Schubert | Abserviert! | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 218 Seiten

Schubert Abserviert!

Erinnerungen einer Bedienung mit Haut und Haar
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-99130-667-2
Verlag: novum Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Erinnerungen einer Bedienung mit Haut und Haar

E-Book, Deutsch, 218 Seiten

ISBN: 978-3-99130-667-2
Verlag: novum Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Susanne, ein junges, naives und orientierungsloses Mädchen aus einem oberbayerischen Dorf, möchte der Enge des Landlebens entfliehen. Ihr Vater animiert sie durch eine Erzählung, den Beruf der Hotelfachfrau zu ergreifen. Schon bald spürt Susanne die volle Härte, aber auch die Freuden dieses Berufes und stellt sich mit ungebrochenem Willen und Trotz den Herausforderungen. Sie setzt sich gegen die Wünsche ihrer verständnislosen Mutter durch, kämpft verbissen gegen Ausländerfeindlichkeit, Sexismus und Tierquälerei. Unbeirrt geht sie ihren Weg, liebt, leidet, tanzt und wächst zu einer selbstbewussten, unerschütterlichen Persönlichkeit heran.

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Die Entscheidung – oder wie Orientierungslosigkeit manchmal zum Ziel führt (1982)

Schuld war mein Vater. Er war an vielen Wendungen in meinem Leben schuld, lenkte mich aber immer unaufgeregt und mit liebevoller und verständnisvoller Hand. Das Verhältnis zu meiner Mutter hingegen war diplomatisch ausgedrückt gespalten. Sie schien nie stolz auf mich zu sein, im Gegenteil. Die ständige Einvernehmlichkeit mit meinem Vater trug nicht gerade zur Entspannung bei. Nun gut, zur Entspannung gab es ja den Erstgeborenen, der den Anspruch meiner Mutter an Intelligenz und Ernsthaftigkeit vollkommen erfüllte.

Und so wuchs ich in einem kleinen Dorf im oberbayerischen Alpenland als mittleres von drei Kindern heran. Mein Bruder der Intellektuelle, meine Schwester die Künstlerin und ich. Ich war immer gut gelaunt, flatterte durchs Leben, hatte ständig Flausen im Kopf und war komplett überfordert damit, was die Welt einer Pubertierenden so alles bietet. Jungs, Partys, Kino und Diskotheken! Daneben gab es aber auch die unerfreuliche tägliche Pflicht, ein Lehrinstitut in Form einer katholischen Mädchenrealschule zu besuchen. Das entsprach in keinster Weise dem, was ich unter Spaß verstand. Dementsprechend konzentrierte ich mich auch auf andere Dinge. Musik zum Beispiel. Um den konservativen Musikvorlieben meiner Eltern (Klassik und deutsches Liedgut) etwas entgegenzusetzen und wie es sich für einen Teenager gehört, der etwas auf sich hält, fand ich großen Gefallen an revolutionäreren Genres. Gerne hörte ich Pop, Rock und auch Heavy Metal. Außerordentlich wählerisch war ich dabei nicht. Besonderen Gefallen fand ich jedoch an „The Who“ und war begeistert, als die Künstler ihre Gitarren vor Ekstase auf der Bühne zertrümmerten. Meine Mutter fand dieses Verhalten im höchsten Maße unpassend und beschloss, meine musikalischen Vorlieben in eine andere Richtung zu lenken. Ganz oben auf ihrer Liste stand Country.

Unglücklicherweise begann ich zu singen. Schnell erkannte mein Umfeld, dass ich es zwar mit grenzenloser Leidenschaft aber null Komma null Begabung tat. Um dieses quälende Verhaltensmuster rasch zu unterbinden, war schnelles Handeln gefragt. Meine Eltern agierten hierbei sehr kreativ und ich wurde umgehend zum Blockflötenunterricht angemeldet. Das Repertoire dieses Instrumentes war relativ begrenzt und auch meine Bemühungen Hard Rock damit zu spielen, gingen ordentlich daneben. Wenn schon ein Instrument, dann hätte ich mich mit Gitarre oder Schlagzeug anfreunden können, aber hier bestand wieder ein erhöhtes Risiko der stimmlichen Begleitung. „Dann ein Klavier! Bitte!“, bat ich mit tränenden Augen. „Nein!“ Selbst meine Drohung, dann aus Trotz einfach extra falsch zu singen, konnte sie nicht erweichen.

Ähnliche Interessenkonflikte ergaben sich auch beim Findungsprozess meines zukünftigen Berufes. Die Begeisterung über das nahende Ende meiner Schulzeit wurde überschattet von der Androhung seitens meiner Mutter, dass jetzt der Ernst des Lebens beginne und ich mir Gedanken über meinen zukünftigen Broterwerb machen solle. Zunächst dachte ich in meiner unbefangenen Art, ich mache etwas, wofür mein Herz brennt. Das war tanzen. Fasziniert saß ich vor dem Fernseher und verfolgte das Bayerische Fernsehballett bei jeder sich bietenden Möglichkeit. Auch Filme mit Fred Astaire und Ginger Rogers begeisterten mich über alle Maßen. Allerdings hatte ich vor, eine Tätigkeit zu wählen, die ich bis ans Ende meiner beruflichen Laufbahn ausüben konnte, und was ich sah, waren ausschließlich junge, schöne Menschen. Außer den Kessler-Zwillingen kannte ich keine betagten Tänzerinnen und der Weg auf die großen Bühnen der Welt war ein extrem harter. Das war selbst mir klar. Man musste ja nicht aus jedem Hobby einen Beruf machen. Daher entschied ich, mich erst einmal einer Volkstanzgruppe anzuschließen, auch wenn es hier rein musikalisch wenig Überschneidungen mit meinem favorisierten Musikgenre gab.

Mein Herz brannte aber für so viel. Schauspielerei zum Beispiel. Ich trat der örtlichen Theatergruppe bei und legte einen beachtlichen Enthusiasmus an den Tag, wenn es darum ging, in andere Rollen zu schlüpfen. Auf Kommando lachen oder weinen? Kein Problem. Nach jedem Kinobesuch war ich davon überzeugt, dass ich das problemlos, wenn nicht besser, hätte darstellen können. Pah! Nichts leichter als das! Allerdings öffnete mir mein Vater bezüglich einer Schauspielausbildung die Augen, indem er beiläufig anmerkte, dass ich nach München ziehen müsse, weil es in unserem Ort nun mal keine Schauspielschule gab. Oder noch schlimmer nach New York. Als er die Begeisterung in meinen Augen las, schob er sofort nach, dass er nicht bereit sei, diese Ausbildung zu finanzieren. Außerdem konnte ich mir letztendlich doch nicht vorstellen, mein gewohntes Umfeld zu verlassen. Zu meinem Erstaunen gab es jetzt noch einen anderen Parameter, der für die Berufswahl ausschlaggebend war, und der war geografischer Natur. Und da kam mir die Idee schlechthin. Ich stürmte freudestrahlend früh morgens um 11:00 die Küche und rief: „Ich werde Friseuse.“ Meine Mutter teilte meine Begeisterung nicht und argumentierte, dass ich da ja nichts verdiene. Toll!

Mein zukünftiger Beruf soll mir Spaß machen, in der Nähe sein, Geld bringen, ja was denn noch! Ich erspare Ihnen, liebe Leser, meine weiteren phantasievollen Eskapaden, Vorstellungen und Frustmomente.

Eines Tages, ich war in höchstem Maße deprimiert, weil mein Vater geschäftlich unterwegs war und meine Mutter meine Teenager-Sorgen nicht wirklich teilte, sondern nur die Augen ob meiner Lebensplanung verdrehte, entschied ich einfach, reich zu heiraten. Das erschien mir plausibel, erfüllte alle gesellschaftlichen Anforderungen und ließ sich phantastisch mit meinen Hobbys verbinden. Ich musste nur noch den richtigen Mann finden. Pah, denken Sie sich jetzt, ein Kinderspiel! Aber ich gebe zu bedenken, dass es 1982 noch keine Handys oder Datingplattformen gab. Da war weiblicher Instinkt gefragt, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Während ich noch dabei war, in meinem stillen Kämmerchen einen Plan auszuhecken, wie man ein geeignetes Exemplar zur Strecke bringt, geschah etwas, was mein ganzes Leben nachhaltig aus der gewohnten Bahn warf und für mich die Weichen völlig neu stellte.

Mein Vater kam von der Geschäftsreise nach Hause und während des Abendessens erzählte er mit strahlenden Augen, dass er und seine Geschäftspartner in einem ganz außergewöhnlichen Restaurant diniert hatten und ihn die Bedienung dort tief beeindruckt hatte. Sie war gepflegt, trug ein dunkles Kostüm und hatte rot lackierte Fingernägel. Sie war mehrsprachig, distanziert, aber zuvorkommend und begeisterte die Herren mit ihrem sicheren und souveränen Auftreten. Wow! Ein kurzer Blick auf meine Nägel verriet mir, dass diese mein kleinstes Problem waren. Ich wollte auch, dass mein Papa feuchte Augen bekommt und so begeistert von mir spricht. Mein Entschluss stand fest. Meine Abschlussnoten waren ohnehin nicht dazu angetan, eine akademische Karriere anzustreben, aber das hatte ich auch nie in Betracht gezogen. Am nächsten Morgen verkündete ich lauthals meine Entscheidung mit den Worten „Ich werde Bedienung“. Unglücklicherweise konnte man damals die genaue Berufsbezeichnung noch nicht googeln, sonst hätte sich „staatlich geprüfte Hotelfachfrau“ schon etwas kompetenter angehört.

Meine Mutter quittierte meine Entscheidung gewohnt emotionslos, aber mein Vater meinte resigniert: „Wenn du das wirklich willst, dann mach das.“ Ja, klar wollte ich das. Und wie!

Nun musste ich leider die Erfahrung machen, dass es nicht genügt, eine Entscheidung zu treffen, man musste sie auch zielstrebig verfolgen. Hätte ich das mit dem gleichen Ehrgeiz getan, wie meinen mäßigen Schulabschluss zu feiern, dann hätte ich etwas Entscheidendes versäumt. Aber alles der Reihe nach. Nachdem ich also nach der exzessiven Abschlussfeier wieder zu mir kam, sah ich klar, und zwar meine Mutter. Sie legte mir ganz nebenbei nahe, es doch mal mit Bewerbungen zu versuchen. Das war meiner Ansicht nach gar kein schlechter Plan und ich machte mich daran, meinen überschaubaren Lebenslauf und ein Anschreiben zu verfassen, das besagte, dass mein ganzes Sehnen und Trachten danach strebe, im besten Haus am Platz eine sklavenähnliche, dreijährige Ausbildung zu absolvieren und mit deren Beginn meine Menschenrechte abzugeben. Um bei der Wahrheit zu bleiben, ganz so deutlich habe es nicht formuliert. Was sich heute kaum noch jemand vorstellen kann, ich tat dies handschriftlich und fehlerfrei. Nachdem dieser intellektuelle Kraftakt aber einige Zeit in Anspruch nahm und ich nach wie vor irgendwie mit Berufswunsch Nr. 1, der Tänzerin, liebäugelte, geschah das, was zwangsläufig geschehen musste: Ich bekam keine Lehrstelle mehr. Jetzt musste Plan B her. Ich war davon überzeugt, dass es mich schon einmal einen Schritt weiterbringen würde, meine Nägel zu lackieren. Irgendwie hatte ich auch noch vage in Erinnerung, dass die Idealbesetzung dieses Berufszweiges mehrsprachig sein sollte.

Meine Englischkenntnisse beschränkten sich auf unnütze Liedertexte von The Who und ACDC, die aber in der alltäglichen Kommunikation nicht wirklich hilfreich waren. Doch dann hatte ich – also genauer gesagt meine Mutter – die entscheidende Idee. Bis heute glaube ich daran, dass sie von egoistischen Motiven getrieben war, als sie mir den Vorschlag unterbreitete, ich solle es doch erst einmal ein Jahr in England als Au-pair-Mädchen...



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