E-Book, Deutsch, 192 Seiten
Sahler Freche Mädchen – freche Bücher!: Headline mit Herz
13001. Auflage 2013
ISBN: 978-3-522-65187-5
Verlag: Planet! in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 192 Seiten
Reihe: Freche Mädchen – freche Bücher!
ISBN: 978-3-522-65187-5
Verlag: Planet! in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Martina Sahler, Jahrgang 1963, lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Köln. Das Studium der Germanistik und Anglistik brachte ihr auch die Erkenntnis, dass ihr die bunte Praxis des Schreibens lieber ist als die graue Theorie. Nach Volontariat in einem großen Publikumsverlag und mehrjähriger Arbeit als fest angestellter Redakteurin für Belletristik arbeitet sie seit über 20 Jahren freiberuflich rund ums Buch - als Ghostwriter, Lektorin und Autorin. In ihrem Büro mit Blick in Bergische Wälder und den Katzen Lottie und Lilly um die Beine schreibt sie Jugendbücher und historische Romane.
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Da hilft keine Schokolade!
In der vierten Stunde fällt Englisch aus. Nach Hause zu gehen lohnt sich nicht. Zu Fuß sind das rund zwanzig Minuten am Rhein entlang.
Also verbringen meine drei Freundinnen Jenny, Amelie, Lotta und ich die Zeit bis zu den letzten beiden Stunden Geschichte und Mathe im »Keller«, wie der Aufenthaltsraum der Gesamtschule allgemein genannt wird, weil man drei Stufen hinabsteigen muss, um den verwinkelten Raum, in dem Sofas und Sessel kreuz und quer herumstehen, zu erreichen.
Das sind meine beiden Heimatplaneten im Weltall »Gesamtschule am Park«: einerseits das Redaktionsteam der Insight mit Techniker Lasse und Fotografin Ilona, Sportreporter Marvin und Zicke Celine, andererseits unser Freundinnen-Glückskleeblatt aus der 8c mit Lotta, Jenny, Amelie.
Die anderen, die in meiner Klasse und in den AGs um mich herumschwirren, kümmern mich nicht. Was soziale Kontakte angeht, bin ich mit diesen Leutchen im Alltag am Limit.
Nach der Redaktionssitzung am frühen Morgen hatte ich befürchtet, dass sich in der Schule längst herumgesprochen hat, welch großartiger Contest da auf uns zurollt.
Doch falsch gedacht. Die meisten Schüler sind an den Stapeln der Flyer am Getränkeautomat vorbeigegangen, ohne sie zu bemerken.
Aber kein Grund zur Entwarnung. Die Nachricht wird sich in den nächsten Stunden und Tagen wie ein Buschfeuer verbreiten. Insofern haben die Leute vom Konkurrenzblatt gar nicht unklug gedacht. Nach dieser Aktion wird jeder die neue Zeitschrift kennen.
Aber ob sie sie auch schätzen werden?
Das ist die Frage, die mich unruhig werden lässt, als säße ich auf einem Ameisenhaufen.
Meine geheime Hoffnung ist, dass sehr viele Leute ihren Verstand einschalten und die Aktion so peinlich finden werden, wie sie tatsächlich ist.
Außerdem – wer ist unterbelichtet genug und nimmt freiwillig an so einem Wettbewerb teil, um sich vor allen anderen zum Kasper zu machen?
Also, meine Freundinnen wären die längste Zeit meine Freundinnen gewesen, wenn sie auf die Idee kämen, meinen Namen und mein Bild an die Redaktion zu schicken.
Jenny, Amelie und Lotta wissen noch von nichts, als wir uns zwei Sofas gegenübergestellt haben und uns draufplumpsen lassen.
Jenny und Amelie lümmeln sich auf der einen Couch, Lotta und ich auf der anderen. Der Duft nach Waffeln und löslichem Kaffee hängt in der Luft. Das Laber-Rhabarber der anderen, die ebenfalls Freistunde haben, bildet eine vertraute Geräuschkulisse.
Eigentlich hängen wir vier aneinander wie festgetackert, seit wir auf der Fahrt in der siebten Klasse ein Zimmer miteinander teilen mussten. Aber wenn ich mich für eine der drei entscheiden müsste, wäre das immer Lotta. Wir beide sind ein Dreamteam, genau wie Amelie und Jenny.
Was uns alle vier miteinander verbindet, ist, dass wir uns über dieselben Gags wegschmeißen können. Es hat schon Freistunden gegeben, in denen wir kein Wort mehr gewechselt haben vor lauter Giggeln. Das sind die schönsten Stunden.
Was uns trennt, sind unsere Vorstellungen von gelungener Freizeitgestaltung. Keine der drei interessiert sich fürs Schreiben. Im Gegenteil. Jenny hasst Aufsätze und Amelie hat quasi noch nie in ihrem Leben ein Buch freiwillig durchgeblättert.
Lotta lässt sich zumindest immer auf den neuesten Stand in Bezug auf die Insight bringen.
Was uns außerdem unterscheidet, sind unsere Ansichten darüber, welchen Stellenwert Jungs in unserem Leben haben.
Bei Lotta und mir rangieren sie auf den unteren Rängen zwischen Zahnfleischbluten und Virenalarm.
Bei Jenny und Amelie besetzen die Themen Jungs und Liebe die Topplätze auf der nach unten und oben offenen Skala: »Was ist wirklich wichtig im Leben?« Sie könnten von morgens bis abends über nichts anderes quatschen, als darüber, wer gerade mit wem geht und wer mit wem auf der letzten Party geknutscht hat. Sie hatten auch beide schon Freunde, aber die haben sie jeweils nach spätestens zwei Wochen »abgeschossen«.
Lotta und mich kümmert das alles so viel wie ein Sack Reis.
»Lottaaaaa?« Jenny macht kugelrunde Augen, während sie Lotta bittend anschaut und ihren Namen in die Länge zieht. Sie streckt die Hand aus und legt den Kopf schief.
Lotta versteht. Sie bückt sich zu ihrem Rucksack und zieht das Matheheft hervor, das sie Jenny auf die offene Hand klatscht. Für Geschichte sollten wir uns nur einen Quellentext durchlesen, aber in Mathe gab es übelst viele Aufgaben.
Jenny strahlt, wie nie ein Mensch zuvor gestrahlt hat. »Du bist ein Schatz!«
Jenny ist ohne Diskussion die Attraktivste von uns. Ihre glänzenden blonden Haare sind gerade und millimetergenau auf Schulterhöhe geschnitten. Sie trägt sie mit Seitenscheitel. Manchmal frage ich mich, wie sie es ohne Spangen oder Haarbänder schafft, dass die Haare von morgens bis mittags wie festzementiert liegen. Sie umrahmen ihr gebräuntes Gesicht mit den grauen Augen und dem hübsch geschwungenen Mund. Jenny macht in jeder Lebenslage eine fantastische Figur. Im Unterricht gibt es Lehrer, die sie eindeutig bevorzugen, weil sie jetzt schon aussieht wie eine Studentin, und am Rand des Sportplatzes ist sie die Chefin der Cheerleading-Gruppe »Pink Angels«, mit denen sie auch schon Wettbewerbe gewonnen hat. Nur beim Cheerleading hat sie die Haare zu einem Zopf wie ein Rasierpinsel zusammengefasst. Ich habe noch nie erlebt, dass sich daraus selbst bei gewagten Stunts ein Härchen gelöst hätte.
Jenny hat eine beneidenswerte Disziplin. Jedenfalls außerhalb der Schule. Und sie hat eine scharfe Zunge, die jeder zu spüren bekommt, der sich mit ihr anlegt. Auf ihre gemeinen Lästereien, die gern auch unter die Gürtellinie gehen, könnte ich allerdings verzichten. Genau wie auf ihre Marotte, Menschen mitunter auszunutzen. Wie jetzt Lotta, die ihr ohne Widerstand die Mathe-Hausaufgaben zum Abschreiben überreicht.
Jenny öffnet das Heft und schlägt die Seite auf, auf der die säuberlichen Zahlenreihen unter dem heutigen Datum stehen, und beginnt, die Rechnungen in ihren Collegeblock zu übertragen.
Amelie quetscht sich dicht neben sie, schiebt den Hut aus der Stirn und öffnet einen Filzstift, indem sie die Kappe mit den Zähnen abnimmt und im Mund behält. Amelie hat einen Hüte-Tick und ich frage mich echt, wo sie die abgefahrenen Teile immer auftreibt. Fast jede Woche führt sie uns ein neues Modell vor. Diesmal ist es ein silberfarbener Dandy-Hut mit Krempe und Knick, der locker auf ihren wuscheligen rotbraunen Haaren sitzt. Sie sehen aus wie Herbstlaub, durch das ein Sturm gefahren ist.
Hüte sind das Einzige, was Amelie nicht eigenhändig macht. Ihr komplettes Outfit besteht aus selbst entworfenen und geschneiderten Teilen. Sie hat dabei ein Faible für wilde Mustermixe und knallige Farben. Kein Ding für sie, dass sie deswegen an unserer Schule auffällt wie ein Zebra auf dem Ponyhof. Ihr eigenartiger Geschmack könnte auch mit ihrer Vorliebe für Rollenspiele zusammenhängen. Amelie spielt nicht nur am PC in mittelalterlichen Welten, sondern geht auch an manchen Wochenenden mit Schwert und Zaubertrank in den bergischen Wäldern rings um Köln auf ihre nicht weniger bekloppten Gegner los.
Aber ich will nicht lästern. Jedem so, wie es ihm gefällt. Am Ende finde ich persönlich vor allem entscheidend, dass man überhaupt eine Sache hat, die man mit Leidenschaft betreibt, und nicht wie ein Schluck Wasser herumhängt.
Und Leidenschaften haben wir alle vier: Lotta will nichts als gute Noten, Jenny verbringt ihre komplette Freizeit mit den Cheerleadern, Amelie geht in ihren Rollenspielen auf und mein Herz hängt am Schreiben. Passt!
»Wie würden wir nur ohne dich überleben, Lotta«, murmelt Amelie undeutlich mit der Kappe zwischen den Zähnen, während ihre Nasenspitze fast die karierten Seiten berührt.
»Tja, vielleicht selbst mal kapieren, wie es funktioniert?«, gibt Lotta zurück, aber sie lächelt dabei voll lieb. Lotta sagt nie wirklich gemeine Dinge, schon gar nicht zu Jenny und Amelie. »Nächste Woche schreiben wir die Arbeit und ihr wisst, dass es unmöglich ist, zu schummeln, wenn der Loddar Aufsicht hat.«
Loddar heißt eigentlich Lothar Gerstenberg und ist unser gnadenloser Mathelehrer.
Jenny winkt ab. »Ach, ich begreife das sowieso alles nicht. Am besten im Unterricht die mündliche Note aufpimpen, indem ich die Hausaufgaben vorlese. Dann kann ich die Arbeit auch versemmeln. Das gleicht sich dann wieder aus. Und außerdem«, Wimperngeklimper in Richtung Lotta, »haben wir es bisher immer geschafft, den Loddar auszutricksen. Wenn er nicht guckt, tauschen wir für ein paar Minuten, bis ich alles gerafft habe, die Klassenarbeitshefte, ja? Und wenn ich abgeschrieben habe, reiche ich mein Heft an Amelie weiter.«
Mathe ist auch für mich ein Horrorfach. Wie überhaupt alle Fächer, die nichts mit Sprache zu tun haben. In Deutsch, Englisch, Französisch stehe ich locker auf Eins, alle anderen Fächer sind bestenfalls bei einer Drei minus. Aber von Lotta abzuschreiben, um dann mit ihrem Wissen im Unterricht und bei den Klassenarbeiten zu punkten, passt mir nicht. Das weiß auch Jenny, weswegen sie mich in ihren abgefahrenen Schummelplan gar nicht erst einbezieht. Lieber rackere ich zu Hause allein und versuche es irgendwie selbst.
Für die Mathe-Arbeit muss ich auf jeden Fall noch lernen.
Aber nicht heute. Vielleicht morgen.
Auf Lottas blassen Wangen bilden sich rote Flecken, während Jenny und Amelie ihr überschwänglich danken. Ich weiß genau, wie wichtig es für Lotta ist, von uns anerkannt zu werden. Und ich weiß, dass sie mit gruseligen Minderwertigkeitskomplexen zu kämpfen hat.
Sie ist die Kleinste von uns...