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E-Book

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Sahin / Sahin Amazonenbrüste

Wie ich den Brustkrebs bekämpfte
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-608-12468-2
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Wie ich den Brustkrebs bekämpfte

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

ISBN: 978-3-608-12468-2
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



»Reyhan ?ahin schreibt nah am Herzen.« Fatma Aydemir Reyhan ?ahin ist als feministische Rapperin aufgetreten, als das noch längst nicht in Mode war. Sie hat als Frau mit Migrationsbiografie einen Doktor gemacht, als die deutsche Academia noch so divers war wie trockenes Weißbrot. Geringschätzung, Hass und Diffamierung hat sie immer an sich abprallen lassen. Das war ihre Superkraft. Doch der härteste Test sollte noch kommen: die Diagnose Brustkrebs. Als Reyhan ?ahin plötzlich die Diagnose Brustkrebs erhält, scheint ihre bitchmäßige Superpower sie erstmals zu verlassen. Aber nicht lange. Wir folgen ihr vom Schock der Diagnose über die Chemotherapie bis zum Glück der Überwindung der Krankheit. Und doch. Im Deutschrap und in der Wissenschaft hat sie sich trotz der vielen Hindernisse für eine Frau (und besonders Of Colour) durchgesetzt. Als Erkrankte muss sie erneut die Erfahrung machen, was es heißt, nicht als Deutsche gelesen zu werden. Doch mit ihrer kämpferischen Art, ihrer Widerstandskraft und ihrem Humor gelingt es ihr, in dieser Situation auch den großen Support zu spüren, die Solidarität unter Frauen, das Gemeinsame. Denn für den Krebs sind alle Menschen gleich. Eine Geschichte von großer Menschlichkeit, die uns daran erinnert, was uns verbindet, besonders in der Not. Und die nur wenige erzählen können wie Reyhan ?ahin. »Mit entwaffnendem Humor, kluger Wut und unerschütterlicher Bitchpower schreibt sie gegen das Schweigen an. Dieses Buch hat gefehlt.«?Katja Diehl

Reyhan ?ahin aka Dr. Bitch Ray, geboren in Bremen, ist Sprach-, Migrations-, Islam- und Rassismusforscherin, politische Aktivistin, Bildungsreferentin, Rapperin, Performance-Künstlerin, Schauspielerin, Modemacherin und Autorin. Einem breiten Publikum ist sie als Rapperin Lady Bitch Ray bekannt. Für ihre wissenschaftliche Studie zum Bedeutungsgehalt des muslimischen Kopftuchs in Deutschland wurde sie mit dem Deutschen Studienpreis ausgezeichnet. Artikel von ihr erscheinen u. a. in der Zeit, taz und der Süddeutschen Zeitung. Ihr Bucht Yalla, Feminismus (2019) wurde von Kritik und Publikum gefeiert.
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1


»Was kann ich für Sie tun?«, fragte mich der Arzt.

Ein Mann in seinen späten Vierzigern, ich kannte ihn nicht. Die Gynäkologin, zu der ich normalerweise ging, war in Elternzeit. Sie wäre mir sehr viel lieber gewesen!

»Ich habe am Wochenende einen Knoten in meiner rechten Brust ertastet, und das macht mir irgendwie Angst«, sagte ich ohne Umschweife.

»Dann machen Sie sich bitte obenrum frei und legen sich gleich hierhin.« Er zeigte auf die Liege im anderen Raum neben dem Ultraschallgerät und ging vor. Etwas erstaunt von seiner Direktheit, folgte ich ihm, zog Oberteil und BH aus und legte mich auf die Liege. Er drückte Gel aus einer Tube auf meine rechte Brust, das überraschend warm war.

»Das ist ja gar nicht kalt!«, versuchte ich mich an etwas Smalltalk. Ich musste mich von meiner schlimmsten Befürchtung ablenken.

»Wir wollen ja nicht, dass Sie frieren!«

Der Arzt kreiste mit dem Ultraschallstab über meine Brust, wobei er konzentriert auf den kleinen Bildschirm schaute. Auf einmal fokussierte sich sein Blick. Er schien auf einen bestimmten Punkt auf dem Monitor zu starren, ich hingegen starrte ihn an. Er legte den Stab fester auf und fuhr auf meiner Brust hin und her, bis es fast wehtat. Ich verfolgte angespannt die Regungen in seinem Gesicht.

»Aua!«, sagte ich, um mich irgendwie bemerkbar zu machen. Eigentlich kann ich es gar nicht haben, dass mich jemand ungefragt an der Brust berührt. Auch wenn Ärztinnen mich abtasten, löst das in mir ein ähnliches Unbehagen aus wie bei anderen das Geräusch von kratzenden Fingernägeln auf einer Kreidetafel. Wahrscheinlich war das der Grund, weshalb ich selbst meine Brüste so gut wie nie abtastete, auch wenn das von medizinischer Seite ausdrücklich empfohlen wird. Dass ich den Knoten am Wochenende entdeckt hatte, war reiner Zufall gewesen.

Um mich nicht zu sehr in meinen Bedenken und voreiligen Selbstvorwürfen zu verstricken, konzentrierte ich mich wieder auf das Gesicht des Arztes. Dr. Kramer saß mittlerweile neben der Liege, langsam rückte er näher an den Bildschirm heran. Sein Blick schien einen Punkt zu fixieren, als hätte er da etwas entdeckt. Er klickte den Bereich an und beugte sich noch näher zum Bildschirm, zoomte gleichzeitig heran. Noch mal … und noch mal.

Dann runzelte er die Stirn. Seine Miene verfinsterte sich, und seine Kinnlade fiel herunter. Shit.

»Was ist?«, fragte ich nervös.

»Das … das hier … sieht nicht gut aus«, sagte er langsam.

»Was meinen Sie damit? Was heißt das?« Ich wurde unruhig.

»Überhaupt nicht gut.«

»Wie meinen Sie das?« Mein Herz raste.

»Na ja …« Er guckte noch immer mit gerunzelter Stirn auf den Ultraschallbildschirm.

»Was??!«, fragte ich. Ich merkte, wie mein Herzrasen mir die Kehle zuschnürte.

»Das sieht … Tja … wie ein bösartiger Tumor aus.«

Whaaat?! OMG. Meint er wirklich mich? Er meint mich.

»Sind Sie sich sicher? Gucken Sie bitte noch mal genau!«

Shit. Passiert das gerade alles wirklich? Was bedeutet das? Ist das tödlich?

»Leider ja.«

Fuck. Fuck. Fuck.

Scheinbar ungerührt inspizierte er weiter mit dem Ultraschallstab meine Brust. Fassungslos sah ich ihm dabei zu, während mein Herz unaufhörlich weiterraste. Das Atmen fiel mir schwer, die Angst kroch von meinem Magen immer weiter nach oben. In meinem Kopf schossen alle möglichen Gedanken durcheinander. War das eine Panikattacke? Und als hätte mein Kopf plötzlich auf Satire umgeschaltet, sah der Ultraschallstab in meinen Augen auf einmal wie ein Dildo aus, mit dem er Gleitgel auf meiner Brust verrieb.

Der Arzt drückte den Stab auf meine linke Brust: »Die sieht sauber aus.« Ach ja, es gibt ja auch noch die andere Seite.

»Die meisten Tumore werden nämlich von den Frauen selbst entdeckt«, erklärte er, als sei das ein Trost. Er reichte mir einen Stapel Papiertücher und drehte sich abrupt mit seinem Hocker-auf-Rädern von mir weg. Als müsste er dringend weg von mir und meinem Brustknoten.

»So, Sie machen sich jetzt bitte sauber und melden sich umgehend im Brustzentrum.« Er war aufgestanden und wies mit dem Daumen nach hinten in Richtung Krankenhaus. Bevor ich etwas erwidern konnte, lief er ins andere Zimmer. »Ich mache Ihnen die Einweisung fertig«, rief er.

»Brustzentrum?«

»Ja, zur Chefärztin Dr. Krahns-Schneider, die machen das da ganz gut. Da müssen Sie sofort hin.«

Ich lag wie gelähmt da. Mein Körper war plötzlich steif geworden, ich konnte mich kaum bewegen. Automatisiert und wie in Zeitlupe wischte ich die Überreste des Gels weg und hob meine elefantenschweren Beine eines nach dem anderen von der Liege. Es kam mir wie ein surrealer Horrorfilm vor. Als wäre ich nur noch halb am Leben. Spielte der Mann mir das alles vor? Waren irgendwo Kameras versteckt? Was passierte hier gerade?

Kaum stand ich einigermaßen sicher auf den Beinen, spürte ich ihn auf einmal, als hätte ihn jemand angeschaltet: den Schmerz in meiner Brust.

Dr. Kramer war im Nebenzimmer verschwunden, ich hörte die Geräusche eines Druckers. Oben ohne, mit meinem BH in der Hand, stellte ich mich vor seinen Schreibtisch.

»Zu wie viel Prozent sind Sie sich denn sicher, dass es Brustkrebs ist?«, fragte ich.

»Neunzig«, sagte er, blickte dabei nur kurz auf und widmete sich dann wieder seinem Computerbildschirm. Das hat er gerade nicht wirklich gesagt, oder? Nein, das kann er nicht gesagt haben. Das kann er nicht wirklich gesagt haben. No. No. No.

»Sie lassen sich jetzt bitte die Nummer vom Brustzentrum am Empfang geben und rufen dort an. Die sind jederzeit erreichbar. Rufen Sie aber gleich an, damit Sie so schnell wie möglich einen Termin bekommen. Viel Glück und auf Wiedersehen.«

Hallo? Ich war keineswegs schon so weit, dass ich das alles realisiert, geschweige denn verarbeitet hätte. Er konnte mich doch nicht einfach so rausschicken. Sollte das etwa ärztliche Fürsorge sein, oder wollte er nur die nächste Patientin nicht warten lassen? Ich konnte es nicht einordnen.

»Wie hoch sind die Heilungschancen?«, brachte ich gerade noch heraus. Inzwischen hatte ich BH und Oberteil wieder angezogen.

»Bitte, lassen Sie sich jetzt einen Termin vom Brustzentrum geben.« Er war offensichtlich mit mir fertig. Wär’s nicht so schlimm gewesen, hätte ich ihm ein »Alter, kümmer’ dich gefälligst um mich!« entgegengeschleudert. Aber die ganze Sache hatte mir die Sprache verschlagen.

Ich lief zum Empfang, bekam von der medizinischen Angestellten die Überweisung und die Telefonnummer und stolperte aus der Praxis. Es war kalt. Das Jahr hatte doch gerade erst begonnen! Ich guckte auf den Überweisungszettel. Dort stand tatsächlich: »Diagnose: Mammakarzinom rechts bei vier Uhr«. Und darüber mein Name und meine Adresse.

Ich habe Brustkrebs.

Fuck!

Benommen tippte ich die Nummer des Brustzentrums in mein Handy – und ließ es klingeln, einmal, zweimal, fünfmal, aber niemand nahm ab. Ich rief noch mal an. Und noch mal. Fünfmal insgesamt. Fünfundzwanzig Klingeltöne, die in meinem Kopf einen Tinnitus hinterließen. Niemand nahm ab. Ich googelte die Adresse des Krankenhauses, in dem sich das Brustzentrum befand. Es lag nur wenige Gehminuten von der Praxis entfernt. In schnellen Schritten lief ich los, dabei fühlten sich meine Beine wie Gummi an. Das Stechen in meiner Brust wurde stärker, aber vielleicht war es nur Einbildung, vielleicht war alles nur Einbildung, vielleicht würde sich alles als Irrtum herausstellen, vielleicht war dies gerade nur ein Albtraum, von dem ich gleich erwachen würde und mich dann in meinem gemütlichen krebsfreien Leben einkuscheln könnte …

Ich lief geradeaus weiter. Verfickte Scheiße. Muss ich sterben? Oh mein Gott, hilf mir! Du hast keine Zeit für solche Fragen, Reyhan, du musst jetzt handeln: Go for it!

Das Brustzentrum lag in der zweiten Etage des Krankenhauses. Ich ging vom Foyer direkt links auf die Anmeldung zu, an der eine junge Frau mit auffällig langen künstlichen Wimpern saß.

»Ich bräuchte bitte einen Termin«, erklärte ich.

»Termine haben wir leider erst wieder im Mai«, sagte sie in einem routinierten Singsang.

»Bis dahin kann ich nicht warten. Ich habe Brustkrebs,« antwortete ich ziemlich brüsk. Hatte ich das Wort etwa gerade selbst ausgesprochen? Es ging mir so leicht über die Lippen, als spielte ich nur eine Rolle und würde Text aus einem Drehbuch aufsagen.

»Oh, dann muss ich mit einer der Ärztinnen sprechen«, sagte sie erschrocken, als hätte sie das erste Mal von dieser Krankheit gehört. »Bitte warten Sie draußen, ich hole Sie dann rein.«

Ich ging wieder raus und setzte mich auf einen der Stühle im Foyer des Brustzentrums. Die vielen vorbeigehenden Menschen nahm ich nur schemenhaft wahr. Noch immer völlig verstört, rief ich meinen Bruder an und erzählte ihm, was passiert war.

»Ach du … Schei-ße!!« Er rang nach Worten. Das Verhältnis zu meinem jüngeren Bruder war schon immer eng, ich weiß nicht mehr genau, was ich ihm alles erzählt habe, aber es ging um meine Todesangst, die Furcht vor der Behandlung und die Frage, warum es ausgerechnet mich getroffen hatte. In unserer Familie waren bisher keine Krebserkrankungen aufgetreten, auch bei meinen Verwandten mütterlicher- und väterlicherseits in der Türkei nicht. Ich war also die Erste. Genauso wie ich die Erste in der Familie war, die promoviert hatte. Eine muss immer den...


Sahin, Reyhan
Reyhan Sahin aka Dr. Bitch Ray, geboren in Bremen, ist Sprach-, Migrations-, Islam- und Rassismusforscherin, politische Aktivistin, Bildungsreferentin, Rapperin, Performance-Künstlerin, Schauspielerin, Modemacherin und Autorin. Einem breiten Publikum ist sie als Rapperin Lady Bitch Ray bekannt. Für ihre wissenschaftliche Studie zum Bedeutungsgehalt des muslimischen Kopftuchs in Deutschland wurde sie mit dem Deutschen Studienpreis ausgezeichnet.

Artikel von ihr erscheinen u. a. in der Zeit, taz und der Süddeutschen Zeitung. Ihr Buch Yalla, Feminismus (2019) wurde von Kritik und Publikum gefeiert.

Sahin, Reyhan
Reyhan Sahin aka Dr. Bitch Ray, geboren in Bremen, ist Sprach-, Migrations-, Islam- und Rassismusforscherin, politische Aktivistin, Bildungsreferentin, Rapperin, Performance-Künstlerin, Schauspielerin, Modemacherin und Autorin. Einem breiten Publikum ist sie als Rapperin Lady Bitch Ray bekannt. Für ihre wissenschaftliche Studie zum Bedeutungsgehalt des muslimischen Kopftuchs in Deutschland wurde sie mit dem Deutschen Studienpreis ausgezeichnet.
Artikel von ihr erscheinen u. a. in der Zeit, taz und der Süddeutschen Zeitung. Ihr Buch Yalla, Feminismus (2019) wurde von Kritik und Publikum gefeiert.

Reyhan Sahin aka Dr. Bitch Ray, geboren in Bremen, ist Sprach-, Migrations-, Islam- und Rassismusforscherin, politische Aktivistin, Bildungsreferentin, Rapperin, Performance-Künstlerin, Schauspielerin, Modemacherin und Autorin. Einem breiten Publikum ist sie als Rapperin Lady Bitch Ray bekannt. Für ihre wissenschaftliche Studie zum Bedeutungsgehalt des muslimischen Kopftuchs in Deutschland wurde sie mit dem Deutschen Studienpreis ausgezeichnet.

Artikel von ihr erscheinen u. a. in der Zeit, taz und der Süddeutschen Zeitung. Ihr Buch Yalla, Feminismus (2019) wurde von Kritik und Publikum gefeiert.



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