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E-Book, Deutsch, 528 Seiten

Schachinger Martiniloben


1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-903061-43-9
Verlag: Septime Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 528 Seiten

ISBN: 978-3-903061-43-9
Verlag: Septime Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Mona will der kalten Anonymität, dem aggressiven Gegeneinander und dem permanenten Stress in der Stadt entfliehen. Sie zieht in ein Dorf an der Landesgrenze, wo sie sich Ruhe und ein solidarisches Miteinander erhofft.
Fortan pendelt sie zwischen beiden Lebenswelten und stellt fest, dass diese sich im Innersten ähneln. Das Dorf entpuppt sich als ebensolche Hölle wie die Stadt – nur mit einer anderen Dynamik: Mikrokosmos einer Gesellschaft, deren Klima durch Unsicherheit und Ängste dominiert ist, die einen radikalen Egozentrismus und rechte Tendenzen hervorrufen.
Der vermeintlich erstarkte Gemeinschaftssinn äußert sich in manipulativer Sozialkontrolle: Fremdes wird kritisch beäugt, kommentiert und im Zweifel – ausgeschlossen. Als Mona sich für die im Dorf untergebrachten Flüchtlinge einsetzt, erfährt sie Missgunst und Ausgrenzung am eigenen Leib.
Durch Gerüchte genährt und Hetze geschürt, kippt die Stimmung
im Dorf in Übergriffigkeit. Zum Martiniloben, dem Fest des Jahres, dem großen ländlichen Sauf- und Fressgelage, eskaliert die Situation.
»Hass ist ein verstohlen schleichendes Gift, das in der Angst wirkt.«
Ländliche Idylle – mehr Schein als Sein: Mona, ehrgeizige Doktorin der Philosophie, die an der Uni um ihre Professorenstelle kämpft und in ihrem Dorf um die politische Moral, muss lernen, dass ihr Engagement hüben wie drüben Ablehnung hervorruft.
Als wäre das nicht genug, folgt ihr die eigene Vergangenheit wie ein Schatten und greift in ihr gegenwärtiges Leben ein. Sie fühlt sich zunehmend fremdbestimmt und isoliert am Rande der Gemeinschaft.
Private wie berufliche Sorgen und Streitigkeiten bringen Mona in Bedrängnis – nach und nach bekommt sie es mit der Angst zu tun.
Derweil verdichtet sich im städtischen Raum die Problematik: Die Fronten zwischen Arm und Reich verhärten sich, Gewaltexzesse und Unruhen sind an der Tagesordnung, die Gesellschaft kollabiert, die Politik ist hilflos. Wer kann, flieht aufs Land und bunkert sich ein.

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II   Samstag, 30. September       Eine Hand schob ihre Schenkel auseinander, die Decke bewegte sich um sie, ließ kalte Luft ein. Noch nicht, dachte sie, streichle mich, küss mich munter … Tonlos blieben die Gedanken, verhakten sich hinter ihrer schläfrigen Stirn, da war er schon in sie eingedrungen, sein Becken auf ihr, seitlich abgestützt, und sie wollte ihn bitten, sie mit seiner Hand zu karessieren, sehnte sich danach, sein Gewicht zu spüren, seine Bewegungen, er ruckte, ihr Scheitel wurde ans Betthaupt gedrückt, der Polster dämpfte den Schmerz, er rammte sich in sie, zwei, drei Stöße, bis verhaltenes Knurren zu ihr drang, wenig später schwerte sich sein Leib – bleib, wollte sie sagen, damit ich dich zumindest nun genießen kann, doch er zog sich bereits aus ihr zurück, die Decke bewegte sich, ließ kalte Luft ein. Erneut allein. Ihre Hand tastete nach dem Eck der Tuchent, zerrte daran, bis ihre Schultern wieder bedeckt waren. Noch war es dunkel im Zimmer. Nur das Krähen eines Hahnes war zu hören, und als Emils Atmen seinen Ton veränderte, drehte Mona den Kopf zur Seite, starrte die Wand an, ›besprenge mich Ysop, dann werde ich rein; wasche mich, dann werde ich weißer als Schnee‹, sieben Mal und alles werde heil, die Bitternis hinabgewürgt, und es dauerte, Ruhe in sich zu finden, einzudösen, eine schlafähnliche Trägheit, aus der sie langsam erst in Tiefen hinabglitt. In diese schlich Toni sich durch eine Milchglastür ein, nahm ihr gegenüber Platz, in jenem Konferenzsaal in Dublin, er trug seine albernen Cowboys-Stiefel zum Anzug, während sie nackt war, nur die schwarzen High Heels an ihren Füßen, die Beine übereinandergeschlagen, und Tonis Stimme hallte durch den Saal, aus den Lautsprechern triefte sein zynischer Blick auf ihren Schoß: Sie solle sich keine Sorgen machen, er habe wahrhaftig keine Lust auf ihre Möse, und Gelächter hallte durch den Raum, bald brach es sich mehrstimmig an den getäfelten Wänden, der Chor im Saal stimmte in sein Höhnen ein, bis Mona hochschreckte – nichts als Erinnerungsbilder, von Schatten gezeugt, die sich in Monas Traumnetz einwoben: Tonis nächtlicher Auftritt vor Monas Zimmertür. Ihrer Reserviertheit war er mit Zynismus begegnet; sie solle sich keine Sorgen machen, er habe absolut keine Lust, nochmals in ihr Bett zu kommen, er wolle ihr nur die Publikation der Kollegin Burns geben, da diese sie offenbar interessiere, ihn jedoch gar nicht, und er hatte am Absatz kehrtgemacht. Zurück im Zimmer, das Buch auf der Tischplatte abgelegt, erschöpft von den Stunden eines Kongresstages und verärgert, dass er keinen friedlichen Umgang mit ihr finden konnte – nein, sie hatte wahrlich keine Lust, dass ›der Professor‹ sich wieder in ihren Nächten breitmachte. Drei Jahre der Geduld waren lang genug gewesen; sechsunddreißig Monate des Wartens auf ein geteiltes Leben – oder in Wahrheit die niederschmetternde Zahl von sechsundfünfzig Monaten, rechnete sie die langsame Anbahnung jener Liebschaft hinzu, deren Beginn bei einem Kongress in Leuven zu suchen wäre und die durchaus sexuell erfüllt genannt werden konnte; oder eintausendsiebenhundert plus einen Tag als Geliebte, angenehmer Mix aus intellektuellen Gesprächen und Schäferstündchen für Toni – selbst wenn diese ›Stündchen‹ zumeist aus hastig absolvierten Minuten bestanden hatten, Quickies im Kopierraum, Liftgefummel zwischen zwei Etagen, ein Hotelzimmer hier, eines dort. Nie aber teilten sie ein Leben. Drei Jahre des Wartens auf die Trennung von seiner Frau, welche nicht folgte; selbst in dreißig Jahren wäre sie keine Realität geworden, zu bequem war Toni dieses Arrangement aus Gattin und Geliebter. Trotzdem hatte sie ihm geglaubt: den Bruch mit seiner Frau, die eingereichte Scheidung, eine kleine Wohnung habe er bereits gekauft, die Pläne lägen vor, die Immobilie sei erst noch im Bau begriffen – was auch durchaus der Wahrheit entsprach, nur nannte sich diese Eigentumswohnung alsdann ›Wertanlage‹, die Zeiten wären unsicher, Gold und Immobilien das einzig Beständige … Währenddessen hatte sie ihre Dissertation beendet, machte die Erfahrung, wie es war, saß der Geliebte als zweiter Prüfer am Tisch und gebärdete sich so streng, dass der Doktorvater ihn ermahnte, nicht päpstlicher als der Papst zu sein. Und weil Toni auflachte, hierdurch der Beantwortung seiner Fangfrage Zeit eingeräumt wurde, durfte sie in weiterer Folge nicht bloß erste Lehrerfahrungen sammeln, sondern außerdem ihre Habilitation beginnen … Sein Vorzeigekind, brillant und hübsch, dem man gerne nach wie vor anerkennend zulächelte, wenn es sich wacker schlug – wie gestern, bei der Konferenz, als sie diesem Ekelbrocken Bernhard Paroli geboten hatte. Oh nein, sie war nicht mehr ›seine Studentin‹, ausstaffiert im kleinen Schwarzen, die silberne Kette um den Hals, sein Goldstück – selbst wenn es zu Gold nie gereicht hatte; von Diamanten als des Mädchens bester Freund ganz zu schweigen. Silber passe ohnedies weitaus besser zu ihrem Teint, lautete Tonis Kommentar. Für die blonde Julia, Tonis neue Vorzugsstudentin, war es Gold; wohl wegen deren Augenblau und Schmollmundrot, aufgespritzt, samt Nasenkorrektur. Mona fragte sich, ob Julia bemerkte, wie die Wände tuschelten, oder sie nichts von alldem mitbekam, in ihrer Freude über die Anerkennung, die in der Zuneigung des großen Altmeisters der Philosophie lag – ›Ästhetik, meine Liebe, darauf lege ich Wert‹. So wie Mona damals, die sich gesagt hatte, es möge ja sein, dass er früher poppend durch die Betten gehoppt war, nun und bei ihr sei sicher alles anders, sie liebe er wahrhaftig und werde bleiben, monogam, verlässlich. Wie dumm Jugend war! Gold, Silber, Diamanten – es hatte sie nicht interessiert; erst später, in diesem Sommer, als sie alles Denkbare verkaufte, da hatte sie gewünscht, es wäre Gold gewesen. Und nun lag Emil neben ihr, am Rand des Bettes, so fern, dass ihre Hand ihn nicht erreicht hätte. Nein, nichts im Leben war vorherzusehen, weder Emils Arbeitslosigkeit noch deren Konsequenzen für ihr Sexualleben. Dabei hatte es früher erfüllte Nächte gegeben, in denen sie miteinander glücklich gewesen waren: Amsterdam oder Rom. Emil und sie, Trevi-Brunnen, gemeinsam eine Münze werfend; der Wunsch hatte sich nicht erfüllt, zumindest was Mona betraf. Vielleicht hatte sich Emil ja das Ende ihres Sehnens nach einer Schwangerschaft erbeten. Nein, sie würde kein Kind gebären, nicht jetzt, nicht in Zukunft, nie. Was in ihr wachsen könnte, wäre nicht lebensfähig. So lautete das Urteil nach dem dritten Abort, samt Kürettage. Daraufhin hatte Mona die Sterilisation unterzeichnet – und eine Zigarette geraucht. Diese Welt sei ohnedies eine Zumutung für einen jeden, der unsicheren Zeiten wegen, außerdem wären ihnen ihre beruflichen Projekte doch ›Kind‹ genug, ihre Reisepläne, unverantwortlich, ein Kind in Krisengebiete zu transferieren, und sie, Mona, würde sicherlich nicht Heimchen am Herd spielen wollen, oder? Ob sie das nicht so sehen könne, hatte Emil ›zum Trost‹ geschrieben; Vater zweier Kinder, der er war. Vielleicht, sagte Emil einige Nächte danach, vielleicht seien ihr langjähriges ›professorales‹ Nutzen der Pille sowie ihr Rauchen dafür mitverantwortlich, dass sie, obgleich erst Mitte dreißig, unfähig sei – und Mona hatte ihm lautstark das Wort abgeschnitten, bevor sie mit Polster und Decke aufs Sofa abgerauscht war. Den Bilderrahmen, der durch das Zuwerfen der Tür von der Wand gefallen und zersplittert war, hatte er am nächsten Morgen freundlicherweise entsorgt – Mona und Emil an einem Sommertag, fröhlich in die Kamera lachend, drei Wochen vor dem ersten Besuch in diesem Haus. Sie sah zu ihm hinüber, der ihr schlafend den Rücken zuwandte, und fragte sich, wo der Ausweg aus alldem war, den sie nicht zu erkennen vermochte. So geräuschlos wie möglich stand sie auf, zog den Vorhang zur Seite: Heute könnte nochmals ein richtiger Altweibersommertag werden, Winterjasmin wie Holler schienen die Wärme zu genießen, und sie fragte sich, ob dies auch für ihr Kind gelte. Sie hatte es – oder was davon geblieben war – in eine mit Seidenpapier ausgeschlagene Schachtel gebettet, auf Rosenblätter; tiefgekühlter Fleischklumpen, hatte Emil das Baby genannt. Zumindest lagere sie es nun nicht mehr im Gefrierschrank – ›Dir macht das ja nichts aus, offensichtlich‹, ›Und dich macht es kaputt, ist das besser?‹, ›Du musst mit keinem »Niemals« leben …‹, ›Sieh dich an, wie du dich verändert hast‹, ›Ich kann es wieder ausgraben …‹, ›Bloß nicht!‹, und sie war in Tränen ausgebrochen. Noch immer konnte es geschehen, dass sie sich im Schmerz abwandte, sah sie Mütter mit Kinderwägen - ›Sieh dich an!‹ Ja, was taugte ihre Weiblichkeit, war sie unfähig, ein Kind auszutragen? ›All diese Muttertiere, mein Gott, das bist nicht du‹ – stimmt, ich bin bloß ein Arbeitsvieh für alle. Doch das antwortete sie Emil nie laut, obwohl es der Wahrheit entsprach. Lieber nicht nachdenken, sie griff nach dem Mobiltelephon, studierte die Schlagzeilen: In den USA setzte der Präsident seine Idee um, Moscheen weitestgehend zu schließen, Muslime, die ihre Religion ausüben wollten, hatten sich in einer Datenbank registrieren zu lassen. Seine Hasstiraden gegen Migranten allgemein waren ebenso wenig neu in der politischen Landschaft wie seine Aussage, auch die Kinder illegaler Einwanderer solle man verhaften und deportieren; es vermochte keinen mehr aufzuregen. Terrorwarnstufe und Reisewarnungen für vier Länder Europas, in Brüssel habe man entschieden, Kindergärten und Schulen bis auf Weiteres zu schließen, die gleiche Maßnahme war in Stockholm um eine Woche verlängert worden, das Selbstmordattentat am...


Marlen Schachinger wurde 1970 geboren und lebt in Niederösterreich. Sie veröffentlichte mehrere Romane sowie Prosa, Lyrik und Essays in nationalen und internationalen Literaturzeitschriften und ist Herausgeberin mehrerer Anthologien, zuletzt des Erzählbands übergrenzen (Septime 2015). Sie hält die künstlerische Leitung des Instituts für Narrative Kunst Niederösterreich und ist Dozentin ebenda sowie an der Abteilung für Vergleichende Literaturwissenschaft in Wien.

Marlen Schachinger fand bereits mit ihrem Debüt im Jahr 2000 Beachtung bei Literaturkritik wie Kolleg/innen. Seither machte sie sich einen Namen dadurch, dass jedes Werk in einer gänzlich anderen Textur gewoben ist als vorhergehende oder nachfolgende. Dennoch besteht eine Gemeinsamkeit: Schachingers Erzähluniversen sind organische Körper, gekennzeichnet durch ihre Sprachkunst. Manchmal weist ihr erzählendes Darstellen den Charakter einer harten Kaskade auf, kein Wort zu viel; manchmal gleicht es eher dem poetischen Gewucher einer Passiflora oder dem Spiel eines Kaleidoskops. Augen-Blicke und Begebenheiten – mit feinen oder groben Strichen – zu zeichnen ist ihr relevant, das Erzählte wertend zu kommentieren interessiert sie hingegen nicht: Möge sich jede und jeder selbst ein Bild und Gedanken machen. Daher braucht die Lektüre ihrer Werke Zeit und Aufmerksamkeit. Keinesfalls sind es Konsumationsromane, die man in wenigen Happen verschlingt, verdaut und ausscheidet. Sie selbst sagt: »Literatur ist nährendes Lebens-Mittel, eine Notwendigkeit, um zu sein und der Welt in Reflexion zu begegnen.«

Die Genauigkeit ihrer Sprache ist es, die ein aufmerksames Hinhören und -sehen erzwingt, weil sie eine Präsenz entwickelt, der man sich nicht zu entziehen vermag. Diese dichte Bildflut prägt ihre Prosa, welche im Zusammenspiel mit ihrer Kunst der Komposition von einer Vorliebe für rhythmische Strukturen, Zahlen und Formen erzählt. Wenig erstaunlich sind daher auch die vielen Auszeichnungen und Preise, die sie für ihr bisheriges Schaffen bereits erhielt.



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