Scheffknecht / Schiersner / Sczesny | Bildung und Region | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 15, 436 Seiten

Reihe: Forum Suevicum

Scheffknecht / Schiersner / Sczesny Bildung und Region

Wissenstransfer und Institutionen in Schwaben und im Alpenraum vom 15. bis ins 20. Jahrhundert
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-381-11493-1
Verlag: UVK Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Wissenstransfer und Institutionen in Schwaben und im Alpenraum vom 15. bis ins 20. Jahrhundert

E-Book, Deutsch, Band 15, 436 Seiten

Reihe: Forum Suevicum

ISBN: 978-3-381-11493-1
Verlag: UVK Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die Beiträge des Bandes nähern sich der Bildungsgeschichte aus regionalhistorischer Perspektive: Inwiefern und wie stehen Räume einerseits und Bildungsinhalte, -institutionen und -transfer andererseits in einer sich gegenseitig erhellenden Verbindung? Untersuchungsraum ist vor allem Oberschwaben und der benachbarte Alpenraum (Tirol, Vorarlberg, St. Gallen) von der Frühen Neuzeit bis ins 20. Jahrhundert. Der Bildungsbegriff ist weit gefasst und reicht von der schulischen Ausbildung bis zur Selbstbildung. Ein Schwerpunkt liegt auf der Untersuchung von Institutionen.

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STEFAN SONDEREGGER


Schreiben, Rechnen, Buch führen. Handlungswissen als Schlüssel zum beruflichen Erfolg in einer internationalen Handelsstadt. St. Gallen im Übergang vom Mittelalter in die Frühe Neuzeit


Eine Methode, um Bildung in einer spätmittelalterlichen Stadt zu untersuchen, besteht in der Interpretation ihres schriftlichen Nachlasses. Im Falle St. Gallens ist dies besonders reizvoll. Beim mittelalterlichen St. Gallen kommt einem vor allem die Stiftsbibliothek mit ihren Büchern des frühen und hohen Mittelalters, die den Kern des UNESCO-Welterbes bilden, in den Sinn. Schriftlichkeit auf dieser Ebene ist Bildungswissen; Litterati aus Klöstern haben die dort überlieferten Bücher geschrieben und abgeschrieben. Zu dieser frühmittelalterlichen Entstehung und Weitervermittlung von Gelehrtenwissen kam im Hoch- und Spätmittelalter zunehmend eine andere Art von Wissen hinzu. Insbesondere mit der Entstehung und dem schnellen Wachstum von Städten seit dem 12. und 13. Jahrhundert wurden die Fähigkeiten, lesen, schreiben und rechnen zu können, im Lebensalltag immer wichtiger. Bildung in der städtischen Gesellschaft war verbunden mit der Ausbildung für die berufliche, administrative und politische Tätigkeit als Kaufmann, Handwerksfrau und -mann, Notar, Amtsinhaber und Ratsherr. Neben das gelehrte wissenschaftliche Wissen trat nun immer mehr das Handlungswissen. »Allmählich begann eine alte Gleichung an Wert zu verlieren, die für Jahrhunderte gegolten hatte: Der Litteratus war nicht mehr nur der Clericus und der Illiteratus nicht mehr nur der Laicus«.1

Im folgenden Beitrag werden Aspekte der Bildung in der städtischen Gesellschaft St. Gallens behandelt. Ausgehend von der Tatsache, dass die Stadt seit dem Spätmittelalter ein Zentrum der Textilproduktion und des -handels war, konzentrieren sich die Ausführungen auf die Bereiche Wirtschaft, Recht und Verwaltung. Von besonderem Interesse ist, welche spezifischen Fertigkeiten im beruflichen und administrativen Alltag des 14. und 15. Jahrhunderts gebraucht und wie diese vermittelt wurden. Informationen dazu finden sich in der sogenannten pragmatischen Schriftlichkeit, im vorliegenden Fall in Urkunden, Satzungen und Rechnungen. Es ist völlig unmöglich, einen die ganze Breite der Gesellschaft umfassenden Eindruck des Handlungswissens zu vermitteln. Die Untersuchung hat sich auf ausgewählte Akteure bzw. Akteursgruppen zu beschränken, die eine Funktion in der städtischen Administration und Politik sowie Wirtschaft hatten und zu denen deshalb schriftliche Informationen verfügbar sind. Hierzu werden Informationen zu Mandatsträgern wie Stadtschreibern und Ratsherren, die Aufgaben für die Stadt und städtische Institutionen erfüllten, ausgewertet.

1. St. Gallen


Einleitend soll kurz der Untersuchungsort vorgestellt werden.2 St. Gallen im Spätmittelalter bedeutete das enge Nebeneinander eines Reichsklosters und einer Reichsstadt. Das Kloster St. Gallen als herrschaftliches und kulturelles Zentrum der frühmittelalterlichen Bodenseeregion war schon früh ein Anziehungspunkt für Menschen, die sich in seiner Umgebung niederließen. Erste schriftliche Hinweise für eine langsam um die Abtei wachsende weltliche Siedlung finden sich für das 10. Jahrhundert. Im Laufe des 13., 14. und 15. Jahrhunderts gelang der Stadt St. Gallen, die bis in die 1450er-Jahre der Herrschaft des Klosters unterstand, die Emanzipation. Dies drückt sich beispielsweise in der ersten, auf deutsch geschriebenen sogenannten Handfeste von 1291 aus. Dabei handelt es sich um einen Ansatz städtischer Gesetzgebung mit der Definition des städtischen Hoheitsgebiets innerhalb von vier, auf alle Himmelsrichtungen verteilten Grenzkreuzen. Das war ein Gebiet von rund drei Kilometern von Osten nach Westen und zwei Kilometern von Norden nach Süden. Diese enge Begrenzung der Stadt innerhalb des äbtischen Territoriums sollte bis zur Auflösung des Klosters zu Beginn des 19. Jahrhunderts Bestand haben.

Dem Aufstieg der Stadt im 14. Jahrhundert stand eine eigentliche Krise des Klosters gegenüber. Die Schwäche des Klosters nutzte die erstarkende Stadt, um die bevorzugte Stellung einer Reichsstadt zu erlangen. Streng genommen hatte St. Gallen diese Position erst 1451 erreicht, weil ihr damals Friedrich III. neben der Maß- und Gewichtshoheit auch das Münzregal gewährte. Angesichts der bereits früher erlangten Freiheiten und der Verbindungen ins Reich kann St. Gallen aber schon ab der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts faktisch als Reichsstadt bezeichnet werden. Ausdruck der Reichszugehörigkeit sind Bündnisse mit anderen Reichsstädten seit 1312. Waren es anfänglich vier Partner (St. Gallen, Konstanz, Zürich und Schaffhausen), bestand der Schwäbische Städtebund in den 1380er-Jahren aus über 30 mehrheitlich deutschen Städten in einem Gebiet von Rothenburg ob der Tauber im Norden bis St. Gallen und Wil im Süden sowie Kaufbeuren im Osten bis Rottweil im Westen. Der Zweck dieser Städtebünde lag in der gegenseitigen Hilfeleistung bei Konflikten. Weiter stellten sie, modern gesprochen, Wirtschafts- und Rechtsabkommen dar. Bis kurz vor 1400 bestanden besonders enge Verbindungen St. Gallens zur Bischofsstadt Konstanz; von dieser hatte St. Gallen rechtliche und wirtschaftliche Regelungen übernommen.

1.1 Textilhandelszentrum seit Mitte des 15. Jahrhunderts

Die St. Galler und St. Gallerinnen lebten zu jener Zeit in einem territorial sehr engen, aber wirtschaftlich ungemein weiten Umfeld. Mit 3 bis 4.000 Bewohnern um 1500 war St. Gallen im europäischen Vergleich eine mittelgroße, geografisch hingegen eine kleine Stadt – aber mit einem internationalen Horizont, und dieser gründete auf der Wirtschaft. Die Herstellung von Leinentüchern war im Bodenseegebiet schon früh verbreitet, im ausgehenden Mittelalter erreichte St. Gallen die Spitzenposition im Handel und überflügelte damit Konstanz als zuvor führende Textilstadt im Bodenseegebiet. St. Gallens Handelsnetz reichte von Spanien bis Polen und von Norddeutschland bis Italien. Man beherrschte in St. Gallen Fremdsprachen, Auslandaufenthalte gehörten zur Karriere als Textilkaufmann.

1.2 Austausch über den Bodensee

Im Gegensatz zu heute bildeten Bodensee und Rhein bis ins 19. Jahrhundert keine Grenzen, sondern waren verbindende Transportwege. Kontakte über den See gehörten zum Alltag. Die engsten Beziehungen nach Süddeutschland bestanden im Bereich der Textilwirtschaft. Sowohl bei der Herstellung als auch im Vertrieb von Tuchen arbeiteten die Produktions- und Handelshäuser der Städte um den Bodensee zusammen. Es war beispielsweise verbreitet, Leinentücher aus Deutschland zur Veredelung nach St. Gallen zu bringen. Grund dafür war das hohe Ansehen, welches die St. Galler Qualitäts-Schau und damit Tücher, die mit dem St. Galler Schauzeichen versehen waren, genoss. Aus Geschäftsbeziehungen entstanden auch familiäre Verbindungen von St. Galler Familien mit solchen aus Konstanz, Ravensburg, Lindau, Isny und aus anderen Städten. Über einen eigenen Hafen in Steinach hatte die Stadt St. Gallen zudem direkten Seeanschluss. Diese Infrastruktur war wichtig, weil die Ostschweiz im Gefolge der Spezialisierung auf Vieh- und Textilwirtschaft im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit den Ackerbau vernachlässigte. Häufigster Importartikel war denn auch schwäbisches Getreide, dieses diente der Versorgung der Stadt St. Gallen sowie der umliegenden Landschaft.3

1.3 Städtische Schulen

Schon früh gab es in St. Gallen im Kloster eine Lateinschule. Im 12. und 13. Jahrhundert wurde der Betrieb der Lateinschule in der Stadt aber nicht mehr von den Mönchen des nahen Klosters, sondern von Weltklerikern aufrechterhalten.4 Über die Anfänge der städtischen Schulen weiß man wenig. Es gab eine Deutsche Schule und eine daran anschließende Lateinschule; allerdings ist wenig zu den spätmittelalterlichen Lehrinhalten bekannt. Möglicherweise nahm die Stadtschule mit dem vom Rat Mitte des 14. Jahrhunderts angestellten Schulmeister Johann von Gaienhofen ihren Anfang. Es wurden vielleicht 40 Knaben in der Grundstufe und einige ältere Jahrgänge bis zur Hochschulreife unterrichtet. Die für die spätere berufliche Tätigkeit grundlegenden Lese-, Schreib- und Rechenfähigkeiten vermittelte die Deutsche Schule. Aufgabe der Lateinschule war die Vorbereitung zur Universität, nicht die Vermittlung von allgemeiner Bildung für einen praktischen Beruf. Reiche Bürger wie die Familie Zollikofer, die vor allem im Textilhandel tätig war, beschäftigten zudem wie Adlige eigene Hauslehrer.

Studienorte von St. Gallern waren um 1500 die Universitäten in Basel, Wien, Leipzig, Freiburg im Breisgau, Heidelberg, Erfurt, Tübingen, Wittenberg, Krakau. Nebst persönlichen Beziehungen spielten Netzwerke aus dem internationalen St. Galler Textilhandel – zum Beispiel im Falle von Krakau – eine Rolle bei der Wahl des Studienortes.5

2. Schriftgebrauch im Alltag

Im Zentrum dieses Beitrags steht das...



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