E-Book, Deutsch, Band 5, 256 Seiten
Reihe: Survival
Schlüter Survival – Im Netz der Spinne
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7336-5170-1
Verlag: Fischer Kinder- und Jugendbuch Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Band 5
E-Book, Deutsch, Band 5, 256 Seiten
Reihe: Survival
ISBN: 978-3-7336-5170-1
Verlag: Fischer Kinder- und Jugendbuch Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Bevor Andreas Schlüter, geboren 1958, mit dem Schreiben von Kinder- und Jugendbüchern begann, leitete er Kinder- und Jugendgruppen und arbeitete als Journalist und Redakteur. 1994 feierte er mit dem Kinderroman »Level 4 - Die Stadt der Kinder« einen fulminanten Erfolg. Seit über dreißig Jahren ist er als Autor tätig.
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Zuhause!
Mike erwachte durch ein Motorengeräusch.
Motorengeräusch? Hier? Dann waren Menschen in der Nähe! Menschen aus der Stadt! Ihre Rettung! Mike schreckte hoch, öffnete die Augen, sah sich um – und war verwirrt.
Er blickte nicht in zig meterhohe Baumkronen, war nicht umgeben von dichten, undurchdringlichen Büschen und Gestrüpp, lag nicht auf hartem, von Wurzeln durchzogenem Boden. Ihm krabbelten weder Käfer über die Beine noch schwirrten Insekten um seinen Kopf. Er hörte kein Krächzen, Schreien, Pfeifen, Piepsen, Rufen. Außer dem einen Motorengeräusch, das sich rasch entfernte, war es still.
Er saß aufrecht in einem weichen, sauberen Bett. Es roch ganz frisch.
Richtig, er war ja schon gerettet worden! Gemeinsam mit seiner Schwester Elly und seinen Freunden, den Brüdern Matheus und Gabriel.
Vor wenigen Tagen erst waren sie wieder zu Hause angekommen, aber noch immer träumte Mike jede Nacht vom Regenwald; von ihrem Absturz mit dem Flugzeug, ihrer Suche nach Nahrung, dem Sammeln von Beeren und anderen Früchten, von den Kämpfen mit Drogenhändlern, Goldsuchern und illegalen Holzfällern. Von Giftschlangen und Kaimanen, von gefährlichen Spinnen und gerösteten Termiten. Von Indigenen, die sie gerettet und mit denen sie sich angefreundet hatten; und die dann überfallen worden waren, fliehen mussten … getötet wurden. Davi, zum Beispiel, der stets freundliche, immer fröhlich lachende Junge eines nahezu unkontaktierten Volkes, ohne den Mike jetzt nicht hier in seinem frisch bezogenen Bett sitzen würde …
Mike stand auf, schaute aus seinem Fenster und war für einen Moment erstaunt, nicht im Parterre auf einen Parkplatz zu blicken. Das war sein altes Zuhause gewesen, in Deutschland. Dieses neue Zuhause war ihm noch immer fremd. Nur wenige Tage, nachdem er und seine Schwester Elly zu ihrem Vater nach Manaus gekommen waren, hatten sie ihren verhängnisvollen Rundflug unternommen. Mike war noch gar nicht dazu gekommen, sich im neuen Haus einzuleben, geschweige denn, seine Kartons auszupacken, die noch immer gestapelt an der kahlen, weißen Wand rechts von ihm standen. Genau dort, wo die Möbelpacker sie abgestellt hatten.
Drei Monate war das jetzt her, wie er nach seiner Rückkehr erfahren hatte. Während ihres Überlebenskampfes hatten sie jegliches Zeitgefühl verloren.
Mikes neues Zimmer lag im ersten Stock und nach hinten heraus. Das Auto, das er gehört hatte, musste also kurz hinters Haus gefahren sein.
Da sah Mike es auch schon: Seine Eltern hatten einige neue Gartengeräte und Pflanzen ausgeladen, die jetzt in einem Haufen auf der Brachfläche lagen, die mal ihr Garten werden sollte. Seine Eltern hatten nicht die Nerven gehabt, sich auch nur eine Minute darum oder um das neubezogene Haus zu kümmern, während ihre Kinder im Dschungel verschollen gewesen waren. Ihre Mutter, die noch am Tag des Absturzes aus Deutschland nachgekommen war – zwei Wochen eher als ursprünglich geplant –, hatte ihnen erzählt, sie hätten nie die Hoffnung aufgegeben und immer daran geglaubt, dass Mike und Elly noch am Leben waren. Gemeinsam mit den Eltern von Matti und Gabriel hatten sie Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um die verschollenen Kinder zu finden. Doch irgendwann waren ihre Möglichkeiten erschöpft gewesen. Die offiziellen Stellen – von der Polizei bis hin zu Hilfsorganisationen – hatten eines Tages aufgegeben und den Elternpaaren keinerlei Hoffnung mehr gemacht.
Es muss furchtbar für sie gewesen sein, hatte Mike sich überlegt. Na gut, er, seine Schwester und seine Freunde hatten auch etliche Tage – und vor allem Nächte – durchstehen müssen, an denen sie verzweifelt gewesen waren, nicht mehr weitergewusst hatten, beinahe schon an ihrer Angst allein zugrunde gegangen wären. Aber sie hatten ihr Überleben wenigstens selbst in der Hand gehabt, hatten etwas tun können, darum gekämpft. Und sie hatten zu jeder Zeit gewusst, dass ihre Eltern lebten und zu Hause auf sie warteten. Die aber konnten ab einem gewissen Zeitpunkt nur noch hoffen, beten und glauben. Sie waren zur Untätigkeit verdammt und in der Ungewissheit gefangen gewesen, ob ihre Kinder überhaupt noch lebten.
Entsprechend überwältigend war die Freude ihrer Eltern gewesen, als sie die Nachricht erreicht hatte, dass ihre Kinder entdeckt worden waren: in einem alten klapprigen Kahn auf einem kleinen Zufluss des Rio Branco, knapp 500 Kilometer von ihrem Zuhause entfernt, etwa 100 Kilometer vor der nächstgrößeren Stadt, Caracaraí, in der es sogar einen Flughafen gibt.
Mike erinnerte sich, mit welch mulmigem Gefühl sie alle vier in die kleine zweimotorige Maschine eingestiegen waren, um wieder nach Hause zu fliegen. Zu fliegen! Womit ja die ganze Katastrophe begonnen hatte!
Die Polizei hatte extra einen zweiten Piloten mitreisen lassen, um den Kindern die Angst vor einem erneuten Unglücksfall zu nehmen.
Mike dachte kurz an den armen Luiz, den netten, freundlichen, älteren Piloten, der während ihres Rundflugs an einem Herzinfarkt gestorben war, was dann zu ihrer Bruchlandung mitten im Dschungel geführt hatte. Sie hatten ihn bei einer kleinen Trauerzeremonie verbrannt, bevor sie sich auf die lange Suche nach dem Heimweg gemacht hatten.
»Hey, guten Morgen!« Elly platzte in Mikes Zimmer.
Sie war bereits fertig angezogen und hielt ein paar Papiere und Prospekte in der Hand. »Endlich wach?«
»Wie spät ist es denn?«, fragte Mike.
»Zehn vor zehn!«, antwortete Elly. »In zehn Minuten kommen Gabriel und Matti. Schon vergessen? Aber Mama hat gesagt, ich soll dich ausschlafen lassen.«
»Wieso das denn? Shit!« Mike sprang auf die Umzugskisten zu, um sich frische Kleidung rauszusuchen. »Bin gleich fertig!«
Er stürzte mit den Klamotten auf dem Arm an Elly vorbei aus dem Zimmer, blieb dann aber auf dem Flur stehen. Wo war hier noch mal das Badezimmer? Ach ja, richtig, links herum, die Tür am Ende des Flurs. Ihr eigenes Bad, nur für Elly und ihn!
Irre!, fand Mike, als er aufs Badezimmer zuging. Zu Hause in Deutschland hatten sie das nicht gehabt. Und im Regenwald wäre er manches Mal froh gewesen, wenn es überhaupt irgendwo so etwas Ähnliches wie ein Klo gegeben hätte. Es hatte ihn anfänglich einige Überwindung gekostet, einfach so auf dem Waldboden, über unzähligen krabbelnden Käfern, Insekten und Würmern, sein Geschäft zu erledigen. Von Toilettenpapier natürlich ganz zu schweigen, und Wasser war zu wertvoll gewesen, um sich damit den Hintern zu waschen. Mühsam hatten sie den täglichen Regen aufgefangen, um Trinkwasser zu gewinnen. Wochenlang waren sie auf keinen Fluss oder Bach gestoßen.
Mike presste sich einen Klecks Zahnpasta auf seine elektrische Zahnbürste. Die vergangenen drei Monate hatten sie sich die Zähne jeden Tag einfach nur mit dem Finger und einem weichen Stück Holz notdürftig gereinigt. Für sie alle war die Vorstellung, mitten im Dschungel Zahnschmerzen zu kriegen, der pure Horror gewesen.
Zahnschmerzen sind immer eine äußerst blöde Sache. Aber stell dir vor, du bekommst welche, und dann ist weit und breit kein Zahnarzt in der Nähe, der dir helfen kann! Um dem vorzubeugen, sollte man also auch in der Wildnis regelmäßig die Zähne putzen, selbst wenn man weder Zahnbürste noch Zahnpasta bei sich hat.
Nur wie?
Zunächst sucht man sich eine »natürliche Zahnbürste«. Dazu eignet sich zum Beispiel Süßholz. Du brauchst nichts weiter zu tun, als auf dem Ende eines Süßholz-Zweigs herumzukauen, bis es faserig wird. Dadurch entsteht so etwas wie ein kleiner Besen, mit dem man wunderbar seine Zähne putzen kann.
Ist kein Süßholz zu finden, lässt sich das auch auf andere weiche Hölzer übertragen.
Zudem gibt es zahlreiche Pflanzen, die bei der Zahnpflege und teilweise sogar gegen Zahnschmerzen oder Zahnentzündungen helfen, so zum Beispiel:
Daraus einen starken Tee kochen, Mund spülen, ausspucken. Wird zur Beruhigung des Zahnfleischs eingesetzt.
Die ätherischen Öle des Salbeis können Zahnfleischentzündungen hemmen. Die Salbeiblätter kauen, dann den Mund mit Wasser ausspülen. Man kann auch einen Tee kochen, der darüber hinaus sogar gegen Halsschmerzen hilft. Mit dem Tee dann gurgeln und anschließend ausspucken.
Zu einem Pulver zerstampfen. Dieses kann man zur Zahnreinigung einsetzen. Oder (siehe unten) in die Zahnpasta mischen.
Schmeckt gut und wirkt erfrischend. Hat antibakterielle Eigenschaften. Einfach die gewaschenen Blätter kauen oder aus den Blättern einen starken Tee kochen. Den Tee aber nicht trinken, sondern damit nur den Mund kräftig ausspülen.
Den Geschmack kennt jeder, denn er ist in vielen Zahncremes enthalten, die man bei uns in den Drogerien kaufen kann.
Pfefferminze hat ebenfalls antibakterielle und entzündungshemmende Eigenschaften. Sie wird benutzt wie Zitronenmelisse: kauen oder Tee zum Spülen kochen.
Hat desinfizierende und ebenso entzündungshemmende Eigenschaften. Auch hier: kauen oder als Tee zum Spülen.
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