E-Book, Deutsch, 416 Seiten
Schumann Without a Word
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-96981-016-3
Verlag: Moon Notes
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Lovestory voller überraschender Wendungen
E-Book, Deutsch, 416 Seiten
ISBN: 978-3-96981-016-3
Verlag: Moon Notes
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Jennifer Schumann veröffentlichte 2011 ihren ersten Roman unter dem Pseudonym Sophia Chase. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Österreich, arbeitet als Autorin und studiert Rechtswissenschaften.
Autoren/Hrsg.
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Kapitel 2 Madeleine
Davor
Mit gerade mal dreiundzwanzig Jahren meine am Anfang stehende Karriere vorerst auf Eis zu legen, um sich selbst zu finden, würden einige als mutig bezeichnen. Andere würden wohl behaupten, ich sei undankbar. Meine beste Freundin Leona hielt mich einfach für verrückt, aber ich wusste, dass ich mich auf sie verlassen konnte. Denn wir hatten uns geschworen, dass wir uns gegenseitig bei jeder Dummheit unterstützen würden, solange es nicht bedeutete, im Krankenhaus oder im Knast zu landen.
Meine Mum hatte, glaube ich, den Ausdruck »riskant«, benutzt, als ich ihr von meinen Plänen, vorerst keine weiteren Rollen anzunehmen, berichtete. Wir hatten bei uns zu Hause in Paddington gesessen, in dem Haus, in dem ich aufgewachsen war. Neue Möbel, alter Charme. Erinnerungen, archiviert in Bildern, die an den Wänden hingen. Und davor meine Mum mit ihrem herzlichen Lächeln, dem sanften Blick und der Rundumversorgung in Form von Tee und Kuchen.
»Du wirst deinen Weg gehen, Liebes«, hatte sie gesagt, auch wenn ich spürte, dass ihre Sorge um mich wuchs.
»Ich brauche diese Auszeit«, hatte ich erklärt. »Ich weiß nicht, ob ich meine Arbeit noch liebe.«
»Abstand ist manchmal die beste Medizin.«
Doch einzig vom Nichtstun konnte ich schließlich auch schlecht leben. Außerdem war ich nie jemand gewesen, der gern untätig war. Gut, verregnete Sonntage auf der Couch damit zu verbringen, Serien zu schauen und Unmengen an Popcorn zu verputzen, war großartig. Aber die restlichen sechs Tage der Woche brauchte ich eine Aufgabe.
Das wusste auch Leona. Einst waren wir, wie wir gern sagten, von unseren Müttern zwangsbefreundet worden, die sich, beide mit riesigem Babybauch, im Hyde Park kennengelernt hatten. Meiner Mum war durch einen Windstoß der Hut – einer dieser schrecklich schrillen, bunten 90er-Jahre-Hüte – vom Kopf geweht worden. Leonas Mum Sarah war ihr zur Hilfe geeilt. Gemeinsam hatten sie das hässliche Ding vor einem unwürdigen Ende in einer Pfütze gerettet. Aufgrund ihrer beider Schwangerschaften waren sie schnell ins Gespräch gekommen und hatten sich fortan getroffen, um sich gegenseitig ihr Leid zu klagen und aufzumuntern. Ich hatte fünf Wochen vor Leona, an einem verregneten Maitag, das Licht der Welt erblickt. Seither waren wir unzertrennlich.
Unsere Freundschaft war voll mit wirklich schönen Erinnerungen. Zum Beispiel, wie wir beide schier ausgeflippt waren, als wir zu Weihnachten die gleiche Barbie-Traumvilla bekommen und uns daraufhin wochenlang jeden Tag zum Spielen getroffen hatten. Wir hatten eigene Kleider aus Stoffen genäht, die Leonas Mum für uns gekauft hatte, und hatten dann Fotoshootings veranstaltet. Noch heute existierten davon Fotos mit gruselig starren Puppen, die in dilettantisch zusammengeflickten Baumwollstreifen steckten, um für uns zu posieren. Wir hatten uns als die nächste Donatella Versace gesehen – und das war nur einer unserer Mädchenträume, von denen wir unzählige hatten.
Als wir älter geworden waren, machten wir zusammen den üblichen Quatsch durch: erste Zigarette, erste Liebe, erster Schmerz, erster Absturz. Wir waren sogar einmal in den gleichen Jungen verknallt gewesen, doch am Ende hatten wir heldenhaft entschieden, dass niemand, nicht einmal der Mädchenschwarm unserer Schule, je zwischen uns stehen würde. Leona hatte ihm auf einer Party sogar Wodka-Bull ins Gesicht geschüttet, nachdem er mich vor all unseren Freunden eine verklemmte Zicke genannt hatte. Ich war so stolz auf sie gewesen, weil ich gewusst hatte, wie sehr sie sich zu dieser Zeit wünschte, von ihm beachtet zu werden.
Uns verband außerdem die Liebe zur Kreativität. Während ich meine Leidenschaft fürs Theater und das magische Gefühl, Texten Leben einzuhauchen, entdeckt hatte, hatte Leona begonnen, sich für das Backen zu interessieren. Schon als Teenager hatte sie die abgefahrensten Tortenkreationen erschaffen und mit dem Verkauf ihr Taschengeld aufgebessert. Dass sie ihr Hobby irgendwann einmal zum Beruf machen würde, war abzusehen gewesen. Tatsächlich hatte sie sich bald einen Namen als Konditorin gemacht und sogar für Elton John eine Geburtstagstorte gebacken. Bevor die damals ausgeliefert worden war, hatten wir ehrfürchtig die Hände darüber ausgebreitet und gesungen – der Soundtrack zum Lieblingsfilm unserer Kindheit.
Dass mir Leona angeboten hatte, während meiner Kreativpause bei ihr im Laden in Covent Garden auszuhelfen, hatte nicht nur einen karitativen Hintergrund, sondern war auch fast ein Hilferuf, da zwei ihrer Mitarbeiter auf unbestimmte Zeit ausfielen. Ich half natürlich liebend gern. Und da ich im Verkauf, im Gegensatz zur Backstube, den wenigsten Schaden anrichten konnte, wurde ich nach einer äußerst spärlichen Einführung ins Geschäft seitens meiner Freundin an meinem ersten Arbeitstag blindlings in die Schlacht geschickt, wie sie das Morgengeschäft nannte. Tatsächlich kam es mir vor, als würden einige Kunden um ihr Leben und nicht um einen Bagel kämpfen. Ich war verloren und hätte am liebsten gleich wieder alles hingeschmissen, biss mich aber durch. Nicht zuletzt, weil ich Leona nicht hängen lassen und enttäuschen wollte.
Von Tag zu Tag wurde es besser. Ich hatte zwar immer noch keinen Überblick über unser Sortiment, doch ich kämpfte mich durch und durfte bleiben. Und tatsächlich blühte ich auf, so ganz weit weg von meinem ehemaligen Alltag, der zum größten Teil aus Probenstress, Leistungsdruck und dem Konkurrenzkampf mit anderen Schauspielern bestand. In meiner Welt drehte sich plötzlich alles um Gebäck. Von süß bis sauer. Von salzig bis scharf.
Gewissermaßen vermisste ich den Applaus zwar – eine Sehnsucht, die jeder Künstler, der einmal auf einer Bühne stand, kennt. Das Rauschen von klatschenden Händen, untermalt mit Beifallsrufen, kam einer Seelendusche gleich. Nun fing ich an, mich genauso sehr über das Trinkgeld zu freuen. Es stimmt: Manchmal zählen die kleinen Gesten. Ein Lächeln inmitten all der Hektik zum Beispiel. Ein Dank, anstatt mir die Tüte aus den Händen zu reißen und wortlos zu verschwinden.
Langsam merkte ich mir die Gesichter. Die drei Mädels vom Schuhgeschäft die Straße runter kamen zum Beispiel jeden Tag, um Kaffee und Sandwiches zu kaufen. Ich mochte sie, weil sie wirklich nett waren – und die Schuhe, die sie trugen, einfach der Hammer waren. Dann gab es diesen gestressten Bankier, der sein Handy immer entweder am Ohr oder in der Hand hielt. Meine Aufgabe, hatte ich beschlossen, bestand darin, ihn zum Lächeln zu bringen. Eine Mission, die utopisch erschien.
Und dann gab es da noch ihn.
Er kam fast jeden Tag und war immer in Begleitung dieser hübschen, dunkelhaarigen Frau mit den unglaublich langen Beinen und einem entwaffnenden Lächeln. Sie trug teuer aussehenden Schmuck, stylishe Kleidung, und ihr Haar war entweder perfekt gelockt oder perfekt geglättet. Es schimmerte spektakulär im bläulichen Licht der Deckenlampen, und häufig stellte ich mir vor, dass sie nebenbei als Model für Haarshampoos arbeitete. Ich zumindest hätte mir das Produkt, für das sie warb, sofort gekauft.
Seine Begleitung, die ich für seine Frau oder zumindest für seine Freundin hielt, trat jedes Mal ohne ihn an unseren Verkaufstresen. Er blieb im Hintergrund und war stets mit seinem Handy oder seiner Zeitung beschäftigt.
Vom ersten Augenblick an hatte er meine Aufmerksamkeit. Seine Größe und die aufrechte Körperhaltung strahlten Stolz aus. Sein Haar war fast ebenso dunkel wie das seiner Freundin. Er trug es an den Seiten kürzer, oben länger. Manchmal war sein Bart länger, manchmal hatte er ihn fast ganz abrasiert. Ich konnte mich nicht entscheiden, welcher Look mir an ihm besser gefiel, entschied mich dann aber, dass er in jeder Lebenslage attraktiv war. Ich hatte nur noch Augen für ihn, aber seine Begleiterin fungierte wie ein Schutzschild zwischen uns, als wüsste sie genau, wie er auf Frauen wirkte. Dabei war ich keines dieser Mädchen, das sich an vergebene Männer ranmacht. Zumindest dachte ich immer, genügend Ehrfurcht vor der Beziehung anderer zu besitzen.
Doch mit jedem Mal, mit dem ich ihn sah, wie er mich ignorierte und seine Freundin vorschickte, wuchs meine Neugier auf ihn. Wer war er? Wie war er? Würde er mich auf charakterlicher Ebene ebenso beeindrucken, wie es ihm durch sein Äußeres gelungen war, oder war er ein Arschloch? Ein überheblicher, gut aussehender Trottel?
Ich wusste zwar, dass sie beide im Gebäude schräg gegenüber arbeiteten, doch irgendwann reichte auch diese Information nicht mehr aus, um meine Faszination für diesen Fremden zu stillen.
Wann war ich zur krankhaften Stalkerin mutiert?
Ich glaube, Leona hatte recht – ich brauchte ein Hobby.
Manchmal war ich überzeugt, dass er einfach nur eingebildet war und es nicht für notwendig hielt, sich mit einer schnöden Verkäuferin abzugeben. Dafür war seine dunkelhaarige Begleitung aber umso höflicher. »Die Zitronentarte, die du mir gestern empfohlen hast, war übrigens hervorragend.«
»Freut mich, wenn sie dir geschmeckt hat. Wenn ich es richtig verstanden habe, wird nächste Woche wieder Nachschub produziert.«
»Sicher mir bitte ein Stück«, bat sie und zückte ihre Brieftasche. »Ich glaube, heute nehmen wir bloß zwei Croissants.« Kurz drehte sie den Kopf zu ihrem Begleiter, aber er blickte weiter auf sein Handy. »Ja, das entscheide ich jetzt mal ganz spontan.«
An diesem Tag nahm ich all meinen Mut zusammen. Getrieben von der Wirkung des Fremden, entschloss ich mich, im Privatleben dieser beiden Menschen zu graben. »Du arbeitest...




