E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Schlichtmann Mein merkwürdig schöner Sommer mit Luna
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-446-28353-4
Verlag: Hanser, Carl
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
ISBN: 978-3-446-28353-4
Verlag: Hanser, Carl
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Silke Schlichtmanns warmherziges Sommerabenteuer über Familie, Vertrauen und Mut. Die draufgängerische Luna und der grübelnde Skat – ein ungleiches Team, das immer zusammenhält
So hat Skat sich seine Ferien nicht vorgestellt: Erst ist sein bester Freund Jeppe wie vom Erdboden verschluckt. Dann hat Papa diese bescheuerte Idee mit dem Kitesurfkurs. Und schließlich geht's auch noch ohne Mama in den Nordseeurlaub. Mist, Mist, Sommerobermist! Bis Skat im Zug nach Cuxhaven Luna kennenlernt. Sie ist von zu Hause abgehauen. Sucht ihren echten Vater. Skat verspricht, ihr zu helfen. Und schon steckt er mittendrin im aufregendsten Sommer seines Lebens – muss seinen Vater anschwindeln und den Kitesurfkurs schwänzen (richtig schwer), Strandkorbwärter ausfragen und die Sache mit Ringelnatz kapieren (ziemlich gut) und immer wieder Luna bremsen, die oft mit dem Kopf durch die Wand will. Eine Geschichte über Familie und Freundschaft, Lüge und Vertrauen, Wut und Mut, spannend, witzig und herzerwärmend erzählt.
Weitere Infos & Material
Erstes Kapitel Ich packe meinen Koffer
Wenn Tante Herta aus Celle nicht diese blöde Idee mit dem Kirschbaum gehabt hätte, dann wäre das alles gar nicht passiert. Und ich hätte den aufregendsten Sommer meines Lebens verpasst. Denn genau so fing es an: Tante Herta aus Celle kletterte in den Kirschbaum. Drei Stunden später klingelte bei uns das Telefon. Und noch mal zwanzig Minuten später kam Stig in mein Zimmer gestürzt. Da saß ich gerade im Schneidersitz vor dem geöffneten Schrank und überlegte, was ich für zwei Wochen Cuxhaven alles in den Koffer packen musste. Dabei wollte ich den Koffer gar nicht packen. Halt! Stopp! Wenn ihr mich ein bisschen kennen würdet, würdet ihr an genau dieser Stelle sofort stutzen. Und sagen: »Wie, Skat? Du wolltest den Koffer nicht packen? Mach keine Scherze!« Die Sache ist nämlich die: Ich bin offiziell gekrönter Kofferpacker. Und in ganz Guderhandviertel bekannt dafür. Und in Steinkirchen auch. Seit ich dort mit sechs Jahren auf dem Schützenfest an diesem Ich-packe-meinen-Koffer-Wettbewerb teilgenommen und alle, alle besiegt habe. Bei 42 Gegenständen im Koffer musste sogar Rolf Pape aufgeben. Weil ihm der Rührbesen nicht wieder einfiel, dabei hatte er den selbst eingepackt. Rolf Pape war damals Bürgermeister, er wurde dann nicht wiedergewählt. Wenn ihr mich aber nicht nur ein bisschen, sondern richtig gut kennen würdet, würdet ihr nicht stutzen. Denn dann wäre euch sofort klar, warum ich diesen Sommer keinen Koffer packen wollte. Und ihr würdet mich nach Jeppe fragen und ob ich vielleicht doch etwas von ihm gehört hätte. Aber da nicht mal meine Eltern mich so gut zu kennen schienen, dass sie das alles wirklich kapierten, kann ich das von euch bestimmt auch nicht erwarten. Also erkläre ich es wohl besser. Aber vorher ist erst mal Stig wieder dran, mein kleiner Bruder, die Nervensäge von fünf Jahren. Er stand immer noch mit himbeerrotem Kopf, völlig außer Puste vor mir. Keuchte und sagte: »Tante Herta ist aus dem Kirschbaum gefallen. Mama ändert den Plan. Du sollst runterkommen. Sofort! Ich muss auch noch zu Papa.« Beim letzten Satz flitzte er bereits weiter. Okay, dachte ich, vielleicht hatte sich das mit dem Kofferpacken ja bereits erledigt. Ich rannte die Treppe runter. Und, zack, keine drei Minuten später saßen wir schon alle um unseren zerschrubbelten gelben Küchentisch herum: Mama, Papa, Stig und ich. Nur Alva fehlte. Meine große Schwester war in irgend so einem Enrichment-Camp. Falls ihr da noch nie was von gehört habt (Glückspilze, ihr!): Das ist Englisch und heißt auf Deutsch so viel wie Bereicherungslager, behauptet Google auf Papas Handy jedenfalls. Klingt fies. Und ist es auch: Da werden Schlaue noch schlauer gemacht. Dabei ist Alva so schon schlimm genug. Zurück zum Küchentisch und dem, was Mama uns jetzt erzählte: Ihre Patentante Herta aus Celle war aus dem Kirschbaum gefallen. Und hatte sich den Arm gebrochen. Das Schlüsselbein war wohl auch noch angeknackst. »Warum bitte klettert deine Patentante mit 86 Jahren noch in Kirschbäumen herum?«, fragte Papa sofort. »Das tut doch nichts zur Sache«, entgegnete Mama. »Aber wenn du es unbedingt wissen willst: Ich vermute, dass sie Kirschen pflücken wollte.« »Okay, verstanden«, sagte Papa, »ich bin schon still.« Mama erklärte weiter, dass sie Tante Herta nicht ihrem Schicksal überlassen könne. Es wäre der linke Arm, den sie sich gebrochen hätte. »Glück im Unglück«, warf Papa sofort ein. So richtig gut bekam er das mit dem Stillsein noch nicht hin. »Von wegen!«, sagte Mama und funkelte Papa an. »Falls du’s vergessen haben solltest: Tante Herta ist Linkshänderin!« Danach sagte Papa wirklich erst mal nichts mehr. »Ich bin auch Linkshänder«, meldete sich dafür jetzt Stig. Und streckte seine rechte Hand in die Luft. Papa lachte. Leise zwar nur, aber trotzdem. »Was ist denn daran bitte witzig?«, murmelte ich. Eine Antwort auf diese wichtige Frage erhielt ich nicht. Denn in genau dem Moment, als ich murmelte, klingelte auch das Telefon. Papa sprang auf. Mama funkelte ihn erneut an. Weil wir nämlich eine Regel haben. Also, eigentlich haben wir sogar sehr viele Regeln, aber jetzt geht’s nur um diese eine: Unsere Küchengespräche sind wichtiger als jeder Telefonanruf. Mama funkelte also. Papa begriff, lachte nicht mehr — und setzte sich wieder hin. Woraufhin Stig verwirrt zwischen Mama und Papa hin- und herguckte, seine rechte Hand wieder runternahm und dafür die linke hochstreckte: »Oder die?« Und ich dachte: Wenn das so weitergeht, sitzen wir hier noch morgen früh. Es ging aber nicht so weiter. Denn wenn meine Mutter eines kann, dann ist es energisch sein — wenn es notwendig ist und die Zeit wahnsinnig drängt. Beides war ganz klar der Fall. »Ihr hört mir jetzt mal alle zu!«, sagte sie — in einem Ton und mit einem Blick, dass uns auch gar nichts anderes übrig blieb, als genau das zu tun: zuhören. Irgendwann weiß ich vielleicht auch mal, wie das geht — also nicht das Zuhören, das kann ich schon perfekt (wäre ich sonst Ich-packe-meinen-Koffer-König?). Aber sprechen mit diesem Blick, in diesem Ton — und dass meine Familie tatsächlich mal macht, was ich will. Mama erklärte uns, wofür Tante Herta ihre linke Hand so alles braucht. Das war unglaublich viel. Was sie deshalb jetzt alles nicht mehr machen könne. War fast noch mehr (geht nicht, ich weiß, hörte sich trotzdem so an). Und dass sie ja ganz allein lebe. Dass sie doch keine Kinder habe. Dass ihr kleiner Bruder (der ist übrigens schon 83 Jahre alt, aber ist man als Bruder erst mal klein, wird man wohl nie mehr groß) bereits im Altersheim sei — und ihre Freundinnen schon alle weggestorben wären. Dann sagte Mama, dass es ihr wahnsinnig leidtäte, sie sich das auch alles anders vorgestellt hätte. Bei den letzten Worten guckte sie nur mich so richtig an, fragt mich nicht, warum. Und endlich ließ sie es raus: »Ich kann nicht mit nach Cuxhaven kommen.« Sofort verzog Stig das Gesicht. Woraufhin ich mir sicherheitshalber schon mal die Ohren zuhielt. Doch dann streckte mein kleiner Bruder nur beide Hände zusammen in die Luft, drehte sie hin und her. Ich legte meine Ohren wieder frei. Und hörte Stig sagen: »Und wenn ich mir auch eine Hand breche?« »Es ist nicht die Hand, die Tante Herta sich gebrochen hat. Es ist der Arm, du Zwerg«, sagte ich. Also das hätte ich gern gesagt. Weil Stig doch echt mal lernen muss, richtig zuzuhören. Aber ich bin ja nicht erziehungsberechtigt. Behauptet Mama jedenfalls. Und noch mehr Ärger war gerade auch keine gute Idee. Also hielt ich den Mund. Und musste plötzlich an diesen blöden Kitesurfkurs denken, für den Papa mich angemeldet hatte. Mama war zwar nicht so begeistert gewesen. Aber Mama würde ja jetzt nicht mehr mitfahren. Stigs Hände kreisten noch immer in der Luft herum. Mama sagte: »Du brichst dir gar nichts, mein Schatz. Du baust ganz tolle Sandburgen am Strand. Und Papa macht Fotos davon.« Papa nickte — mit verwirrtem Blick. Stig machte: »Oh.« Ließ die Hände fallen. Juchzte: »Hurra!« Und sein Gesicht begann erneut zu leuchten. Bestimmt malte er sich gerade aus, mit was er die Sandburgen alles verzieren könnte. Letztes Jahr hatte er dafür den Picknickkorb einer Familie zwei Strandkörbe weiter geplündert. Und mit den Gurkentürmen, den Karottenspitzen und den Minitomatenkanonenkugeln sah Stigs Burg auch wirklich großartig aus. Aber als die Familie zwei Strandkörbe weiter Hunger bekam, interessierte das plötzlich niemanden mehr. Papa guckte noch immer verwirrt, seufzte jetzt laut, sah zu Mama, sagte: »Mensch, Tina!« Und begann mit dem Stuhl zu kippeln; das macht er immer, wenn ihm was nicht so wirklich gut gefällt. Woraufhin Mama die Stirn runzelte und sich auf die Lippen biss — vermutlich, weil sie Papa echt liebt, aber Stuhlkippeln hasst. Und ich? Ich wusste, dass ich den Koffer jetzt wirklich packen musste. Für einen Urlaub nur zu dritt — Papa, die Nervensäge und ich. War ja klar, wie es in dieser Kombi die nächsten Tage laufen würde. Dachte ich. Und hatte mich noch niemals so geirrt. ...