E-Book, Deutsch, 175 Seiten
Schubert / Armbruster Den Frieden verteidigen
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-17-043428-8
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 175 Seiten
ISBN: 978-3-17-043428-8
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Meinte man lange, um Frieden zu schließen, müssten erst die "Feinde" besiegt werden, so erkannte die Staatengemeinschaft im Jahr 1945, dass nicht der Feind, sondern der Krieg besiegt werden muss. Eine Weltordnung zu schaffen, die Staaten global davon abhält, ihre Konflikte mit Gewalt zu lösen, hat sie sich in der Charta der Vereinten Nationen zur Aufgabe gemacht. Doch bei allem Erfolg - den Krieg auszurotten, ist auch auf diesem Weg bislang nicht gelungen.
Müssen wir den Traum vom "ewigen Frieden" also aufgeben? Nein, meint Hartwig von Schubert. Das Programm der UNO zur "Ächtung des Krieges" muss kein Ideal oder bloßer Traum bleiben, sondern hat auch nüchtern betrachtet echte Aussichten auf Erfolg. Wie müsste eine internationale Sicherheitsarchitektur aussehen, die weder naiv noch kriegstreiberisch ist?
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Einleitung
Menschen wollen Frieden, brauchen Frieden, trotzdem führen sie Kriege. Das löst immer wieder Kopfschütteln aus: Warum, um Himmels willen, töten wir uns? All die Zerstörungen, all die Toten, Verletzten und Verstümmelten an Leib und Seele, all der Hass und die Feindschaft, und manchmal über viele Generationen hinweg – wird man hinterher sagen, dass es das wert gewesen sei? Auch die entsetzlichste aller Naturkatastrophen beleidigt und empört den Geist des Menschen nicht auch noch dadurch, dass dahinter ein menschlicher Wille steht. Der Krieg aber ist eine von Menschen absichtlich herbeigeführte Katastrophe, keine Natur-, sondern eine Kulturkatastrophe. Er ist von Menschen gemacht, also von eben den Mitmenschen, die doch unsere Artgenossen, Brüder, Schwestern und Nächsten sind und von denen wir eigentlich genau das Gegenteil erwarten. Deshalb ist der Krieg ein Übel, und deshalb ist es immer zu kurz gedacht, wenn es heißt, es ginge im Krieg darum, seine Feinde zu besiegen. Zur Vernunft kommen wir erst dann, wenn wir erkennen, dass wir letztlich nicht unsere Feinde, sondern den Krieg besiegen müssen. Was braucht es aber, um den Krieg zu besiegen? Noch mehr Krieg? Krieg gegen den Krieg? Ja, vielleicht, aber wo soll das enden? Können wir Menschen den Krieg besiegen? Eine rührende Illusion, werden viele denken – sollte man sowas nicht weltfremden Träumern überlassen? So abwegig ist das aber nicht. Am 27. August 1928 unterzeichneten in Paris elf Nationen einen Vertrag zur Ächtung des Krieges; benannt wurde er nach dem französischen Außenminister Aristide Briand (1862–1932) und seinem amerikanischen Kollegen Frank Billings Kellogg (1857–1937): der sogenannte Briand-Kellogg-Pakt. An die Idee dieses Pakts schließt auch die Charta der Vereinten Nationen (UNO) von 1945 an – und der UNO gehören heute nahezu alle Länder der Erde an. Allerdings konnten solche Regelwerke zwischenstaatliche Kriege wie aktuell zwischen Russland und der Ukraine oder die in den letzten Jahrzehnten häufigeren innergesellschaftlichen Kriege nicht verhindern. Das liefert den Anlass, einem wichtigen Thema der politischen Philosophie nachzugehen, ob und wie nämlich der Frieden einerseits möglichst friedlich, andererseits aber auch möglichst wirksam verteidigt werden kann – aufbauend auf einem innergesellschaftlichen Frieden auch zwischen mehreren Gesellschaften und ihre Staaten. Dieses Buch gesellt sich mit zwei anderen Büchern zu einer Trilogie namens „Von Krieg und Frieden“. Im ersten Band dieser Trilogie erläutert Jochen Hippler die Logik und Schrecken des Krieges: Warum werden Kriege geführt und wie „funktionieren“ sie, welche Formen des Krieges gibt es? Er schlägt dabei folgende Definition vor: „Wir wollen Krieg hier als organisierte und nicht nur kurzzeitig-spontane Form der politischen Gewalt begreifen, die eine bestimmte Mindestgröße … überschreitet. Anders ausgedrückt: Wir sprechen hier von Krieg, wenn Gewalt in größerem Umfang und in organisierter Form zur Erreichung politischer Ziele eingesetzt wird“. Diese Definition bezeichnet Krieg als einen Zustand, nicht als eine Maßnahme. Alltagssprachlich geht beides leider oft durcheinander: Dann lässt sich nicht mehr differenzieren zwischen dem Übel, das bekämpft wird (Krieg als Zustand), und den Mitteln und Wegen der Bekämpfung (zu denen Krieg als Maßnahme gehören kann). Deshalb sprechen Juristen auch nicht von Kriegen, sondern von bewaffneten Konflikten. Wir unterscheiden ja auch zwischen einer Krankheit und ihrer Behandlung, obwohl beide schmerzhaft sein können. Darüber, dass der Krieg als Zustand ein Übel ist, dürfte weitgehend Einigkeit bestehen. Wie Maßnahmen gegen einen Krieg, also u. U. auch militärische, zu beurteilen sind, ist aber eine davon gesondert zu klärende Frage. Im zweiten Band dieser Reihe fragt der Publizist und Journalist Pascal Beucker: Pazifismus – ein Irrweg? Beucker diskutiert zahlreiche Erscheinungsformen von Pazifismus – vom absoluten Pazifismus, der von Gegnern meist als Zerrbild für den Pazifismus überhaupt missbraucht wird, bis zum Völkerrechtspazifismus. Als Versuch, die unterschiedlichen Arten unter einen gemeinsamen Nenner zu bringen, übernimmt er die Definition des Friedensforschers Karl Holl, der vorschlägt, als Pazifismus „die Gesamtheit individueller und kollektiver Bestrebungen [zu] bezeichnen, die eine Politik friedlicher, gewaltfreier zwischenstaatlicher Konfliktaustragung propagieren und den Endzustand einer friedlich organisierten, auf Recht gegründeten Staaten- und Völkergemeinschaft zum Ziel haben“. In diesem dritten Band nehme ich als evangelischer Theologe, ehemaliger Militärdekan an der Führungsakademie der Bundeswehr und inzwischen Privatdozent an der Universität Hamburg die beiden Fäden auf: Kriege werden geführt und folgen einer eigenen Logik – Pazifismus ist eine gute Idee, kann aber angesichts ausgebrochener Konflikte hilflos sein. Wie also lässt sich der Frieden wirksam verteidigen? Ich setze Hipplers Analysen der empirischen Friedens- und Konfliktforschung voraus und werbe aus den von Beucker skizzierten Richtungen für den Pazifismus des modernen Völkerrechts. Er ist meines Erachtens als einziger wirklichkeitsnah, philosophisch (und auch theologisch) schlüssig und widerspruchsfrei begründet und hat überdies in den Jahrzehnten nach 1945 zumindest einige Bewährungsproben bestanden. Mein Schwerpunkt liegt auf der politischen Philosophie, theologische Aspekte werden nur hier und da gestreift. Wer sich für sie interessiert, wird in meiner Habilitationsschrift Nieder mit dem Krieg fündig. Im ersten Kapitel dieses Buches setze ich mit einer Überzeugung ein, die wir drei Autoren aus tiefstem Herzen teilen: Der Krieg ist ein Übel, und deshalb betone ich im ersten Kapitel, dass es nicht darum geht, diesen oder jenen Feind, als vielmehr den ewigen Krieg zu besiegen. Das zweite Kapitel zeigt, wie eine freiheitliche Gesellschaft Vielfalt und Einheit ihrer Bürger zum Ausgleich bringt. Dafür muss sie der Zivilität, Sozialität und Religiosität ihrer Bürger einen großen Freiraum gewähren und diesen Bereich vor dem unmittelbaren Druck aus Politik und Wirtschaft schützen. Die freiheitliche Gesellschaft löst das Gewaltproblem zwar zunächst durch Aufrichtung von Herrschaft und die Einrichtung eines Gewaltmonopols, zivilisiert dieses dann aber durch symbolische Kommunikation, und dies unabhängig davon, ob es sich um innerstaatliche oder zwischenstaatliche Gewalt handelt. Im dritten und vierten Kapitel übernimmt die politische Philosophie die Führung im Argumentationsgang. Dass Menschen als Gesellschaft, also individuell und kollektiv selbstbestimmt und friedlich zusammenleben, ist aus Sicht eines Theologen, der geschult wurde, in Jahrhunderten und Jahrtausenden zu denken, alles andere als selbstverständlich, es ist vielmehr eine Aufgabe, die nie zu Ende ist. Denn Konflikte, auch bewaffnete, wird es immer geben, sie werden Menschen immer wieder herausfordern. Der Dreh- und Angelpunkt jeder modernen politischen Philosophie zu dem Thema „Krieg und Frieden“ ist nach wie vor Immanuel Kants berühmte Schrift Zum ewigen Frieden aus dem Jahre 1795. Am 24. April 2024 jährte sich der Geburtstag des großen Königsberger Philosophen zum 300. Mal. Das ist eine gute Gelegenheit, die Gedanken Kants zur friedensstiftenden Kraft des Völkerrechts in Erinnerung zu rufen – was gerade heute leider wieder dringend nötig ist. Kant hat zu dem Thema ideengeschichtlich gewiss nicht das letzte Wort. Aber er ist eine der Schlüsselpersonen an der Wende zur Neuzeit. Als einziger hat er sowohl eine ausgearbeitete Moral-, Rechts- und Staatsphilosophie (drittes Kapitel: „Wege zum inneren politischen Frieden“) als auch eine Ethik des Völkerrechts (viertes Kapitel: „Wege zum äußeren Frieden in der Welt“) vorgelegt. Darin hat er Grundentscheidungen getroffen, hinter die wir m. E. nicht zurückgehen sollten. Sie sind dank ihrer nüchternen und realistischen Basis weit von jeder naiven Friedenssehnsucht entfernt und können sich auch in den aktuellen Kontroversen um die Perspektiven künftiger Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik bewähren. Gegenwärtig spitzt sich die Frage dramatisch zu, ob wir noch – wie die Generation von 1945 in der UN-Charta – an der Idee des Friedens in der Welt festhalten wollen oder nicht. Sollten die Regierungen Chinas, Russlands und vielleicht auch bald der USA nicht mehr dahinterstehen, wollen wir Europäer dann noch am Prinzip Frieden durch Recht festhalten? Darauf gehe ich im fünften Kapitel unter der Überschrift „Chancen für Frieden angesichts des Krieges“ ein. Ich wage sogar, dort ein paar Vorschläge für ein Weiterdenken gemäß Geist und Buchstaben der UN-Charta zu machen. Wie die Ausführungen der beiden anderen Autoren dieser Trilogie stehen auch meine unter dem Eindruck der Kriege der Gegenwart. Jochen Hippler und ich sind fast ein Jahrgang, mit dem um ein Jahrzehnt jüngeren Pascal Beucker teilen wir die persönlichen Erfahrungen der Friedensbewegung der 1980er Jahre und der Balkankriege der 1990er sowie der Kriege nach dem 11. September 2001. In meiner Kindheit und Jugend gab es immer noch sehr viel, was an den Zweiten Weltkrieg erinnerte: Kriegsbunker, Trümmergrundstücke und natürlich unzählige Erzählungen von der Flucht, von der Front und von den Bombennächten. Aus den 1970er Jahren habe ich noch die allabendlichen Nachrichten aus den Kriegen in Nordirland, im Nahen Osten und vor allen aus Vietnam in lebhafter Erinnerung. Inzwischen sind die Spuren des Zweiten Weltkriegs in Deutschland weitgehend beseitigt. Einige Ruinen...