E-Book, Deutsch, 324 Seiten
Schlüter Vergiftete Liebe
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7487-2592-3
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 324 Seiten
ISBN: 978-3-7487-2592-3
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
'Nach einigen Augenblicken absoluter Stille hob überall leises Gemurmel an. Für einen Moment fühlte sich Elsa wie erstarrt. Das klang nach einer überaus ernsten Erkrankung. Hatte es hinter den Kulissen einen Unfall gegeben? Wen betraf es? Roberta!, war ihr erster Gedanke. Aber es könnte auch Oskar sein oder Sarah Amber.' Der plötzliche, mysteriöse Tod eines Ensemblemitglieds am Königlichen Schauspielhaus versetzt Hannover in Aufruhr. Zugleich bietet er aber eine kurzfristige Ablenkung von den beherrschenden sozialen Themen der Zeit, der Arbeiterbewegung und den Forderungen der Frauen nach mehr Rechten. Die eigensinnige Elsa Martin ist fasziniert von Detektivgeschichten à la Sherlock Holmes. Da sie einen weiteren Anschlag befürchtet, setzt sie ihr analytisches Denken und ihren Spürsinn ein, nicht gerade zum Wohlwollen der Familie und der Männer in ihrem Umfeld. Mit Scharfsinn, Beharrlichkeit und einigen Tricks kommt die junge Frau dem Täter auf die Spur.
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Die Schauspielerin Roberta Stein
Den sonnigen Mainachmittag verbrachte Roberta in ihrer Wohnung am Georgsplatz. Sie beendete gerade die Maniküre und griff zum Abschluss nach einem Tiegel mit der wunderbaren Handcreme des rührigen Pharmazeuten der nahen Marien-Apotheke, Karl Adolf Hormann. Von ihm bezog sie alles, was sie an Medikamenten und zur Pflege ihrer Schönheit brauchte. In unmittelbarer Nachbarschaft sowohl des Friederiken- als auch des Henriettenstiftes gelegen, erfreute sich Hormann reger Nachfrage. Zufrieden betrachtete sie ihre schönen Hände und klingelte nach dem Mädchen. »Fräulein Stein, Sie wünschen?«, knickste Trude. »Du kannst alles wegpacken. Und bring mir bitte um halb sechs meinen Tee.« Wie immer, wenn sie Vorstellung im nahen Königlichen Schauspielhaus hatte, ruhte Roberta noch eine Stunde im bequemen Hausmantel auf dem Chaiselongue. Sie benötigte nur einen Fußweg von fünf Minuten zum imposanten Bau des Meisters Laves, dem ehemaligen Königlichen Hoftheater. Ein weiterer Vorteil der großzügigen Wohnung, die zudem einen schönen Blick auf den Platz bot. Nachdem das Mädchen leise die Tür geschlossen hatte, griff Roberta nach dem ungewöhnlichen Rubinring, den sie während der Maniküre auf einem Tischchen neben sich abgelegt hatte. Sie setzte ihn auf den linken Ringfinger und strahlte vor Glück bei der Betrachtung, wobei sie die Hand hin und her drehte. Bei dem Rubin handelte es sich offenbar um einen alten Stein, der eine Durchbohrung aufwies. Mit einer spiralförmigen Weißgoldfassung versehen, schien er später noch mit einem fünfsternigen Rahmen mit Brillantsplittern ergänzt worden zu sein. August hatte ihr diesen Ring geschenkt und dazu gesagt, es handele sich um ein altes Familienstück, welches immer von Generation zu Generation weitergereicht werde. Roberta stieß einen tiefen, glücklichen Seufzer aus: Jetzt hatte sie mit immerhin vierunddreißig Jahren doch noch die große Liebe ihres Lebens gefunden! Nicht dass es ihr an Verehrern gefehlt hatte, einige davon waren allerdings verheiratet. Diese kamen für sie von vornherein nicht in Frage. Manche Schauspielerinnen ließen sich durchaus von wohlhabenden Ehemännern aushalten. Auf ihren Ruf achtete Roberta, denn, so schien es ihr, es wurde nirgendwo so viel geklatscht und getratscht wie an Schauspielhäusern, wobei sich ihre männlichen Kollegen besonders auszeichneten. So erschienen mehrere der Theatergrößen ab und an in Kastens Hotel. An der Table d’hôte besetzten einige der Honoratioren der Stadt, wie zum Beispiel der Senator Tramm und Pastor Waitz, eine bestimmte Ecke. Auch der Leiter des 1889 eröffneten Kestner Museums, der Archäologe Carl Schuchardt, gehörte jetzt zu diesem Kreis. Die Theaterleute fanden hier für ihre Geschichten geneigte Ohren – und man konnte gewiss sein, dass sich die sprachlich geschliffenen und gut vorgetragenen Schwänke in Windeseile in der Stadt herumsprachen. Besonders Julius Berend, der seit 1846 im Königlichen Hoftheater vor allem im komischen Fach brillierte, war für seinen scharfzüngigen Humor bekannt. Donnerstags war er ein für alle Mal bei Kastens eingeladen, weil es da sein Lieblingsessen, Sauerkohl und Erbsenbrei gab, mit einem Glas gutem Herrenhäuser Bier dazu. Sein frischer Witz machte ihn beliebt. So taufte er eine zierliche Schauspielerin, von der man wusste, dass sie einem Zeitungsbesitzer sehr nahestand, ›die kleine Abendbeilage‹. Das wollte Roberta auf gar keinen Fall, dass so despektierlich über sie gelästert wurde. Wenn überhaupt, wollte sie ehrbar heiraten. Ein überaus wohlhabender Rentier hatte erst kürzlich eine geschätzte Kollegin aus dem Opernfach vor den Traualtar geführt, allerdings unter der Bedingung, der Bühne zu entsagen. Das kam für Roberta nicht in Frage. Deshalb lehnte sie den Heiratsantrag des steinreichen Chemiefabrikanten Theobald von Lensing ab. Dieser setzte mit großer Selbstverständlichkeit voraus, dass sie die Schauspielerei aufgäbe, um sich ausschließlich ihm zu widmen. Er konnte es kaum glauben, als sie ihm nach kurzer Bedenkzeit einen Korb gab. »Du wirst das bitter bereuen, schließlich gehst du auf die vierzig zu!«, lauteten seine wütenden Abschiedsworte, bevor er türenknallend aus ihrer Wohnung stürmte. So viel zu Theobald. Roberta zweifelte lange, ob eine Heirat überhaupt für sie in Frage kam. Aus der Ehe ihrer Eltern wusste sie, wie großes Leid und tiefgreifende Schwierigkeiten selbst in einer aus Liebe geschlossenen Ehe entstehen konnten. Ihre Mutter Hildegard stammte aus einer gutbürgerlichen Berliner Familie. Ihr Vater, Bertram Bernstein, durch Erfindungen für den Eisenbahnbau ein vermögender Mann geworden, war eigentlich nicht standesgemäß. Er warb aber ausdauernd und schließlich erfolgreich um seine Angebetete. Berta, so ihr wirklicher Vorname, blieb das einzige Kind. Ihre Mama ging oft ins Theater. Schon in jungen Jahren nahm sie ihre Tochter mit in die Vorstellungen und brachte ihr die Welt der Dichter und Denker nahe. Mit ihren Freundinnen führte sie bei kleinen Feiern lebende Bilder aus der Mythologie und kurze Spielszenen auf. Der Vater zeigte hierfür wenig Verständnis. Die ewige Leserei sei für das seelische Gleichgewicht eines Mädchens schädlich, die Lektüre bei weitem zu anspruchsvoll. Wenn überhaupt, solle sie erbauliche und leichte Mädchenbücher lesen. Ihre Mutter verstand es dennoch, die Tochter mit niveauvollen Werken zu versorgen. Sie spürte, dass Berta viele Talente besaß, die weit über das hinausgingen, was man gemeinhin einem Mädchen zugestand. Dies bildete nicht das einzige Zerwürfnis zwischen dem Ehepaar. Der Vater wandte sich immer stärker von seiner Ehefrau ab, die auch kaum noch übersehen konnte, dass er mehrere Affären unterhielt. Das wurde zwar stillschweigend den Männern zugestanden und galt als gesellschaftlich akzeptiert, kränkte die Mutter aber dennoch sehr. 1868 kehrte Bertram Bernstein von einer Geschäftsreise nicht zurück. Bange Monate begannen. Niemand wusste, ob und was mit ihm passiert war. Er blieb einfach verschwunden. Unterstützt von ihrem Bruder, sichtete Hildegard schließlich die Vermögensverhältnisse und entdeckte hohe Verluste. Monate der Ungewissheit vergingen. Dann erfuhr die Mutter durch einen anonymen Brief, ihr Mann sei in Begleitung einer Frau und eines kleinen Jungen nach Amerika ausgewandert. Dies war schmerzhaft und demütigend. Weitgehend auf sich allein gestellt, mussten sie so manche Häme ertragen. Geldmangel zwang sie zu äußerster Sparsamkeit, was sich kaum verbergen ließ und zu weiterer Isolation führte. Es folgten freudlose Jahre, zumal ihre Mama immer schwermütiger wurde. Solche Erinnerungen stimmten Roberta noch heute traurig. Was sie aus all dem gerettet hatte, war Theater zu spielen. Das stand für sie fest. Bei Aufführungen in der Schule fiel früh ihr großes schauspielerisches Talent auf. Eine Lehrerin machte ihr Mut, bei der Berliner Hofschauspielerin Johanna Blumauer vorzusprechen. Diese begnadete Künstlerin zog Berta stark in ihren Bann. Ausbildung und Rollenstudium verhalfen zu einer Phase des Lernens, die sie die häuslichen Zustände einigermaßen unbeschadet überstehen ließ. Die Mutter, ohne weiteren Lebensmut, starb, als Berta siebzehn Jahre alt war. Es folgte eine Zeit, in der sie sich noch mehr in die Welt der großen Theaterstücke zurückzog. Ihre künstlerische Arbeit, die ihr wechselnde Gefühlszustände abverlangte, half ihr, die sorgenvolle Gegenwart zeitweise zu vergessen. Sie nahm den Künstlernamen Roberta Stein an und begann in Berlin ihre ersten kleinen Rollen zu spielen. Der Onkel übernahm die Vormundschaft und verwaltete so erfolgreich ihr bescheidenes Vermögen, dass sich ihre finanziellen Verhältnisse nach und nach stark verbesserten. 1877 verhalf ihr ein viel gelobtes Gastspiel in Hannover zu einem Engagement am Königlichen Schauspielhaus. Welch ein Glück, dass ihr Onkel über eine Freimauererloge Maximilian von Elßtorff kannte, der eine Wohnung besorgte. Roberta mochte ihr Leben in Hannover. Vor allem aber liebte sie ihren Beruf. Die Vorbereitungen auf eine neue Bühnengestalt, bei denen sie sich oft auch mit dem Autor und seiner Zeit beschäftigte, ließen den Alltag in den Hintergrund treten. Sie kniete sich intensiv in ihre jeweilige Rolle hinein. Und sie genoss es, auf der Bühne zu stehen und mit Haut und Haar die Figur zu sein, die sie gerade darstellte. Auch gewährte ihr das Leben einer Schauspielerin einige Freiheiten, die anderen Frauen aus bürgerlichen Kreisen meist verwehrt waren. Sie führte ihren eigenen Hausstand, verdiente eigenes Geld und fühlte sich stolz und froh mit ihrer Unabhängigkeit. Noch vor kurzem hatte sie begierig in den Zeitungen Berichte über die Amerikatournee der österreichischen Schauspielerin Adele Sandrock verfolgt. Sie träumte manchmal vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Allein die Überfahrt mit dem Luxusdampfer Normannia von Hamburg nach New York musste ein besonderes Erlebnis sein! In Amerika nicht nur zu spielen, sondern auch dessen riesige Weiten kennenzulernen – das wäre ein Traum! Aber nun, mit August an ihrer Seite, schoben sich andere...