Schäfer | Woodstock '69 | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

Schäfer Woodstock '69

Die Legende

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

ISBN: 978-3-7017-4307-0
Verlag: Residenz
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Wer die 60er-Jahre verstehen will, muss Woodstock verstehen. Das Buch zu der Legende von einem der besten Musikjournalisten Deutschlands.

"3 days of peace and music" verhieß ein rotes Plakat mit einer Friedenstaube auf einem stiliserten Gitarrenhalts. Die gleichzeitig im ganzen Land geschaltete Zeitungsannonce wurde noch ein bisschen konkreter: "Geht mal drei Tage lang spazieren, ohne einen Wolkenkratzer oder eine Verkehrsampel zu sehen. Lasst einen Drachen steigen, legt auch in die Sonne. Kocht euch das Essen selber und atmet saubere Luft." Und erst die Musik: Mit Jimi Hendrix, Janis Joplin, The Who, Joan Baez u. a. war diese "Aquarian Exposition" hochkarätig bestzt. Und so pilgerten am 15. August 1969 zwischen 400.000 und 500.000 Besucher in die Catskill Mountains. Der Verkehr brach zusammen, die Versorgungslage war katastrophal, es fehlte an allem, außer an Dope. Der Gouverneur von New York drohte, den Ausnahmezustand auszurufen, alle Welt erwartete eine Katastrophe.

In Woodstock wurde der Hippie-Traum von Liebe, Friede, Brüderlichkeit, Ekstase und Transzendenz für drei volle Tage Wirklichkeit. Hier feierte die Gegenkultur ihr letztes großes Fest, und das im Angesicht Vietnams. Woodstock ist der legendäre Kulminationspunkt der Hippiebewegung und zugleich ihre größtmögliche Verdichtung.
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Geht doch mal drei Tage lang spazieren
Im Sommer 1969 las man in allen szenewichtigen Publikationen der USA eine Mail-Order-Anzeige für eine Art Happening. »Hunderte Morgen Land zum Wandern«, heißt es da in der Überschrift. Darunter die freundliche Aufforderung: »Geht doch mal drei Tage lang spazieren, ohne einen Wolkenkratzer oder eine Verkehrsampel zu sehen. Lasst einen Drachen steigen, legt euch in die Sonne. Kocht euch das Essen selber und atmet saubere Luft. Zeltet draußen: Wasser und Toiletten sind vorhanden. Zelte und Campingartikel gibt es im Campinggeschäft.«1 Es ist wohl auch ein Festival, aber zunächst erfährt man nur, dass die Musik am Freitag um vier Uhr nachmittags beginnt. Die Kunstausstellungen, der Schmuck-, Klamotten- und Antiquitäten-Markt, die angebotenen Workshops und natürlich das grandiose Naturerlebnis sind den Veranstaltern augenscheinlich eher der Rede wert. Und das bald darauf gedruckte, berühmt gewordene Plakat mit der Friedenstaube auf einem naiv stilisierten Gitarrenhals enthält nun zwar eine vorläufige Liste der auftretenden Bands, aber um die zu erkennen, muss man schon ziemlich nah herantreten. Es sollte eben von Anfang an mehr als ein Konzert sein – ein Stammestreffen, eine Kirchenversammlung, eine Manifestation des gerade angebrochenen Wassermann-Zeitalters, mithin eine Messe und Leistungsschau der kontemporären Gegenkultur: »Woodstock Music & Art Fair presents An Aquarian Exposition in White Lake, NY«, steht da im oberen Drittel, schwarz auf rotem Grund, und unter dem erwähnten Hippie-Piktogramm noch etwas deutlicher, was hier zu erwarten ist: »3 Days of Peace and Music«. Angeblich haben die Verantwortlichen 200.000 Dollar allein für Werbung ausgegeben. Und das wird bemerkt. Noch bevor die erste Eintrittskarte weggeht – 7 $ kostet die Tageskarte, 13 $ das Ticket für zwei Tage, 18 $ das für die vollen drei Tage – gibt es bereits Gerede in der Lower East Side von New York, wo die linke Subkultur situiert ist: Mit einem Event wie Woodstock werde die gerade richtig Fahrt aufnehmende politische Bewegung verraten und verkauft. Aber wenn das nun schon einmal der Fall ist, dann will man wenigstens mitverdienen. Abbie Hoffman, neben Jerry Rubin der führende Repräsentant der Youth International Party, der sogenannten Yippies, setzt sich mit den Veranstaltern in Verbindung, vielmehr zitiert er sie zu sich, und verlangt 10.000 Dollar, damit er still hält und die Veranstaltung nicht mit Aktionen unterwandert. Er bekommt sein Geld. Man erinnert sich noch allzu gut an den Ärger, für den er und seine Mitstreiter im Jahr zuvor beim Parteitag der Demokraten gesorgt haben. Ende August 1968 nominierte die Partei in Chicago ihren Präsidentschaftskandidaten – den gegen Nixon schließlich chancenlosen Hubert Humphrey –, während Rubin, Hoffman und andere in einem mehrtägigen situationistischen Straßentheater-Spektakel einen eigenen Kandidaten ins Rennen schickten: »Mr. Pigasus«. Der Name deutet es an – ein Schwein! Chicagos Bürgermeister Richard Daley reagierte auf diese hübsche Provokation der politischen Klasse, wie von den Yippies erhofft und erwartet. Er greift hart durch. Seine Schergen, über 20.000 Polizisten, Soldaten und Nationalgardisten, liefern sich Abend für Abend Straßenschlachten mit den Demonstranten. Erst fünf Tage zuvor sind sowjetische Truppen in der Tschechoslowakei einmarschiert, um Prag zu besetzen. Eine Koinzidenz, die Hoffman und Rubin in einer Pressekonferenz weidlich ausschlachten. Von »Tschechago« ist die Rede. Aber die anwesenden Journalisten, die von den außer Rand und Band geratenen Truppen ebenfalls Prügel beziehen, sind nicht weniger empört über die polizeistaatlichen Methoden Daleys. Hunter S. Thompson schreibt später, für ihn sei die Woche schlimmer gewesen »als der schlimmste Acid-Trip, von dem ich je gerüchteweise gehört hatte. Sie hatte meine Hirnfunktionen für immer verändert, und mein erster Gedanke – als ich mich schließlich beruhigt hatte – war die absolute Überzeugung, dass es für mich nicht mehr die geringste Möglichkeit gab, einen Waffenstillstand mit einer Nation aufrechtzuerhalten, die in der Lage war, eine bösartige Monstrosität wie Chicago auszubrüten und voller Stolz zu hätscheln.«2 Für die Yippies ist das sowieso keine Frage. Sie feiern »Die Schlacht von Tschechago« als bestandene Bewährungsprobe für die sowieso demnächst ausbrechende Revolution. »Yippies setzten Mülltonnen in Brand und stießen sie auf die Fahrbahn, lösten Feueralarm aus, legten den Verkehr lahm, warfen Fensterscheiben mit Steinen ein, inszenierten ein Chaos«, schwärmt Jerry Rubin. »Polizeiwagen, die uns einzeln in die Hände gerieten, wurden mit Steinen zur Strecke gebracht.«3 Die Verantwortlichen wissen also ziemlich genau, wen sie da vor sich haben – und dass sie gut daran tun, auf Hoffmans Forderungen einzugehen. Das bestätigt ihnen auch der linke Radikalinski Andrew Kopkind gleich nach dem Festival noch einmal. »Die Veranstalter müssen gespürt haben, welche Verantwortlichkeiten sie übernahmen«, schreibt er ein paar Tage nach dem Festival bereits in seiner Zeitung »Hard Times«. »SDS, Newsreel und Underground-Zeitschriften bekamen Tausende von Dollar, damit sie an dem Festival teilnahmen, und man räumte ihnen exponierten Raum in ›Movement City‹ ein: dahinter stand der Gedanke, sie würden das Wochenende gegenkulturell legitimieren und ihre Aktivitäten seien so innerhalb des Systems zu kanalisieren. Sie kauften die Idee.«4 Vermutlich ist alles viel weniger abgekartet gewesen, als Kopkind und andere angenommen haben, denn dieser »grundsätzliche innere Widerspruch des Festivals«, die Mischung von Big Business und Hippie-Aktionismus, lässt sich ziemlich einfach zurückführen auf die gemischte Gesellschaft der Veranstalter. Vier Personen waren an der Grundsteinlegung des Woodstock-Mythos maßgeblich beteiligt, zwei Freundespaare: die beiden New Yorker Sakko-Träger John Roberts und Joel Rosenman zum einen; zum anderen Michael Lang und Artie Kornfeld, zwei hippe, szenegeschulte Exponenten der Counterculture. Der totale Erfolg von Woodstock, auf der symbolischen Ebene genauso wie nur wenig später auch auf der monetären, resultierte wohl ebenfalls aus diesem Verschnitt diverser Interessen und Kompetenzen. John Roberts schreibt Mitte der 60er Jahre Expertisen für eine kleine Maklerfirma und macht überdies seinen Abschluss an der Annenberg School of Communication in Philadelphia. Ihm gefällt die steife, langweilige Wall Street-Umgebung nicht. Er findet sein Studium interessanter, spielt mit dem Gedanken, sich aus der Geschäftswelt zurückzuziehen, zu schreiben – und kann sich den Spaß auch leisten. Von seiner Mutter hat er Anteile an dem Pharmakonzern des Großvaters geerbt – und so verfügt er schon mit 21 Jahren über eine Barschaft in Höhe von einer Viertelmillion Dollar. Joel Rosenman, der Sohn eines Zahnarzts, hat zu jener Zeit gerade sein Jura-Studium beendet, arbeitet in einer Anwaltskanzlei und macht die Nächte durch als Gitarrist in einer semi-professionellen Rockband, die bald so oft gebucht wird, dass sie seinen Brotjob in Mitleidenschaft zieht. Roberts und Rosenman wohnen zusammen. Sie kennen sich vom Golfplatz und sind schon befreundet, bevor sie nach New York ziehen, um sich hier ein Appartement zu teilen. Sie beschließen, eine kreative Auszeit zu nehmen und zusammen eine Sitcom zu schreiben – über zwei Geschäftsleute mit viel Geld, die zusammen ein paar Abenteuer im Business erleben. Da sie über zu wenig Erfahrung auf diesem Feld verfügen, setzen sie eine Annonce ins »Wall Street Journal«: »Junge Leute mit unbeschränktem Kapital suchen interessante, gesetzlich zulässige Geschäftsideen.«5 Unter den 7000 Zuschriften befinden sich neben dem üblichen krausen Zeug, »essbaren Golfbällen« und »Kraftquellen aus der achten Dimension«,6 auch ein paar vielversprechende Ideen. Man kommt mit Leuten aus dem Umfeld der Musikindustrie ins Gespräch, die ein Studio in New York gründen wollen. Roberts und Rosenman steigen ein, leihen sich Geld und stellen Kontakt her zu anderen Teilhabern. Das Media Sound-Studio wird eingerichtet und nimmt im Sommer 1967 sogleich relativ erfolgreich den Betrieb auf. Anderthalb Jahre später, im Februar 1969, bekommen Roberts und Rosenman einen Anruf von einem befreundeten Anwalt, der sie bittet, sich mit seinen beiden Klienten Michael Lang und Artie Kornfield zu treffen. Die beiden hätten ebenfalls vor, ein Aufnahmestudio einzurichten, aber in Woodstock, und bräuchten dafür Kapital und vor allem geschäftlichen Rat. Michael Lang ist ein kleiner Drogendealer mit großen Ambitionen; er hatte in Florida 1966 einen Head Shop eröffnet, eines dieser Fachgeschäfte für Hippie-Bedarf mit Dope als Bückware, und das avancierte bald zum Zentrum der Gegenkultur in der Umgebung. Lang verlegte eine kleine Untergrundzeitung und veranstaltete Konzerte. Seine ersten...


Frank Schäfer
geboren 1966, lebt als Schriftsteller, Musik- und Literaturkritiker in Brauschweig und schreibt für "Rolling Stone", "Neue Zürcher Zeitung", "taz", "Titanic", "konkret" und andere. Neben Romanen und Erzählungen sind diverse Essaysammlungen und Sachbücher, vor allem zur Literatur und Popkultur, erschienen.


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