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E-Book, Deutsch, 186 Seiten

Schulz-Nieswandt / Köstler / Langenhorst Neue Wohnformen im Alter

Wohngemeinschaften und Mehrgenerationenhäuser

E-Book, Deutsch, 186 Seiten

ISBN: 978-3-17-023553-3
Verlag: Kohlhammer
Format: PDF
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Das Buch basiert auf einer qualitativ-explorativen Studie zu Wohnformen des Alter(n)s jenseits der Dichotomie private Häuslichkeit versus Pflegeheim. In einer Demenz- und in einer Multiple-Sklerose-Wohngemeinschaft sowie in einem integrierten Mehrgenerationenhaus dreier Großstädte wurden die sozialen Prozesse des Gebens und Nehmens und die Aktivierungspotentiale im Hinblick auf die Lebensqualität und das Persönlichkeitswachstum der Bewohner untersucht. Die Ergebnisse der Analyse weisen unter anderem auf eine attraktive Kosten-Effektivität dieser Wohngemeinschaften hin, und es wird zudem deutlich, dass die optimale Wahl der Wohnform biographisch von der personalen Balance zwischen Nähe und Distanz abhängt. Die Studie schließt mit einigen kommunalpolitischen Überlegungen.
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Teil II Empirie



Es folgen nun die interpretativen Analysen unserer Studie.35 Die Auswertungen der Befragungen einer Demenz-Wohngemeinschaft, einer Multiple-Sklerose-Wohngemeinschaft und eines integrierten Mehrgenerationenhauses werden in Kapitel 4 bis 6 dargelegt und anschließend in Teil III in einer übergreifenden Analyse ausgewertet. 4 Eine Demenz-Wohngemeinschaft
4.1 Design, Ziele und Status quo-Thesen der Befragung der Demenz-Wohngemeinschaft
Unser Design sieht die Befragung der Stakeholder einer Demenz-Wohngruppe im Rahmen von Leitfadeninterviews vor. Sechs Angehörige der Bewohner und sieben Angestellte des ambulanten Pflegedienstes wurden befragt. Aufgrund des fortgeschrittenen Krankheitsbildes der Bewohner der Demenz-Wohngemeinschaft wurde auf eine Befragung der Bewohner verzichtet. Abb. 7: Design der Befragung der Demenz-Wohngemeinschaft Zielsetzend fragen wir einerseits nach Gegenseitigkeitsprozessen innerhalb des Lebensfelds Wohngemeinschaft und deren Wirkungen auf die Outputqualitätsebenen. Dabei unterscheiden wir zwischen innergruppenspezifischen Wirkungen, die beeinflusst und hervorgerufen werden aufgrund der Gegenseitigkeitserlebnisse der Bewohner untereinander. Andererseits bekommt die Wohngruppe durch das Pflegedienstpersonal und die Angehörigen Impulse von „außen“. Unsere Ausgangshypothese ist: Das Wohngruppenkonzept bewirkt durch interne Wohngruppenprozesse Steigerungen auf der Outcomequalitä tsebene und wirkt sekundär und tertiär präventiv. Zum Einstieg in unsere Analyse wollen wir einige Thesen skizzieren, die wir als Status quo-Thesen bezeichnen wollen, da sie widerspiegeln, wie die Demenz-Wohngruppe sich bei unseren Besuchen präsentiert hat. 1. Die Wohngruppe bietet wohltuende Nähe der Bewohner zueinander
In der Wohngruppe leben acht Menschen mit unterschiedlichen Biographien und verschiedenen Demenzstufen zusammen. Zusätzlich zeigt das Krankheitsbild der Demenz sehr variable, nicht vorhersehbare Tagesformen. Derzeit sind die Krankheitsbilder der Bewohner fortgeschritten und sechs der acht Bewohner sind nahezu immobil, so dass der Gemeinschaftsraum das Zentrum des gemeinsamen Beisammenseins ist. Hier wird gegessen, Musik gehört, gesungen, ferngesehen, eben: gelebt. Zwei Facetten werden deutlich: der Wunsch nach Nähe und der Wunsch nach Distanz. Begegnungen mit den anderen Bewohnern sowie Gemeinschaftlichkeitserlebnisse in der Gruppe aktivieren, schaffen Vertrautheit, Wohlempfinden und sind maßgeblich für das Gefühl verantwortlich, in der Wohngruppe ein Zuhause zu erleben. Diese mit Gegenseitigkeitsprozessen gelebte Nähe kann Effekte auf der Outcomequalitätsebene hervorrufen, die die Gesundheit stabilisieren und den Krankheitsverlauf verzögern. 2. Aus der Nähe heraus entsteht der Wunsch nach Distanz
Der gelebten Nähe steht der Wunsch nach Distanz gegenüber. Konflikte innerhalb der Wohngemeinschaft entstehen. Der Gesundheitszustand der Bewohner bedingt, dass das Wahrnehmen von Atmosphären und Stimmungen gegenüber verbaler Kommunikation und argumentativer Auseinandersetzung Vorrang bekommt. Daher kommt dem Pflege- und Betreuungspersonal bei der Auflösung von Spannungen eine wichtige Mediatorrolle zu. 3. Das Pflegepersonal steuert von außen die Gegenseitigkeitsprozesse
Insgesamt beschränkt sich die Rolle des Pflegepersonals nicht auf Pflege, Betreuung und Haushaltsführung der Wohngruppe. Der Pflegedienst hat die Aufgabe, die Kompetenzen und Fähigkeiten jedes einzelnen Bewohners zu fördern, er hat aber auch die Möglichkeit, wichtige Impulse in Richtung gemeinschaftlichen Zusammenlebens zu setzen. Ein bewusstes Schaffen von Gemeinschaftsprozessen sowie eine erfolgreiche situationsbezogene Intervention in Gruppenprozessen durch das Pflegedienstpersonal ermöglichen dann signifikante Effekte auf der Outcomequalitätsebene. 4. Die Rolle der Angehörigen
Das Konzept einer Demenz-Wohngruppe setzt die Mitarbeit der Angehörigen voraus. Erfolgreiche Biographiearbeit (Stuhlmann, 2011; Medebach, 2011; Specht-Tomann, 2009; Ruhe, 2008), die die Basis einer kompetenzfördernden Betreuung ist, ist nur mit Hilfe der Angehörigen möglich. Die Zusammenarbeit zwischen Angehörigen und Pflegedienst muss, zur Vermeidung von Konflikten, von Transparenz getragen sein. Wie die Pflegedienstmitarbeiter haben die Angehörigen die Möglichkeit, von außen Gegenseitigkeitsprozesse in die Wohngruppe zu tragen. 5. Die Wohngruppe präsentiert sich als „Pflegeheim-Verhinderungsgemeinschaft“
In der Regel verfügen die Angehörigen über Pflegeerfahrung mit ihren an Demenz erkrankten Familienmitgliedern. Die Entscheidung für den Einzug und das Leben in der Wohngruppe fällen die Angehörigen stellvertretend für die Erkrankten. Der Entscheidungsprozess erfolgt meist in einer Situation der Krise, in der die persönliche Belastungsgrenze der häuslichen Betreuung erreicht wird. Die Wohngruppe stellt dann eine Alternative zur Unterbringung im Heim dar. Deutlich wird eine starre Schwarz-Weiß-Allegorie: die Unterbringung im Heim gegenüber der Betreuung im Zuhause. Das Leben in der Wohngruppe wird nahe an eine Betreuung zu Hause gerückt. Aber auch bei der Versorgung eines Erkrankten in der Wohngruppe kann der Angehörige Schuldgefühle entwickeln. Versucht wird, diesen Gewissenskonflikt vor dem Hintergrund eines negativen Bildes von der Versorgung im Alten- und Pflegeheim zu neutralisieren. Kommen wir jetzt zur detaillierten Darstellung unserer Befragungsergebnisse. Der Schwerpunkt liegt auf der Rolle des Pflegedienstpersonals und der Angehörigen, da wir – nicht zuletzt bei dem Krankheitsbild Demenz – der Außensteuerung der Wohngruppenprozesse eine wichtige Funktion für Steigerungen auf der Outcomequalitätsebene zusprechen. 4.2 Akteure der Wohngemeinschaft für Demenzkranke
Die Bewohner der Wohn-Pflege-Gemeinschaft leben auf einer 240 m2 Wohnetage eines Mehrfamilienhauses. Die Wohngruppe umfasst acht an Demenz erkrankte Mieter. Jeder Bewohner lebt in einem Zimmer von 16 bis 20 m2, das jeder Bewohner nach eigenen Vorstellungen einrichtet. Zentral ist ein Gemeinschaftsbereich: ein gemeinsames, geräumiges Wohnzimmer, das über eine Wohn-Essküche verfügt. Der Gemeinschaftsbereich ist der gemeinsame Aufenthalts- und Begegnungsraum, der Ort des gemeinsamen und gemeinschaftlichen Lebens in der Wohngemeinschaft. Hier wird zusammen gegessen, gesungen, Radio gehört, ferngesehen, eben zusammen gelebt. Das Betreuungspersonal stellt ein ambulanter Pflegedienst, der in drei Schichten 24 Stunden vor Ort ist. Tagsüber betreuen zwei Pflegekräfte, nachts eine Pflegekraft. Dem Pflegedienst steht ein kleiner Büroraum in der Wohngemeinschaft zur Verfügung. Neben der zentralen pflegerischen Versorgung obliegen dem Pflegedienst Aufgaben der Betreuung und der sozialen Integration der Bewohner sowie der Haushaltsführung. Das Konzept sah die Mitarbeit der Angehörigen bei der Führung der Wohngemeinschaft vor; so war bei der Haushaltsführung, wie beispielsweise beim Einkaufen, das Mitwirken der Angehörigen vorgesehen. Eine derart engmaschige Einbindung der Angehörigen erwies sich als nicht realisierbar, so dass die Haushaltsführung komplett in den Aufgabenbereich des Pflegedienstes übergegangen ist. Bei Arztbesuchen, Ausflügen mit den Bewohnern und Reparaturarbeiten der Räumlichkeiten wird das Mitwirken der Angehörigen erwartet. Bisher gibt es keinen Zugang des ehrenamtlichen Engagements in die Wohngruppe hinein. Warum dies so ist, konnte im Rahmen der Befragung nicht geklärt werden. 4.3 Charakteristika einer Demenz-Wohngruppe
Die Demenz-Wohngruppe ist einerseits über die Merkmale des Krankheitsbildes der Demenz geprägt. Das zweite Charakteristikum, in Abbildung 8 dargestellt, ist die Wohn- und Lebensform in einer Wohngruppen-Gemeinschaft, die durch das ständige Austarieren des Nähe-Distanz-Gleichgewichts geprägt ist. Schon die Räumlichkeiten bieten mit dem Gemeinschaftsraum ein großes Maß an Nähe, das auch konfliktbeladen sein kann. Dies erfordert, dass die Bewohner aus dieser Nähe heraus gegenseitige Abgrenzung aufbauen. Deutlich wird – wir haben dies mit einem Pfeil gekennzeichnet –, dass aus dem Kontext der Nähe heraus Distanz eingefordert und gelebt wird. Abb. 8: Charakteristika einer Demenz-Wohngemeinschaft Die Bewohner sind alle an vaskulärer Demenz oder Alzheimer erkrankt (MSD-MANUAL, 2007). Beschrieben wird, dass die Patienten mit vaskulärer Demenz noch eher mitarbeiten können als die Alzheimer-Erkrankten (11:6). Das Konzept der aktivierenden Betreuung und Pflege ist zentral. Aktiviert wird vormittags durch Tätigkeiten im Haushalt wie Mithilfe beim Kochen, Wäsche falten etc. und nachmittags durch das Anleiten und Betreuen bei Spielen, durch gemeinsames Singen, durch Basteln und Plätzchen backen. Die Bewohner leben ihrem jeweiligen Gesundheitszustand entsprechend eine „eigene Form der Gegenseitigkeit“, es ist ein von Atmosphäre, Stimmungen und Gefühlen getragenes Beziehungsgeflecht. Im nachfolgenden Kapitel werden wir die Gegenseitigkeitsprozesse genauer beschreiben. Diejenigen, die nicht mehr mitmachen können, sitzen dabei, schauen zu und erleben so das Gefühl, „mit dabei zu sein“. Gesteuert wird dies auch durch eine wiederkehrende bewusste Ansprache des...


Prof. Dr. Frank Schulz-Nieswandt, Dr. Ursula Köstler, Dipl.-Ges.-Ök. Francis Langenhorst und Dipl.-Ges.-Ök. Heike Marks arbeiten am Seminar für Sozialpolitik der Universität zu Köln.


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