Schneider | Der Islam und die Frauen | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 6011, 288 Seiten

Reihe: Beck'sche Reihe

Schneider Der Islam und die Frauen

E-Book, Deutsch, Band 6011, 288 Seiten

Reihe: Beck'sche Reihe

ISBN: 978-3-406-62213-7
Verlag: C.H.Beck
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Die Diskussion um den Islam entzündet sich immer wieder an der Lage der Frauen. Irene Schneider erklärt in ihrem eindrucksvollen Überblick, was die Korangelehrten über Rechte und Pflichten von Frauen sagen und warum die Frauen Mohammeds jungen Musliminnen gerade heute als Vorbilder angepriesen werden. Sie vermittelt einen lebendigen Einblick in die unterschiedlichen Lebenswelten von Frauen in der islamischen Geschichte und zeigt, welche Chancen Musliminnen heute haben, ihre privaten und öffentlichen Rollen selbstbewusst zu gestalten, sei es auf „westliche“ oder auf „islamische“ Weise. Zur Sprache kommt nicht zuletzt auch der Islam in Deutschland und die Suche von Frauen nach einem im Westen lebbaren Islam.
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Weitere Infos & Material


1;Cover;1
2;Titel;2
3;Zum Buch;3
4;Über die Autorin;3
5;Impressum;4
6;Inhalt;5
7;Vorwort;9
8;1. Die Anfänge;15
8.1;Das vorislamische Arabien;15
8.1.1;Terra incognita?;15
8.1.2;Geschlechterrollen in der «Zeit der Unwissenheit»;19
8.2;Muhammad und die Frauen;24
8.2.1;Die Prophetengenossinnen;24
8.2.2;Ehefrauenund Töchter;27
9;2. Theologieund Recht;35
9.1;Koran und Had?th;35
9.1.1;Die koranischen Regeln zum Geschlechterverhältnis;35
9.1.2;Veränderungen;43
9.1.3;Religiöse Gleichheit?;47
9.2;Identifikationsfigurenund Deutungsmuster;53
9.2.1;Frühe Frauenbilder;53
9.2.2;Weibliche Koranexegese;57
9.3;Die rechtliche Situation im 20. und 21. Jahrhundert;69
9.3.1;Der Weg in die Moderne;69
9.3.2;Polygynie, Ehe- und Scheidungsrecht;74
9.3.3;Peitschenhiebe, Steinigung und Blutgeld;86
9.3.4;Gewohnheitsrecht;93
9.3.5;Scharia und die Menschenrechte – unvereinbar?;99
10;3. Sexualität und Liebe;103
10.1;Vormoderne Vorstellungen;103
10.1.1;Zeugung und Verhütung;103
10.1.2;Beschneidung;105
10.1.3;Die Furcht vor Ausschweifungen;106
10.1.4;Homosexualität und Transsexualität;111
10.1.5;Die Frömmigkeit verdammt die Liebe nicht;113
10.2;Männlichkeit und Weiblichkeit in der Moderne;115
10.2.1;Von al-Ghaz?l? zu Fatima Mernissi;115
10.2.2;Jungfräulichkeitund Keuschheit;116
10.2.3;Sexuelle Tabuthemen;119
10.2.4;Männlichkeit und Macht;121
10.2.5;Wie ich Scheherazade tötete;123
11;4. Literarische Reflexionen;127
11.1;Fromme Frauen und Sklavenmädchen;127
11.1.1;Märchenerzählerin oder listige Figur?;127
11.1.2;«Ich umarmte sie, dann wollte meine Seele mehr»;132
11.2;Weibliche Sichtweisen;134
11.2.1;Vom Briefwechsel zum Roman;134
11.2.2;Autobiographie als Verarbeitung;137
11.2.3;Identitätssuche;140
11.2.4;Umm Kulth?m und Fair?z;145
12;5. Frauen und Macht;147
12.1;Herrschaft vor und hinter den Kulissen;147
12.1.1;Die Männer stehen über den Frauen;147
12.1.2;Frauen an der Macht;150
12.1.3;Einsatz für die Söhne;153
12.1.4;Das Zeitalter des Kolonialismus und die Suche nach einerneuen Identität;157
12.1.5;Nicht nur Arroganz und Exotismus;157
12.1.6;Ein Blick nach Europa;162
12.1.7;Reformansätze;165
12.2;Feminismus in den Nationalstaaten;171
12.2.1;Drei Idealtypen;171
12.2.2;Ägypten: Vom karitativen Verein bis zum Islamismus;177
12.2.3;Iran: Rückschritt und Fortschritt;187
12.2.4;Marokko: Emanzipationsansätze;196
13;6. Bildung und Beruf;201
13.1;Ein Blick in die Geschichte;201
13.1.1;Gelehrte Frauen;201
13.1.2;Betätigungsfelder;206
13.2;Emanzipation durch Bildung?;212
13.2.1;Der Kampf gegen den Analphabetismus;212
13.2.2;Die Eroberung der Hochschulen;217
13.2.3;Der schwierige Weg in die Arbeitswelt;220
13.2.4;Frauen in der Politik;225
14;7. Musliminnen in Deutschland;229
14.1;Der Islam ist angekommen;229
14.1.1;Identität durch Religiosität?;229
14.1.2;Die Kopftuchdebatte;234
14.1.3;Engagement in Organisationen;239
14.2;Wünsche und Restriktionen;243
14.2.1;Scharia in Deutschland?;243
14.2.2;Ehrenmorde;246
14.2.3;Wer sind sie, was wollen sie?;249
15;Anhang;259
15.1;Anmerkungen;259
15.2;Literatur;270
15.3;Glossar;281
15.4;Personenregister;284


1. Die Anfänge
Das vorislamische Arabien
Terra incognita? In seiner Biographie des Propheten Muhammad beschreibt der Historiker Ibn Ishaq (gest. 767),[1] wie sich ?Abdallah, der zukünftige Vater des Propheten, mit seinem Vater auf den Weg zur Familie Aminas machte, um ihr vorgestellt und mit ihr verheiratet zu werden. Unterwegs ging er an einer Frau vorbei, die ein Licht von ihm ausgehen sah und ihm ein Geschenk anbot, wenn er sogleich mit ihr Geschlechtsverkehr habe. ?Abdallah lehnte mit Blick auf seinen Vater, den er begleitete, ab. Als er am nächsten Tag, nachdem er Amina geehelicht und mit ihr den Propheten gezeugt hatte, zu jener Frau zurückkehrte, um auf ihr Angebot zurückzukommen, zeigte sie sich ihrerseits nicht mehr interessiert. Auf seine Frage nach dem Grund der Ablehnung sagte sie: «Das Licht, das dich gestern begleitete, hat dich verlassen. Ich brauche dich deshalb nicht mehr.» Ibn Ishaq berichtet weiterhin, dass diese Frau die Schwester eines Christen namens Waraqa gewesen sei und durch ihn um die erwartete Ankunft eines neuen Propheten gewusst habe. Die Frage der Historizität dieser Überlieferung einmal beiseitegelassen, reflektiert die Geschichte ein auf der Erzählebene offenbar als nicht anstößig empfundenes Angebot einer Frau an einen Mann zum Geschlechtsverkehr und belegt zugleich die Vorstellung einer Lichtmetaphorik, also eines mit der männlichen Abstammungslinie Muhammads verbundenen, offenbar im Sperma verankert gedachten Lichts als Ausdruck der göttlichen Erwähltheit. Nach der Empfängnis trug nun Amina das Licht in sich. Kann aus dieser Geschichte abgeleitet werden, dass in der vorislamischen Gesellschaft Mekkas, in die hinein Muhammad um das Jahr 570 geboren wurde, eine sexuelle Initiative einer Frau als akzeptabel galt? Oder ging es der Frau nur darum, den Samen, in dem das «Licht Muhammads» schlummerte, aus selbstsüchtigen Zwecken zu ergattern, um zur Prophetenmutter zu avancieren? Wie war die soziale Stellung der Frauen in jener Zeit, welche Rechte hatten sie? Zwei gegensätzliche Positionen werden häufig vertreten: Zum einen wird argumentiert, die Stellung der Frau sei in vorislamischer Zeit besser gewesen, Frauen hätten eine größere Bewegungs- und Handlungsfreiheit gehabt; zum anderen wird behauptet, der Islam habe zahlreiche Verbesserungen gebracht und der Frau Rechte gegeben, die sie in vorislamischer Zeit nicht hatte. Tatsächlich erlaubt die schwierige und sehr magere Quellenlage nur in wenigen Punkten einigermaßen gesicherte Aussagen. Fest steht, dass der Prophet Muhammad um das Jahr 570 in der Stadt Mekka auf der Arabischen Halbinsel geboren wurde. Sein Vater war zu diesem Zeitpunkt bereits gestorben, seine Mutter starb wenige Jahre nach seiner Geburt. Muhammad wuchs als Waise bei seinem Onkel Abu Talib auf, der zum Clan der Haschim und zum Stamm der Quraisch gehörte. Dieser ernährte das Waisenkind und bot ihm Schutz, ein in der damaligen tribalen Gesellschaft überlebensnotwendiger Akt. Das Leben auf der Arabischen Halbinsel war durch teils nomadisierende Stämme geprägt, die untereinander häufiger in Fehde als in Frieden lebten. Familie, Clan und Stamm bestimmten den Platz des Individuums in der Gesellschaft und gaben ihm Rechtssicherheit. Zugleich gab es städtische Zentren von überregionaler wirtschaftlicher, religiöser und politischer Bedeutung: beispielsweise Mekka, die Geburtsstadt Muhammads, aber auch Yathrib, das spätere Medina, wohin Muhammad im Jahr 622 emigrierte. Blutfehden der Stämme wurden an bestimmten Orten, beispielsweise Mekka, zu festgesetzten Zeiten ausgesetzt, so dass die Menschen in einer konfliktfreien Atmosphäre zu kulturellen und religiösen Anlässen zusammenkommen konnten. Mekka war durch seine Lage an den Handelswegen von Südarabien in die Levante nicht nur eine Handels- und Wirtschaftsmetropole ersten Ranges, sondern durch das Heiligtum der Ka?ba auch religiöses Zentrum. Diese Stätte, die später zum Ziel der islamischen Pilgerfahrt werden sollte, galt schon in vorislamischer Zeit als heiliger Ort. Zwar wurden in Mekka und den umliegenden Siedlungen mehrere Götter und Göttinnen angebetet, jedoch zeichnen sich schon für diese Zeit Tendenzen zum Monotheismus ab, zur Verehrung eines Gottes, der einfach den Namen al-Lah, «der Gott», trug, welcher im Koran zum islamischen Gottesnamen (arab. Allah) wurde. Die Arabische Halbinsel lag zwischen den damaligen Großmächten des Byzantinischen Reiches in Kleinasien und des sassanidischen Reiches im Gebiet des heutigen Iran, und die Existenz christlicher und jüdischer Gemeinden ist verbürgt. So soll der Bruder der Frau, die sich ?Abdallah angeboten hatte, beispielsweise Christ gewesen sein, und jüdische Gruppierungen siedelten in Medina. Die historischen Quellen stammen aus den folgenden Jahrhunderten. In diesen islamischen Überlieferungen wird die Zeit vor Muhammad als «Zeit der Unwissenheit» (arab. djahiliya) gesehen, womit aus religiöser Perspektive die Zeit vor der göttlichen Offenbarung gemeint ist; die Bezeichnung impliziert jedoch einen Bruch in der geschichtlichen Kontinuität, so dass vorislamische Sitten und Bräuche aus der Perspektive der neu entstandenen Religion betrachtet wurden. Viele die vorislamische Zeit betreffende Nachrichten sind daher unzuverlässig, lückenhaft und widersprüchlich, und Historiker kommen in vielen Fällen nicht über Hypothesen hinaus. Seit den siebziger Jahren hat sich in der islamischen Welt verstärkt die Vorstellung durchgesetzt, die Entstehungszeit des Islams im 7. Jahrhundert sei auch für heutige Muslime als politisch maßgeblich zu betrachten. Dadurch setzte eine rückwärtsgewandte Idealisierung ein, eine aus der Perspektive des 20. oder 21. Jahrhunderts kommende Überformung der historisch ohnehin schwierig zu rekonstruierenden Vergangenheit. Die Biographie Muhammads von Ibn Ishaq ist uns beispielsweise in der Überlieferung von Ibn Hischam (gest. 830) erhalten, der mithin zweihundert Jahre nach dem Propheten lebte. Die grundlegende Quelle für diese Zeit ist und bleibt der Koran, der nach muslimischer Vorstellung die Offenbarungen Gottes an Muhammad und die gesamte Menschheit enthält. Nach dem weitgehenden Konsens der westlichen wissenschaftlichen Forschung wurde er bereits wenige Jahrzehnte nach dem Tod des Propheten aufgezeichnet. Er ist die Hauptquelle islamischer Spiritualität, Ethik, Religiosität, aber auch rechtlicher und sozialer Normen, besonders was die Geschlechterstellung und einige strafrechtliche Bereiche betrifft. Daneben bildet der «Brauch» (arab. sunna) im Sinne des «Brauchs des Propheten» (arab. sunnat an-nabi) die zweite große Quelle von Theologie und Recht. Dieser umfasst seine zu gesetzlich verbindlichen Präzedenzfällen erhobenen Aussagen und Handlungen, die in Traditionen (arab. hadith, pl. ahadith) überliefert sind. Diese Traditionen wurden erst im 9. Jahrhundert in kanonischen Werken gesammelt, von denen aus muslimisch-sunnitischer Sicht die beiden wichtigsten das des al-Bukhari (gest. 870) und das des Muslim (gest. 875) sind. Die Schiiten, die zweite große religiöse Gruppe des Islams, erkannten andere Werke als zentral an, beispielsweise das des Ibn Babuya (gest. 991). Muslimische Gelehrte halten diese Werke für authentische, tatsächlich auf den Propheten zurückgehende Überlieferungen, während die westliche Islamwissenschaft zurückhaltender ist und aufgrund historisch-kritischer Analysen diese Quellen nicht ohne weiteres als Ausdruck der historischen Realität des 7. Jahrhunderts anerkennt. Dennoch sind hier, neben dem Koran, zahlreiche Aussagen zur Geschlechterstellung gesammelt, die die Frage der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Rolle von Frauen in der vorislamischen Zeit reflektieren. Geschlechterrollen in der «Zeit der Unwissenheit» Khadidja, eine verwitwete Frau vom Stamm der Quraisch, dem auch Muhammad angehörte, betrieb im ausgehenden 6. Jahrhundert ein florierendes Handelsunternehmen in Mekka. Die Quellen berichten, dass ihre Angestellten Karawanen bis in das heutige Syrien begleiteten. Sie stellte den jungen und mittellosen Muhammad als Verwalter ihrer Handelswaren ein und schickte ihn vermutlich im Jahr 595 nach Bosra in Syrien. Nachdem er seine Aufgabe zufriedenstellend erfüllt hatte, bot sie ihm die Ehe an. Muhammad soll zu diesem Zeitpunkt 25 Jahre alt gewesen sein, Khadidja 40, nach anderen Quellen 28 Jahre. Ein weiteres Mal also wird von der Initiative einer Frau gegenüber einem Mann in der vorislamischen Zeit berichtet. Zeit ihres Lebens blieb Khadidja die einzige Frau, mit der Muhammad verheiratet war. Die Ehe brachte ihm materielle und emotionale Sicherheit, und dem Paar wurden mindestens fünf Kinder geboren, vier Mädchen und ein oder zwei Jungen. Nur eine der Töchter, Fatima (gest. 632), wurde als Mutter der beiden einzigen überlebenden Enkel Muhammads, Hasan (geb. 624) und Husain (geb. 625), für die islamische Geschichte bedeutsam. Verheiratet war sie mit ?Ali b. Abi Talib, dem Cousin des Propheten und Sohn seines Onkels Abu Talib, der...


Irene Schneider, geb. 1959, ist Professorin für Arabistik und Islamwissenschaft an der Universität Göttingen. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf der Geschlechterforschung und dem islamischen Recht.


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