E-Book, Deutsch, 250 Seiten
Schwab Eine Alte Dame Ging Hering
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-86287-188-9
Verlag: Fuego
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Der zweite Büb Klütsch-Roman
E-Book, Deutsch, 250 Seiten
ISBN: 978-3-86287-188-9
Verlag: Fuego
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Büb Klütsch ist Schlagzeuger. Rock'n'Roll-Schlagzeuger, aus Leidenschaft. Mindestens genau so gerne hängt er an Theken rum und trinkt Bier. Damit er sich beides leisten kann, steht er auch des öfteren hinter dem Tresen. Ein zwar buntes, aber im Grunde doch recht geruhsames Leben - würde er nicht immer wieder in irgendwelche dubiosen Abenteuer verwickelt.
Im hier vorliegenden zweiten Band zieht es Büb an die Côte d'Azur, wo er als Straßenmusiker einen tollen Sommer zu erleben hofft. Das tut er dann auch - wären da nicht die Straßenmusikerkonkurrenz, lästige Millionenerben, die Unterwelt von St.Tropez - und die von Köln, deren Machenschaften bis ans schöne Mittelmeer reichen ...
'... schärfer als die Songs von Tom Waits!', sagte Deutschlandfunk-Literaturredakteur Hajo Steinert zu 'Eine Alte Dame Ging Hering'.
Rich Schwab, Musiker und Autor. Buchkürzer. Gelegenheitslektor. Kölner, Jahrgang 1949. Lebt mit der angetrauten Düsseldorferin auf neutralem, sehr ländlichem Gebiet am Niederrhein. Vorsichtshalber mit Hund. Rentner seit 2015. Kein Grund, hinterm Ofen zu sitzen und die Hände in den Schoß zu legen.
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Prolog
Ach du Scheiße – jetzt lassen sie schon Gorillas diese Dinger fahren! Kein Wunder, dass so viel passiert! fuhr es mir durch den Kopf, als die Beifahrertür endlich aufschwang. Aber der Gorilla grinste das Grinsen eines kleinen Jungen, der gerade auf dem Schlafzimmerschrank die Schüssel mit den Marzipankartoffeln entdeckt und geräubert hat. »Na los! Rein mit dir, Pilger!« Dabei ließ er den Tankwagen schon anrollen. Seine Augen machten mir ein bisschen Sorgen – die sahen unter den dichten, fast zusammenwachsenden Brauen eher so aus, als hätte er zwischen dem restlichen Marzipan ein paar Spinnen und Regenwürmer verbuddelt. Aber wer weiß, wann ich hier wieder weggekommen wäre – Pforzheim! –, also schwang ich mich hoch auf den Beifahrersitz und zog mit Mühe die schwere Tür hinter mir zu. »So’n bisschen Gesellschaft kann nix schaden, wa’?« schrie er und knallte mir seine behaarte Pranke auf die Schulter, dass ich eine Delle in den Sitz drückte. Laut Jingle Bells brummend hängte er den Sechsunddreißigtonner hinter einen Reisebus. Es war Heiligabend, wir schrieben das Jahr ’79, ich hatte kein Gepäck, vielleicht noch zweihundert Ocken in der Tasche und ein gebrochenes Herz. Ein Jahr München hatte mich ziemlich geschafft, und ich wollte nur noch eins: Heim ’noh Kölle. »Die denken, man wär’ ganz alleine, wa’? Meinen, deswegen könnten sie einen fertigmachen, wa’?« Ich zuckte mit den Schultern. Er beugte sich zu mir rüber und brannte seinen Blick in meinen, als wollte er sich bis in die Tiefe meiner Seele durchfräsen. »Hostien! Hostien und Schläge! Und dann: Tabletten und Schläge! Und dann: Spritzen und Schläge!!« Der Tankwagen schlitterte zwischen Standspur und Mittelstreifen hin und her. Er achtete nicht darauf. »Und kalte Duschen! Ha ha! Die werden heut’ nacht noch um kalte Duschen beten! Um eine Sintflut von kalten Duschen! Ha ha!« Ich machte ihn darauf aufmerksam, dass uns nur noch knapp drei Meter von dem Reisebus trennten. Ohne auch nur einen Blick in den Rückspiegel scherte er aus und fing auf der Überholspur an zu singen. Was heißt singen – ein zorniges Summen, immer lauter und zorniger werdend wie ein aufgescheuchter Wespenschwarm. Aber er intonierte gut – ich konnte ohne Mühe die Melodie von Macht hoch die Tür erkennen. »Wieso trägst du als Tankwagenfahrer eigentlich ’ne Stuttgarter Straßenbahneruniform?« fragte ich ihn beiläufig. Er fuhr mit finsterer Miene zu mir herum, überrascht, dass plötzlich jemand neben ihm saß. Dann ein listiges Zwinkern. »Ich bin denen abgehauen«, kicherte er triumphierend, »und dann mit der Straßenbahn bis zur Endstation.« Sein Gesicht verdunkelte sich wieder. »Der Fahrer war einer von denen. Und ich brauchte was zum Anziehen.« Er ließ das Lenkrad los und breitete die Arme aus. »Und so einer frieret, denn teilet euer Gewand mit ihm! Auf dass das Himmelreich –« Er brach ab und in ein schallendes Gelächter aus. »Tankwagenfahrer! Ho ho!« Wieder knallte die Pranke auf meine halbtaube Schulter. »Ein Tankwagen –«, wieder das verschmitzte Kleinjungengrinsen, »kam mir gerade recht. Genau richtig für mein Zeichen!« Und wieder breitete er seine Gorillaarme aus und reckte stolz den Kopf. »Ja! Ich werde ein Zeichen setzen! Ein flammendes Zeichen wird die Heilige Nacht erhellen wie der brennende Dornbusch! Und die werden zu Asche vergehen – hinweg mit ihnen! Und Gott wird das Zeichen sehen und sagen: Seht! Dies ist mein Sohn! Und an ihm habe ich mein Wohlgefallen!« Er sah mich mit erwartungsvoll leuchtenden Messdieneraugen an. »Was hast du vor?« fragte ich und bemühte mich, Ehrfurcht in meine Stimme zu legen. »In ihren Dom werde ich fahren! Mit diesem Flammenross werde ich in ihren hochmütigen, gotteslästerlichen Kölner Dom einfallen! Und sie werden alle da sein und ihre verlogene Christmette halten! Verlogen und vollgefressen und betrunken und lüstern auf ihres Nachbarn Weib starrend! Und ich werde die reinigenden Fluten loslassen! Und dann werde ich eins ihrer ärmlichen Ewigen Lichter nehmen und sie alle, ALLE! in die Hölle jagen! BAMM! BAMM! werden ihre mit Blut – mit unserem Blut! – gegossenen Glocken noch ein letztes Mal klingen …!« Erschöpft sank er in sich zusammen, aber das verzückte, entrückte Lächeln blieb. Der Mann hatte eine Vision! Ich drehte uns zwei Kippen. Klar freute ich mich darauf, den Dom zu sehen – aber von innen? Zehntausend Liter Sprit unterm Arsch? »Du kannst den Dom nicht in die Luft jagen«, sagte ich fast hundert Kilometer weiter mit meiner ruhigsten und sanftesten Stimme in sein Summen hinein. Er schnaubte nur verächtlich. »Ha! Ungläubiger Thomas! Und ob ich das kann! Ich …« »Mit ’nem Tankwagen voll Milch?« Er fuhr herum, als hätte ich ihm ein Streichholz ans Ohr gehalten, den Mund weit offen, die Augen groß und glänzend wie Fahrradklingeln. Ein heiserer Schrei entfuhr ihm, er latschte auf die Bremse, und wir schleuderten und schlitterten auf die Standspur, wobei ein paar hundert Meter Leitplanke dran glauben mussten. Aber ehe die Karre noch richtig stand, war er schon rausgesprungen und rannte drumherum. Zornig trompeteten ein paar Lkw-Hörner an ihm vorbei. »Ha ha!«, hörte ich ihn brüllen, »du Verrückter! Hier steht doch Aral –«, aber da hing ich schon auf dem Fahrersitz, trampelte auf die Kupplung, schmiss irgendeinen Gang rein und ließ die Kiste einen Satz vorwärts machen, dass die Tür zuschlug. Aus dem Satz waren dreißig Meter geworden, ehe er begriff. Fluchend rannte er ein Stück neben mir her, aber ich gewann schnell an Fahrt, und er fiel zurück, kreischend und stolpernd. Im Rückspiegel sah ich ihn auf die Knie in den Schneematsch fallen und sich mit beiden Fäusten auf die Schläfen trommeln. Zwei-, dreimal tauchte seine Silhouette noch als riesiger Scherenschnitt im Licht einiger Scheinwerfer auf, dann verschluckte ihn die Schwärze der winterlichen Dämmerung. Good-bye, baby, don’t call me – I’ll call you* … *** Das Erste, was mir Mühe bereitete, war, die Karre in der Spur zu halten, aber bei Tempo neunzig ging’s dann nach einer Weile einigermaßen. Das zweite war, die Augen offen zu halten – das Frankfurter Kreuz hätte ich beinahe im Schlaf zu Klump gefahren. Ich kurbelte das Fenster runter und ließ mich von dem scharfen Schneeregen ein Weilchen ohrfeigen. Irgendwann kriegte ich auch das Radio in Gang und hörte mir auf SWF 3 die Weihnachtswunschsendung an. Zum Glück kannte ich damals noch das meiste von dem, was sich die Leutchen so zu Weihnachten wünschen – ich sang fleißig und lautstark mit und trommelte das Lenkrad ein bisschen krumm. Höhepunkt war dann eine Nummer, die ich so noch nie gehört hatte – die Musik war ziemlich eindeutig Hang On Sloopy, wenn auch auf 66er Jugendheim-Niveau, aber dazu rezitierte jemand in einer Art Kölsch einen Text über ein Pärchen, das sich in einer Diskothek kennenlernt und miteinander versackt. Zum Refrain war der Band allerdings nichts eingefallen (Wie heißen die – ’Ming Tant’?) – den sangen sie dann einfach normal englisch. Im Bett stellt sich dann heraus, dass Sie ein Er ist. Das war so witzig, dass es in Studentenkreisen garantiert ein Hit werden würde. Ich machte das Radio aus und gönnte es ihnen. Den Studenten auch. Und wie soll’s mit deiner Karriere weitergehn, Büb? Ich dachte lange und heftig darüber nach, aber irgendwie blieben meine Überlegungen immer wieder an der nächstbesten Kölschtheke hängen. Und außerdem is’ Heiligabend – da kannste dir auch nächstes Jahr noch den Kopp drüber zerbrechen! – Is’ auch wahr, stimmte ich mir zu und kurbelte mir beruhigt noch eine, wobei das Flammenross ein wenig ins Schlingern geriet. Aber auch das kriegte ich wieder in den Griff. You can make it, if you try* … Auf die Art schaffte ich es bis über die Rodenkirchener Brücke im Süden Kölns, wo der Anblick des Altstadt-Panoramas und des festlich erleuchteten Domes mein sentimentales kölsches Herz erwärmten, und ich kriegte sogar halbwegs elegant, wenn auch in Zeitlupe, die Kurve um den Bonner Verteiler. Aber ein paar hundert Meter die Bonner hoch sah ich schon von weitem einen Pulk Autos die rechte Spur blockieren, eins davon mit einem leuchtend blauen Mützchen, und daneben ging gelegentlich eine rote Kelle rauf und runter. Nette Begrüßung. Ich fuhr rechts ran und stieg aus. Der Diesel lief noch und verpestete die klirrende Nachtluft, aber ich wusste ums Verrecken nicht, wie man so’n Ding auskriegt. Ich latschte zu Fuß weiter und fragte mich, was die Polizeikontrolle auf dieser Straßenseite sollte – normalerweise kontrollierten sie hier nur stadtauswärts. Aber vielleicht suchten sie ja einen verloren gegangenen Tankwagen. Kurz vorm Gürtel gab’s dann endlich eine beleuchtete Kneipe. Ohne lange zu überlegen ging ich rein. War zwar nicht unbedingt mein Stil – sie hatten sich alle ziemlich fein gemacht, aus dem Radio säuselte dasselbe Leise rieselt der Schnee, mit dem mich München verabschiedet hatte, und im hinteren Teil des Raumes saßen sie an weißgedeckten Tischen und tranken Sekt mit abgespreiztem kleinen Finger – aber ich ließ die Woge von kölschem Thekengelaber über mich rieseln wie eine sanfte warme Dusche. Also ging ich zum Tresen und bestellte drei Bier. Der Wirt – er musste es sein: mächtiger Bauch, rotgeäderte Knollennase, grau-gelbe Tränensäcke, übellauniger Blick – beäugte mich skeptisch, aber er stellte mir drei amtlich gezapfte Kölsch – Schaum bis einen...