E-Book, Deutsch, 150 Seiten
Schneider Experiment Sin City
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-7386-5638-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Teil 7
E-Book, Deutsch, 150 Seiten
ISBN: 978-3-7386-5638-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Urlaubsstory in der sich die Ereignisse überstürzen
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1 Gewonnen
Lucy musste unwillkürlich lachen als sie an den neuesten Coup ihrer Firma dachte. Es war ein schöner sonniger Samstagnachmittag in Toronto und Lucy saß gedankenverloren auf einer Bank an der Harbour Front mit Blick auf das glitzernde Wasser. Blauer Himmel erstreckte sich über ihrer Heimatstadt, kleine Wellen klatschten sanft an den Kai. Ihre Firma hatte einen internen Wettbewerb ausgeschrieben, bei dem es darum ging, den besten Werbeslogan für das neue Starprodukt des Kosmetikkonzerns zu finden. Lucys Team hatte gewonnen, somit winkte ihr und ihren Kollegen ein Wochenende in Las Vegas. Lucy allerdings war sich nicht sicher, ob sie mitgehen sollte. Ihre Arbeitskollegen waren nicht gerade die bevorzugte Gesellschaft in der sie sich gerne aufhielt, die Arbeit in der Marketingabteilung des Unternehmens langweilte sie und die Ausschreibung des Wettbewerbs war das Einzige, was in letzter Zeit ein wenig Wind in den Alltag gebracht hatte. Mehrere Teams, teilweise auch aus verschiedenen Abteilungen, waren gegeneinander angetreten. . Lucy konnte einen gewissen Verdruss nicht unterdrücken. Der Slogan, den sie sich gemeinsam ausgedacht hatten, kam jedoch gut an, die Verkaufszahlen belegten es. Das war Bedingung der Geschäftsleitung gewesen, wäre die darauf aufgebaute Werbekampagne gefloppt hätte es allenfalls einen Haufen Ärger gehagelt anstatt Flugtickets. Nichtsdestotrotz stand Lucy dem Wochenende skeptisch gegenüber. Die meisten ihrer Kollegen waren echte Bürotiere, die Textarbeit liebten und sich abends allenfalls zu einem Baseballspiel im Fernsehen überreden ließen. Außerdem war sie noch nie in Las Vegas gewesen, weder mit Freunden noch mit der Familie. Überhaupt war der letzte gemeinsame Familienurlaub schon ein Weilchen her, zwei Jahre um genau zu sein, als Lucy noch 24 war und ihr kleiner Bruder 12. Lucys Mutter hatte nach ihr eine Fehlgeburt hinter sich, darum hatten sich ihre Eltern Zeit gelassen bis Calvin kam. Trotz des großen Altersunterschiedes liebte Lucy ihren kleinen Bruder sehr und verstand sich bestens mit ihm. Leider hatte die Familienharmonie schon seit längerer Zeit einen Knacks bekommen, maßgeblich weil der Geschäftserfolg der von Lucys Vater neu gegründeten Firma ausblieb und Lucys Mutter viel zurück stecken musste und Zeit geopfert hatte um ihren Mann optimal zu unterstützen. Allerdings ohne das gewünschte Ergebnis. Hinzu kam, dass einiges an Geld aus der eigenen Tasche in das Projekt investiert wurde, was nun im Alltag fehlte. Dies hatte zu Unzufriedenheit und Streit zwischen ihren Eltern geführt, anfangs waren es kleine Diskussionen, wie sie in jeder Ehe hier und da einmal vorkamen, mit der Zeit aber hatten sie sich zu heftigen Wortgefechten entwickelt, die immer häufiger in lautstarken Streitereien ausgeartet waren. Mittlerweile musste man es eine waschechte Ehekrise nennen. Lucy und ihr Bruder konnten sich dem immer weniger entziehen. dachte sich Lucy jedes Mal aufs Neue, da sie schon öfter mit dem Gedanken gespielt hatte auszuziehen. Sie wohnte im Haus ihrer Eltern, wo sie im oberen Stockwerk eine eigene Etage für sich bekommen hatte. Das Haus war nichts Besonderes, ein typisches kanadisches Reihenhaus am Rande der Stadt, bescheiden, aber gemütlich eingerichtet. Es verfügte über eine große Küche, in der sie früher an Sonntagen und vor allem an Weihnachten als Familie häufig gemeinsam gebackt und neue Rezepte ausprobiert hatten. Lucy genoss zudem noch den Luxus eines breiten Balkons mit Blick auf die Skyline und den CN-Tower, dem Wahrzeichen Torontos. Auf diesem Balkon hatte sie in der Vergangenheit schon schöne Abende mit Freundinnen, ihrem ersten Freund oder alleine zum Entspannen nach der Arbeit verbracht, er bedeutete ihr viel.
. Lucy dachte wehmütig an ihre Studienzeit, während die Sonne sanft auf ihre Haut schien. Früher, vor allem während dem College, hatte Lucy einen großen und lebhaften Freundeskreis, jeder Kuss, jede bestandene Prüfung und jede noch so kleine Kleinigkeit waren ein Anlass zu feiern, es fiel leicht Kontakte zu knüpfen, das Leben zu genießen, unbeschwert zu sein. Lucys Kleiderschrank war eine schöne Sammlung aus glitzernden Cocktailkleidern und lässigen Tagesoutfits geworden. Dann kam der Abschluss, jeder ging seinen Weg, manche auch ins Ausland, und plötzlich waren aus vielen Freunden ein paar wenige geworden, zu den anderen verlief sich der Kontakt, der Stellenmarkt diktierte den weiteren Lebensweg und die Cocktailkleider wichen gebügelter Businesskleidung im Kleiderschrank. Lucy landete in der Marketingabteilung des Kosmetikkonzerns, der nun zur Überraschung aller diese Incentive-Reise anbot, die auf irgendeine Art und Weise verlockend erschien. Nichtsdestotrotz war die tägliche Arbeit langweilig, nicht das was Lucy sich vorgestellt hatte, und die Streitereien ihrer Eltern nagten innerlich an ihr, genauso wie die Angst einer eventuell bevorstehenden Scheidung. Lucy konnte das Gefühl der verlorengegangenen Harmonie kaum ertragen, es machte sie traurig, sog Lebensfreude aus ihr heraus und hatte unter anderem zur Folge, dass sie ihren Freundinnen absagte wenn sie abends danach fragten, ob Lucy mitkam in die Stadt. Trotz der gemeinsamen Studienzeit ertrug Lucy es kaum mehr wenn ihre Freundinnen vom neuen Freund oder dem nächsten Urlaub schwärmten. Jeder vermisste die fröhliche, extrovertierte Lucy Miller, die die anderen oft mit ihrem Sonnenscheinnaturell angesteckt und auf Feten alle Blicke auf sich gezogen hatte. Sie widmete ihre Zeit dann lieber Calvin, der seit der Ehekrise ihrer Eltern ebenfalls ruhiger und stiller geworden war und wohl das gleiche befürchtete wie sie. „Lucy, was ist wenn Mama und Papa sich irgendwann nicht mehr sehen wollen? Was passiert dann?“, hatte er sie einmal mit großen Augen gefragt. Lucy wusste es nicht. „Wir finden eine Lösung, Herzchen. Bestimmt.“ hatte sie ihm geantwortet, in der Hoffnung, dass er in seiner kindlichen Wahrnehmung die Unsicherheit in ihrer Stimme nicht wahr nahm.
Der Pappbecher klang dumpf und hohl, als Lucy ausgetrunken hatte und ihn neben sich auf die Bank stellte. Die Wellen plätscherten nach wie vor gemächlich gegen die Kaimauern. Lucy war mit ihren Gedanken zu keinem Schluss gekommen, da sie sich Calvin gegenüber verpflichtet fühlte und das Gefühl hatte, ihn jetzt nicht alleine lassen zu können. Andererseits ging es schließlich nur um drei Tage, quasi um ein langes Wochenende, und ob sie nun da war oder nicht, würde an der Situation zwischen ihren Eltern recht wenig ändern. Betrübt strich sie sich eine Haarsträhne aus der Stirn. Sie war stolz auf ihre dunkelbraunen Haare, die in der Nachmittagssonne rötlich glänzten. Früher auf dem College hatte sie jeder um diese Haarfarbe beneidet. Manche vermuteten es sei gefärbt, was allerdings nicht stimmte. Dieser Glanzeffekt war besonders nach Strandurlaub schön, wenn die Haare von der Sonne noch etwas heller waren. schoss es ihr durch den Kopf. Ihr wurde bewusst, dass sie nichts über Las Vegas wusste, außer den gängigen Szenen aus Filmen. Bei dem Gedanken musste sie zum zweiten Mal unwillkürlich lachen. Sie stellte sich ihre Kollegen in den grauen Anzügen vor, wie sie in Las Vegas ein Delirium nach dem anderen erlebten. . Endlich hatte sie spontan einen Entschluss gefasst. Sie erinnerte sich an die Worte ihrer besten Freundin Tracey („Mensch Lucy, wir leben nur einmal“), mit der sie auch über den eventuell anstehenden Trip gesprochen hatte. Lucy war zwar kein Freund von dieser Mentalität, aber im Grunde genommen, dachte sie sich, war da was dran. Zufrieden über den neu gewonnenen Mut nahm Lucy ihre Tasche, blickte ein letztes Mal in Richtung Wellen und ging zur nächsten U-Bahnhaltestelle.
Zuhause angekommen erzählte Lucy ihrer Mutter, wie sie sich entschieden hatte, und wies sie darauf hin dass sie nächsten Freitag, Samstag und Sonntag nicht da sein würde, sondern nach Amerika in die sagenumwobene Stadt fliegen würde. Ihre Mutter reagierte nicht sonderlich begeistert, murmelte etwas von „Spielsüchtigen“ und „übertriebener Straßenbeleuchtung“ und wendete sich wieder dem Essen zu, dass sie gerade auf dem Herd köcheln hatte. Ihr Vater war nicht da, laut Lucys Mutter auf einer Informationsveranstaltung für Selbstständige. „An einem Samstag?“ fragte Lucy ungläubig, bekam daraufhin jedoch lediglich ein Achselzucken als Antwort. „Calvin hat mich vorhin drum gebeten ihn zu einem Freund zu fahren, kann ich das Auto haben?“ „Ja, das wäre mir sowieso eine große Erleichterung, wenn ich das nicht machen muss“, antwortete Lucys Mutter und wirkte seltsam gestresst. Vielleicht hatte sie wieder die Nacht durchgeweint, Lucy konnte nicht anders als aufrichtiges Mitleid mit ihrer Mutter zu empfinden und schnappte sich den Autoschlüssel, um den Anblick nicht länger ertragen zu müssen. Ihre eigenen zwei bisherigen Beziehungen waren gescheitert, aus unterschiedlichen Gründen, aber Lucy kannte den bitteren Geschmack von Enttäuschung und Missstimmung in der Partnerschaft. Kein schönes Gefühl. Fast konnte man die Last der Gedanken in der Küche spüren. Es standen so viele unausgesprochene Dinge im Raum, wie so oft, so dass Lucy lieber mit dem ausnahmsweise quietschvergnügten...




