E-Book, Deutsch, 300 Seiten
Satzger Die Klippen von Perronec
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-7641-9136-8
Verlag: Ueberreuter Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 300 Seiten
ISBN: 978-3-7641-9136-8
Verlag: Ueberreuter Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
'Im Licht der untergehenden Sonne waren die Felsen in intensive Rottöne von Orange-Gelb bis Violett getaucht. Oberhalb der steilen, von Strauchwerk durchsetzten Klippen schlängelte sich der Pfad die Küste entlang. Würzig duftendes, wild wucherndes Heidekraut und riesige, bizarr geformte Felsen rahmten ihn ein.'Es ist wie Liebe auf den ersten Blick. Nicht nur die traumhafte rosafarbene Granitküste der Bretagne hat es Marie auf Anhieb angetan, auch der gutaussehende Yann mit den betörend grünen Augen geht ihr nicht mehr aus dem Kopf. Als dieser sich ausgerechnet für sie zu interessieren scheint, schwebt Marie im siebten Himmel. Doch dann passiert ein schreckliches Unglück und Yann verschwindet spurlos. Zurück bleibt ein übler Verdacht. Was ist wirklich geschehen und kann Liebe sich so täuschen?
Elke Satzger studierte Kunstgeschichte, Germanistik und Ethnologie in München, besuchte die Burda-Journalistenschule und arbeitet als Redakteurin. Sie besuchte Schreibworkshops bei renommierten Autoren. Zuletzt erschien von ihr 'Lotti kann nicht pupsen', demnächst entführt sie ihre Leser mit 'Finnja Feentochter' in ein magisches Abenteuer. Elke Satzger ist verheiratet, hat zwei erwachsene Töchter und lebt in München.
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»Marie, endlich … Mon Dieu, bist du aber gewachsen.« Marie blickte in weit aufgerissene wässrig-blaue Augen. Na super. Gut, dass sie jemand darauf hinwies, wie riesig sie war. Sie hätte es ja sonst glatt vergessen. »Hallo, Tante Sofie. Das ließ sich nicht vermeiden. Ist ja schon ein paar Jährchen her, dass wir uns gesehen haben«, antwortete sie schnippischer als gewollt. »Wie wahr, mein Kind, wie wahr. Wenn ich das von meinem Gewicht nur auch behaupten könnte, das hätte sich durchaus vermeiden lassen«, schmunzelte Sofie und tauchte die Hände in die Taschen ihres blau-weiß karierten Bademantels. »Wo hab ich denn nur …? Ach, da ist es ja.« Sie förderte ein Portemonnaie zutage, zählte ein paar Scheine ab und reichte sie dem geduldig wartenden Fahrer. »Stimmt so«, sagte sie und nickte ihm zu. Der tippte mit dem Finger an seine bunt geringelte Häkelmütze, lief zurück zu seinem Wagen und war kurz darauf verschwunden. »Nun komm erst mal rein.« Fröstelnd schlang Sofie die Arme um sich, was wegen ihres gewaltigen Busens nur zum Teil gelang. »Tut mir echt leid, dass es so spät geworden ist«, begann Marie, während sie Sofie nach innen folgte. »Ts, ts, ts, da kannst doch du nichts dafür oder hast du aus Langeweile ein paar Schrauben verstellt?« Schelmisch zwinkerte Sofie Marie zu. »Würde ich nie machen«, erwiderte Marie und grinste. »Unter uns: Mir ist das ohnehin ein Rätsel, wie Flugzeuge fliegen können. Nur gut, dass sie den Defekt rechtzeitig bemerkt haben, nicht wahr? Nicht auszudenken!« Sofie verriegelte die Tür, drehte sich zu Marie um und breitete die Arme aus. »Nun lass dich aber erst mal knuddeln.« Knuddeln? War sie ein Teddy? Doch ehe sich Marie versah, wurde sie an den Busen ihrer Tante gedrückt und einem Pingpong von Küssen ausgesetzt. Linke Wange, rechte Wange, linke Wange, rechte Wange. »Ach Mäuselein, ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich mich freue, dich endlich mal wieder hier bei mir zu haben. Und im Ernst – du bist enorm in die Höhe geschossen, man könnte fast sagen, du willst hoch hinaus, nicht wahr?« Sofie lachte und knuffte sie in die Seite. »Etwas mehr auf den Rippen könnte dir nicht schaden. Isst du nicht genug? Hast du Hunger? Aber natürlich, wie dumm von mir, du musst Hunger haben. Komm mit in die Küche.« In ihren grauen Filzpantoffeln und dem bodenlangen weißen Nachthemd schlurfte Sofie quer durch die quadratische Eingangshalle über schwarz-weiße Fliesen, die wie ein Schachbrett für Riesen aussahen. Die Wände waren zu drei Vierteln mit schwarzem Holz vertäfelt. Ebensolche Balken spannten sich wie Rippen über die weiß getünchte Decke, von der als glitzernde Wolke ein Kronleuchter herabhing. Es gab mehrere Türen und eine Treppe schwang sich hinauf in die oberen Stockwerke. Sofie öffnete eine Tür am Fuß der Treppe und knipste das Licht an. Mit unwirschem Surren flammte eine Lampe auf und flackerte, als könne sie nicht glauben, zu solch später Stunde noch einmal leuchten zu müssen. »Setz dich.« Sofie wies auf den Stuhl vor dem einzigen Gedeck auf dem blank gescheuerten Kiefernholztisch. Es bestand aus einem blauen Henkelbecher, von dem Marie das englische Brautpaar William und Kate in einem goldenen, herzförmigen Rahmen anstrahlte, und einem dazu passenden Keramikteller samt Besteck. Tante Sofie schenkte Marie aus einer Thermoskanne Kräutertee ein, der lauwarm und fast schwarz war, öffnete den riesigen Kühlschrank und krabbelte förmlich hinein. Wie ein kariertes Daunenkissen ragte ihre gewaltige Kehrseite aus der Tür hervor. Porzellan klapperte und ein paar Unmutslaute drangen aus der Tiefe. Schließlich förderte sie einen großen Teller zutage und kickte mit dem Po die Tür zu, was der Kühlschrank mit einem wohligen Brummen quittierte. »Jetzt guck dir das an«, schimpfte sie, »wie die Termiten.« Marie sah sie mit großen Augen an. »Die Jungs«, erklärte Sofie und deutete auf den Teller. »Hier lag heute Abend noch ein Stück kalter Braten. Und jetzt? Nur noch ein Eckchen. Dabei habe ich ausdrücklich darum gebeten, die Finger davon zu lassen.« Verärgert stellte sie die Platte auf den Tisch. Marie verkniff sich die Bemerkung, dass sie kalter Braten ohnehin kaltließ. Allein das, was sich sonst noch auf dem Teller befand, ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen: Käse, der aussah wie Buttercremetorte, Weintrauben, hart gekochte Eier und Schinken. Aus einem Brotkasten holte Sofie einen kantigen Laib hervor – »heute von mir gebacken« –, drückte ihn gegen die Brust und säbelte mit einem großen Messer dicke Scheiben ab. »Greif zu, mein Schatz.« Marie ließ sich das nicht zweimal sagen. »Jungs? Ich dachte, wir beide seien allein?«, fragte Marie zwischen zwei Bissen. »Ja, wenn dem nur mal so wäre«, seufzte Sofie und wischte Brotkrümel vom Tisch auf ihren Handteller. »Ich hatte mich so darauf gefreut, ein paar ruhige und gemütliche Wochen mit dir zu verbringen. Aber daraus wird nichts. Sie sind alle da.« Marie betrachtete kauend das Gesicht ihrer Tante und spürte einen Anflug schlechten Gewissens. Sie schien wirklich bekümmert, was man von ihr selbst nicht behaupten konnte. Gern nahm sie geplünderte Kühlschränke in Kauf, wenn sie nur nicht drei Wochen mit Kaffeekränzchen und dem Betrachten vergilbter Fotoalben, mit dem Häkeln von Topflappen oder dem Einkochen von Himbeeren und Brombeeren verbringen musste – lauter so Kram, den nach Maries Meinung Damen jenseits der siebzig so trieben. Wobei natürlich auch noch das spezielle Risiko bestand, putzen zu müssen. Schließlich durfte Tante Sofie in diesem Anwesen nur deshalb wohnen, weil sie hier bereits seit der Jungsteinzeit als Haushälterin diente, wenn Marie ihre Mutter richtig verstanden hatte. Laute Schritte hallten auf dem Fliesenboden der Halle wider und rissen Marie aus ihren Gedanken. Einen Moment später wurde die Küchentür aufgestoßen und ein junger Mann blieb, die Klinke in der Hand, wie angewurzelt stehen. »Mon Dieu, Cedric, willst du mich vorzeitig ins Grab bringen?« Sofie blickte erschrocken hoch, eine Hand auf der Brust. »Sofie, was machst du denn … oh, hallo, wen haben wir denn da?« Cedric grinste schief, während er in seinen schwarzen Cowboystiefeln zum Tisch schlurfte und Marie, noch ehe sie den Kopf abwenden konnte, ein Kuss-Pingpong verpasste. Entgeistert blickte Marie ihn an. Was fiel denn dem ein? Doch Cedric schien Maries Befremden ebenso wenig zu bemerken wie ihre Tante. Mit großem Interesse musterte er die kalte Platte, griff sich ein ganzes Stück Brie und biss ein großes Stück davon ab. »Cedric«, schimpfte Sofie, »was fällt dir denn ein? Nimm dir bitte ein Messer und einen Teller, wenn du etwas essen möchtest.« Cedric musterte Sofie kauend. »Schlimm, schlimm, meine Manieren, ich weiß. Am besten, du hörst auf, dich darüber zu ärgern. Macht nur Falten.« Grinsend strich er sich eine widerspenstige Strähne seiner welligen schulterlangen Haare hinters Ohr und warf Marie einen Beifall heischenden Blick zu. Kein Zweifel, es gefiel ihm, sich über Sofie lustig zu machen. Wahrscheinlich fand er sich supercool, wie er so mit einer Pobacke auf dem Tisch saß, das herabhängende Bein baumeln ließ und den Brie verspeiste. Er trug schwarze verwaschene Röhrenjeans und ein anthrazitfarbenes T-Shirt mit abgeschnittenen Ärmeln, deren ausgefranste Ränder seine muskulösen Oberarme betonten. Auf der Innenseite seines linken Unterarms zogen sich geheimnisvolle Schriftzeichen hoch und auf seiner rechten Schulter ringelte sich der Schwanz einer tätowierten Echse herab. Widerstrebend musste sich Marie eingestehen, dass er wirklich cool aussah. Doch von Typen, die so von sich eingenommen waren, hatte sie die Nase voll. Schnell wischte sie den Gedanken an Moritz beiseite. So hübsch Cedrics Gesicht war, irgendetwas stimmte mit seiner Nase nicht. Sie saß leicht schief im Gesicht und hatte einen Höcker. Und die rechte Augenbraue rund um das Piercing war gerötet und geschwollen. Ungerührt von Sofies Ermahnung nahm Cedric Weintrauben von der Platte und pflückte sie mit dem Mund ab. Sofie schüttelte missbilligend den Kopf, sparte sich aber weitere Kommentare. »Ist das deine Nichte aus Deutschland? Diese … diese … wie heißt sie doch gleich wieder?« »Weshalb fragst du sie nicht selbst? Sie spricht Französisch«, gab Sofie zurück. »Bähh, da sind ja Kerne drin.« Angewidert spuckte Cedric die Trauben auf...