E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Scharang Johann Strauß oder Die Geburt des Walzers aus der Dampfmaschine
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7076-0866-3
Verlag: Czernin Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 256 Seiten
ISBN: 978-3-7076-0866-3
Verlag: Czernin Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Michael Scharang wurde 1941 in Kapfenberg geboren. Realgymnasium in Bruck an der Mur. Studium in Wien. 1965 Dissertation u?ber Robert Musil. Seit 1966 freier Schriftsteller. Er verfasste Romane, Erzählungen, Essays, Drehbu?cher und ein Theaterstu?ck sowie Artikel, u. a. in der Zeitschrift »Konkret«. Zuletzt: »Komödie des Alterns« (2010), »Aufruhr« (2020) und »Die Geschichte vom Esel, der sprechen konnte« (Czernin, 2023).
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Johann Strauß, er war gerade siebzehn geworden, saß an seinem Schreibtisch, das Fenster war offen, und arbeitete an einer Messe. Sein Lehrer, der noch Franz Schubert gekannt hatte, war Kirchenmusiker. Johann hatte kein Klavier, das ihm das Komponieren erleichtert hätte. Er besaß nur eine Geige, aber er brachte es fertig, mithilfe dieses Instruments seine Kompositionsarbeit zu überprüfen.
Johann schaute auf, denn er hörte jemanden ganz wunderschön singen. Er ging zum Fenster und sah im Haus gegenüber eine junge Frau mit einem Notenblatt in der Hand, die so schön war wie ihr Gesang. Er setzte sich aufs Fensterbrett und hörte gebannt zu. Als die junge Frau einhielt, applaudierte Johann. Danke!, rief sie herüber. Ich habe noch nie jemanden so schön singen gehört!, rief er zurück. Darf ich Sie auf einen Kaffee einladen? Gern!, erwiderte sie.
Sie gingen in ein kleines Café. Mein Name ist Johann, Johann Strauß, sagte er. Und meiner, erwiderte sie, ist Elvira, Elvira Gehnitheim. Was für ein schöner Name, sagte er. Strauß, Strauß, so heißt jeder Zweite. Sie sind der Erste, erwiderte sie, der meinen Namen schön findet. Sie singen so wunderbar, sagte er. Ich bin noch in Ausbildung und stehe noch ganz am Anfang, antwortete sie.
Ich auch, erwiderte Johann. Ich versuche zu komponieren. Zurzeit arbeite ich an einer Messe. Mein Lehrer ist Kirchenmusiker. Er unterrichtet mich gratis, ich habe ja kein Geld. Er schenkt mir sogar Notenblätter und borgt mir Partituren. Zwei Messen von Franz Schubert liegen auf meinem Schreibtisch, ich studiere sie immer wieder. Mein Lehrer hat Schubert gut gekannt.
In Ihre neue Messe, sagte Elvira, werden Sie schöne Arien für mich einarbeiten. Arien wahrscheinlich nicht, erwiderte Johann, aber etwas Ähnliches. Ich werde die Messe so schnell ich nur kann fertigstellen. Sie wird in einer Kirche uraufgeführt werden, Sie werden singen, ich werde im Orchester sitzen, ich bin ein passabler Geiger.
Das wird ein Welterfolg, sagte Elvira. Johann nickte, dann erwiderte er: Ich finde es interessant, dass Sie von Welterfolg sprechen. Ich ertappe mich manchmal bei Tagträumereien. Sie handeln davon, dass ich ein erfolgreicher Musiker bin, dem die Welt zu Füßen liegt. Das brauche ich wohl zum Ausgleich für mein trostloses Leben.
Wieso trostlos?, fragte Elvira. Sie komponieren eine schöne Messe, wir treten gemeinsam auf. Ach, seufzte Johann, dazu wird es nicht kommen. Ich bräuchte Geld, um von zu Hause ausziehen zu können. Sie scheinen das ja geschafft zu haben. Elvira nickte. Ich arbeite als Hilfskraft im Büro, sagte sie. Wenn Sie die Ohren spitzen, hören Sie den Lärm. Johann nickte. Die Metallfabrik liegt nicht weit von hier, fuhr Elvira fort, dort bin ich beschäftigt. Ich verdiene gerade so viel, dass ich mir eine kleine Wohnung leisten kann.
Sie haben vorher bei Ihren Eltern gewohnt?, fragte Johann.
Elvira nickte. Darüber will ich nicht reden, antwortete sie. Ich bitte Sie, sagte Johann, reden Sie darüber. Elvira schwieg. Sie, die so fröhlich gewirkt hatte, blickte nun traurig drein und war den Tränen nahe. Schließlich sagte sie: Nur ein Wort. Der Vater war ein Trinker.
Da haben wir’s, antwortete Johann. Elvira bestellte noch zwei Kaffee. Meine Mutter, fuhr Johann fort, ist ein Engel, der Vater ein Teufel. Er leitet eine Tanzkapelle in einem Gastgarten und verdient viel Geld. Das versäuft er. Meine Mutter muss ihn auf den Knien bitten, ihr wenigstens so viel zu geben, dass sie uns ernähren kann.
Wie kommen Sie von diesem Unhold weg?, fragte Elvira. Das muss sich in nächster Zeit entscheiden, antwortete Johann. Sonst bringe ich den Teufel um. Ich werde Sie im Gefängnis besuchen, sagte Elvira. Die Strafe wird nicht hoch ausfallen, erwiderte Johann. Ich werde dem Richter erzählen, dass der Teufel betrunken in mein Zimmer gekommen ist und die Notenblätter, auf denen ich die Messe komponiert habe, aus dem Fenster geworfen hat. Und dass ich ihn daraufhin erschlagen habe. Der Richter, wie alle Richter ein Musikliebhaber, wird Verständnis haben und eine milde Strafe aussprechen.
Elvira rief die Kellnerin und zahlte. Ich muss zu meiner Gesangslehrerin, sagte sie und ging. Johann schaute ihr nach. Noch nie, dachte er, bin ich so glücklich gewesen. Da Elvira gezahlt hatte, waren seine paar Münzen noch in der Hosentasche. Ich will etwas trinken, sagte er zur Kellnerin, aber keinen Wein und schon gar kein Bier. Ich habe ein paar gute Schnäpse, erwiderte die Kellnerin. Was empfehlen Sie mir?, fragte Johann. Einen Nussschnaps, sagte die Kellnerin. Sie servierte ihm ein Gläschen von diesem Schnaps und brachte ihm auch noch ein Stück Kuchen. Damit Sie nicht betrunken werden, sagte die Kellnerin. Der Schnaps schmeckte ihm, der Kuchen war vorzüglich. Schließlich wollte er zahlen. Die Kellnerin winkte ab. Sie sind ein armer Komponist, sagte sie. Wenn Sie einmal Erfolg haben und Geld verdienen, reden wir weiter.
Johann ging zurück nach Hause, setzte sich an den Schreibtisch und begann zu komponieren. Er arbeitete bis zum nächsten Morgen. Am Nachmittag ging er zu seinem Lehrer. Der begutachtete Johanns Arbeit. Was ist mit dir?, fragte er. Du hast in die Messe eine Gesangsstimme eingebaut – vortrefflich! Johann erzählte ihm von der Sängerin Elvira. Ach, die Frauen, erwiderte der Lehrer, sie haben schon manchen Komponisten inspiriert. Ich habe leider kein Glück mit Frauen gehabt, deshalb bin ich kein guter Komponist geworden. Johann widersprach ihm.
Du meinst es gut mit mir, sagte der Lehrer. Nun aber zu dir. Du scheinst verliebt zu sein. Johann schaute betrübt zu Boden. Ich habe gesagt, wiederholte der Lehrer: Du scheinst verliebt zu sein. Johann nickte, dann antwortete er: Ja, leider. Das ärgerte den Lehrer und er rief: Sei doch kein Tölpel! Sie schwiegen eine Weile. Dann meinte Johann: Ja, ich bin verliebt. Aber ich habe keine Hoffnung, dass meine Liebe erwidert wird. Woher willst du das wissen?, fragte der Lehrer. Schauen Sie mich an, erwiderte Johann, diese schäbige Jacke, die geflickte Hose. Elvira hingegen ist eine elegante junge Dame.
Deine Lumpen sind nicht das Problem, sagte der Lehrer. Johann wusste darauf nichts zu antworten. Nun geh nach Hause, fuhr er fort, und arbeite weiter. Du bist auf einem guten Weg. In seinem Zimmer fand Johann jedoch keine Ruhe. Er stützte sich auf das Fensterbrett und schaute hinüber zu Elviras Wohnung. Er hoffte, jetzt und jetzt würde ihr Fenster aufgehen und sie würde sich zeigen. Doch er hoffte umsonst. An Arbeit war nicht zu denken. Er war zwar todmüde, konnte aber nicht schlafen. In der Nacht hörte er, wie der betrunkene Vater sich die Stiegen hinaufschleppte und schrie: Frau! Ich bin hungrig, mach mir was zu essen! Ich sollte, dachte Johann, den Mistkerl die Stiegen hinunterstoßen.
Der nächste Tag brachte die Erlösung. Elvira stand vor dem offenen Fenster, hielt ein Notenblatt in der Hand und sang. Nachdem sie geendet hatte, applaudierte Johann. Sie winkte herüber und rief: Johann, komm ins Café, ich muss dir etwas erzählen. Er lief hinüber auf die andere Straßenseite und dachte: Hat sie mich geduzt, oder habe ich mich verhört?
Nein, er hatte sich nicht getäuscht. Er kam ins Café, Elvira umarmte ihn. Johann, sagte sie, ich hab dich sehr vermisst, wo warst du die ganze Zeit? Ach, antwortete er, ich bin bei meinem Lehrer gewesen. Ich habe eine Gesangsstimme für dich in die Messe eingebaut. Der Lehrer hat mich sehr gelobt. Ich habe ihm erzählt, dass du mich dazu inspiriert hast. Er hat gemeint, ich hätte mich wohl in diese Sängerin verliebt. Ich habe ihm recht gegeben und hinzugefügt, meine Liebe würde gewiss nicht erwidert werden.
Was sind wir doch für dumme Menschen, rief Elvira, ich bin auch in großer Sorge gewesen. Johann, habe ich gedacht, der große Komponist, ich bin ja nur eine einfache Sängerin. Aber, hör zu, so schlecht bin ich nun auch wieder nicht. Meiner Gesangslehrerin ist es gelungen, mir einen Auftritt in einem kleinen Theater zu verschaffen. Ich werde dort einige Arien singen. Dafür bekomme ich gar nicht so wenig Geld. Vielleicht werde ich eines Tages nicht mehr als Hilfskraft arbeiten. Das muss gefeiert werden.
Ich gratuliere dir, sagte Johann. Wenn du willst, bestelle ich einen Nussschnaps. Später, erwiderte Elvira. Sie nahm Johann an der Hand und führte ihn hinauf in ihre Wohnung. Johann, sagte sie, ich liebe dich. Sie fielen auf das Bett und schliefen miteinander. Danach sagte Johann: Was immer das Leben bringen wird – du bist die einzige Frau, die ich liebe. Jetzt, erwiderte Elvira, gehen wir hinunter und trinken einen Nussschnaps.
Im Café sagte sie: Du bist so nachdenklich. Bedrückt dich etwas? Ich muss Geld verdienen, erwiderte Johann.
Nein, fuhr er fort, Geld kommt erst an zweiter Stelle. Das Wichtigste ist, den Teufel zu vernichten. Deinen Vater?, fragte Elvira. Johann nickte. Dann sagte er: Er hat meine Jugend zerstört. Schlimmer noch: Er hat das Leben meiner Mutter zur Hölle gemacht. Ich liebe meine Mutter. Sie hat ein besseres Leben verdient.
Elvira ergriff Johanns Hand und streichelte sie. Mach dir doch das Leben nicht so schwer, sagte sie. Das ist kein Leben, erwiderte Johann, das ist ein Kampf. Und wie, fragte Elvira, willst du den gewinnen? Johann dachte lange nach. Ach, sagte er, wir sind doch gekommen, um einen Nussschnaps zu trinken. Die Kellnerin servierte ihnen den Schnaps. Elvira ließ sich davon jedoch nicht ablenken.
Ich habe dich etwas gefragt, sagte sie. Das eine ist sicher, erwiderte er, ich werde den Kampf gewinnen. Bis jetzt habe ich mich treiben lassen,...




