E-Book, Deutsch, Band 1, 256 Seiten
Reihe: Survival
Schlüter Survival – Verloren am Amazonas
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-7336-4953-1
Verlag: Fischer Kinder- und Jugendbuch Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Band 1
E-Book, Deutsch, Band 1, 256 Seiten
Reihe: Survival
ISBN: 978-3-7336-4953-1
Verlag: Fischer Kinder- und Jugendbuch Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Bevor Andreas Schlüter, geboren 1958, mit dem Schreiben von Kinder- und Jugendbüchern begann, leitete er Kinder- und Jugendgruppen und arbeitete als Journalist und Redakteur. 1994 feierte er mit dem Kinderroman »Level 4 - Die Stadt der Kinder« einen fulminanten Erfolg. Seit über dreißig Jahren ist er als Autor tätig.
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Abgestürzt
Jetzt lag Mike hier. Irgendwo im Dickicht. Wo waren die anderen? Bisher hatte er nur die Stimme seiner Schwester gehört. Er kroch in ihre Richtung, musste hier und da ein paar wilde Sträucher beiseitedrücken, und dann sah er – nicht nur Elly.
Im Hintergrund, aber bestimmt mindestens hundert Meter entfernt, entdeckte er das Flugzeug, verbeult und zerschellt. Es steckte mit der Nase schräg in der Erde, das Heck qualmte und kokelte noch vor sich hin.
Der Boden war feucht, die Pflanzen nass. Ebenso wie seine Kleidung, wie Mike erst jetzt bemerkte. Es schien geregnet zu haben. Möglicherweise stand nur deshalb der Urwald um sie herum nicht lichterloh in Flammen.
Mike krabbelte auf seine Schwester zu.
»Zeig mal!« Vorsichtig hob er ihren Fuß an.
Elly zuckte vor Schmerz zusammen. Das ganze Bein war mit blutigen Kratzern übersät, die Hose zerrissen. Aber … Mike hob ihren Fuß nur mit seiner rechten Hand noch ein Stückchen an. Um ihn zu drehen, benötigte er auch seine zweite Hand, doch der linke Arm schmerzte entsetzlich. Dennoch biss er die Zähne zusammen und drehte langsam und vorsichtig ihren Fuß. Fragend sah er sie an.
»Die Wunden brennen«, antwortete Elly. »Aber ich glaube nicht, dass etwas gebrochen ist.«
»Hoffentlich«, sagte Mike und legte den Fuß seiner Schwester wieder so behutsam ab, wie er ihn hochgehoben hatte.
Elly richtete sich langsam auf und schaute besorgt ins Gesicht ihres Bruders.
»Und du?«
»Alles so weit in Ordnung«, versuchte Mike sie zu beruhigen. »Bis auf die blutende Wunde hier! Und mein linker Arm tut weh.«
Er drehte ihn langsam mit schmerzverzerrter Miene.
»Verdreht oder verstaucht«, vermutete er. »Gebrochen glaube ich nicht.« Anschließend zeigte er ihr sein Bein. Auch dabei verzog er sein Gesicht. Wieder durchzuckte ein stechender Schmerz seinen linken Arm, der aber so schnell wieder verschwand, wie er gekommen war.
»Geht schon«, versuchte er, Elly zu beruhigen. »Hast du die anderen gesehen?«
Elly schüttelte den Kopf. Mike formte seine rechte Faust wie einen Trichter vor dem Mund und rief nach den beiden vermissten Jungs. Doch niemand antwortete.
Ernst schauten Mike und Elly sich an.
Mike reichte ihr seinen heilen rechten Arm. »Kannst du aufstehen?«
Elly nickte ihm zu und erhob sich, wobei sie sich an Mikes rechter Schulter abstützte. Dann half sie umgekehrt ihm, aufzustehen. Sich gegenseitig stützend, standen sie nun nebeneinander und konnten ein etwas größeres Stück in dem sie umgebenden grünen Dickicht überblicken.
»Es wird bald dunkel!«, stellte Mike fest. »Wir müssen den ganzen Tag hier bewusstlos gelegen haben.«
»Da!« Elly zeigte zum Flugzeug. Mike erkannte aber erst auf den zweiten Blick, was sie meinte. Ein paar Meter weiter rechts von der abgestürzten Maschine, ungefähr zwei, drei Meter über dem Boden, hing über dem Ast eines gewaltigen Baumes die Leiche ihres Piloten!
Mike hielt vor Schreck den Atem an, Elly sich die Hand vor dem Mund.
»O nein!«, hauchte sie. »Der arme Luiz!«
Mike hatte es die Sprache verschlagen. Er spürte, wie sein Puls zu rasen begann, ihm flau in der Magengegend wurde und sich ein leichtes Schwindelgefühl in seinem Kopf ausbreitete. Denn mit dem Blick auf Luiz drängte sich wieder die Frage auf, was mit Matti und Gabriel geschehen war. Elly ergriff seine Hand und drückte sie fest, dann aber legte Mike seinen Arm um seine kleine Schwester, und sie schmiegten sich schützend aneinander.
Mike konnte den Blick auf die Leiche kaum ertragen, aber er schaffte es auch nicht, wegzuschauen. So standen sie beide für einen Moment still einfach nur da. Nie zuvor in seinem Leben war Mike sich so klein und hilflos vorgekommen wie in diesem Augenblick.
»Wo sind Matti und Gabriel?«, fragte Elly mit leiser, heiserer Stimme.
Genau das hatte Mike sich auch gerade gefragt und hoffte, dass sie die beiden nicht ebenso auffinden würden wie Luiz. , flehte er stumm.
Die beiden lösten ihre Umarmung und wollten versuchen, sich tapfer ihren Aufgaben zu stellen. Sie durften hier nicht tatenlos stehen bleiben. Im Gegenteil: Wenn sie überleben wollten, brauchten sie einen Plan.
»Wir müssen uns darauf einstellen, lange hier zu sein«, sagte Mike. »Wir müssen nachschauen, ob wir im Flugzeug etwas finden können, was wir vielleicht irgendwie brauchen können.«
Er wartete eine mögliche Erwiderung seiner Schwester nicht ab, sondern humpelte los. Die Wunden in seinem rechten Bein brannten. Sein linker Arm schmerzte noch immer.
Elly folgte ihm, fragte aber: »Wie meinst du das: Wir müssen lange hierbleiben?«
Mike blieb kurz stehen und wandte sich zu seiner Schwester um. »Weißt du, wo wir sind?«, fragte er.
Elly schüttelte den Kopf.
»Ich auch nicht. Und ich vermute, niemand weiß das. Auch die zu Hause nicht«, setzte Mike fort.
Das Entsetzen in Ellys Gesicht vergrößerte sich. »Wieso das denn nicht? Die werden uns doch wohl suchen!«
Mike zeigte hinauf in die Baumkronen. »Es dringt kaum Sonnenlicht bis hier unten durch – das heißt, von oben sieht man nichts als Grün. Selbst, wenn die direkt hierüberfliegen, sehen die uns nicht.«
»Aber die müssen doch wissen, wo wir entlanggeflogen sind!«, wandte Elly ein.
Mike schüttelte den Kopf. »Matti hatte mir erklärt, dass Luiz manuell geflogen ist, auf Sicht. Weil er sich auskannte. Verstehst du? Da waren nirgends Koordinaten eingegeben. Nichts wurde zu einem Kontrollturm oder so übertragen. Nachdem Luiz das Flugzeug nicht mehr lenken konnte, sind wir irgendwohin geflogen, nur nicht zu unserem eigentlichen Ziel. Keine Ahnung, wie weit wir abgedriftet sind. Niemand weiß das. Das Amazonasbecken ist größer als die Hälfte von Europa!«
Es erstaunte ihn selbst, wie viel er von dem, was er über das Amazonas-Gebiet während der Reise gelesen hatte, noch wusste. Wenngleich alle Daten und Fakten, die er in seinem Kopf gespeichert hatte, sich plötzlich von trockenen Sachinformationen in höchst bedrohliche Tatsachen verwandelten, mit denen sie fertigwerden mussten.
Trotz der bedrohlichen Lage versuchte auch Elly, einen kühlen Kopf zu bewahren. »Wir sind ungefähr eine Stunde geflogen. Mit so einer kleinen Maschine. Das grenzt doch die Suche enorm ein.«
»Das stimmt«, gab Mike zu. »Aber von dem Moment an, als Luiz starb, können wir in jede beliebige Richtung geflogen sein.«
Elly verstand: »Wir müssen hier allein überleben. Vielleicht sogar einige Wochen.«
Mike nickte ihr mit ernster Miene zu, öffnete den Mund. Doch dann verkniff er sich, seiner jüngeren Schwester zu sagen, dass es seiner Meinung nach auch Monate werden konnten.
»Schau mal!« Elly zeigte auf Luiz, der noch immer im Baum hing. Eine Horde kleiner süßer Äffchen hatte sich nun an ihn herangetraut und durchsuchte seine Kleidung nach Essbarem. Eines der Äffchen zog etwas aus Luiz’ rechter Seitentasche, das in der Dämmerung gelb reflektierte. Ein Schokoriegel oder so etwas, vermutete Mike. Flink hatte das Äffchen die Verpackung abgerissen, die nun wie ein erlahmter Schmetterling sachte zu Boden flatterte. In Sekundenschnelle entbrannte daraufhin unter lautem Geschrei ein Streit in der Affengruppe über das gefundene Leckerli. Der Finder schoss damit durch das Geäst davon. Die anderen folgten ihm, so dass man das schrille Gezänk noch laut hörte, nachdem die Tiere schon längst nicht mehr zu sehen waren. Im nächsten Moment kehrten die Ersten aus der Gruppe zurück, die wohl eingesehen hatten, dass sie nichts mehr abbekommen würden, und setzten die Durchsuchung des leblosen menschlichen Körpers fort.
Mike und Elly wagten sich nicht heran. Zwar waren die Äffchen wirklich klein, aber ihre Zähne sahen sehr kräftig aus. Und es waren viele. Bestimmt fünfzehn, zwanzig oder mehr. Mike suchte den Boden nach etwas ab, was vielleicht als Wurfgeschoss taugen konnte, fand aber nur ein paar dickere Wurzelreste. Trotzdem versuchte er, damit die Äffchen zu vertreiben. Doch es blieb beim kläglichen Versuch. Die Wurfbewegung mit dem rechten Arm verursachte einen höllischen Schmerz im linken. Und die Wurzelhölzchen erwiesen sich als viel zu leicht, um als Wurfgeschoss zu taugen.
»Hier. Versuch es damit!« Elly reichte ihm ein größeres Stück Holz, von dem Mike nicht erkannte, ob es sich um eine Wurzel oder ein Stück eines armdicken Astes handelte. Auf jeden Fall war es deutlich schwerer und leicht gebogen wie ein natürlich gewachsener Bumerang.
»Mach du!«, bat er Elly. »Versuch, es wie einen Bumerang zu werfen.«
»Hä?«
»So!« Mike zeigte es ihr mit einer langsamen Bewegung, so wie er es mal in einem Internetvideo gesehen hatte. So ganz genau konnte er sich zwar nicht mehr erinnern, aber Ellys Wurf gelang trotzdem sehr gut. Kreisend schraubte sich das Holzstück der Affenhorde entgegen und zerschellte an dem mächtigen Baumstamm, an dem Luiz’ Körper sich verfangen hatte. Allerdings landete das Holz gut zwei bis drei Meter zu hoch.
Die Äffchen würdigten den Aufprall nicht mal eines mitleidigen Blicks. Stattdessen pulten sie dem Piloten die Armbanduhr vom Handgelenk, steckten sie sich in den Mund und stellten empört fest, dass sie nicht schmeckte. Ein anderes Äffchen schien sich zu fragen, was um alles in der Welt man mit einem Kugelschreiber anfangen sollte. Es kritzelte seinem Nachbarn damit im Gesicht herum, der aber schnell die Lust daran verlor und dem Künstler das Schreibgerät aus der Hand schlug. Der Kugelschreiber folgte der Schokoriegelverpackung.
Mike und Elly mochten nicht weiter mit ansehen, wie die Affen Luiz’ Kleidung ausplünderten.
»Vielleicht hilft...




