sie nicht, ihre Aufgeklärtheit missbrauchen, mit dem Engel Jesrad im Zadig zu erklären, dass es nichts Böses gebe, dem nicht etwas Gutes entspringt, und dass sie sich demzufolge dem Schlechten hingeben könnten, da dies tatsächlich nur eine andere Form ist, Gutes zu tun? Werden sie nicht hinzufügen, dass es für den allgemeinen Plan ganz gleichgültig bleibe, ob dieser oder jener es vorziehe, gut oder böse zu sein; und wenn die Tugend vom Unglück verfolgt, das Verbrechen hingegen von Wohlleben begleitet—in den Augen der Natur beides also gleichbedeutend sei —, dass es dann doch tausendmal besser wäre, sich auf die Seite der Schlechten zu schlagen, denen es gut geht, als auf die der Tugendhaften, die geopfert werden? Es ist also wichtig, diesen gefährlichen Sophismen einer falschen Philosophie zuvorzukommen und eindringlich zu zeigen, dass die Beispiele einer unglücklichen Tugend, wenn sie einer verderbten, aber immerhin noch von einigen guten Grundsätzen durchdrungenen Seele vorgestellt werden, diese Seele ebenso sicher wieder dem Guten zuzuführen vermögen, als ob man ihr auf diesem Tugendpfad die glänzendsten Ehrungen und die verlockendsten Belohnungen geboten hätte. Es ist gewiss grausam, das Leid, das über eine sanfte, zartfühlende und die Tugend hoch achtende Frau hereinbricht, in seiner ganzen Fülle ausmalen zu müssen und andererseits das Wohlleben zu schildern, dessen sich die Peiniger und Unterdrücker dieser Frau erfreuen. Wenn aber aus der Darstellung dieser Fatalitäten Gutes entsteht, sollte man sich dann Vorwürfe machen, sie aufgezeigt zu haben? Kann man es dann als ärgerlich empfinden, eine Tatsache vorgetragen zu haben, aus der sich für den einsichtigen und weisen Leser die sinnvolle Lehre von der Schicksalsergebenheit ableitet, und er die fatale Warnung erhält, dass der Himmel unseren Nächsten, der seine Pflichten aufs beste erfüllt zu haben scheint, häufig nur deshalb heimsucht, um uns selbst an unsere Pflichten zu gemahnen? Solcherart sind die Empfindungen, mit denen wir uns ans Werk begeben, und in Anbetracht dieser Beweggründe bitten wir den Leser um Nachsicht hinsichtlich der irrigen Vorstellungen, die einigen unserer Charakteren in den Mund gelegt sind und hinsichtlich der zuweilen etwas anstößigen Situationen, die wir Ihnen aus Liebe zur Wahrheit vor Augen führen mussten. Gräfin Lorsange war eine jener Venuspriesterinnen, deren Glück das Werk einer hübschen Figur und einer beträchtlichen Liederlichkeit ist und deren Titel, mögen sie noch so hochtrabend klingen,—erdichtet von der Unverfrorenheit ihrer Trägerin und aufrechterhalten durch die törichte Leichtgläubigkeit ihrer Bewunderer—nur in Kytheras Archiven zu finden sind : Brünett, schön gewachsen, mit selten ausdrucksvollen Augen; von jener modischen Ungläubigkeit, die den Leidenschaften zusätzliche Würze verleiht und bewirkt, dass eine Frau, die dergleichen vermuten lässt, weit heftiger umworben wird; etwas boshaft, bar aller Prinzipien, ohne Skrupel, aber doch nicht so verderbt, dass alle Empfindsamkeit aus ihrem Herzen gelöscht wäre, stolz und ausschweifend: Das war Frau de Lorsange. Gleichwohl hatte diese Frau die vortrefflichste Erziehung genossen: Als Tochter eines sehr bedeutenden Bankiers in Paris war sie mit einer drei Jahre jüngeren Schwester namens Justine in einem der berühmtesten Klöster der Hauptstadt erzogen worden, und bis zu ihrem zwölften und fünfzehnten Lebensjahr war der einen wie der anderen Schwester kein Ratschlag, kein Lehrmeister, kein gutes Buch und die Förderung nicht einer ihrer Gaben versagt geblieben. In diesem für die Tugend zweier junger Mädchen so entscheidenden Lebensabschnitt verloren sie das alles von einem auf den anderen Tag: ein fürchterlicher Bankrott stürzte ihren Vater in eine so grausame Lage, dass er vor Kummer starb. Einen Monat später folgte ihm seine Frau ins Grab. Zwei kaltherzige, entfernte Verwandte beratschlagten, was mit den jungen Waisen geschehen sollte. Ihr Anteil an dem durch die Schulden auf gezehrtem Erbe belief sich auf je hundert Taler. Keiner gedachte sich ihrer anzunehmen, man öffnete ihnen die Klosterpforte, händigte ihnen die Mitgift aus und überließ es ihnen zu tun, was ihnen beliebte. Frau de Lorsange, die damals Juliette hieß und charakterlich und geistig schon annähernd so geformt war wie mit dreißig Jahren—so alt war sie zu der Zeit, in der sich unsere Geschichte zutrug—, Frau de Lorsange schien nichts anderes zu empfinden als die Freude, frei zu sein, ohne sich nur einen Augenblick auf die grausamen Umstände zu besinnen, die ihre Ketten gesprengt hatten. Justine hingegen war ernst und schwermütig von Gemüt, und so empfand sie schon im Alter von zwölf Jahren weit mehr die ganze Grauenhaftigkeit ihrer Lage. Mit Sanftmut und überraschender Sensibilität begabt, war sie im Gegensatz zu der Geschicklichkeit und dem Scharfsinn ihrer Schwester so arglos und treuherzig, dass sie zwangsläufig ein Opfer vieler Ränke werden musste. Bei all diesen Gaben hatte das junge Mädchen ein liebliches Gesicht, das gänzlich verschieden war von den Gesichtszügen, mit denen die Natur Juliette verschönt hatte; so augenfällig wie die Künstlichkeit, die Schläue und Koketterie in den Zügen der einen, so bewundernswert war die Schamhaftigkeit, der Anstand und die Scheu, die aus dem Antlitz der anderen sprach; jungfräulich in ihrer Erscheinung, mit großen blauen Augen voller Seele und Mitgefühl und einem blendenden Teint, von schlankem und geschmeidigem Wuchs, dazu eine ergreifende Stimme, Zähne wie Elfenbein und die schönsten blonden Haare, so lässt sich das Bild dieser reizenden jüngeren Schwester umreißen, deren unschuldige Anmut und deren feine Züge unser zeichnerisches Vermögen weit übertreffen. Man gab der einen wie der anderen vierundzwanzig Stunden Zeit, das Kloster zu verlassen, und überließ es ihrem eigenen Gutdünken, mit ihren hundert Talern irgendwo Unterschlupf zu suchen. Juliette, entzückt ihr eigener Herr zu sein, war einen Augenblick lang bemüht, Justines Tränen zu trocknen; als sie aber sah, dass sie kein Glück damit hatte, verlegte sie sich aufs Schelten statt sie zu trösten; sie machte ihr ihre Empfindsamkeit zum Vorwurf; mit einer für ihr Alter ungewöhnlichen philosophischen Einsicht sagte sie ihr, man dürfe sich durch nichts anderes auf dieser Welt erschüttern lassen als durch das, was einen persönlich angehe; man habe die Möglichkeit, an sich selbst physische Empfindungen von so prickelnder Wollust aufzutun, dass alle seelischen Kümmernisse, die einen schmerzhaften Schock auslösen könnten, dadurch auszulöschen seien; es sei umso wichtiger, dieses Verfahren anzuwenden, als die wirkliche Weisheit tausendmal mehr darin bestünde, die Zahl der Freuden zu verdoppeln als die der Nöte zu mehren; mit einem Wort, man dürfe nichts unterlassen, was diese schandbare Empfindlichkeit in einem abtöte, von der allein die anderen profitieren, während man selber davon nur Kummer habe. Aber ein gutes Herz lässt sich schwerlich verhärten, es widersteht den Argumenten eines bösen Kopfes und tröstet sich mit seinen eigenen Freuden über die glanzvollen Vorspiegelungen eines Schöngeistes hinweg. Juliette griff zu anderen Mitteln und sagte nun zu ihrer Schwester, bei ihrem Alter und ihrem Aussehen brauchten sie beide unmöglich vor Hunger sterben. Sie benannte ihr die Tochter einer Nachbarin, die, aus dem Elternhaus entflohen, heute üppig unterhalten werde und bestimmt viel glücklicher sei, als wenn sie im Schöße ihrer Familie geblieben wäre; man solle sich davor hüten zu glauben, dass ein junges Mädchen durch die Ehe glücklich werde; an Hymens Gesetze gebunden, habe sie viele Launen auszustehen und nur sehr geringe Liebesfreuden zu erwarten; würden sie sich hingegen der Libertinage...