Schnell | Frühneuzeitliche Ansichten über die Ursachen der Pest | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 552 Seiten

Schnell Frühneuzeitliche Ansichten über die Ursachen der Pest

Eine historische Studie anhand gelehrter Pestschriften
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-8192-5348-5
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Eine historische Studie anhand gelehrter Pestschriften

E-Book, Deutsch, 552 Seiten

ISBN: 978-3-8192-5348-5
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Wer heute nach den Ursachen einer Krankheit fragt, bekommt in den meisten Fällen Krankheitserreger genannt: Bakterien, Viren, Pilze oder Parasiten. Diese wurden allerdings erst in den letzten ca. 150 Jahren entdeckt, zum Beispiel der Tuberkelbazillus, der Erreger der Cholera - und auch das Pestbakterium. In der Zeit davor konnten die Menschen über den Ursprung der Pest, die vom 15. bis zu Beginn des 18. Jahrhunderts neben Hunger und Krieg zu den größten existentiellen Bedrohungen der Menschen zählte, nur spekulieren: Was ist die Ursache der Pest? Gibt es so etwas wie eine Ansteckung? Was kann präventiv gegen diese Krankheit getan werden? Wie sieht eine gute Therapie aus? Die vorliegende historische Studie hat 180 deutsche und lateinische Quellen der Frühen Neuzeit (ca. 16. bis 18. Jahrhundert) zum Thema "Ätiologien der Pest" untersucht und ausgewertet, von kurzen Pesttraktaten bis hin zu umfangreichen Schriften, die von gelehrten Autoren mit meist medizinischer oder theologischer Ausbildung stammten. Vor allem die religiösen sowie die auf einer gewissen Einbildung oder Imagination fußenden Ursachenbeschreibungen haben in der Medizingeschichte der letzten 100 Jahre kaum Beachtung gefunden - und werden hier ausführlich thematisiert. Reflexionen zu den Diskussionen über die Ansteckung (Kontagion) sowie zur Krankheitsbereitschaft (Disposition) einzelner Menschen und damit auch Fragen nach den Einflüssen der sozialen Lage, der wirtschaftlichen Tätigkeit, der Lebensführung, aber auch des Geschlechts und der ethnischen Zugehörigkeit schließen sich an. Eine systematische und kritische Darstellung früherer Ätiologien, die nicht als "Kuriositätenkabinett" daherkommt, sondern als ernstzunehmende Erklärungsversuche des vormodernen Denkens, Weltbilds und der Mentalität des frühneuzeitlichen Menschen.

Michael Schnell, geboren 1966 in Essen, hat auf dem 2. Bildungsweg von 1990 bis 1996 an der Universität - GH - Essen (heute Universität Duisburg-Essen) im Hauptfach die Neuere Geschichte, in den Nebenfächern die Geschichte des Mittelalters und Kommunikationswissenschaft studiert. Ein Stipendium ermöglichte das Verfassen einer Dissertation mit dem Titel: "De causis pestis - Frühneuzeitliche Ätiologien der Pest". Die Promotion inkl. Disputation wurde im November 2000 mit der Note "sehr gut" (magna cum laude) abgeschlossen. Die Dissertation hat Michael Schnell nicht veröffentlicht (es gab damals ein paar private Komplikationen), eine spätere Veröffentlichung war leider wegen abgelaufener Fristen nicht möglich. Der Promotionsausschuss verwies darauf, dass diese Arbeit nicht als Dissertation an der Universität Duisburg-Essen deklariert, allerdings privat veröffentlicht werden dürfe. Michael Schnell war nach der Promotion auf anderen als historischen Berufspfaden unterwegs, die Liebe zur historischen Forschung ist hingegen geblieben, wovon das Internetportal WebHistoriker.de zur Geschichte der Frühen Neuzeit zeugt.
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2. Übernatürliche Ursachen der Pest


2.1 Die Pest als Strafe Gottes


2.1.1 Einleitung

„Krieg / Hunger und Pestilentz" waren nach einer „Historischen Beschreibung" (1714) aus Regensburg die drei Plagen, von denen diese Stadt in den Jahren 1613 und 1633/34 heimgesucht wurde.66 Dass dem Krieg der Hunger, dem Hunger die Pest folgt – dieser Formel, in den Quellen immer wieder erwähnt67, kann auch nach dem gegenwärtigen Forschungsstand der Medizin zugestimmt werden. Noch heute zeigt sich, dass gerade in Kriegsgebieten und Kriegszeiten eine erhöhte Seuchengefahr besteht – zum einen wegen der oft mangelhaften hygienischen Zustände, zum anderen aber auch wegen der oft unzureichenden Bestellung der Felder in diesen Zeiten und der daraus resultierenden mangelnden oder ungesunden Ernährung. Diese Umstände können, neben anderen Faktoren, zu einer größeren Anfälligkeit des Einzelnen gegenüber Krankheiten allgemein führen.68 Solche Vorstellungen einer sogenannten Disposition oder Krankheitsbereitschaft waren auch den früh neuzeitlichen Gelehrten nicht fremd: Eigene Beobachtungen und Erfahrungen zeigten ihnen immer wieder, dass nicht alle Menschen von einer schnell und erbarmungslos um sich greifenden Krankheit wie der Pest ergriffen wurden, wie weiter unten in dem Kapitel über die verdorbene Luft und Miasmen noch näher ausgeführt wird.

Die Dreiheit Krieg-Hunger-Pest hingegen war kein reiner Erfahrungswert' der Frühen Neuzeit: Sie wird bereits in der Bibel angesprochen, explizit zum ersten Mal in 2. Samuel 24.69 Während Krieg, Hunger und Pest schon zuvor, z. B. in 3. Mose 26,23 ff., nur ein Teil des Strafenkatalogs Gottes waren, verfestigte sich nun dieser Topos: Jeremia 29,17 und 34,17, Hesekiel 7,15 und 12,16 sind nur einige Beispiele. Zu dieser Dreiheit kommen an einigen Stellen noch die wilden Tiere hinzu, so beispielsweise in Hesekiel 14,21 oder in der Prophezeiung über das vierte apokalyptische Pferd gemäß Offenbarung 6,8: „Und ich sah, und siehe, ein fahles Pferd. Und der darauf saß, des Name hieß Tod, und die Hölle folgte ihm nach. Und ihnen ward Macht gegeben über den vierten Teil der Erde, zu töten mit dem Schwert und Hunger und Tod und durch die wilden Tiere auf Erden."70 (Andere Übersetzungen nennen hier statt „Tod" die „Pest"71 oder „Seuchen"72.) Die wilden Tiere werden in den Pestquellen jedoch nur selten genannt: lediglich von dem lüneburgischen Arzt Gervasius Marstaller (gest. 1578)73 und dem in Danzig geborenen lutherischen Prediger Joachim Weickhmann (1662-1736)74. Letztgenannter führt dafür als Begründung an: Gott nimmt die wilden Tiere einfach seltener zu Hilfe, um die Menschen zu strafen.75

Auch in bildlichen Darstellungen des strafenden Gottes werden Krieg, Hunger und Pest wiederholt dargestellt, symbolisiert durch drei Pfeile, die Gott selbst oder Engel in seinem Auftrag zur Erde hinunter schleudern. Zwei Gemälde seien beispielhaft genannt: eines von einem schwäbischen Meister aus dem Jahre 151976, ein anderes – in Form von zwei Altarflügeln, die wohl ursprünglich für einen Pestaltar vorgesehen waren – von Martin Schaffner (Ulm) aus derselben Zeit (um 1520).77 Beide Werke werden in den jeweiligen Kapiteln – über die Jungfrau Maria und über die Rolle der Heiligen – noch genannt.

Dass Gott die Menschen für ihre Vergehen bestraft, wird in den von mir untersuchten Pestschriften nur selten angezweifelt. Lediglich der venetianische Arzt Nicolaus Massa (gest. 1564)78, dessen Schrift über die pestartigen Fieber 1540 erschien, lehnt dies direkt ab. Hinzu kommen vereinzelt Schriften, die unter den Ursachen der Pest die Strafe Gottes nicht erwähnen. Dies kann, muss allerdings nicht bedeuten, dass sie einen göttlichen Einfluss auf die Pest ablehnen: Eine Augsburger Pestverordnung von 1521 beispielsweise nennt die Gottesstrafe zunächst nicht, führt jedoch als besten Schutz gegen die Pest die Zuflucht zu Gott an.79

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts aber erhöht sich der Prozentsatz der Schriften, die die Strafe Gottes nicht erwähnen, gegenüber der Gesamtzahl der Quellen aus dieser Zeit recht auffällig.80 Dies fiel auch den Zeitgenossen auf, wie im Kapitel „Atheismus und die Pest" noch aufgezeigt wird. In der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts findet sich allein in der Schrift des Wiener Mediziners Anton von Haen (1704-1776)81 noch die Frage, ob die Pest eine unmittelbare Strafe Gottes ist.82 Die drei von mir untersuchten Schriften des 19. Jahrhunderts nennen den göttlichen Einfluss schließlich gar nicht mehr.83 Die möglichen Gründe dafür – z. B. die Säkularisierung der Wissenschaften – wird weiter unten erläutern. Hierzu gehört auch die Frage nach der in den Quellen vielfach zu beobachtenden Trennung zwischen einer natürlichen und einer übernatürlichen Pest.

2.1.2 Quellen


Neben den allgemeinen Pestschriften wurden zur Beantwortung hauptsächlich die religiösen Abhandlungen hinzugezogen. Insgesamt konnten 207 Quellen ausfindig gemacht werden, die sich vom religiösen Standpunkt aus dem Phänomen der Pest nähern. Bis auf 21 Schriften war es möglich, den Autoren eine bestimmte Konfession zuzuordnen, wobei sich ein deutliches Übergewicht auf der lutherischen Seite zeigt: 119 lutherischen Quellen stehen 53 katholische (davon drei aus vorreformatorischer Zeit) und 14 reformierte (calvinistische und zwinglianische) gegenüber.84 Ein Grund für diese Dominanz liegt nach der entsprechenden Forschungsliteratur85 wohl in dem Zusammenhang zwischen der neuen Drucktechnik und der Reformation: V. a. lutherische Schriften waren für die Drucker besser abzusetzen als die katholischen. Hierfür gab es ,äußerliche' und inhaltliche Gründe: Zum einen erschwerte die von den katholischen Gelehrten bevorzugte lateinische Sprache den Absatz ihrer Schriften.86 Zum anderen hat sicherlich auch die Erwartungshaltung der potenziellen Leserschaft, die dem Neuen, also dem reformatorischen Gedankengut, mehr Bedeutung zumaß, eine Rolle gespielt. Fakt war jedenfalls, dass einige katholische Buchdrucker selbst bei bestehenden Verboten reformatorische Schriften druckten oder drucken wollten.87

Nach Form und Inhalt lassen sich die 207 religiösen Quellen wie folgt aufteilen: Die meisten Schriften wurden bis 1750 gedruckt, drei Quellen aus den Jahren 1788, 1797 und 1833 kommen hinzu. Die vorstehende Grafik zeigt auf, dass die Höhepunkte in etwa mit denen der Quellen insgesamt (Grafik 2, siehe oben) übereinstimmen, wobei sich bei den religiösen Quellen ein deutliches Übergewicht in den Jahren 1561 bis 1630 zeigt, in denen insgesamt 113 Schriften erschienen (siehe Grafik 3).

Bezüglich der konfessionellen Unterscheidung der Schriften (Grafik 4) kann festgehalten werden, dass die meisten lutherischen Schriften ebenfalls in diesen Zeitraum fallen. Bei den katholischen Beiträgen fällt auf, dass immerhin 19 Schriften aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts stammen, davon 11 aus den Jahren 1711-1720. Der Grund für dieses ,katholische Nachhinken' ist mir nicht bekannt: In diesen Jahren wütete die Pest nicht nur im eher katholischen Süden und Südosten, sondern auch im Norden Mitteleuropas.

Von der Länge und Gliederung der einzelnen Schriften lassen sich ebenso wenig wie vom Inhalt her übergreifende Einteilungen erstellen. Ein vierseitiges „Gebett zu dem heil. Benno, zur Zeit der Pestilenz"88 ist ebenso vertreten wie eine 32-seitige Danksagungspredigt89, eine mehrseitige Anweisung für die Pfarrer in Seuchenzeiten90 ebenso wie ein über 100 Seiten starkes lateinisches Buch über die Ursachen der Pest91. Lediglich einzelne Fragen – wie z. B. die eher ethische Problemstellung, ob ein Christ zu Pestzeiten aus einer Heimat fliehen dürfe92 – und Besprechungen bestimmter Bibeltexte sind mehrmals anzutreffen.93

Von den 207 religiösen Pestschriften wurden 37 Quellen untersucht, davon eine vorreformatorische, neun katholische, 24 lutherische, drei reformierte und eine Quelle von einem Autor unbekannter Konfession ausgewählt94, von denen einige ausführlicher besprochen werden.

Zu den allgemeinen Pestschriften ist noch zu sagen, dass sie bis in das 18. Jahrhundert hinein die Strafe Gottes als Ursache teilweise recht ausführlich, teilweise jedoch, im Verhältnis zu den übrigen Ursachen, nur kurz erwähnen.95 Leider ließen sich die Konfessionen der Autoren nur selten feststellen: Die zu Rate gezogenen Biografien96 geben, sofern sie die Verfasser überhaupt erwähnen, meist keine Auskunft über ihr Bekenntnis. Eine lückenlose Aufschlüsselung der Konfession wäre interessant – nicht nur für die Bewertung der Gottesstrafe als Ursache der Pest, sondern auch für die der...



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