Schmiedt | Karl May | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 368 Seiten

Schmiedt Karl May

oder Die Macht der Phantasie
1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-406-62117-8
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark

oder Die Macht der Phantasie

E-Book, Deutsch, 368 Seiten

ISBN: 978-3-406-62117-8
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark



Am 30. März 1912 stirbt in Radebeul Karl Friedrich May - Lehrer, Kleinkrimineller und Schöpfer unsterblicher Gestalten wie Winnetou, Old Shatterhand oder Kara Ben Nemsi. Zum 100. Todestag des großen deutschen Romanciers hat der Germanist Helmut Schmiedt, stellvertretender Vorsitzender der Karl-May-Gesellschaft e.V., eine spannende Biographie geschrieben.
Helmut Schmiedt gelingt es, in seiner Lebensbeschreibung Karl Mays zu zeigen, wie dem Jungen, der in elendeste Verhältnisse einer Weberfamilie am Rande des Erzgebirges hineingeboren wurde, allein die Phantasie einen Weg aus der ihn umgebenden, materiell wie geistig beengten Umwelt weist - freilich nicht, ohne erheblich mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen. May resozialisiert sich selbst als Schriftsteller, dessen Phantasie nicht nur ihm selbst, sondern auch seinen immer zahlreicheren Lesern neue, bessere - und in der Eindeutigkeit ihrer Werte auch beherrschbarere - Welten erstehen lässt als jene, die sie in der Realität umgibt.
Stets sind es die Werke, an denen entlang Schmiedt den Lebensweg Karl Mays abschreitet und seine geistige, literarische und gesellschaftliche Entwicklung darstellt. So dient diese reich bebilderte Biographie dem Karl-May-Einsteiger als Wegweiser zu wunderbaren Neuentdeckungen, dem Karl-May-Liebhaber als Treffpunkt mit "alten Freunden", die er noch besser kennenlernen wird.

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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


1;Cover;1
2;Titel;2
3;Zum Buch;3
4;Über den Autor;3
5;Widmung;4
6;Impressum;4
7;Inhalt;5
8;Einleitung: Zwischen Ardistan und Dschinnistan;9
9;Von Hungersnöten und spanischen Räubern 1842–1856;19
10;Vom Seminaristen zum Klavierlehrer 1856–1862;35
11;Der Vagabund als Polizeileutnant 1862–1874;47
12;Resozialisierung als Schriftsteller 1874–1880;65
13;Der Meister der Illusionen 1880–1890;85
14;Ein Markenartikel namens May 1890–1898;123
15;Geisterwinzigkeiten gegen die Menschenseele 1898–1906;189
16;Weltgeschichtliche Betrachtungen 1906–1912;245
17;Klaus Mann, Pierre Brice und die Aufklärung Karl Mays Nachleben;285
18;Zeittafel;331
19;Nachbemerkung;332
20;Anmerkungen;333
21;Bibliographie;350
22;Titelregister;357
23;Namenregister;361
24;Bildnachweis;368


Einleitung
    ZWISCHEN ARDISTAN UND DSCHINNISTAN
      Johann Wolfgang von Goethes Autobiographie Dichtung und Wahrheit (1811ff.) zählt zu den berühmtesten Werken ihrer Art. Wie so vieles von Goethe hat sie prägend gewirkt und nachfolgende Autoren beeinflusst, sei es, dass sie zu Nachahmungen reizte, sei es, dass man sich in pointierter Form von ihr abzugrenzen versuchte. Bekannt geworden sind insbesondere die ersten Sätze von Goethes Betrachtung des eigenen Lebens. Gleich zu Beginn von Dichtung und Wahrheit erhält der Leser Informationen zum Stand der Gestirne: Am 28. August 1749, mittags mit dem Glockenschlage zwölf, kam ich in Frankfurt am Main auf die Welt. Die Konstellation war glücklich: die Sonne stand im Zeichen der Jungfrau und kulminierte für den Tag; Jupiter und Venus blickten sie freundlich an, Merkur nicht widerwärtig, Saturn und Mars verhielten sich gleichgültig; nur der Mond, der soeben voll ward, übte die Kraft seines Gegenscheins um so mehr, als zugleich seine Planetenstunde eingetreten war. Er widersetzte sich daher meiner Geburt, die nicht eher erfolgen konnte, als bis diese Stunde vorübergegangen.[1] Karl Mays Autobiographie Mein Leben und Streben (1910), sein letztes zu Lebzeiten veröffentlichtes Buch, beginnt mit dem Kapitel ‹Das Märchen von Sitara›, dessen erster Absatz folgendermaßen lautet: Wenn man von der Erde aus drei Monate lang geraden Weges nach der Sonne geht und dann in derselben Richtung noch drei Monate lang über die Sonne hinaus, so kommt man an einen Stern, welcher Sitara heißt. Sitara ist ein persarabisches Wort und bedeutet eben ‹Stern›.[2] Anschließend wird der Leser auf mehreren Druckseiten detailliert über Ausdehnung und Struktur von Sitara unterrichtet. Von Belang ist vor allem, dass dieser Stern aus zwei großen Teilen besteht, dem elenden, von grausamen Verhaltensregeln beherrschten Ardistan und dem wunderschönen, paradiesisch anmutenden Dschinnistan; es ist unendlich schwierig und strapaziös, von Ardistan nach Dschinnistan zu gelangen. Das nächste Kapitel von Mein Leben und Streben trägt dann die Überschrift ‹Meine Kindheit› und beginnt mit dem Satz: «Ich bin im niedrigsten, tiefsten Ardistan geboren, ein Lieblingskind der Not, der Sorge, des Kummers.»[3] Johann Wolfgang von Goethe, der vielen als größter deutscher Dichter gilt, und Karl May, den man den alles in allem erfolgreichsten deutschen Unterhaltungsschriftsteller nennen darf: Beide leiten also ihre Selbstdarstellungen mit dem Blick aufs Firmament ein, und manches deutet darauf hin, dass diese Gemeinsamkeit nicht auf einem Zufall beruht; die Parallellektüre fördert weitere Übereinstimmungen zutage. Sie lassen in der Summe keinen Zweifel daran, dass May Teile seiner Autobiographie in Anlehnung an die ein Jahrhundert vorher veröffentlichte Selbstdarstellung des Weimarer Klassikers modelliert hat, und der Umstand, dass May im siebten Kapitel von Mein Leben und Streben ausdrücklich auf das wohlwollende Verständnis zu sprechen kommt, das Goethe in den Gesprächen mit Eckermann für die konstruktive enge Anlehnung an fremde Texte aufgebracht hat, bestätigt indirekt, wie aufschlussreich der vergleichende Blick im Fall der beiden Autoren ist. Es handelt sich bei diesen intertextuellen Beziehungen allerdings nicht um ein simples Abschreiben oder Paraphrasieren: Schon die einleitenden Passagen setzen ja vor dem Hintergrund des gemeinsamen Grundmotivs höchst unterschiedliche Akzente. Geht man ihnen nach, so lässt sich bereits in Ansätzen mancherlei über Karl May erkennen, das von elementarer Bedeutung für sein Leben und Werk und vor allem für sein Selbstverständnis ist. Zunächst einmal fällt auf, dass May seine Darstellung – anders als Goethe – eben nicht mit handfesten Daten und Fakten eröffnet, sondern mit der Anspielung auf Literarisches: Er knüpft nicht nur unausgesprochen an Goethe an, sondern setzt explizit auch ein mit der Präsentation eines von ihm erfundenen ‹Märchens›, und erst in Verbindung damit und in Abhängigkeit davon kommt er später konkret auf sich selbst zu sprechen. Dabei muss man berücksichtigen, dass der Sitara-Mythos nicht eigens für die Autobiographie produziert wurde, sondern ein Schlüsselmotiv für Mays gesamtes Spätwerk bildet: Der Roman Ardistan und Dschinnistan (1907–1909) verweist schon im Titel auf ihn, und in Mays einzigem Drama Babel und Bibel (1906) – aus dem in Mein Leben und Streben ausführlich zitiert wird – spielt Sitara eine herausragende Rolle. Der Autobiograph lässt sein Ich also im Zuge einer komplexen literarischen Inszenierung auftreten, die Person Karl May debütiert mit Hilfe von Texten Goethes und Karl Mays. Dabei erweist sich die Beziehung zu Dichtung und Wahrheit als höchst ambivalent, denn May überbietet und unterbietet Goethes Schilderung zugleich. Er überbietet sie, indem er nicht kurz und pointiert, wie Goethe, von real existierenden Himmelskörpern schreibt, sondern mit vielen Details einen Kosmos sui generis kreiert. Goethe arbeitet, bei allem deutlich erkennbaren Stilisierungswillen, mit Größen, über die jedes Konversationslexikon informiert, und wer will, kann sich sogar kundig machen, wie es damals, zur Zeit der Geburt des Frankfurter Knaben, tatsächlich um ihre Konstellation bestellt war; insofern bleibt Goethe in diesem Zusammenhang bei den Tatsachen. Karl May dagegen phantasiert nichts Geringeres als eine Privatmythologie herbei, um dem eigenen Auftritt den Weg zu ebnen. May unterbietet Goethes Darstellung aber auch: Weist Goethes Sternen-Introitus in lichte Höhen, so deuten Mays Gestirne in Abgründe menschlichen Seins – «Ich bin im niedrigsten, tiefsten Ardistan geboren, ein Lieblingskind der Not, der Sorge, des Kummers.» Die Himmelskörper der wohlsituierten Frankfurter Bürgerfamilie wirken konstruktiv zusammen, um indirekt schon von einer glanzvollen Zukunft des Neugeborenen zu künden; einer davon, der Mond, ist ob seiner Renitenz sogar behilflich, die Geburt auf den angemessen auffälligen Zeitpunkt zu verlegen: «mittags mit dem Glockenschlage zwölf». Nichts dergleichen bei May: Die zitierte eigene Mythologie ist gut genug, als Wegweiser zu dienen, aber dann stellt sich heraus, dass Mays Platz an der finstersten, bedrückendsten Stelle des allegorischen Sitara-Kosmos zu finden ist. Eine düsterere Einführung der eigenen Person ist nicht denkbar: im Hinblick auf das Märchen von Ardistan und Dschinnistan nicht und ebenso wenig im Vergleich zu den Darlegungen Goethes. Dieser Kontrast setzt sich an fast allen Stellen fort, an denen Mays Kindheitsschilderung motivisch Dichtung und Wahrheit nahe rückt. Goethe ergänzt den Bericht über seine Geburt mit dem Hinweis auf Komplikationen, die aufgrund der Ungeschicklichkeit der Hebamme eingetreten seien, fügt aber hinzu, dieser Umstand habe zu einer Verbesserung des Hebammenunterrichts in der Stadt Anlass gegeben und sich insofern letztlich segensreich ausgewirkt. May nennt im Anschluss an den zitierten ersten Satz über die eigene Person den Vater einen armen Weber, kommt danach auf besonders triste Todesfälle in seiner Familie zu sprechen, von denen sich einer zu Weihnachten abgespielt habe, und fügt generalisierend hinzu: «Ueberhaupt ist Weihnacht für mich und die Meinen sehr oft keine frohe, sondern eine verhängnisvolle Zeit gewesen.»[4] Auch berichten beide Autoren über exzessive frühe Lektüreerfahrungen: Goethe hat den Orbis pictus des Amos Comenius, Ovids Verwandlungen, Robinson Crusoe, Die Insel Felsenburg sowie viele andere durchweg geschätzte, der Bildung wie der Unterhaltung dienliche Schriften gelesen; May dagegen erwähnt «alte Gebetbücher, Rechenbücher, Naturgeschichten, gelehrte Abhandlungen, von denen ich kein Wort verstand», die er auf Anordnung des Vaters gleichwohl zum Teil sogar habe abschreiben müssen.[5] In beiden Fällen hat ein Puppentheater für die Ausbildung des literarischen Interesses eine maßgebliche Rolle gespielt, doch auch hier klaffen die Erinnerungen weit auseinander: Goethe hat ein Puppentheater geschenkt bekommen und gestaltet damit in seinem Giebelzimmer eigene Aufführungen vor Zuschauern; May besitzt weder ein eigenes Puppenspiel noch die Möglichkeit zu solch raumgreifenden Darbietungen, sondern besucht ein paar Mal öffentliche Aufführungen einer Wanderbühne. Hier wie dort flüchten die Söhne gelegentlich vor den Anforderungen, die ehrgeizige Väter an sie stellen, zu den Angehörigen aus der noch einmal älteren Generation, und wieder könnten die Differenzen nicht größer sein: Das Domizil der Goethe’schen Großeltern, in einer anderen Straße als das Elternhaus gelegen, «schien ehmals eine Burg gewesen zu sein», und zu ihm gehören ein «ziemlich breite(r) Hof» sowie ein reichhaltig gefüllter «Garten, der sich ansehnlich lang und breit hinter den Gebäuden hin erstreckte»;[6] wenn der kleine May seine...


Helmut Schmiedt, geb. 1950, lehrt als Professor für Germanistik an der Universität Koblenz-Landau und ist stellvertretender Vorsitzender der Karl-May-Gesellschaft. Leben und Werk Karl Mays bilden seit vielen Jahren einen seiner Forschungsschwerpunkte.



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