E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Schottenberg Tirol für Entdecker
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-903441-41-5
Verlag: Amalthea Signum
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Schotti to go
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
ISBN: 978-3-903441-41-5
Verlag: Amalthea Signum
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Michael Schottenberg, geboren in Wien, prägte als Schauspieler, Regisseur, Drehbuch- und Bühnenautor das österreichische und internationale Kulturleben. Schauspieler im TV, Kino sowie an zahlreichen internationalen Theatern, Bühneninszenierungen in Wien und Berlin. Zehn Jahre lang Direktor des Volkstheater Wien, zahlreiche Preise. Seit 2015 als Reisender und Autor unterwegs. 2019 Publikumsliebling bei der ORF-Show »Dancing Stars«. Seit 2020 ist er wöchentlich als Reise-Experte im »Studio 2« (ORF 2) zu sehen.
Autoren/Hrsg.
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Bären, Katzen und jede Menge Affen
Beim Murmelwanderführer Peter Kendlbacher, Reith 5, 6392 St. Jakob in Haus
Die putzigen Kuschler sind älter, als man glaubt. Es gibt sie seit über dreiundzwanzig Millionen Jahren. Nicht schlecht für die kleinen Racker, deren Nasen oftmals nur ein paar Millimeter aus der Erde lugen, bei Gefahr aber blitzschnell verschwinden, um sich frühestens ein halbes Jahr später erneut aus demselben Erdloch zu wagen. Dabei sind die flauschigen Gesellen beileibe nicht allein. Unzählige Sippschaften wabbeln und krabbeln unter der Erde herum. Auf so ziemlich jedem Kontinent der nördlichen Hemisphäre führen sie ihr seltsames Eigenleben. Marmotas werden sie genannt oder Petromarmota, je nachdem, ob es sich um ein nordostsibirisches Erdloch handelt, ein britisch-kolumbianisches, ob es unter den Gipfeln der Tian-Shan-Berge Turkestans liegt, unter jenen des Himalaja oder der Hohen Tatra, an den Pazifikküsten West-Washingtons oder in der herrlichen Bergwelt rund um die Gemeinde Fieberbrunn in den Kitzbüheler Alpen. Überall kratzen und ratzen, pfeifen und keifen, huscheln und kuscheln sie oberhalb und unterhalb der Erde. Manchmal wieseln sie so dicht unter der Oberfläche herum, dass schon so manch ahnungsloses Gämslein, das über die Almwiese setzt, im nächsten Murmelloch landet.
Die Kitzbüheler AlpenDas Gangsystem gleicht dem des unterirdischen Wien. Harry Lime at its best! Bis zu siebzig Meter können die unterirdischen Katakomben lang sein, allesamt im Einbahnsystem angelegt. Einige der endlosen Gänge dienen als Fluchtrouten, andere, breitere, sind als Gemeinschafts- oder Schlafräume angelegt. Hat sich einer der Murmler verirrt, muss er bis zum nächsten Umkehrplatz laufen, erst dort kann er wenden – allerdings nur, wenn grade kein Gegenverkehr herrscht. Eine zweite Tunneltrasse wäre wünschenswert, würde der Grabmannschaft jedoch vermutlich zu viel Energie abverlangen. Die aber braucht’s, um ausreichend Fett unters Fell zu kriegen. Je blader die Erdlinge, desto enger erweisen sich die Gänge. Bis es kommt, wie es kommen muss: Die fettgefressenen Tiere passen durch keinen Tunnel mehr. Höchste Zeit für den Winterschlaf! Also kuscheln sie sich aneinander, schließen die Augen und dämmern ein. Bis zum nächsten Frühjahr.
Bewegung kommt erst in die Penne, wenn einen der Dickwanste ein allzu tierisches Verlangen überkommt. Dann wird’s eng in der Mulde, die Großen rappeln, die Kleinen zappeln, und der Kollege verschwindet in einer Art Sackgassenlatrine, die dem Verrichten seines Geschäfts dient und die genügend weit vom Schlafplatz entfernt ist, sodass sichergestellt ist, dass kein Missgeruch den ratzenden Felltigern ums Näschen streicht.
»Richtige Popscherln haben sie gegen Ende des Sommers«, sagt der Bergfex und Murmeltier-Experte Peter Kendlbacher, den ich in seinem Bau am Ufer des schönen Pillersees aufsuche, um mehr über die possierlichen Tiere zu erfahren. »Im Frühjahr hängt ihnen das Fell von den Rippen, so abgespeckt sind sie. Das Fett ist weg, aber es hat ihnen geholfen, zu überleben.«
»Kennen Sie die Tiere eigentlich persönlich? Ich meine, erkennen Sie sie wieder?«, wage ich die Großstädterfrage.
»Ja und nein. Ich weiß, wo sie wohnen, und ich erkenne die Bären, die meine Pirschgänge begleiten. Kaum tauche ich auf, pfeifen sie, und die Katzerln und Afferln, wie wir die Muttertiere und ihre Kleinen nennen, tauchen ab – und die Gams, hinter der ich her war, verschwindet im Unterholz. Auf Nimmerwiedersehen. Eine perfekte Alarmanlage.«
Herrn Kendlbacher habe ich mir als Experten in Sachen Murmeltier auserkoren, weil er der Einzige ist, der eine ausgewiesene Murmeltierwanderung in den Kitzbüheler Alpen anbietet. Will man die scheuen Bergbewohner von Angesicht zu Angesicht erleben, bucht man genau hier das unverwechselbare Bergabenteuer – nebst nahezu garantierter Erfolgsaussicht. Aber was heißt schon garantiert? Ich selbst habe bereits mehrfach »garantiertes« Glück einer Mensch-Tier-Begegnung versucht, jedes Mal mit niederschlagendem Erfolg. Kaum ertönte der sattsam bekannte Pfiff, war es schlagartig still auf der Alm, und ich war ratlos, kam mir ertappt vor, drehte und wendete mich mit oder gegen den Wind, hielt den Atem an, um vielleicht doch noch die eine oder andere Murmeltiernase zu erspähen, die sich hervorwagen könnte aus einem der unzähligen Erdlöcher, mit denen die Hänge gespickt sind, um zu prüfen, ob die Bergluft rein ist oder eben nicht. Nie hatte ich das Glück, dem legendären Tierchen von Angesicht zu Angesicht zu begegnen. Nicht so beim Kendlbacher Peter.
»Gibt es so etwas wie eine Erfolgsgarantie?«, frage ich.
»Die Wahrscheinlichkeit ist extrem hoch«, sagt er, »ich weiß ja, wo die Kräutln stehen, die sie mögen. Genau dort bauen sie. Die Chance auf eine Sichtung ist dementsprechend. In neunundneunzig von hundert Fällen klappt’s!« Und dabei schaut mich der Murmeltierexperte so treuherzig an wie ein ausgewachsener Affe.
»Wie kommen die Tiere eigentlich zu ihren seltsamen Namen?«, frage ich.
»Keine Ahnung«, sagt er und beginnt in Fotos zu kramen, um mir ein wenig Anschauungsmaterial zu liefern. »Bei uns heißen sie ja nicht Murmeltier, sondern Mangei.«
»Monkey?«, frage ich, »vielleicht nennt man die Jungen in der Jägersprache ja deshalb Affen? Aber warum man das Männchen ›Bär‹ und die Weibchen ›Katze‹ nennt …?«
»Keine Ahnung«, sagt Herr Kendlbacher, und jetzt sieht er aus wie ein betroppezter Bär, wie mir scheint.
Im Frühjahr werden die abgeschlankten Weibchen, die während der letzten Monate im Schlaf bis zu fünfzig Prozent ihres Gewichts verloren haben, in der Regel von mehreren Männchen begehrt. Nach erfolgter Begattung tragen sie fünf Wochen lang ihr süßes Geheimnis unterm Herzen, bis sie bereit sind, sommersüber den Nachwuchs zu »setzen«. Zwei Jahre bleiben die Jungen unter elterlicher Obhut, danach bilden die Flauscher ihre eigene Familie, wobei heftige Revierkämpfe anstehen. Längstens aber, wenn die ersten rauen Herbstwinde über die Hänge pfeifen, ist Reunion angesagt, und das große Versöhnen findet statt. Die Verbände vereint ihr Schicksal, nur so lässt sich das kommende halbe Jahr überleben – im gemeinsamen Schlaf. Je dichter das Fellknäuel, desto mehr Wärme für den Einzelnen.
Murmelwanderführer Peter Kendlbacher»Mangeis sehen gut. Raubvögel erkennen sie aus einer Distanz von zwei Kilometern. Und sie sind schlau. Ist der Pfiff des Wächters kurz und kräftig, bedeutet das ›Adler im Tiefflug‹. Andere Pfiff-Variationen unterscheiden ›Angriffe‹ von Mensch oder Tier, aus der Luft oder vom Boden aus.«
Ein Bär kommt selten allein.»Gibt’s so etwas wie Inzucht?«, frage ich, und was antwortet der lustige Herr Kendlbacher darauf?
»Möglich. Aber dabei war ich nie.«
»Wie schmeckt Murmelfleisch?« Ich weiß eigentlich gar nicht, weshalb ich das frage. Die Antwort kommt jedenfalls prompt.
»Intensiv.«
»Nach Wild?«
»Nach Murmel.«
Womit bewiesen ist, dass für den Peter die allerliebsten Tierchen ganz sicher nicht zum Abschussplan gehören, noch weniger zur Kategorie Wild, am ehesten noch zur Familie Mensch. Denn putzigere Wesen existieren nicht in der Kitzbüheler Alpenwelt – nicht umsonst gehören sie zu den Big Five der hiesigen Fauna, und damit, geschätzter Leser, ist allemal die hochlöbliche Gemahlin des römischen Waldgottes Faunus gemeint, die oberste Beschützerin des Tierreichs.
Hoch oberhalb des schönen Pillersees, jenseits der siebzehnhundert Höhenmeter, herrscht das göttliche Gemurmel der wohl wunderlichsten Tiere auf Tiroler Boden – das der »Bären«, »Katzen« und »Affen«, »Murmuntos«, »Munggen«, »Mangeis«, aus dem Reich der »Mus montis«.
TIPPS
Tirols BIG FIVE
Steinadler
Die Könige der Luft leben im Felsen- und Waldgebiet des Karwendelgebirges. Man sieht sich nicht satt an den weiten Adlerschwingen, die majestätische Bahnen über den Himmel ziehen. Schauen und staunen!
Murmeltier
Die putzigen »Mangeis« buddeln ein weitverzweigtes Netz an unterirdischen Gängen und Wegen kreuz und quer durch die Tiroler Bergwelt. In höchster Not ertönt ein schriller Pfiff. Im »Murmelland Zillertal« kommt man den Kuschlern nahe. Scheu, aber liebenswert!
Steinbock
Die hochspezialisierten Kraxler erklimmen auch die steilsten Felswände. Was für eine Freude,...