E-Book, Deutsch, Band 2, 573 Seiten
See Der Feuerdrache
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-98690-491-3
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Thriller: Ein Fall für Liu Hulan und David Stark 2 | Eine gefährliche Undercover-Mission
E-Book, Deutsch, Band 2, 573 Seiten
Reihe: Ein Fall für Liu Hulan und David Stark
ISBN: 978-3-98690-491-3
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Lisa See entstammt einer chinesisch-amerikanischen Familie. Sie wurde in Paris geboren und wuchs in Los Angeles in Chinatown auf. Dreizehn Jahre lang arbeitete sie als Journalistin für Publishers Weekly. Später betreute sie als Kuratorin mehrere große Ausstellungen, die sich mit interkulturellen Beziehungen zwischen Amerika und China beschäftigen. Bereits ihr erstes Buch, eine Biographie ihrer Familie, war ein internationaler Bestseller und erhielt die »Notable Book«-Auszeichnung der New York Times. Dieselbe Auszeichnung bekam sie auch für ihren bald darauf folgenden ersten Thriller »Die rote Klinge«. Sie wurde als »National Woman of the Year« ausgezeichnet, erhielt den »Chinese American Museum's History Makers Award« und den »Golden Spike Award« in Kalifornien. Mit ihrem Roman »Der Seidenfächer« gelang ihr ein Weltbestseller, der auch verfilmt wurde. Heute lebt sie in Los Angeles. Die Website der Autorin: https://www.lisasee.com/ Bei dotbooks veröffentlicht Lisa See die historischen Romane »Der Seidenfächer« und »Eine himmlische Liebe«, außerdem »Töchter aus Shanghai« und »Tochter des Glücks« aus ihrer Reihe um »Die Frauen von Shanghai«. Zudem erscheint bei dotbooks auch ihre Thrillerreihe um die Polizistin Liu Hulan und den Staatsanwalt David Stark mit den Bänden »Die rote Klinge«, »Der Feuerdrache« und »Tod am Jangtse«.
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Prolog
Heute versprach es einer der heißesten Tage des langen Sommers im Landesinneren Chinas zu werden. Die schwere Hitze versengte die Erde mit allem, was darauf war, Ling Suchee klebten die Kleider schon nach dem kurzem Weg zu ihrem Stückchen Land, auf dem sie Gemüse für den Eigenbedarf anbaute, auf der Haut. Suchee entschied sich für eine Rübe und zwei grüne Zwiebeln und zog sie vorsichtig aus der roten Erde. Als sie sich wieder aufrichtete, sah sie sich um. Vor ihr erstreckten sich die Felder, die Luft flimmerte in wogenden Wellen. Kein Baum sorgte für Schatten oder bot Schutz.
Wo war ihre Tochter?
Suchee schielte zur Bruchsteinmauer hinüber, der Abgrenzung zwischen Feldern und Schweinestall. Letzte Nacht hatte sie gesehen, wie Miaoshan davor stehen blieb, als berge die Mauer ein Geheimnis. Jetzt war Miaoshan nicht mehr da, und Suchee ging wieder in ihr Häuschen. Sie schnitt Brötchen auf, legte auf jedes eine Zwiebel und ein Stück Rübe und drückte das Brot zusammen. Auf Miaoshan zu warten, wäre sinnlos, entschied Suchee und nahm den ersten Bissen ihres scharfen Frühstücks. Offenbar war Miaoshan unterwegs, um sich mit ihrem Verlobten Tsai Bing zu treffen. Gestern Abend hatten sie miteinander gesprochen, und heute Morgen trafen sie sich vermutlich wieder, um Pläne zu schmieden. Suchee biss wieder von ihrem Brötchen ab und versuchte nicht daran zu denken, welche Scham die Schwangerschaft ihrer Tochter bedeutete, wohl wissend, dass sie sich stattdessen auf die Freude konzentrieren sollte, die sie erwartete. Eine Hochzeit. Ein Baby. Und all dies schon in Kürze.
Aber der Angst Herr zu werden, war gar nicht so leicht. Während der Nacht war Suchee von beunruhigenden, verstörenden Träumen gequält worden, und auch jetzt schwitzte sie nicht nur wegen der sommerlichen Hitze, sondern aus blanker Furcht, die sie an das alte Sprichwort erinnerte: Fünfzehn Eimer, die Wasser aus dem Brunnen holen – sieben kommen nach oben, acht gehen nach unten. Letzte Nacht hatte sie mehr Eimer Schlaf verloren als gewonnen. Suchee schüttelte die unschöne Erinnerung ab. Sie sammelte die Krümel vom Tisch und streute sie draußen für die Hühner auf die Erde. Dann ging sie hinter das Haus, das nur aus einem Raum bestand und schalt sich dafür, dass sie ihren nächtlichen Träumen erlaubte, zu ihren Tagessorgen zu werden. Immer wieder beobachtete sie die Umgebung und machte bei ihrem Rundgang über die festgetretene Erde eine Bestandsaufnahme ihres Eigentums. Sie zählte ihren Reichtum – drei Hühner vor dem Haus, sechs Enten hinter dem Haus – alle gesund. Ihr Blick fiel auf das Schwein – wohlgenährt und lebendig. Aber wo war das Mädchen?
Wieder richtete Suchee ihren suchenden Blick über die Felder, diesmal auf den vor Hitze weißen Himmel. Es war keine Wolke zu sehen, also würde es auch keinen Regen geben, der Erleichterung von der Hitze brächte. Es war so, wie es sein sollte. Die meisten Bauern wussten, wann sie mit einem Unwetter rechnen mussten, denn wenn es regnete, würde es tagelang wie aus Kübeln schütten und manchmal eine ganze Ernte, einen ganzen Bauernhof, ein ganzes Dorf fortspülen. Hielt dieser Tag einen Sandsturm parat? War es das, was sie spürte? Im Frühling waren Sandstürme nichts Außergewöhnliches, und Suchee und Miaoshan hatten viele Male zugesehen, wie die Erde zum Land eines anderen Bauern in einem Nachbarbezirk geweht wurde. Spürte sie das? Eine Tragödie, die sich in der falschen Jahreszeit ereignete und am Ende des Tages ihre Ernte vernichten würde.
Als Suchee sich dem Schuppen näherte, überwältigte sie wieder das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Sie sah ihre Werkzeuge am schmutzigen Mauerbehang lehnen. Jemand hatte sie anders hingestellt. Sie gehörte nicht zu den dummen Landarbeitern, sie achtete auf ihr Werkzeug. Dank dieser hatte sie sich und ihre Tochter all die Jahre ernähren können. Hatte Miaoshan sie umgestellt? Das wäre nicht recht, denn die Mutter hatte der Tochter den Wert von Achtsamkeit und Ordnung gelehrt. Dann fiel Suchee auf, dass ihre Leiter fehlte. Offenbar waren Diebe in der Nacht gekommen und hatten sie gestohlen! Wenn sie schon die Leiter mitgenommen hatten, dann konnten sie auch ihren Ochsen geraubt haben.
Suchee eilte zum Schuppen, hob den Riegel an und stieß die Tür auf. Ehe ihre Augen sich an das düstere Innere gewöhnen konnten, betrat sie den kleinen Raum und stöhnte, als sie stolpernd zu Boden fiel. Sie versuchte aufzustehen, doch sie war zwischen den Sprossen der Leiter gefangen. Nachdem sie sich befreit hatte, rieb sie sich erst ihr Schienbein, dann einen Ellbogen und wunderte sich, was die Leiter hier zu suchen hatte, wo jeder darüber fallen konnte.
Als sie angestrengt ins Dunkel starrte, sah sie zwei Füße langsam hin und her baumeln. Mit wachsender Furcht folgten Suchees Augen diesen Füßen bis zu den Knien und weiter zu den Schenkeln, dem Oberkörper, schließlich bis zum Hals und Kopf ihrer Tochter. In Suchees Kehle formte sich ein Schrei, als sie Miaoshans Kopf sah, der sich in einem unnatürlichen Winkel neigte. Ein Teil des Stricks hatte sich in das gedunsene Fleisch ihres Halses gegraben, das andere Ende war über einen roh behauenen Stützbalken geschlungen. Ihre Zunge – violett und dick angeschwollen – hing ihr aus dem Mund. Die Augen traten hervor, als drücke jemand von innen dagegen. Sie blickten weit aufgerissen, gleichsam blind, blutunterlaufen. »Nei-ei-ein«, jammerte Suchee, als sie eine der Fliegen, die bereits den Kopf ihrer Tochter umsummten, sich aus dem Schwarm lösen sah, um herunter zu stoßen und sich im Winkel von Miaoshans reglosem rechten Auge niederzulassen.
Suchee mühte sich, auf die Beine zu kommen, verfing sich aber wieder in den Sprossen der Leiter. Als sie das Gleichgewicht gefunden hatte, griff sie nach ihrer Tochter. Kraftvoll legte Suchee ihre sehnigen Arme um Miaoshans Hüften und hob ihren Körper an, um ihren Hals von der Last zu befreien. Aber als sie dort stand – den Kopf an die kleine, harte Wölbung des Bauchs ihrer Tochter gedrückt –, wusste Suchee, dass es zu spät war. Miaoshan war tot wie das Enkelkind, das in ihr lag.
Die drei Generationen verharrten lange in dieser Position. Endlich ließ Suchee die Beine ihrer Tochter los und ging die Sense holen. Sie verspürte eine Leere, die weit über den fernen Horizont hinausreichte.
Diese ersten Augenblicke, nachdem sie Miaoshan gefunden hatte, sollten sich unauslöschlich in Suchees Gedächtnis einbrennen: wie sie die Leiche abschnitt und auf den gestampften Boden des Schuppens legte, dann entlang der erhöhten Fußpfade zwischen den Feldern bis zum Land ihrer Nachbarn rannte. Die Familie Tsai – Mutter, Vater und der einzige Sohn – arbeitete bereits, vornüber gebeugt jäteten sie Unkraut zwischen ihren Getreidepflanzen. Beim Klang von Suchees Schreien blickten sie gleichzeitig auf, wie ein kleines Rudel Wild, das von einem Raubtier aufgeschreckt wird. Dann fingen auch sie an zu schreien und rannten auch zum Hof der Lings zurück.
Angesichts dieses Vorfalls setzte Tsai Bing, Miaoshans Verlobter, endlich seinen Kopf ein. Mit dem Versprechen zurückzukommen rannte er los, die rote Staubstraße hinunter, die zuerst zur Autostraße und dann ins Dorf Da Shui führte. Eine Stunde später kehrte er mit Polizisten aus dem Amt für öffentliche Sicherheit zurück. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich bereits einige andere Nachbarn hinzugesellt, um den Lauf der Katastrophe zu verfolgen. Der verantwortliche Beamte stellte sich förmlich als Hauptmann Woo vor, obwohl sie ihn alle von Kindheit an kannten. Er bestand darauf, dass die Nachbarn auf ihre eigenen Höfe zurückkehrten. Im Vorbeischlurfen murmelten sie ihre Beileidsbekundungen. Tang Dan, der reichste von Suchees Nachbarn, blieb vor ihr stehen und sprach sie höflich an: »Es tut uns so Leid, Ling Taitai. Solltest du irgendetwas benötigen, dann vergiss nicht, dich an mich zu wenden. Ich werde dir auf jede nur erdenkliche Weise helfen.« Dann ging auch er, und nur die Polizei, Suchee und die Tsais blieben zurück.
»Tante Tsai, Onkel Tsai«, sagte Woo unter Verwendung der höflichen Anredeform, »ihr habt viel Arbeit zu erledigen. Wir werden uns hier um alles kümmern. Und du, Tsai Bing, hilf deinen Eltern. Wir kommen vorbei, wenn wir euch brauchen.«
Madame Tsai richtete ihren fragenden Blick erst auf Suchee, dann auf Hauptmann Woo und wieder auf Suchee. Aber alle waren sich in einem Punkt einig: Die Tsais waren unbedeutende Leute. Sie mussten einem Polizisten Gehorsam leisten. Also trotteten die Tsais davon, nur Tsai Bing warf gelegentlich einen Blick über die Schulter.
Jedes Mal, wenn er sich umsah, wurde Suchee von der Erinnerung an das junge Paar aufgerüttelt. Sie musste daran denken, wie gern Miaoshan und Tsai Bing über die erhöhten Fußpfade gelaufen waren, die die Felder abteilten. Ihr Lachen hatte in der Luft geschwebt, es klang so süß in den ersten Frühlingsmonaten. In letzter Zeit hatten sie so glücklich ausgesehen, wie sie es als kleine Kinder gewesen waren, nicht der übliche Argwohn, mit dem sie einander in der Anfangsphase ihrer Verlobungszeit begegnet waren.
Als Tsai Bing nicht mehr zu sehen war, blieb Suchee schweigend stehen, während die schwitzenden Polizeibeamten in ihren Khaki-Uniformen im Schuppen herumliefen und mit ihren groben Fingern in Miaoshans gequetschten Hals bohrten. Als sie sagten, Selbstmord sei etwas Schreckliches, wiederholte sie hartnäckig, dass sie sich irrten, Miaoshan sich niemals selbst das Leben genommen hatte und auch nicht so dumm gewesen war, ihren eigenen Tod durch einen Unfall herbeizuführen. Wieder und wieder sagte sie es ihnen, aber sie wollten nichts davon hören. »Mädchen«, meinte Hauptmann Woo, »können sehr launisch sein. Sie werden zu stark von ihren Gefühlen geleitet. Und...




