Schulze-Stampa / Schmid | Kunst und Krankenhaus | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 203 Seiten

Schulze-Stampa / Schmid Kunst und Krankenhaus

Interdisziplinäre Zusammenarbeit und Perspektivwechsel in Gesundheitsförderung und Prävention

E-Book, Deutsch, 203 Seiten

ISBN: 978-3-17-036382-3
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Das Thema Kunst und Krankenhaus hat zwar eine längere Geschichte, doch fehlt es bislang an einer mehrperspektivischen Aufarbeitung der Möglichkeiten von Kunst bzw. künstlerischen Interventionen. In diesem Buch werden konkrete Potenziale von künstlerischen Projekten und künstlerisch-therapeutischen Arbeitsansätzen im Krankenhaus als Institution und kultureller Ort nachvollziehbar aufgezeigt. Im Sinne der Entwicklung multiprofessioneller Zusammenarbeit wird diese Thematik sowohl fachspezifisch und interdisziplinär als auch theorie- und praxisbezogen beleuchtet und diskutiert. Dabei verweisen vielfältige Perspektivwechsel insbesondere auf den Stellenwert der Kombination wissenschaftlicher und künstlerischer Forschungszugänge und auf die Wirkmöglichkeit zeitgenössischer Kunst im Krankenhaus.
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1          Kunst im Zeichen der Gesundheit: Möglichkeiten und Perspektiven der Kunstwirkung in der Salutogenese
Marc Schipper
Kann Kunst heilen und wenn ja, wie macht sie das? Eine heilende Wirkung von Kunst wird heute kaum mehr in Frage gestellt, wobei der Begriff Heilung hier einer Definition bedarf: Er wird hier im Sinne eines messbaren, positiven oder förderlichen Einflusses auf die Gesundheit sowie das Wohlbefinden verwendet. Im Folgenden soll zunächst auf einige wissenschaftliche Studien eingegangen werden, die sich der Messung solcher Einflüsse gewidmet haben und so konkrete Nachweise für die salutogenetische Wirkung von Kunst in der Behandlung biologischer (körperlicher), psychischer und sozialer Probleme liefern. Nach dieser kurzen Betrachtung der Wirkung von Kunst, die einen wissenschaftlichen Blick auf die Heilkraft von Kunst gewährt, wechselt der Fokus des Beitrags auf das »Wie«. Hier wird gezielt das Krankenhaus als Ort und institutionelles Setting von Kunst gewählt. Exemplarisch werden verschiedene Möglichkeiten und Perspektiven auf Kunst und Krankenhaus vorgestellt. Schnell wird dabei klar, dass die Bezeichnung Kunst und Krankenhaus bereits ein recht großes und mannigfaltiges Feld umspannt, dessen Komplexität wir hier versuchen zu reduzieren, in dem wir es in verschiedene Dimensionen aufteilen. Zunächst aber nun zur Wirkung von Kunst, denn solange die Frage danach »ob« Kunst eine heilsame Wirkung hat nicht geklärt ist, macht eine Betrachtung des »Wie« wenig Sinn. Gehen wir also im Folgenden kurz auf verschiedene Wirkfaktoren sowie einige Forschungsbefunde ein. 1.1       Nutzen von Kunst im Genesungsprozess
Der Nutzen von Kunst im Genesungsprozess lässt sich nachweisen (u. a. Malchiodi 2012; Shella 2017). So wurde beispielsweise gezeigt, dass künstlerische Tätigkeit zur Verbesserung kognitiver und sozialer Fertigkeiten, motorischer Funktionen, visueller Vorstellungskraft sowie der Stressverarbeitung beiträgt (Malchiodi 2012). Doch stellt sich davon ausgehend die Frage, wie gelingt es Kunst bzw. künstlerischen Interventionen, positiv auf die Gesundheit einzuwirken, welche speziellen Aspekte und Besonderheiten des Künstlerischen spielen hierbei eine Rolle? Sabine Koch (2017) ging dieser Frage nach und identifizierte fünf Faktoren, die speziell in den Künstlerischen Therapien zu finden sind und vermutlich eine wichtige Grundlage ihrer Effektivität darstellen ( Tab. 1.1). Tab. 1.1: Aktive Faktoren in den künstlerischen Therapien (verändert nach Koch 2017) Von den vorgestellten fünf Faktoren stellt sich die Ästhetik als der spezifischste künstlerisch-therapeutische Faktor heraus, was sicher nicht verwundert, da die Verbindung zwischen Kunst und Ästhetik naheliegt. Beim Blick in die Beschreibung zum Faktor Ästhetik ( Tab. 1.1) findet sich der Begriff Selbstwirksamkeit. Es handelt sich hierbei um die Überzeugung einer Person, auch schwierige Situationen und Herausforderungen aus eigener Kraft erfolgreich bewältigen zu können (Bandura 1993). Selbstwirksamkeit spielt möglicherweise eine wichtige Rolle, wenn es um die Veränderung von Denk- oder Verhaltensweisen geht. Ein oft maßgeblicher Einfluss solcher Veränderungen auf den Verlauf einer Krankheit zeigt die medizinische Relevanz der Entwicklung und Aufrechterhaltung von Selbstwirksamkeit, was wiederum im Fokus des Wirkfaktors Ästhetik steht und somit die Kunsttherapie bzw. die Künstlerischen Therapien gewissermaßen für die Selbstwirksamkeitsarbeit prädestiniert. Solche Effekte sind ganz im Sinne einer positiven Psychologie, die positives Denken, positive Gefühle, Gesundheit genauso wie unterstützende soziale Beziehungen und gesunde Umwelten zum Gegenstand der Wissenschaft Psychologie macht (Seligman und Csikszentmihalyi 2000). Christopher Peterson (2006, S. 3) beschreibt die Positive Psychologie mit dem Satz »Positive Psychology is the scientific study of what goes right in life« auf knappe aber treffende Weise. Sie nimmt eine salutogenetische Perspektive ein, was im Einklang mit der Definition für Gesundheitder Weltgesundheitsorganisation (WHO 1948) ist, die da lautet: »Gesundheit ist ein Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht allein das Fehlen von Krankheit und Gebrechen.« Sie stellt ganz klar das Wohlbefinden als Kernfaktor der Gesundheit heraus. Die von Antonovski (1997) begründete Salutogenese beschreibt ein im Gegensatz zum in der Medizin vorherrschenden Modell der Pathogenese, das die Entstehung von Krankheit beschreibt, die Entstehung von Gesundheit. Auch die moderne kognitive Psychologie und Hirnforschung nehmen Stellung zur Kunst und ihrer Wirkung. Semir Zeki, der sich intensiv mit der Erforschung von Kreativität und Kunstwirkung beschäftigt, beschreibt als Neurowissenschaftler die Funktion von Kunst als eine Funktion des Gehirns, Erkenntnisse über die Welt zu erlangen. Er geht davon aus, dass einer der bestimmenden Faktoren der Kreativität in dem Bestreben besteht, ein unbefriedigtes Hirnkonzept zu befriedigen (Zeki 1999). Er versucht aufzuzeigen, dass aus neurobiologischer Sicht Kreativität den einzigen Weg darstellt, Leiden und Unzufriedenheit zu mildern. Er spricht damit für die heilende Kraft der Kunst. Diese Annahme kann natürlich nur unter dem Vorbehalt gelten, dass die Kreativität einen elementaren Faktor des Künstlerischen darstellt, was wiederum klar impliziert, dass die Begriffe Kunst und Kreativität nicht synonym zu verwenden sind, Kunst und Kreativität also zwei unterschiedliche Konzepte sind. Zeki äußert (2010, S. 67): »Daher ist dauerhafte Unzufriedenheit eine der stärksten Triebkräfte der Kreativität«. Krankheiten, chronische Leiden und Probleme führen zu Unzufriedenheit, die damit laut Zeki freigesetzten Triebkräfte der Kreativität bilden eine Schnittstelle zur Kunst, die diese nutzen kann, um dem Menschen in der Genesung zu unterstützen (ebd.). Die Untersuchung von psychologischen Mechanismen und neurologischen Strukturen, die Kunst ermöglichen oder die Effekten künstlerischer Interventionen unterliegen, liegen schon seit einigen Jahrzehnten im Interesse der Forschung (Czamanski-Cohen und Weihs 2016; King et al. 2017; Lusebrink 2004). Aktuelle kognitions- und neurowissenschaftliche Ansätze gehen einen Schritt weiter und fokussieren einen transformativen Charakter der Kunst, im Sinne nachhaltiger neurokognitiver Veränderungen. Son Preminger (2012), der Kunst als neurokognitive Erfahrung auffasst, zeigt auf, das jede Erfahrung, gerade im Falle von Regelmäßigkeit und Wiederholung, Langzeitveränderungen in neuronalen Verbindungen mit sich bringt (sogenannte erfahrungsbasierte Plastizität). Auf dieser Grundlage geht er den transformativen Eigenschaften von Kunst nach. Transformativ bedeutet hier, dass Kunst in der Lage ist kognitive, emotionale und soziale Verhaltensmuster zu verändern, und dies sowohl auf psychologischer als auch auf neurobiologischer Ebene. Er schlägt vor einen stärkeren Fokus auf diesen transformativen Aspekt von Kunst zu legen. Nach diesem kurzen und wohlgemerkt nicht umfassenden Blick auf den Nutzen von Kunst im Genesungsprozess und ihre Wirkweise möchte ich mich nun dem »Wie« zuwenden und leite über zur facettenreichen Anwendung von Kunst im Kontext Krankenhaus. 1.2       Dimensionen von Kunst und Krankenhaus
Wenn sich die Frage nach der Plausibilität von Kunst im Kontext Krankenhaus stellt, sollte die Zielstellung eines Krankenhauses die Basis jeder Diskussion bilden: Das genuine Ziel eines jeden Krankenhauses ist es erkrankten Menschen zu helfen. Aus einer systemischen Perspektive schließt das Erreichen dieses Ziels ganz klar einen besonderen Fokus nicht nur auf die Befindlichkeiten der Patient*innen, sondern auch auf die Beschäftigten bzw. Mitarbeiter*innen des Krankenhauses und auf die Angehörigen und Sozialkontakte der Patient*innen ein. Hier tritt wieder der salutogenetische Aspekt von Kunst im Kontext der Gesundheit zu Tage, der nicht nur auf die Behandlung von Pathologie gerichtet ist, sondern generell einen positiven Beitrag zum Wohlbefinden und damit zur Gesundheit leistet. Den obigen Ausführungen zur Kunst als Genesungsfaktor folgend integriert sich Kunst also optimal in die Zielstellung eines Krankenhauses, was Kunst im Krankenhaus nicht nur rechtfertigt, sondern vielmehr klar forciert. Mittlerweile hat sich die Kunst als Genesungsfaktor weltweit vielerorts etabliert, exemplarisch möchte ich an dieser Stelle ein Beispiel aus Kanada aufführen: Hier können Ärzt*innen seit Kurzem Museumsbesuche per Rezept verschreiben, weil Kunstgenuss nachgewiesenermaßen eine heilende Wirkung hat. Dies ist durch eine Kooperation der Ärztevereinigung Médecins francophones du Canada...


Dr. Constanze Schulze-Stampa ist Professorin für Kunsttherapie an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU). Dr. Gabriele Schmid ist Professorin für Ästhetische Bildung an der Hochschule für Künste im Sozialen (HKS) in Ottersberg.

Mit Beiträgen von:
Constanze Schulze-Stampa, Gabriele Schmid, Marianne Buttstädt, Nina Dixon, Rose Ehemann, Uwe Gonther, Nina Kaletta, Hartmut Kraft, Martin Ohlmeier, Juliana Ortiz, Thomas Röske, Friedhelm Scharf, Florian Schepper, Marc Schipper, Cony Theis und Peer de Smit.


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