Schreiner Schreibt Thomas Bernhard Frauenliteratur?
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-7317-6028-3
Verlag: Schöffling
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Über Literatur, das Leben und andere Täuschungen
E-Book, Deutsch, 320 Seiten
ISBN: 978-3-7317-6028-3
Verlag: Schöffling
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Margit Schreiner wurde 1953 in Linz geboren. Nach längeren Aufenthalten in Tokio, Paris, Berlin, Italien und dann wieder in Linz lebt sie derzeit in Gmu?nd, Niederösterreich. Sie erhielt fu?r ihre Bu?cher zahlreiche Stipendien und Preise, u. a. den Oberösterreichischen Landeskulturpreis und den Österreichischen Wu?rdigungspreis fu?r Literatur. 2015 wurde sie mit dem Johann-Beer-Literaturpreis und dem Heinrich-Gleißner-Preis ausgezeichnet, 2016 erhielt sie den Anton-Wildgans-Preis. Mit Kein Platz mehr war sie 2018 fu?r den Österreichischen Buchpreis nominiert. www.margitschreiner.com
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
I. Auf die Festplatte kommt es an: Ich bin AutorFrauen verstehen keinen Spaß/ GrenzerfahrungEinerseits - andererseitsSchreibt Thomas Bernhard Frauenliteratur? Oder: Liebe, Trost, Hoffnung.Schreibt Ingeborg Bachmann Männerliteratur? Oder: Männer, Frauen, Tugenden und LasterII. Sag mir, was Liebe ist: Das Hohe- lied - Hoffnung der Frauen?Die erotische Freiheit/Die schreckliche LiebeEkstasen. Ein KultbuchIII. Die Männer, die wir lieben: Alleinerziehend? Nichts leichter als dasDie Männer, die wir liebenZaubereiSag mir, was Liebe istHarry AsexualitätIV. Die Erinnerung ist eine Erfindung: Es hat sich etwas sehr Eigenartiges getanWenn die Mondwinden blühenDas Auto und ich/Rückkehr in die ErinnerungIn Vimperg, wenn es dunkel wirdWarum japanische Maler keine Sumoringer malenAus zweiter Hand. Japanische ErinnerungenJapan 2003v. Das Ende der Gemütlichkeit: Der hässlichste Ort ÖsterreichsDenk ich an Berlin bei Tag und bei NachtDas Ende der GemütlichkeitSchon nehmen die überschwemmungen zuFür alle, die es nicht mehr freutEin Nachwort als AusblickNachweise
Ich bin Autor
Jetzt ist schon wieder was passiert. (So hätte Wolf Haas einen seiner Krimis begonnen. Mit dem Schreiben von Krimis hat er mittlerweile aufgehört.) Seit dem – relativen – Erfolg von Haus, Frauen, Sex habe ich mir vorgenommen, alles anzunehmen, was mir angeboten wird. Lesungen, Interviews, Vorträge, Essays. Veranstalter und Auftraggeber aller Art denken ja meistens gar nicht daran, wie mühsam sich ein Schriftsteller ernährt und dass er manchmal sogar noch ein Kind oder mehrere Kinder ernähren muss. Was man den Veranstaltern auch nicht verdenken kann. Nicht ohne Grund haben viele Schriftsteller gar keine Kinder und stattdessen Frauen, die zumindest als Lehrerinnen arbeiten. Aber ich wollte auf etwas anderes hinaus. Da ich keine Frau habe, die als Lehrerin arbeitet, und auch keinen Mann, der mich ernährt, dafür aber ein Kind, hatte ich mir vorgenommen, alles Mögliche anzunehmen. Das war zunächst sehr fruchtbar. Ich stellte fest, dass es wesentlich mehr Spaß macht, beispielsweise einen Essay zu schreiben, wenn einen jemand dazu auffordert, als einen Essay zu schreiben, wenn einen niemand dazu auffordert. Also entstanden einige Essays. Ich habe Interviews gegeben zu den Büchern, die ich geschrieben habe, aber auch zu Themen wie »Neue Tendenzen der österreichischen Literatur«, »Schreiben Frauen anders?«, zu autobiographischer und fiktionaler Literatur, zu Satzanfängen in Romanen und so weiter. Ich muss nun leider sagen, so etwas schleift sich ab mit der Zeit. Vor allem auch deshalb, weil der Eindruck entsteht, dass die Literatur, die die Schriftsteller schreiben, eine immer kleinere Rolle und das, was sie so sagen, eine immer größere Rolle spielt. Abgesehen davon, dass das kränkt, denn schließlich ist man deshalb als Schriftsteller angetreten, weil man der Überzeugung war, auf eben diese Weise am besten sagen zu können, was man zu sagen hat, stellt man fest, dass allenthalben die Primärliteratur ab- und das Gerede über Literatur zunimmt. Das wird auch daran liegen, dass Reden meist billiger kommt als Schreiben. Zumindest für die Medien. Die zahlen nämlich fürs Reden meist gar nichts, für den Druck oder die Lesungen von Texten gibt’s fixe Sätze. Und die will man sparen. Überhaupt ist Sparen das oberste Gesetz geworden in den reichsten Ländern der Erde. In Deutschland sparen die Kulturinstitutionen neuerdings so fleißig, dass ohne die deutsche Bahncard 50, was immer das sein mag (die Karte für den Menschen über fünfzig?), die Bezahlung längerer Anreisen zu Lesungen nicht mehr gewährleistet werden kann. Aber ich schweife schon wieder ab.
Zu den bereits erwähnten Irritationen kommt hinzu, dass ich neuerdings immer stärker den Eindruck habe, dass der Schriftsteller zwar zu allem Möglichen befragt wird, dass man seine Antworten aber immer weniger hören will. Das heißt, man will natürlich schon eine Antwort auf die eigene Frage hören, aber nicht die, die der Schriftsteller gibt. Man will lieber, sagen wir einmal, die Antwort eines Germanisten hören oder eines Journalisten, eines Politikers, Historikers oder eines Lesers. Je nachdem. Umso erfreulicher, wenn eine Einladung zu einem Abend bei einem Symposion über niederländische und deutschsprachige Literatur im Kontext »Ich bin Autor, nicht Leser« lautet. Und das in Bezug auf Thomas Bernhard. Gut, also Leser bin ich auf jeden Fall auch, wenn ich lese, aber vor allem, da muss ich zustimmen, bin ich Autor.
Es gibt auch unter Autoren Vorurteile über Autoren. Zum Beispiel, dass man von Thomas Mann nichts lernen kann, weil er das 19. Jahrhundert noch einmal literarisch zusammenfasst, aber sprachlich nichts darüber hinaus bietet, also eine Sackgasse ist. Oder dass Hemingway einer untergegangenen (Macho-)Welt angehört, oder, wie Andreas Maier sagt, dass Thomas Bernhard auf Dauer nicht trage, weil er nur Worthülsen anbiete. In einem Artikel in Volltext vom Dezember/Januar 2003 bezichtigt er Bernhard der Unehrlichkeit. Er begründet das unter anderem damit, dass der Autor in seinen autobiographischen Büchern Situationen beschrei be, die er gar nicht beschreiben könnte, wenn er sie wirklich erlebt hätte. Zum Beispiel, sagt er, kann der todkranke Thomas Bernhard nicht die Wäschestücke in der Abstellkammer des Krankenhauses beobachtet haben, wenn er wirklich todkrank gewesen wäre.
Was aber ist wirklich, was wahr, was Lüge, was Fiktion und was Wirklichkeit, was objektiv und was subjektiv? Und ist nicht alle autobiographische Literatur ebenfalls nichts als Fiktion, ja ist nicht unser ganzes Leben eine Fiktion? Man legt einmal die Eckdaten fest: geboren, zur Schule gegangen, studiert, gearbeitet, veröffentlicht, und hält sich dann selbst daran.
Man könnte von Thomas Mann die langen Schachtelsätze lernen, präzise und gemeißelt, von Ernest Hemingway die kurzen Sätze, prägnant und ohne Schnörkel, und von Thomas Bernhard die Tirade, die ungehaltene Rede. Eine einmalige Chance übrigens. Denn Bernhards Protagonisten sprechen aus, was gemeinhin (auch in der Literatur) verschwiegen wird. Es kommt nur auf den persönlichen Zugang an, der allerdings auf einer jeweils ganz bestimmten Welt- und Literatursicht beruht.
Was mich schon lange ärgert ist die – meist – ganz unterschwellige, weil eben auf einer bestimmten Welt- und Literatursicht beruhende – Forderung nach Wahrheit in der Literatur. Es ist einfach nicht wahr, sagte schon mein Onkel Fritz, der nach seiner Arbeit in der oberösterreichischen Landesregierung am Abend am liebsten Anton Bruckner hörte, dass Bruckner ein schlechter, wenn nicht gar miserabler Komponist war. Es ist nicht wahr, was Bernhard sagt, sagt Andreas Maier, dass jedes geistige Werk an irgendeinem Punkt gescheitert ist. Merkwürdigerweise wird die Forderung nach Wahrheit in der Literatur oft gleichzeitig mit Unterstellungen geäußert. Mein Onkel Fritz unterstellte, Thomas Bernhard wolle mit seinen medienwirksamen Tiraden seine Verkaufszahlen erhöhen, Andreas Maier unterstellt, Thomas Bernhard sei in Wahrheit gar nicht so krank gewesen wie er behauptete und wollte überhaupt selbst bloß in jeder Situation der Größte sein und musste daher alles andere klein machen. Er unterstellt, Bernhard mache Kant klein, um selbst größer zu wirken als Kant. Was Andreas Maier (seltsamerweise) ärgert. Die Sache ist aber doch offensichtlich die, dass Wahrheit in der Literatur keine Größe ist. Denn dort, wo alles, selbst Autobiographisches, fiktiv ist, wo Übertreibungen und Untertreibungen, Ironie, Spott, Pathos, Understatement eine Rolle spielen, wackelt der Wahrheitsbegriff.
Andererseits: Auf die Frage, wie er ein Buch beginne, soll Hemingway gesagt haben: Ich setze mich hin und schreibe den ersten wahren Satz. Und daraus folgen dann die weiteren wahren Sätze.
Auch wieder wahr!
Gott sei Dank ist es nicht meine Aufgabe, den Wahrheitsbegriff in der Literatur zu definieren oder zu begründen, warum etwas gut oder etwas anderes schlecht ist. Als Leser wie als Autor lese ich ein paar Seiten eines Buches und finde es interessant oder nicht. Wenn ich darüber eine Rezension schreiben soll, muss ich es begründen. Wenn nicht, geht das gelesene Buch, ob begründet oder nicht, in meine Welt- und Literatursicht ein. Das heißt, das Netz, das ich selbst in meiner Literatur auswerfe, wird dichter. (Ziel ist es vielleicht, das Netz so dicht zu knüpfen, dass alles, außer Wasser, darin hängen bleibt.)
Kein Autor kommt auf Dauer ohne Selbstdefinition als Autor aus. Jeder Autor wird auf Dauer zum Spezialisten seiner Werke. Die sich immer wiederholenden Fragen bei Lesungen oder bei Interviews schulen die Eigenwahrnehmung. Schult man sie nicht, ist man als Schriftsteller verloren. Ich habe Reich-Ranickis Ausspruch »Der Schriftsteller versteht von (seiner) Literatur so viel wie der Vogel von Ornithologie« nie für mehr als ein Bonmot gehalten. Ich glaube auch nicht an die Trennung von Instinkt und Verstand. Schon gar nicht in intellektueller Arbeit. Ich glaube hingegen, der Schriftsteller muss eine ganze Menge von Literatur verstehen, er muss ein Fachmann sein oder besser im Laufe seines Schriftstellerlebens werden. Nur: Der Fachmann Schriftsteller denkt und spricht und schreibt ganz anders als der Fachmann Germanist oder der Fachmann Journalist oder der Fachmann Leser.
Andererseits wieder soll Peter Rosegger gesagt haben: Der Dichter kann gar nicht dumm genug sein.
Auch wieder wahr!
Jeder Autor stößt bei seiner Arbeit des Netzeknüpfens und der Selbstdefinition zu jeder Zeit auf eine ganz spezielle, verbreitete Reihe von Vorstellungen, was Literatur ist und sein soll und welche Stellung der Autor in der Gesellschaft hat. Diese Vorstellungen können sein: Literatur soll erziehen, bilden, geheimnisvoll sein, aufklären, politisch sein, unterhalten, erzählen, zweckfrei sein, ein Spiel sein, verbindlich sein, unverbindlich sein usw. Der Schriftsteller ist, je nachdem, der Aufklärer, der Romantiker, der kühle Kopf, der Mystiker, das Genie. Ich glaube, es ist (über)lebenswichtig für den Autor als Autor, wo er hier einhakt, wogegen er sich absetzt und wo er anknüpft und weiterknüpft. Das wird bei Robert Menasse anders sein als bei Martin Mosebach, bei Andreas Maier anders als bei Julia Franck usw., es gehört aber zum Netz, das den Stil eines Autors schließlich mitbestimmt. Aber – interessanterweise: beim Schreiben selbst wieder unbewusst. Eher eine Parallele zum Leser als beispielsweise zum Germanisten!
Der Schriftsteller setzt sich nicht mit dem Vorhaben an die Maschine, Literatur zu schreiben, sondern er schreibt. So wie der Tennisspieler beim Spielen nicht darüber nachdenkt, wie er ein Ass schlägt. Er...