Schröter | Global gescheitert? | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Schröter Global gescheitert?

Der Westen zwischen Anmaßung und Selbsthass
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-451-82865-2
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Der Westen zwischen Anmaßung und Selbsthass

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

ISBN: 978-3-451-82865-2
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Selten schien der Westen so geschlossen wie zu Beginn des Ukraine-Kriegs. Die Werte der Freiheit und Demokratie galt es gegen ein autokratisches System zu verteidigen. Doch hinter der vermeintlichen Geschlossenheit zeigten sich schnell die ersten Bruchstellen. Wie werden wirtschaftliche Zwänge mit politischen Zielen in Einklang gebracht? Wie viel sind dem Westen die eigenen Ideale wert? Dass sich dahinter ein tiefgreifendes strukturelles Problem des Westens verbirgt, zeigt die Ethnologin und Islamexpertin Susanne Schröter in ihrem neuen Buch. Angesichts der jüngsten Konflikte in der Ukraine, in Afghanistan und Mali sowie der Planlosigkeit westlicher Regierungen im Umgang mit Migrationsbewegungen, Islamismus  und Cancel Culture diagnostiziert sie einen zwischen Hybris und Selbsthass gefangenen Westen, der unentwegt die Werte der Demokratie beschwört, sie aber gleichzeitig immer dann verrät, wenn es darauf ankommt. Befindet sich der Westen auf dem besten Weg, die eigene innen- wie außenpolitische Glaubwürdigkeit zu verspielen? In ihrem analytisch klugen und thesenstarken Buch gibt Susanne Schröter die Antwort. 

Susanne Schröter, Prof. Dr., geb. 1957, studierte Ethnologie, Soziologie, Politikwissenschaften und Pädagogik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Sie lehrte und forschte u.a. an der University of Chicago und der Yale University, wurde 2004 Inhaberin des Lehrstuhls für Südostasienkunde an der Universität Passau und 2008 auf die Professur für 'Ethnologie kolonialer und postkolonialer Ordnungen' und an die Goethe-Universität Frankfurt berufen. Dort war sie 11 Jahre lang Principal Investigator im Exzellenzcluster 'Herausbildung normativer Ordnungen' und leitet seit 2014 das 'Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam'.
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Der russische Überfall auf die Ukraine


Am 24. Februar 2022 überfiel die Armee der Russischen Föderation die Ukraine. In westlichen Ländern löste dieser Krieg mitten in Europa einen Schock aus. Das Prinzip Wandel durch Handel wurde vom russischen Präsidenten Wladimir Putin ebenso ad absurdum geführt wie die Hoffnung, dass sich regelbasierte Ordnungen westlichen Stils mithilfe von Soft Power durchsetzen lassen. Europa realisierte bestürzt, dass es sich in falscher Sicherheit gewogen hatte und der gern zur Schau getragene Hochmut gegenüber den USA, die seit Langem eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben angemahnt hatten, vollkommen inadäquat gewesen war. Besonders hart traf diese Erkenntnis deutsche Politiker, die für die Misere in entscheidendem Maß mitverantwortlich waren, weil sie das russische System verharmlost, politisch legitimiert und mitfinanziert hatten.

Genealogie eines unerwarteten Krieges


Im Rückblick muss man sagen, dass der Angriff mit Ankündigung erfolgte. Bereits am 1. Juli 2021 hatte Putin auf der Website des Kreml einen 24-seitigen Essay mit dem Titel Zur historischen Einheit von Russen und Ukrainern veröffentlicht, in dem er der Ukraine das Recht absprach, ein eigenständiger Staat zu sein. Es handele sich um eine illegitime Konstruktion der Bolschewiki aus dem Gründungsjahr der Sowjetunion, schrieb er, und diese werde gegenwärtig vom Westen gesteuert, um Russland zu schwächen. Russen, Belarussen und Ukrainer, so seine zentrale Aussage, seien ein Volk und gehörten zu einer dreieinigen russischen Nation. Diese Nation dürfe nicht gespalten werden.

Der Hintergrund dieser These ist ein gemeinsamer russisch-ukrainischer Ursprungsmythos, der ins neunte Jahrhundert zurückreicht, als normannische Stämme die Föderation der Kiewer Rus gründeten, die aus mehreren Herrscherhäusern bestand und vom Kiewer Fürsten angeführt wurde.[1] Die glanzvolle Zeit endete mit der Eroberung durch die Mongolen im Jahr 1237 und einer anschließenden Zersplitterung. Ab 1350 wurde Moskau das wichtigste Machtzentrum der Region und die Ukraina zum Grenzland. In den folgenden Jahrhunderten fielen Teile des heutigen Staatsgebietes an Polen, an Russland und an das Habsburger Reich.

Seit dem 19. Jahrhundert lassen sich Bestrebungen der Ukrainer erkennen, einen eigenen Staat zu gründen. Das gelang für eine kurze Zeit nach der Februarrevolution 1917, doch bereits 1918 eroberten die Bolschewiki die Region zurück und konstituierten 1922 eine Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik.[2] Es folgten Russifizierungsmaßnahmen und Zwangskollektivierungen. Widerstand wurde mit Säuberungsaktionen und dem Aushungern der Bevölkerung gebrochen. Nach Schätzungen starben dabei zwischen drei und sieben Millionen Menschen.[3] Eine zweite Repressionswelle und eine weitere Hungersnot folgten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Diese jüngere Geschichte wird heute von Ukrainern als ebenso traumatisch erinnert wie die Ermordung von acht Millionen Menschen durch das nationalsozialistische Regime.

Während der Perestroika unter Michail Gorbatschow entwickelte sich ab den 1980er-Jahren erneut eine ukrainische Unabhängigkeitsbewegung. Mehr als 90 Prozent der Bevölkerung stimmten 1991 in einem Referendum für den Austritt aus der Sowjetunion. Auch auf der Halbinsel Krim, die 1954 unter Nikita Chruschtschow dem ukrainischen Territorium zugeordnet wurde, entschied sich damals eine knappe Mehrheit der Befragten gegen einen Verbleib in der Sowjetunion. Im Budapester Memorandum, das die USA, Russland und Großbritannien 1994 unterzeichneten, wurde die territoriale Souveränität der Ukraine festgelegt. Im Gegenzug verzichtete diese auf die Atomwaffen, die in der Vergangenheit bei ihr stationiert worden waren. 1996 verabschiedete das ukrainische Parlament eine neue Verfassung, in der die Ukrainer als Staatsvolk und die ukrainische Sprache als Staatssprache genannt wurden, und 1997 schloss Boris Jelzin einen Freundschaftsvertrag zwischen Russland und der Ukraine, in dem die nationale Souveränität bestätigt wurde.

Trotz dieser Entspannung gab es starke Kräfte in Russland, die mit der Entwicklung nicht einverstanden waren und eine Wiedervereinigung der sogenannten russischen Zivilisation anvisierten. In der Ukraine selbst herrschte ebenfalls keine Einigkeit darüber, wie die Beziehungen zu Russland in der postsowjetischen Phase ausbuchstabiert werden sollten. Ein Teil der russischsprachigen Minderheit in der Bevölkerung blieb russlandorientiert, die Mehrheit strebte jedoch nach Europa. Ein wirklicher politischer Wandel war in den ersten Jahren der Unabhängigkeit ohnehin nur in Ansätzen erkennbar. Oligarchen und Funktionäre der Kommunistischen Partei etablierten einen dichten Filz korrupter und nepotistischer Strukturen, und ehemals sowjetische Eliten, die von Russland unterstützt wurden, dominierten weiterhin die Politik. Notwendige Reformen blieben aus, das Bruttoinlandsprodukt sank kontinuierlich, und Millionen Ukrainer verließen aufgrund wirtschaftlicher Not das Land.

Immer wieder zeigte sich, dass die Bevölkerung stark gespalten war. Bei den Wahlen im Jahr 2004 erhielt der europäisch gesinnte Wiktor Juschtschenko im westlichen Teil des Landes die absolute Mehrheit aller Stimmen, auf der Krim und in der Donbass-Region war der russlandtreue Wiktor Janukowytsch der erklärte Favorit. Janukowytsch reklamierte zunächst einen Wahlerfolg für sich, doch es gab begründete Zweifel an der Auszählung. Juschtschenkos Anhänger, die ihren Kandidaten als eigentlichen Wahlsieger sahen, protestierten gegen das ihrer Meinung nach manipulierte Ergebnis. Eine breite Bewegung entstand, welche die Farbe Orange, die Juschtschenko im Wahlkampf verwendet hatte, als Erkennungszeichen auf Bannern und Kleidungsstücken nutzte. Aus diesem Grund ging sie als Orange Revolution in die Geschichte ein. Sie vollzog sich lehrbuchhaft als Erfolgsgeschichte eines breiten zivilgesellschaftlichen Widerstands. Allabendlich versammelten sich Hunderttausende auf dem zentralen Platz der Unabhängigkeit in Kiew, dem Majdan Nesaleschnosti, und forderten eine Überprüfung des Ergebnisses. Es kam zu Blockaden und Streiks. Im Dezember wurde die Stichwahl zwischen den beiden Kontrahenten wiederholt. Juschtschenko wurde als Gewinner bestätigt und im Januar 2005 als Präsident vereidigt. Die Orange Revolution wurde in starkem Maße von westlichen Einrichtungen unterstützt, und in einigen meinungsbildenden Zeitungen wurde über eine amerikanische Orchestrierung spekuliert. Der Politikwissenschaftlerin Sabine Fischer zufolge, die damals am EU-Institute for Security Studies in Paris beschäftigt war, verursachte diese Entwicklung in Russland Befürchtungen, dass sich auch andere Staaten des russischen Einflussbereiches nach Westen ausrichten könnten. Sie schreibt der russischen Führung Einkreisungsphobien zu.[4]

Ruhe kehrte nach der Vereidigung Juschtschenkos in der politischen Landschaft der Ukraine nicht ein. Korruptionsvorwürfe und öffentlich ausgetragene Querelen im Regierungslager sorgten dafür, dass Janukowytsch 2010 erneut zum Präsidenten gewählt wurde. Er verhandelte ein Assoziierungsabkommen mit der EU und gleichzeitig die Integration der Ukraine in eine Zollunion mit der Russischen Föderation. Nach politischem Druck aus Moskau wurde das Abkommen mit der EU allerdings im November 2013 gestoppt. Daraufhin kam es erneut zu Demonstrationen, an denen zeitweise mehr als eine Millionen Menschen teilnahmen. Die Bewegung ist unter dem Begriff Euromaidan in die Geschichte eingegangen. Die Regierung reagierte mit Verhaftungen und Polizeigewalt, und der russische Außenminister Sergej Lawrow warnte den Westen davor, sich einzumischen. Dennoch siegte die Opposition, weil sich im Februar 2014 die Polizei, die Armee und der Geheimdienst der Demokratiebewegung anschlossen.

Putin sah diese Entwicklung erneut als Bedrohung und beschuldigte vermeintliche Faschisten, mit Unterstützung des Westens die Ausrottung alles Russischen zu betreiben. Diese Propaganda verfing im Donbass ebenso wie auf der Krim, die mehrheitlich von einer russischsprachigen Bevölkerung bewohnt sind, und machte es Putin möglich, eigene expansionistische Ziele als Maßnahmen des Schutzes der russischen Bevölkerung zu deklarieren. Unter russischer Anleitung wurden auf der Krim die Regionalregierung ausgetauscht, ein Autonomiestatus ausgerufen und ein Referendum abgehalten, das eine sogenannte Wiedervereinigung mit Russland zum Ergebnis hatte. Im März 2014 bat die neue Regierung Russland um militärische Unterstützung, und Putin annektierte das Gebiet. In den Schulen wurden fortan russische Schulbücher verwendet, der Rubel wurde als Währung eingeführt, und 2019 erhielten die Einwohner die russische Staatsbürgerschaft. Der Westen reagierte mit Sanktionen, doch innerhalb der Russischen Föderation fand dieser Bruch des Völkerrechts breite Zustimmung.

Nach dem Vorbild der Krim begann Putin auch die Donbass-Region zu destabilisieren. In den Regionen Donezk und Lugansk wurden Souveräne Volksrepubliken ausgerufen. Prorussische Separatisten versuchten, die regionale Unabhängigkeit mit Waffengewalt durchzusetzen, und wurden dabei von Russland unterstützt. Zwei Abkommen zur Deeskalation, die unter Beteiligung Deutschlands und Frankreichs in Minsk ausgehandelt wurden, scheiterten am Unwillen der Beteiligten. Die Ukraine beharrte auf der völkerrechtlich bindenden Unverrückbarkeit ihrer...


Schröter, Susanne
Susanne Schröter, Prof. Dr., geb. 1957, studierte Ethnologie, Soziologie, Politikwissenschaften und Pädagogik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Sie lehrte und forschte u.a. an der University of Chicago und der Yale University, wurde 2004 Inhaberin des Lehrstuhls für Südostasienkunde an der Universität Passau und 2008 auf die Professur für „Ethnologie kolonialer und postkolonialer Ordnungen“ und an die Goethe-Universität Frankfurt berufen. Dort war sie 11 Jahre lang Principal Investigator im Exzellenzcluster „Herausbildung normativer Ordnungen“ und leitet seit 2014 das "Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam".

Susanne Schröter, Prof. Dr., geb. 1957, studierte Ethnologie, Soziologie, Politikwissenschaften und Pädagogik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Sie lehrte und forschte u.a. an der University of Chicago und der Yale University, wurde 2004 Inhaberin des Lehrstuhls für Südostasienkunde an der Universität Passau und 2008 auf die Professur für "Ethnologie kolonialer und postkolonialer Ordnungen" und an die Goethe-Universität Frankfurt berufen. Dort war sie 11 Jahre lang Principal Investigator im Exzellenzcluster "Herausbildung normativer Ordnungen" und leitet seit 2014 das "Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam".



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