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E-Book, Deutsch, 160 Seiten

Schlegel Lucinde


1. Auflage 2020
ISBN: 978-87-26-54434-3
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 160 Seiten

ISBN: 978-87-26-54434-3
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



'Lucinde', ein Klassiker der Frühromantik, dessen romantisches Ideal auch noch heute aktuell ist! In dem Romanfragment, bestehend aus Briefen und Aphorismen, wird die Liebesbeziehung zwischen Julius und Lucinde beschrieben. Die Erzählung, die an Schlegels eigenes Verhältnis mit einer älteren, verheirateten Frau angelehnt ist, machte den Roman zu einem gesellschaftlichen Skandal. Zudem wurde auch an erotischen Beschreibungen nicht gespart, was die Popularität von 'Lucinde' nur erhöhte.-

Friedrich Schlegel ( 1772-1829) war ein deutscher Philologe, Literaturkritiker und Publizist, dessen literarisches Werk prägend für die deutsche Frühromantik war. Nach einer abgebrochenen Kaufmannslehre in Leipzig, folgte das Studium der Rechtswissenschaft. Später siedelte er dann nach Jena über und wurde dort an der Universität Dozent für Philosophie.

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ALLEGORIE VON DER FRECHHEIT
Sorglos stand ich in einem kunstreichen Garten an einem runden Beet, welches mit einem Chaos der herrlichsten Blumen, ausländischen und einländischen, prangte. Ich sog den würzigen Duft ein und ergötzte mich an den bunten Farben: aber plötzlich sprang ein häßliches Untier mitten aus den Blumen hervor. Es schien geschwollen von Gift, die durchsichtige Haut spielte in allen Farben, und man sah die Eingeweide sich winden wie Gewürme. Es war groß genug, um Furcht einzuflößen; dabei öffnete es Krebsscheren nach allen Seiten rund um den ganzen Leib; bald hüpfte es wie ein Frosch, dann kroch es wieder mit ekelhafter Beweglichkeit auf einer unzähligen Menge kleiner Füße. Mit Entsetzen wandte ich mich weg: da es mich aber verfolgen wollte, faßte ich Mut, warf es mit einem kräftigen Stoß auf den Rücken, und sogleich schien es mir nichts als ein gemeiner Frosch. Ich erstaunte nicht wenig, und noch mehr, da plötzlich jemand ganz dicht hinter mir sagte: „Das ist die öffentliche Meinung, und ich bin der Witz; deine falschen Freunde, jene Blumen, sind schon alle welk.“ — Ich sah mich um und erblickte eine männliche Gestalt mittlerer Größe; die großen Formen des edlen Gesichts waren so ausgearbeitet und übertrieben, wie wir sie oft an römischen Brustbildern sehen. Ein freundliches Feuer strahlte aus den offenen lichten Augen, und zwei große Locken warfen und drängten sich sonderbar auf der kühnen Stirn. „Ich werde ein altes Schauspiel vor dir erneuern, sprach er: Einige Jünglinge am Scheidewege. Ich selbst habe es der Mühe wert gehalten, sie in müßigen Stunden mit der göttlichen Phantasie zu erzeugen. Es sind die echten Romane, vier an der Zahl und unsterblich wie wir.“ — Ich schaute, wohin er winkte, und ein schöner Jüngling flog, kaum bekleidet, über die grüne Ebene. Schon war er fern, und ich sah nur noch eben, daß er sich auf ein Roß schwang und davoneilte, als wollte er den lauen Abendwind überflügeln und seiner Langsamkeit spotten. Auf dem Hügel zeigte sich ein Ritter in voller Rüstung, groß und hehr von Gestalt, beinahe ein Riese: aber die genaue Richtigkeit seines Wuchses und seiner Bildung, nebst der treuherzigen Freundlichkeit in seinen bedeutenden Blicken und umständlichen Gebärden, gab ihm dennoch eine gewisse altväterliche Zierlichkeit. Er neigte sich gegen die untergehende Sonne, ließ sich langsam auf ein Knie nieder und schien mit großer Inbrunst zu beten, die rechte Hand auf dem Herz, die linke an der Stirn. Der Jüngling, der zuvor so schnell war, lag nun ganz ruhig am Abhange und sonnte sich in den letzten Strahlen; dann sprang er auf, entkleidete sich, stürzte in den Strom und spielte mit den Wellen, tauchte unter, kam wieder hervor und warf sich von neuem in die Flut. Fernab im Dunkel des Hains schwebte etwas in griechischem Gewande wie eine Gestalt: aber wenn es eine ist, dachte ich, so kann sie kaum der Erde angehören; so matt waren die Farben, so eingehüllt das Ganze in heiligen Nebel. Da ich länger und genauer hinsah, zeigte sich‘s, daß es auch ein Jüngling sei, aber von ganz entgegengesetzter Art. Haupt und Arme lehnte die hohe Gestalt an eine Urne; seine ernsten Blicke schienen bald ein verlorenes Gut auf dem Boden zu suchen, bald die blassen Sterne, die schon zu schimmern begannen, etwas zu fragen; ein Seufzer öffnete die Lippen, um die ein sanftes Lächeln schwebte. — Jener ernste sinnliche Jüngling war unterdessen der einsamen Leibesübungen überdrüssig geworden und eilte mit leichten Schritten gerade auf uns zu. Er war nun ganz bekleidet, fast wie ein Schäfer, aber sehr bunt und sonderbar. Er hätte so auf einer Maskerade erscheinen können, auch spielten die Finger seiner Linken mit den Fäden, an denen eine Maske hing. Man hätte den phantastischen Knaben ebensogut für ein mutwilliges Mädchen halten mögen, das sich aus Laune verkleidet. Bisher ging er in gerader Richtung, aber plötzlich wurde er unsicher; er ging erst auf die eine Seite, dann eilte er zurück nach der andern und lachte dabei über sich selbst. „Der junge Mensch weiß nicht, ob er sich zur Frechheit oder zur Delikatesse halten soll“, sagte mein Begleiter. Ich sah zur Linken eine Gesellschaft schöner Frauen und Mädchen; zur Rechten stand eine große allein, und da ich hinsehen wollte nach der gewaltigen Form, begegnete ihr Blick dem meinen so scharf und kühn, daß ich die Augen niederschlug. Mitten unter den Damen war ein junger Mann, den ich sogleich für einen Bruder der anderen Romane erkannte. Einer von denen, wie man sie gegenwärtig sieht, aber viel gebildeter; seine Gestalt und sein Gesicht war nicht schön, aber fein, sehr verständig und äußerst anziehend. Man hätte ihn ebensogut für einen Franzosen wie für einen Deutschen halten können; seine Kleidung und seine ganze Art war einfach, aber sorgfältig und völlig modern. Er unterhielt die Gesellschaft und schien sich für alle lebhaft zu interessieren. Die Mädchen waren sehr beweglich um die vornehmste Dame und schwatzten viel untereinander. „Ich habe doch noch mehr Gemüt wie du, liebe Sittlichkeit!“ sagte die eine; „aber ich heiße auch Seele, und zwar die schöne.“ Die Sittlichkeit wurde etwas blaß und die Tränen schienen ihr nahe zu sein. „Ich war doch gestern so tugendhaft“, sagte sie, „und mache immer größere Fortschritte in der Anstrengung. Ich habe genug an meinen eignen Vorwürfen, warum muß ich noch welche von dir hören?“ — Eine andere, die Bescheidenheit, war neidisch auf die, welche sich die schöne Seele nannte und sprach: „Ich bin böse mit dir, du willst mich nur als Mittel brauchen.“ — Die Dezenz, da sie die arme öffentliche Meinung so hilflos auf dem Rücken liegen sah, vergoß drittehalb Tränen und gebärdete sich dann auf eine interessante Weise, das Auge zu trocknen, welches aber gar nicht mehr naß war. — „Wundre dich nicht über diese Offenheit, sagte der Witz; sie ist weder gewöhnlich noch willkürlich. Die allmächtige Phantasie hat diese wesenlosen Schatten mit ihrem Zauberstabe berührt, damit sie ihr Inneres offenbaren. Du wirst gleich noch mehr hören. Aber die Frechheit redet von freien Stücken so.“ „Der junge Schwärmer da“, sagte die Delikatesse, „soll mich recht amüsieren; der wird immer schöne Verse auf mich machen. Ich werde ihn in der Ferne halten wie den Ritter. Der Ritter ist freilich schön, wenn er nur nicht so ernsthaft und feierlich aussähe. Der klügste von allen ist wohl der Elegant, der jetzt mit der Bescheidenheit spricht; ich glaube, er persifliert sie. Wenigstens hat er über die Sittlichkeit und ihr fades Gesicht viel Hübsches gesagt. Er hat doch mit mir am meisten gesprochen, und könnte mich wohl einmal verführen, wenn ich mich nicht anders besinne, oder wenn keiner erscheint, der noch mehr nach der Mode ist.“ — Der Ritter hatte sich der Gesellschaft nun auch genähert; die linke Hand stützte sich auf den Griff des großen Schwertes, und mit der Rechten bot er den Anwesenden höflichen Gruß. — „Ihr seid doch alle gewöhnlich, und ich habe Langeweile“, sagte der moderne Mann, gähnte und ging fort. Ich sah nunmehr, daß die Frauen, die ich beim ersten Blick für schön gehalten hatte, eigentlich nur blühend und artig, übrigens aber unbedeutend waren. Sah man genau zu, so fanden sich sogar gemeine Züge und Spuren von Verderbtheit. Die Frechheit schien mir nun weniger hart, ich konnte sie dreist ansehen und mußte es mir mit Verwunderung gestehen, daß ihre Bildung groß und edel sei. Sie ging hastig auf die schöne Seele zu und griff ihr gerade ins Gesicht. „Das ist nur eine Maske“, sagte sie; „du bist nicht die schöne Seele, sondern höchstens die Zierlichkeit, oft auch die Koketterie.“ — Dann wandte sie sich zum Witz mit den Worten: „Wenn du die gemacht hast, die man jetzt Romane nennt, so hättest du deine Zeit auch besser anwenden können. Kaum hie und da finde ich in den besten etwas von der leichten Poesie des flüchtigen Lebens; aber wohin ist sie entflohen, die kühne Musik des liebrasenden Herzens, sie, die alles mit sich fortreißt, so daß der Wildeste zärtliche Tränen vergießt und die ewigen Felsen selber tanzen? Keiner ist so albern und keiner so nüchtern, der nicht von Liebe schwatzt: aber wer sie noch kennt, hat kein Herz und keinen Glauben, sie auszusprechen.“ Der Witz lachte, der himmlische Jüngling winkte Beifall aus der Ferne, und sie fuhr fort: „Wenn die, welche unvermögend am Geist sind, Kinder mit ihm zeugen wollen; wenn die, welche es gar nicht verstehen, zu leben wagen: das ist höchst unanständig, denn es ist höchst unnatürlich, und höchst unschicklich. Aber daß der Wein schäumt und der Blitz zündet, ist ganz richtig und ganz schicklich.“ — Der leichtfertige Roman hatte nun gewählt; er war bei diesen Worten schon um die Frechheit und schien ihr ganz ergeben. Sie eilte Arm in Arm mit ihm davon und sagte nur im Vorbeigehen zu dem Ritter: „Wir sehen uns wieder.“ „Das waren nur äußerliche Erscheinungen, sprach mein Beschützer und du wirst gleich das Innere in dir schauen. Übrigens bin ich eine wahre Person und der wahre Witz; das schwöre ich dir bei mir selber, ohne den Arm in die Unendlichkeit auszustrecken.“ Alles verschwand nun und auch der Witz wuchs und dehnte sich, bis er nicht mehr war. Nicht mehr vor und außer mir, wohl aber in mir glaubte ich ihn wieder zu finden; ein Stück meines Selbst, und doch verschieden von mir, in sich lebendig und selbständig. Ein neuer Sinn schien mir aufgetan; ich entdeckte in mir eine reine Masse von mildem Licht. Ich kehrte in mich selbst zurück und in den neuen Sinn, dessen Wunder ich schaute. Er sah so klar und bestimmt, wie ein geistiges, nach Innen gerichtetes Auge: dabei waren aber seine...



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