Schäfer | Der Couchrebell | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

Schäfer Der Couchrebell

Streifzüge durchs wahre Leben

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

ISBN: 978-3-451-80393-2
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Frank Schäfer hat es geschafft. Frau und Kind und Haus und vielleicht auch noch der eigens gepflanzte Baum. Und selbst beruflich läuft es ganz passabel. Kein Grund zu klagen also, oder? Aber war da nicht noch was? Während Attac, Occupy, Piraten und Wutbürger sich empören, erinnert sich der einstige Heavy-Metal-Musiker Frank Schäfer an sein eigenes Rebellentum, damals, in den Achtzigern und Neunzigern. Frank Schäfer erzählt Geschichten davon, wie er sein Rebellentum herüberzuretten versucht in seinen ganz normalen Alltag, irgendwo zwischen Malle und Wacken.
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Der Mensch wird erst ganz Mensch infolge einer Rebellion
Rebellion gehört zu den menschlichen Urphänomenen, zum archaischen Grundbestand des Humanen. Die Menschheitsgeschichte beginnt mit einer Rebellion. Adam und Eva essen vom Baum der Erkenntnis (1. Moses, 3), werden von Gott aus dem Paradies vertrieben und lernen jetzt erst, was es heißt, Mensch zu sein. Es ist eine elende Plackerei, ziemlich schlecht für die Bandscheibe, die Natur zeigt ihre hässliche Fratze, meistens Regen, gelegentlich Glatteis, wenn man nicht verdammt aufpasst, wird man von einem Mammut überrannt, und auch wer alles richtig macht, immer links, rechts und dann wieder links guckt, bevor er über die Straße geht, nur einmal in der Woche Fleisch isst und Dornkaat meidet, landet dermaleinst sechs Fuß unter der Grasnarbe, um dann, dem Herrn sei’s gedankt, nicht mehr mitansehen zu müssen, wie sich die Würmer ihre Sabberlätzchen umbinden. Man streitet im Grunde bis heute darüber, aber es gibt Stimmen, die meinen, es habe sich trotzdem gelohnt. Martin Luther zum Beispiel: »Und Gott der Herr sprach: Siehe, Adam ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist.« Wer Verstand und Bewusstsein will, wie unsereiner, muss irgendwann Småland verlassen. Was die Bibel hier gleichnishaft formuliert, ist eine anthropologische Konstante. In der Onto- spiegelt sich bekanntlich die Phylogenese, in der Individual- die Stammesgeschichte. Jeder Mensch verliert im Laufe der Sozialisation zwangsläufig seine Unmündigkeit – und das äußert sich zunächst mal darin, dass er den Eltern widerspricht. Wer heranwachsende Kinder hat, weiß, wie Gott sich gefühlt haben muss. Es nervt mitunter ganz gewaltig. Auch bei den ganz alten Griechen, noch vor der Bibel, gibt es die Vorstellung, dass erst die Rebellion den ganzen, vernunftbegabten Menschen macht: im Prometheus-Mythos. Bei Hesiod ist Prometheus – nicht ohne Grund heißt er »der Vorausdenkende« – der Ur-Rebell, der Menschen formt aus Ton, ihnen von seiner Freundin Athene Leben einhauchen lässt, sie unterrichtet und schließlich den Göttern sogar das Feuer stiehlt, damit sich seine Geschöpfe entwickeln können. Zeus straft Prometheus fürchterlich, lässt ihn an eine Felswand im Kaukasus schmieden und schickt einen Adler, der Tag für Tag seine Leber frisst, die nachts wieder nachwächst. Wahrscheinlich ist er so erbost, weil er ahnt, dass sich dessen Erdenkloß-Mischpoke als ein ebensolches Rebellengesindel entpuppen wird wie ihr Schöpfer. Goethe hat Hesiod in gewisser Weise zu Ende gedacht, wenn er in seinem gleichnamigen »Prometheus«-Gedicht einen selbstbewussten, aufgeklärten Stürmer und Dränger aus ihm macht, der die Götter am besten gleich gänzlich abschaffen will. Hier sitz’ ich, forme Menschen Nach meinem Bilde, Ein Geschlecht, das mir gleich sei, Zu leiden, weinen, Genießen und zu freuen sich, Und dein nicht zu achten, Wie ich. Goethes Prometheus übt sich in Ungehorsam. Das war immer schon erste Rebellenpflicht. Und seitdem es die Jugend gibt, das heißt, sobald man sie als eigene soziale, wenn auch transitorische Gruppe wahrnahm, etwa seit Beginn des 20. Jahrhunderts, hat sie sich diese prometheische Attitüde zu eigen gemacht und die Autoritäten – vertreten vor allem durch die Elterngeneration – mit entschiedener Nichtachtung gestraft. Es ist kein Zufall, dass man der Adoleszenz zunächst in den USA Aufmerksamkeit schenkte. In den explosionsartig wachsenden, administrativ überforderten Großstädten der Jahrhundertwende wie New York und Chicago waren Jugendliche ein Problem, mit dem sich vor allem die Gerichte herumzuschlagen hatten. Der erste Teenager war ein Krimineller! Durchaus entsprechend kümmern sich in Deutschland zunächst ein Jurist und ein Seelsorger um die »jungen Kerle mit schmierigen Mützen über den fahlen Gesichtern, die elende Brut der lichtlosen Gänge und giftschwangeren Hinterhäuser«. Von Anfang an hat die aufmüpfige Jugend also auch hierzulande den Status der Delinquenz. Die Gesellschaft ist herausgefordert, etwas zu unternehmen gegen diese »Halbstarken«, pädagogisch oder eben juristisch. Der hier zitierte völkische Hamburger Richter Hermann Popert spricht in seinem Roman »Helmut Harringa« (1910) vermutlich erstmals vom »Halbstarken«. Pastor Clemens Schultz, auch ein Hamburger, wagt sich zwei Jahre später bereits an eine detaillierte Beschreibung dieses Typs (»Die Halbstarken«, Leipzig 1912). Er ist »der geschworene Feind der Ordnung, er hasst die Regelmäßigkeit, ebenso alles Schöne und ganz besonders die Arbeit. Er hat keinen Sinn für das Lebenswerte: Heim, Familie, Freundschaft, Vorwärtsstreben, Begeisterung, und ist völlig apathisch gegen ideale Güter, Kunst, Wissenschaft, Religion. Alles Schöne und Geordnete ärgert ihn, es löst in ihm Freude am Zerstören aus«. Ein Punk avant la lettre also. Der Ärger kulminiert in der zweiten Hälfte der Fünfzigerjahre. In Berlin kam es im September des Jahres 1956 zwei Wochen lang fast täglich zu größeren Auseinandersetzungen mit den Ordnungskräften. Von einer »regelrechten Straßenschlacht zwischen Polizisten und Halbstarken« in München berichtet die »Westdeutsche Allgemeine Zeitung« am 6. August 1956. »An die hundert Jugendliche zwischen 15 und 20 Jahren hatten sich zusammengerottet, als der Betrieb auf dem Rummelplatz schließen wollte. Die Lichter waren kaum verlöscht, als die Halbwüchsigen zu pfeifen und zu johlen begannen. Die Polizei hatte vorsorglich fünf Beamte in Zivil zum Jahrmarkt beordert, die nun versuchten, den Platz zu räumen. Immer mehr Halbstarke rotteten sich zusammen und leisteten Widerstand, selbst dann noch, als das Überfallkommando mit einem Funkstreifenwagen eintraf. Mit Gummiknüppeln wurden die Randalierenden abgedrängt. Dann gingen etwa 300 Jugendliche zum Gegenangriff über und bewarfen die Polizisten mit Pflastersteinen, wodurch u. a. die Windschutzscheibe des Streifenwagens zersplitterte und ein Beamter getroffen wurde. Schließlich trafen vom Polizeipräsidium der Wasserwerfer und ein zweites Überfallkommando ein. Danach zerstreuten sich die Jugendlichen unter Protestrufen und Pfiffen.« Wenn man dem Medien-Hype Glauben schenkt, befindet sich die Jugend Deutschlands im Straßenkampf. Mehrere Hundert solcher Vorfälle haben die Behörden gezählt. Kein Wunder, dass man bereits 1956 – als pädagogische Standpauke getarnt – auch in den Kinos davon profitieren will. In »Die Halbstarken« von Georg Tressler mimt der junge Horst Buchholz den rüden, skrupellosen Bandenchef Freddy Borchert. Die scharfe Lederhose sagt alles. Der Film zeigt die üblichen Ingredienzien: Unbotmäßigkeit gegenüber den Älteren, vor allem den vermeintlichen Autoritäten (»Mach ’n Mund zu, die Milchzähne werden sauer!« – »Unerhört so was, wie die Bengels heutzutage auftreten.«), ein paar gar nicht mal so übel inszenierte Schlägereien, ein bisschen Kleinkriminalität, später dann das große Ding, das den Ausweg verspricht aus der tristen Arbeitswelt. Als sein Bruder Jan, das personifizierte schlechte Gewissen, Freddy zur Rede stellt und nach den Gründen seines Verhaltens fragt, muss er erst ein bisschen überlegen, kommt dann aber schließlich doch drauf: »Warum? Weil ich nicht so ein beschissenes Leben führen will wie du oder die anderen.« So sehr unterscheidet er sich im Kern dann aber gar nicht von den »anderen«. Drehbuchautor Will Tremper hat ein paar Spitzen eingebaut, um diese Jugendkultur nicht zu heroisieren. Als Freddy gegenüber einem Bandenmitglied, das nicht spuren will, gewalttätig wird, bemerkt er Jans Missbilligung und versucht sich zu rechtfertigen. »Mit den Brüdern musste so umgehen. Das ist Pädagogik, verstehste. Wenn du weiterkommen willst im Leben, dann darfst du dich nicht unterkriegen lassen. Wenn ich dem nicht auf den Kopf trete, tritt er mir auf den Kopf !« Jan kommt das sehr bekannt vor. Schon vorher hat ihn dessen Verhalten als Leitbulle irritiert. »Mensch, was schreist du denn immer so? Genau wie Vater!« Die Väter waren das eigentliche Problem der jungen Generation. Sie hatte sich zunächst ohne sie zurechtfinden müssen, aber in den Fünfzigern kehrten die Alten zuhauf aus der Kriegsgefangenschaft zurück. Geschlagen, desillusioniert, traumatisiert. Sie schränkten die vorherigen Freiräume der Jugendlichen nicht nur wieder ein, sie errichteten als Kompensation des totalen moralischen Versagens im Nationalsozialismus ein so rigides Ordnungsregiment, einen formalethischen Schutzwall aus Anstand, Sauberkeit und Sittlichkeit, der so wenigstens symbolisch unter Beweis stellen sollte, dass sie doch nicht so üble Typen waren. Die Kinder sollten deren Schuld abbüßen und zahlten es ihnen heim, indem sie genau diese Wohlanständigkeit aufs Korn nahmen und sich als Gottseibeiuns in Jeans und Leder mit langen Haaren inszenierten. Und die in der USA bereits Sonderschichten einlegende Kulturindustrie, die sie als durchaus zahlungskräftige Kunden entdeckt hatte, spielte ihnen diverse Hilfsmittel zu, mit denen man den Zank am Küchentisch ordentlich befeuern konnte. Nicht zuletzt die richtige Musik. Der gerade erfundene Rock ’n’ Roll war so eine Art Brandbeschleuniger. Wo Billy Haley auftrat, gab es Saures. In den Sechzigern erreichte der jugendliche Protest ein neues Level – mit dem Tod Benno Ohnesorgs, der am 2. Juni 1967 während der Demonstration gegen den Schah-Besuch von dem Zivilfahnder Karl-Heinz Kurras hinterrücks erschossen wurde. Damit hatte der Staat für alle, die es sehen wollten, sein...


Frank Schäfer, Jahrgang 1966, lebt in Braunschweig und schreibt Kritiken, Kolumnen, Essays, Short Stories u.a. für Rolling Stone, NZZ, taz, tip, Titanic, konkret, Junge Welt, zeit-online.


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