Sedmak | Mensch bleiben in der Politik | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 177 Seiten

Sedmak Mensch bleiben in der Politik

Zwischen Bühne und Besonnenheit
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-205-20433-6
Verlag: Böhlau
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Zwischen Bühne und Besonnenheit

E-Book, Deutsch, 177 Seiten

ISBN: 978-3-205-20433-6
Verlag: Böhlau
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Aus Idealismus in die Politik – nahe am Burnout die Notbremse ziehen. Ein intensives Leben zwischen Gestaltungswillen und Sachzwängen, Verantwortung und Wahlergebnissen. Politikerinnen und Politiker sind mächtig. Sie tragen Verantwortung, stehen als öffentliche Person im medialen Rampenlicht. Sie sollen glaubwürdig sein, mit Sachverstand agieren und Bürgernähe leben. Wie kann dieser Spagat gelingen?

Der Philosoph Clemens Sedmak legt mit diesem Buch eine kleine Ethik für den politischen Alltag vor und bietet damit allen an politischen Vorgängen interessierten Menschen Denkansätze, die gerade in Zeiten der Krise von hilfreicher Bedeutung sind.
Politikerinnen und Politiker brauchen eine dicke Haut und einen langen Atem. Sie kämpfen oft darum, nicht abzustumpfen oder dem Zynismus anheim zu fallen. Sie müssen sich Netzwerke schaffen und Aufstiegschancen nützen, um Zukunft gestalten zu können. Sie stehen auf einer Bühne und spielen eine Rolle in einem Stück, in dem es um „Macht“ geht. Doch die Macht und der Druck, dem diese Politiker und Politikerinnen ausgesetzt sind, kann ihre Persönlichkeit verändern oder gar zerstören. Wie können sie „Mensch bleiben“, wenn sie täglich weit reichende und fehlerfreie Entscheidungen treffen sollen und (fast) nie privat sind? Und was heißt „Redlichkeit“ im Politischen?
Auf der Basis von 15 Gesprächen mit Politikerinnen und Politikern kommen bekannte, aber auch bislang unbenannte Herausforderungen für ein aufrichtiges Leben in der Politik zur Sprache.

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Eignung und Neigung Politisch-musikalische Menschen Wenn man ein Kapitel eines Buches als unmöbliertes Zimmer betrachtet, bekommt das Zimmer dadurch Atmosphäre, dass man einen ersten Satz äußert, der wie ein erstes Möbelstück in den Raum gestellt wird. Ich möchte die provokante Frage in den Raum stellen: Sind dumme Menschen für die Politik geeigneter? Die Frage ist nicht nur als Provokation gedacht. Gewisse Formen von Politik lassen sich leichter von gewissenlosen Menschen erledigen; bestimmte Arten des Politischen können leichter von dummen Menschen ertragen werden. Dazu zwei Gedanken: In einem, wenn schon nicht aufbauenden, so doch aufgrund der Treffsicherheit bedenkenswerten Buch geht der amerikanische Philosoph Harry Frankfurt der Frage nach, warum auf unserer Welt immer mehr »bullshit«, verstanden als leeres Geschwätz, substanzloses Gerede, inkompetentes Schwafeln, produziert werde. Seine Antwort: weil immer mehr Menschen immer öfter gezwungen werden, über Dinge zu reden, von denen sie keine Ahnung haben, aber so tun müssen, als kennten sie sich aus.11 Das bezeichnet durchaus einen der Fallstricke des politischen Lebens. Hier muss man sich auch eine geringere Schamgrenze angewöhnen und ohne Scheu Stehsätze und mit Überzeugungskraft rhetorische Floskeln verwenden; es kommt nicht von ungefähr, dass das Wort »Politikergeschwafel« etabliert ist. Die Berliner Zeitung betitelte im Dezember 2014 einen Artikel über die Besuche von Bundesbürgerinnen und -bürgern im Deutschen Bundestag, um die Arbeit ihrer Abgeordneten besser kennenzulernen, mit der Frage: »Spricht sie schon Politikergeschwafel?« In bestimmten Zusammenhängen schadet es wohl auch nicht, Dummheit als Tugend zu sehen – André Glucksman hat Dummheit [<<19||20>>] als die Fähigkeit beschrieben, mit großer Überzeugungskraft und ohne Hemmungen von Dingen zu sprechen, von denen man keine Ahnung hat.12 Dummheit hat den großen Vorteil, dass sie das Urteil vereinfacht und beschleunigt. Ohne Schamröte im Gesicht kann hier »Bullshit« produziert werden. Das hat Vorteile. Über diese »epistemischen Vorteile der Dummheit«, also die Erkenntnisvorteile der Dummheit, haben sich Nelson Goodman und Catherine Elgin Gedanken gemacht13 – ein dummer Mensch sieht weniger Differenzierungen und hat damit weniger Optionen, zwischen denen er sich entscheiden muss. Wer – wie dies nach dem 11. September 2001 durchaus geschehen ist – nur zwischen »gutem Islam« und »schlechtem Islam« unterscheidet, wird rascher zu einem (noch dazu eindeutigen) Urteil kommen als jemand, der mit feiner Klinge arbeitet und differenziert. Das ist insofern betrüblich, als es weniger differenzierten Menschen größere Überzeugungskraft ermöglichen kann. Dabei soll auch nicht ausgeschlossen sein, dass »Dummheit« strategisch eingesetzt werden kann, etwa im Sinne populistischer Politik, die wider besseres Wissen den Bürgerinnen und Bürgern krude Darstellungen und einfache Lösungen liefert. Das ist dann weniger eine Frage der Dummheit als eine Frage der Redlichkeit. Es verwundert also nicht, dass die Gelehrte als Politikerin oder der Heilige als Politiker nicht unbedingt gängige Motive sind, auch wenn es in der Geschichte durchaus vorgekommen ist, dass ein Philosoph wie Julian Nida-Rümelin in Deutschland und der Intellektuelle Vaclav Havel in der Tschechischen Republik ein politisches Amt bekleidet haben oder dass die moralischen Autoritäten Mahatma Gandhi, Desmond Tutu oder der Dalai Lama politisch gewirkt haben. Das Talent zum Politischen schließt andere Talente nicht aus, kann aber als eigene Begabung angesehen werden. Es gibt so etwas wie »politische Musikalität«. [<<20||21>>] Politik als Orgelspiel Max Weber hatte seinerzeit den Begriff vom religiös musikalischen Menschen geprägt. Bestimmte Menschen haben ein Sensorium für das Religiöse, können mit religiösen Gedanken und Begriffen etwas anfangen, sind offen für die religiöse Dimension des menschlichen Daseins. Andere sind das nicht; manche Menschen sind musikalisch, können der Welt der Musik viel abgewinnen, mit Klängen und Tönen umgehen, andere sind dies nicht. Dieses Verständnis des Musikalischen kann auch auf das Politische übertragen werden. Eine gute Politikerin ist »musikalisch« für die Untertöne und Zwischenklänge der Öffentlichkeit. Ein Gesprächspartner hat Politik mit einer Orgel verglichen, einer Orgel, die sehr sehr viele Register hat, und man muss alle Register bedienen können. Politik ist nach diesem Verständnis nicht etwas, »was alle können« oder auch: etwas, bei dem es nichts zu beherrschen gäbe. Politik zeigt sich, so könnte man diesen Gedanken weiterverfolgen, in der Kunst des Gesprächs – mit den Wählerinnen und Wählern, mit den politischen Freunden und Gegnern, mit den Medien, mit dem Verwaltungsapparat. Politik ist nicht nur eine Frage der guten Ideen, ist nicht nur eine Frage der guten Umsetzung guter Ideen, sondern auch eine Frage der guten Kommunikation guter Umsetzung von guten Ideen. Hier haben Begriffe wie »Politik als Kunst« oder auch »Politik als Handwerk« ihre Berechtigung. Aristoteles hat ein Handwerk über die Notwendigkeit von Erfahrungswissen charakterisiert; um ein Handwerk erfolgreich auszuüben, muss man mit eigenen Händen etwas tun und immer wieder getan haben. Dazu kommt die Fähigkeit, aus der Erfahrung zu lernen. Drittens bedarf ein Handwerker des Wissens um die rechte Form, soll doch die Arbeit auf ein klares Ziel hin ausgerichtet werden. Das Handwerk der Politik ist auf Lernfähigkeit, [<<21||22>>] Zielvorstellung und konkretes Tun ausgerichtet. Dabei kann man sich die Hände schmutzig machen – interessanterweise ist dieses Motiv der »dirty hands« ein wichtiger Gedanke der politischen Philosophie, die Bereitschaft und mitunter unvermeidbare historische Notwendigkeit, sich die Hände schmutzig zu machen, etwa bei Entscheidungen, die auf ein je kleineres Übel abzielen.14 Wer Politik betreibt, so die Idee, darf nicht davor zurückscheuen, sich die Hände schmutzig zu machen. Auch das Spielen eines Musikinstruments kann Schwielen mit sich bringen. Das angesprochene Bild des Orgelspielens ist nicht das schlechteste: Um es in der Kunst des Orgelspielens weit zu bringen, muss man vor allem: spielen; allerdings unter Anleitung und auf entsprechendem Instrument. Man übt die »ars gubernandi« (die Kunst des Lenkens und Regierens) dann ein, wenn man einen eigenständigen Verantwortungsbereich hat, dazu bedarf es aber auch guter Beispiele. Politik als Kunst verlangt wie jede andere Kunst nach regelmäßigem Üben, nach Vorbildern und Rollenmodellen, nach Qualitätskriterien und dem Willen zur Exzellenz. Politik ist nicht nur das Orgelkonzert, bei dem ein beeindruckender öffentlicher Auftritt inszeniert wird; es gehört auch das Üben hinter verschlossenen Türen dazu, Entscheidungen über den dargebotenen Inhalt und das »Wie« der Darbietung. Natürlich muss auch ein vernünftiges Instrument zur Verfügung stehen, das hat auch mit technischen Aspekten und Fragen der Wartung zu tun. Orgelspielen ist nicht nur punktuelles Ergebnis, sondern auch ein Prozess, bei dem man dazulernt. In der Formulierung einer Gesprächspartnerin: Nichts ist wohltuender, als wenn Menschen sagen: »Ich habe dazugelernt.« Also, ich habe das oft gehört von anderen, es tut gut, wenn jemand sagt, entweder: »Ich hab mich weiterentwickelt, ich hab mich geirrt«, oder: »Bis jetzt habe ich das anders gesehen, aber jetzt bin ich weitergekommen.« Also dieses Prozesshafte wäre so wichtig. Politik braucht Talent – das Talent, auf die Zeichen der Zeit zu reagieren, [<<22||23>>] das Talent, Inhalte überzeugend vermitteln zu können. Optimismus, Zuversicht und auch einen gewissen Vertrauensvorschuss halte ich insgesamt für notwendig, auch in der politischen Zusammenarbeit. Auch mit Mitbewerbern, auch mit Andersdenkenden. Eine professionelle Aufmerksamkeit und Vorsicht ist dennoch angebracht, aber nicht ein permanentes Misstrauen. Das sind Hinweise auf politische Musikalität, die sich auch darin zeigt, bestimmte Herausforderungen bewältigen zu können. Herausforderungen Eine Musikerin muss liebliche Melodien ebenso bewältigen können wie kraftvolle Klangwerke, sie muss – wenn schon nicht »auf vielen Klavieren«, so doch – »mit vielen Noten und Genres« spielen können. Politische Musikalität ist da nicht unähnlich. Politik braucht Durchsetzungskraft, aber auch Feingespür und Ausdauer. Impulsivität und Idealismus, aber auch Geduld und Besonnenheit. Dies zeigt sich etwa in der Herausforderung der»Ungleichzeitigkeit«, der Ungleichzeitigkeit zwischen persönlicher Ambition und Verwaltungsabläufen, zwischen Medientempo und Systemträgheit: Eine Systemträgheit, nicht abwertend gemeint, sondern es liegt einfach in der Natur der Sache, dass Verwaltungsarbeit und Regierungsarbeit für ein ganzes Bundesland doch ziemliche Vorlaufzeiten...


Sedmak, Clemens
Clemens Sedmak, Inhaber des F.D. Maurice Lehrstuhls für Sozialethik am King's College London (Universität London) und F.M. Schmölz OP Gastprofessor und Leiter des Zentrums für Ethik und Armutsforschung der Universität Salzburg.



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