E-Book, Deutsch, 179 Seiten, Gewicht: 1 g
Salvi / Zobrist Zwischen Last und Leistung
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-03823-991-8
Verlag: NZZ Libro
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Steuerkompass für die Schweiz
E-Book, Deutsch, 179 Seiten, Gewicht: 1 g
ISBN: 978-3-03823-991-8
Verlag: NZZ Libro
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Schweiz ist kein Tiefsteuerland. Trotz einer vergleichsweise schwachen Progression ist die Belastung hoch. Im Durchschnitt muss eine erwachsene Person rund 55% ihres Einkommens in Form von Steuern und Abgaben abliefern.
Fast die Hälfte davon erhält sie als Renten und Geldleistungen zurückerstattet. Das Schweizer Steuer- und Transfersystem leidet an drei zentralen Schwachstellen: Es fehlt an Neutralität und Transparenz, und die Umverteilung ist zu wenig gezielt.
Dieses Buch plädiert für eine Besteuerung mit Prinzip. Ziel ist eine Steuersystem, das den Konflikt zwischen Last und Leistung minimiert und den künftigen Herausforderungen gerecht wird. Dazu werden im wesentlichen 13 grössere Reformen vorgeschlagen.
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02
Wer zahlt wie viele Steuern?
Steuern und Abgaben: 3420 Franken pro Monat und Person
Zwangsabgabenquote steigt langsam, aber stetig an
Einkommen: gleicher verteilt als man denkt
Die Schweiz als Land der Sparschweinchen
Wie wirkt der Steuerwettbewerb auf die Umverteilung?
Ein eigenartiger Steuercocktail
Viele Schweizer und ihre Medien sind davon überzeugt, dass sie in einem Tiefsteuerland leben. Mehr noch: Manche glauben, der Erfolg der Schweizer Volkswirtschaft sei vor allem ihrem Steuersystem und dem internationalen Steuerwettbewerb zu verdanken – und somit nicht «nachhaltig» oder «verdient». Gleichzeitig warnen andere, die Schweiz habe «das progressivste Steuersystem von Europa» (Eichenberger 2013). Wie lassen sich diese auf den ersten Blick entgegengesetzten Aussagen erklären? Wer hat Recht? Mit Blick auf ein «gutes» Steuer- und Transfersystem muss man sich zuerst klar werden, wer wie viele Steuern zahlt und wie die Einkommensverteilung durch das Steuersystem umgepflügt wird. Dieses Einmaleins des Schweizer Steuersystems steht im Zentrum dieses Kapitels.
Steuern und Abgaben: 3420 Franken pro Monat und Person
Ausgangspunkt der folgenden Analyse ist Abbildung 1, die summarisch und auf aggregierter Ebene die Einkommenssituation vor und nach Steuern und Zwangsabgaben darstellt.2 Im Jahr 2011 erwirtschaftete die in der Schweiz wohnhafte erwachsene Bevölkerung – rund 6,4 Millionen Personen – ein Nationaleinkommen von 485 Milliarden Franken, rund 6300 Franken pro erwachsener Person und Monat.3 Das Nationaleinkommen umfasst Löhne, Gewinne und sämtliche Sozialabgaben – auch jene, die vom Arbeitgeber bezahlt werden und einen (für den Arbeitnehmer unsichtbaren) Lohnbestandteil darstellen. Diese Zahl stellt das beste Mass zur Abbildung der durchschnittlichen Einkommenssituation dar, weil sie, im Gegensatz zum oft zitierten Bruttoinlandprodukt, nicht die Wertschöpfung im Inland, sondern die Wertschöpfung der im Inland ansässigen Personen misst und diese zudem um die Abschreibungen korrigiert.4 Die Schweiz hat in den letzten Jahrzehnten ein enormes Vermögen im Ausland aufgebaut, das jahrein, jahraus Zinsen und Dividenden abwirft. In den letzten 10 Jahren war der durchschnittliche weltweite «Fussabdruck» der Schweizer pro Jahr denn auch gut 20 Milliarden Franken grösser als die im Inland erwirtschafteten Leistungen.
2 Darstellung in Anlehnung an Landais et al. (2011), die diese für Frankreich präsentieren.
3 Hier werden nur Personen, die älter als 18 Jahre sind, betrachtet, da jüngere kaum ein eigenes Einkommen erwirtschaften.
4 Daher die offizielle Bezeichnung von Nettonationaleinkommen (NNI). Im Bruttoinlandprodukt (BIP) sind die Einkommensbestandteile von Inländern, die im Ausland erwirtschaftet werden, nicht enthalten. Diese sind für eine kleine offene Volkswirtschaft wie die Schweiz von grosser Bedeutung. Auch müssen Abschreibungen vom Einkommen von Kapitaleigentümern abgezogen werden. Denn Maschinen müssen unterhalten werden, bevor Gewinne verteilt werden. Damit misst das Nationaleinkommen den subjektiven Wohlstand besser als das BIP.
Abbildung 1
Vom Nationaleinkommen zum verfügbaren Einkommen
Im Jahr 2011 erwirtschaft eten in der Schweiz wohnhaft e Personen rund 6300 Franken pro Kopf. Nach staatlicher Umverteilung blieben noch rund 4570 Franken (72,5%) als frei verfügbares Einkommen.
Von den genannten 6300 Franken kann die Durchschnittsperson am Ende über fast drei Viertel frei verfügen, nämlich über 4570 Franken im Monat. Dazwischen passiert aber einiges. Zuerst wird die Hälfte des Nationaleinkommens vom Staat eingezogen. Das heisst, dass 3420 Franken als Steuern oder Sozialversicherungsbeiträge in die Kassen von Bund, Kantonen, Gemeinden, AHV, IV, ALV, SUVA, Pensionskassen, obligatorischen Krankenkassen und weiteren Sozialversicherungsanstalten fliessen. Davon machen die reinen Steuern mit 1610 Franken pro Monat weniger als die Hälfte aus – ein bedeutendes Phänomen, auf das öfters zurückzukommen sein wird. Beim Anteil der Zwangsabgaben am Einkommen unterscheidet sich die Schweiz kaum von ihren Nachbarn. So mussten 2010 in Frankreich 49% des Verdienstes als Zwangsabgaben abgetreten werden – was auf dem deutlich tieferen Einkommen von umgerechnet nur 3360 Franken allerdings noch um einiges schmerzhafter ist (Landais et al. 2011).
Steuern und Sozialversicherungsbeiträge dienen zur Finanzierung der beiden Hauptaufgaben des Staates: der Erbringung öffentlicher Leistungen und der Umverteilung. Damit gemeint sind die gesamte Infrastruktur und sämtliche öffentlichen Institutionen (Armee, Justiz, Verwaltung usw.) bzw. sämtliche Renten und Geldleistungen (AHV, BVG, Sozialhilfe usw.). Durch den Erhalt dieser Transfersummen bleiben den Steuerzahlern pro Kopf letztlich doch 72,5% des Nationaleinkommens als frei verfügbares Einkommen.
Zwangsabgabenquote steigt langsam, aber stetig an
Steuern zu bezahlen bedeutet also in der Schweiz nicht bloss, den aus der Steuererklärung resultierenden Betrag abzuliefern. Damit fällt die Gesamtbelastung deutlich höher aus als gemeinhin angenommen wird. Deshalb trügt der Blick auf die Fiskalquoten-Statistik der OECD. Die Schweiz schneidet darin mit 28% (2011) nur deshalb so gut ab, weil die Abgaben für die berufliche Vorsorge, die obligatorische Krankenversicherung und die Unfallversicherung nicht einberechnet werden. Diese Abgaben stellen aber alle Zwangsabgaben dar; in anderen Ländern werden die entsprechenden Leistungen mit Steuereinnahmen finanziert. Rechnet man daher die Fiskalquote als das Verhältnis sämtlicher Steuern und Abgaben zum Nationaleinkommen, also als Zwangsabgabenquote, wie im vorherigen Abschnitt erklärt, stellt man eine raschere Zunahme der Quote in den 90er Jahren und seither eine Stagnation auf höherem Niveau fest (Abbildung 2).
Der schleichende Anstieg der Sozialversicherungsbeiträge (an staatliche wie an private Anstalten) ist einer der Gründe für das Unbehagen des Mittelstandes bezüglich seiner Einkommensentwicklung. Die Ökonomen können noch lange erklären, dass die Schweizer Volkswirtschaft seit 1990 real um einen Drittel gewachsen ist – wenn sich die steigenden Einkommen, mit einer gewissen Unsicherheit, erst bei der Pensionierung in bare Münze umwandeln werden, bleibt das Wachstum wenig spürbar.
Die Zwangsabgabenquote ermöglicht es, realistischere Abbildungen der Gesamtsteuerbelastung vorzunehmen. Die aggregierte Sicht vernachlässigt aber individuelle Unterschiede – sie blendet die Verteilungsfrage aus. Erst wenn dieser Aspekt berücksichtigt wird, lässt sich sagen, wie stark der Staat die Einkommensverteilung effektiv umpflügt.
Abbildung 2
Die Schweiz, kein Tiefsteuerland
Der Blick auf die Fiskalquoten-Statistik der OECD trügt. Werden alle Zwangsabgaben einberechnet (alle Sozialversicherungsbeiträge und die obligatorische Krankenversicherung), liegt die Quote deutlich höher.
Einkommen: gleicher verteilt als man denkt
Doch wie sieht die Einkommensverteilung aus, wenn der Staat gar nicht eingreifen würde? Entgegen der weitverbreiteten Meinung sind die Einkommen vor Steuern und Abgaben hierzulande relativ gleich verteilt. Mit einem Gini-Koeffizienten5 der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter von 0,34 ist die Schweiz nach Südkorea das Land mit der gleichmässigsten Einkommensverteilung – der OECD-Durchschnitt liegt bei 0,41 (OECD 2011b: 36). Bereits vor jeglicher Umverteilung verfügt die Schweiz demnach nicht nur über sehr hohe, sondern auch über im Ländervergleich homogen verteilte Einkommen. Noch besser – sogar besser als die nordischen Länder – schneidet die Schweiz ab, wenn man die Stundenlöhne der Vollzeitbeschäftigten betrachtet: Hier hat sie mit einem Gini-Koeffizienten von nicht ganz 0,25 sogar die gleichmässigste Verteilung (Koske et al. 2012). Zwar sind die Löhne nur ein Bestandteil des Einkommens, nach wie vor aber der weitaus wichtigste für den Grossteil der Bevölkerung.
5 Der Gini-Koeffizient ist ein Mass für die Einkommensverteilung. Er bewegt sich zwischen 0 und 1. Bei einem Wert von 0 haben alle gleich viel – das Einkommen ist vollkommen gleichmässig verteilt. Bei einem Wert von 1 besitzt eine Person das gesamte Einkommen.
Aussergewöhnlich ist zudem, dass sich die Einkommensverteilung in den letzten 80 Jahren praktisch nicht verändert hat. Sowohl der Anteil des reichsten 1% als auch jener der reichsten 10% am Gesamteinkommen ist im internationalen Vergleich äusserst stabil geblieben (Schaltegger und Gorgas 2011; The World Top Incomes Database 2013). Abbildung 3 zeigt, dass der Top-1%-Anteil über 80 Jahre hinweg bloss zwischen 8% und 12% schwankte. Zwar hat er vor der jüngsten Wirtschaftskrise auch in der Schweiz zugenommen, doch ist diese Zunahme bezogen auf den gesamten Verlauf der Kurve nicht bedeutend – zumal der Anteil Ende der 1930er sowie in den 1960er und Anfang der 1970er Jahre ebenso hoch oder sogar noch höher war als heute – und sie wurde teilweise bereits wieder korrigiert. Von einer sich öffnenden Einkommensschere kann deshalb nicht die Rede sein.
Neben dem Einkommen...