E-Book, Deutsch, Band 3, 448 Seiten
Reihe: The Romeo & Juliet Society
Schoder The Romeo & Juliet Society, Band 3: Diamantentod (SPIEGEL-Bestseller | Knisternde Romantasy)
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-473-51185-3
Verlag: Ravensburger Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 3, 448 Seiten
Reihe: The Romeo & Juliet Society
ISBN: 978-3-473-51185-3
Verlag: Ravensburger Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
SPIEGEL-Bestseller-Autorin Sabine Schoder hat Grafikdesign in Wien studiert und sich dort unsterblich verliebt. Heute lebt sie mit ihrem Mann und zwei Katzen in Vorarlberg. Ihre Bücher wurden in sieben Sprachen übersetzt, 2021 gewann sie den DELIA Jugendliteraturpreis und ihre Trilogie 'The Romeo & Juliet Society' wurde zum SPIEGEL-Bestseller. Auf Schloss Achilleion hat sie sogar die Muse der Liebe geküsst - heimlich. Wie sich ein verbotener Kuss anfühlt? Sie weiß es genau. Und ihr bald auch.
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»Rhyme? Was weiß ich nicht?«
Vor kaum einer Stunde haben wir erfahren, dass wir uns als das legendäre Liebespaar für alle Schüler opfern müssen. Dass uns keine andere Wahl bleibt – außer den Fluch zu brechen. Trotzdem sieht Rhyme mich plötzlich an, als gäbe es da noch etwas anderes, das ihm gerade sehr viel mehr Angst einjagt. Etwas, das seine eisblauen Augen weitet.
»Also im Stück … vor ihrem Selbstmord … da haben Romeo und Julia …« Rhyme streicht sich nervös durch die Haare. »Die Rituale des legendären Liebespaares sind so alt wie der Fluch selbst, musst du wissen. Seit tausend Jahren müssen sich die beiden … Wie sag ich das am besten?« Aus irgendeinem Grund hat er Schwierigkeiten, mir in die Augen zu sehen.
Ich lege eine Hand auf seinen Arm. »Hey, du kannst mir alles sagen. Ich meine, Lorenzo und das Ballkomitee werden uns in einem Monat dazu zwingen, uns für den Unstern zu erstechen und zu vergiften. Es gibt absolut nichts, was noch schlimmer sein könnte.«
»Es ist nicht schlimmer.« Rhyme schluckt. »Es ist nur …«
»Nur was?«
Und dann trifft mich sein Blick wieder. Er richtet sich nicht einfach nur auf mich, sondern dringt bis tief in mein Innerstes. So als würde er das, was er als Nächstes sagen will, am liebsten genau dort ablegen: tief verborgen in meinem Herzen, wo keiner außer uns beiden es finden kann.
Allein die Wucht dieses Blicks lässt mich verstummen. Mein Mund öffnet sich, aber meine Gedanken liegen blank da, als wären sie unfähig, sich zu einem Satz zu formen, solange er nicht ausgesprochen hat, was sich unaufhaltsam zwischen uns aufstaut. Doch auch Rhyme verstummt, von meinem Anblick genauso gefangen wie ich von seinem.
Ein paar Sekunden lang starren wir einander einfach an. So lange, bis Rhyme ein weiteres Kieselsteinchen an den Kopf geworfen wird und er zusammenzuckt.
»Poetry.« Er klingt gleichzeitig erfreut und genervt, so wie die Stimme eines großen Bruders nun mal klingt, wenn er von seiner kleinen Schwester zurechtgewiesen wird, und reibt sich die Schläfe. »Ich bin unfassbar glücklich darüber, dass du einen Weg gefunden hast, mit uns zu kommunizieren – aber musst du mir die Steinchen ausgerechnet ins Gesicht werfen?«
Poetry steht vor uns in ihrer schwarzen Souffleusenkutte, die außer ihren Rundungen nichts von ihrer Schönheit preisgibt, und regt sich unter ihrer starren Maske keinen Millimeter. Dennoch überkommt mich das vage Gefühl, dass sie dahinter lächeln könnte. Dass sie Freude dabei empfindet, ihren Bruder ein wenig aufzuziehen. Sie war es also, die mich bei meinem ersten Duell gerettet hat. Poetry ist noch irgendwo darunter. Nur, wie viel von der Realität bekommt sie mit?
Als ich mir die Maske der Tragödie im Duell selbst aufgesetzt habe, sah ich etwas sehr Merkwürdiges. Es können nur Sekunden gewesen sein, bevor sie auf meinem Gesicht zerbrach, aber es kam mir viel länger vor. Da war keine alles verschlingende Dunkelheit, wie man es von einer Theatermaske ohne Augenöffnungen erwarten würde. Es war vielmehr so, als würde ich von einem Moment zum nächsten in eine völlig andere Welt gerissen. Eine Welt ohne oben und unten. Eine Welt voll unendlicher Dunkelheit und unendlichem Licht. Ich bin durch sie hindurchgefallen, ohne mich dagegen wehren zu können. Ob es das ist, was die Souffleure und Souffleusen die ganze Zeit über sehen? Ob es das ist, wogegen Poetry gerade ankämpfen muss?
Rhyme strafft seine Schultern. »Ich denke, ich weiß, was Poetry mir sagen will, und sie hat recht. Idealerweise tut man das nur einmal im Leben. Ich sollte es richtig machen.« Er sinkt vor mir in die Knie. Es ist dieselbe edle Haltung, welche die Fürsten einnehmen müssen, wenn sie ihre Tanzpartnerinnen für den Fürstentanz im Ballsaal verkünden. Nur wirkt sie hier im Rosengarten, während oben auf dem Marmorplatz eintausend Schüler unser baldiges Opfer feiern, ein wenig fehl am Platz.
»Du … willst mit mir tanzen?«, stolpert es aus meinem Mund. »Hier? Und jetzt?«
Diesmal wirft Poetry mir den Kieselstein an den Kopf.
Ich zucke verwirrt vor ihr zurück.
Rhyme greift nach meiner Hand. »Joy …«
Ich runzle die Stirn. »Ja?«
»Ich tue das nicht, weil es irgendein Ritual von mir verlangt. Ich will, dass du das weißt.«
»O-kay?«, erwidere ich vorsichtig.
Rhyme drückt meine Hand fester. »Ich hoffe, dass wir diesen Fluch brechen können. Ich hoffe nichts mehr, als dass Poetry uns mit Julias Postkarte wirklich einen Hinweis gegeben hat.« Er atmet tief durch. »Aber vor allem hoffe ich – egal, was auch passiert –, dass wir diesen Weg zusammen gehen werden.«
Ich erwidere seinen Händedruck. »Das tun wir.«
»Ich mache das zwar nicht, weil es ein Ritual von mir verlangt – aber das Ritual verkürzt die Bedenkzeit, die ich dafür habe. Wir zögern solche Fragen normalerweise hinaus, weil wir glauben, ewig Zeit dafür zu haben«, flüstert er plötzlich so leise, als würde er es kaum wagen, seine Gedanken laut auszusprechen. Und genau diese Befangenheit macht seine Stimme in meinem Kopf sehr viel lauter. Sie hallt in mir wider und pocht mit meinem Puls um die Wette. »Diese Illusion von Unendlichkeit haben sie uns heute Nacht genommen. Wir haben möglicherweise nur noch einen Monat zu leben.«
»Wir können den Fluch brechen«, wispere ich genauso leise.
»Das wollte ich damit nicht sagen. Ich will sagen … Ich möchte dich fragen … ob … du … meine …« Er stockt. »Meine Schlangen.«
Ich runzle die Stirn. »Ob ich deine Schlangen …?«
»Nein, meine Schlangen warnen mich!« Er springt so unerwartet auf, dass ich einen Schritt zurück ins Rosendickicht mache. »Giulietta kann sie genauso kontrollieren wie ich. Sie und Romeus sind auf dem Weg hierher. Um genau zu sein, sind sie …«
»… schon da«, ertönt Lady Capulets kalte Stimme hinter mir.
Ich wirble mit klopfendem Herzen herum.
Lady Capulet steigt in ihren silbernen High Heels so trittsicher über die dicken Rosenwurzeln hinweg, wie es nur jemand tun kann, der schon sein ganzes Leben an der Akademie verbracht hat. Sie bewegt sich genauso geschmeidig wie Rhymes Schlangen, die lautlos durch das Blattwerk ringsum gleiten. Hinter ihr ragt der Schatten Lord Montagues auf, dessen dunkler Umriss nahtlos mit der Nacht verschmilzt. Seine gelben Raubtieraugen fixieren uns. »Ihr habt hoffentlich nicht geglaubt, dass wir es euch einfach so durchgehen lassen, vor dem Ritual zu flüchten. Zumindest von dir, Schlangenfürst, hätte ich eine bessere Einschätzung der Situation erwartet.«
»Was soll das denn heißen?«, beschwere ich mich.
In den letzten zwei Monaten war ich Lord Montagues Haus unterstellt. Er hat mir gedroht, mich mit jemandem in ein Duell zu stecken, der mir sehr viel bedeutet, falls ich ihn nicht davon überzeugen kann, eine richtige Montague zu sein. Keine Ahnung, ob er seine Finger dabei im Spiel hatte, dass Rhyme und ich letztendlich gegeneinander antreten mussten, oder ob das ganz allein das Werk des Ballkomitees war. Es kam ihm jedenfalls sehr gelegen. Dass sein Sohn, der Katzenfürst, seine Verliebtheit zu mir nicht einfach bloß vortäuschte, dürfte ihm nicht entgangen sein. Und das hat ihm garantiert nicht gefallen.
Der Gedanke an Cut versetzt mir einen Stich in der Brust. Er hat alles getan, um mich vor genau dieser Situation zu bewahren. Und jetzt stehe ich trotzdem hier und kann nur dabei zusehen, wie sich die Schlinge des Fluches immer enger um Rhyme und mich zusammenzieht.
»Es soll heißen«, übernimmt Lady Capulet das Wort und zieht eine ihrer perfekt geschwungenen Augenbrauen hoch, »dass Rhyme seit seiner Geburt auf diesen Moment vorbereitet wurde. Im Gegensatz zu dir, Joy, weiß er haargenau, wie unausweichlich er ist. Auch wenn er«, fügt sie mit einem Seitenblick auf ihren Neffen hinzu, »dir zuliebe vielleicht noch etwas Hoffnung vortäuscht.«
Rhyme tritt an meine Seite. »Ich täusche Joy gar nichts vor.«
Lady Capulet schnaubt leise. »So? Dann teilst du also ihre Naivität? Dieser Fluch kann nicht gebrochen werden.«
Rhymes Augen blitzen. »Wieso? Weil ihr es damals nicht geschafft habt?«
Lady Capulet presst ihre Lippen aufeinander, aber hinter ihrem frostigen Blick beginnt es sichtlich zu arbeiten. Ob sie inzwischen bemerkt hat, dass wir ihr altes Tagebuch aus dem Geheimraum hinter ihrem Büro gestohlen haben? Ob sie eins und eins zusammenzählt?
Giulietta hatte sich dieses Tagebuch als Teenagerin mit einem unbekannten Freund geteilt. Ein Freund, der später in einen Souffleur verwandelt wurde. Seinen Namen fanden wir zwar nicht heraus, aber ich vermute, dass es der Flüsterer ist. Jener Souffleur, der seit meiner Ankunft in der Akademie verzweifelt versucht, seiner Trance zu entkommen und mir zu sagen, wie man den Fluch brechen kann.
Laut Tagebuch wollte er es beim letzten Fluch vor siebzehn Jahren selbst versuchen, bat vergeblich um Giuliettas Hilfe und wurde nur eine Nacht, bevor er seinen Plan in die Tat umsetzen konnte, im Duell besiegt. Ob das Zufall war oder ob ihn jemand aufhalten wollte, wissen wir nicht. Wir wissen nur, dass es mal eine Zeit gab, in der Giulietta diesen Jungen sehr vermisst hat.
Heutzutage geht sie dem Flüsterer allerdings aus dem Weg.
Und nicht nur ihm.
Mir fällt auf, dass sie ihren Blick sorgsam von Poetry...