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E-Book, Deutsch, 477 Seiten
Seeck Blindspiel
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7517-7460-4
Verlag: Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die neue Reihe von Finnlands erfolgreichstem Thrillerautor
E-Book, Deutsch, 477 Seiten
ISBN: 978-3-7517-7460-4
Verlag: Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Band 1 der neuen Thriller-Reihe vom finnischen Bestsellerautor
»Der Finne Max Seeck gehört aktuell sicherlich zu den besten europäischen Thrillerautoren.« KRIMI-COUCH
Ein junger Mann stiehlt eine Aktentasche aus einem SUV. Wie sich herausstellt, gehört sie einem Serienmörder, und kurze Zeit später ist der Dieb tot. Schnell gibt es ein weiteres Mordopfer: eine Frau, die komplett mit weißer Farbe bedeckt ist. Warum diese mysteriöse Inszenierung der Toten?
Die Kripo Helsinki bittet den Profiler Milo daraufhin um Hilfe. Als ihn eine anonyme Nachricht in Schachnotation erreicht, ahnt er, dass er sich mitten in einem tödlichen Spiel befindet. So sehr es ihm widerstrebt, kontaktiert er den Ex-Partner seiner Mutter, einen versierten Schachspieler und jemand, dem er eigentlich nie mehr begegnen wollte ....
Max Seeck war zunächst im Marketing einer finnischen Firma tätig. Mittlerweile widmet er sich jedoch ganz dem Schreiben von Spannungsromanen. Mit großem Erfolg: HEXENJÄGER war sein internationaler Durchbruch, und er ist inzwischen der erfolgreichste Thriller-Autor Finnlands. Als einer von wenigen europäischen Autoren stand er auf der NEW-YORK-TIMES-Bestsellerliste. Für den dritten Band der Jessica-Niemi-Reihe, FEINDESOPFER, wurde Max Seeck zudem mit dem renommierten NORDISCHEN KRIMIPREIS ausgezeichnet.
Der Autor lebt mit seiner Familie in Helsinki.
Weitere Infos & Material
1
Alexander Ewans senkte den Finger auf den Bildschirm und tippte die Buchstaben sorgfältig ein: J – E – E – S – U – S.
Falscher Sicherheitscode. Das Gerät ist eine Stunde gesperrt.
»Feck off!«, fauchte Alexander. Das Tablet in seinen Händen wollte sich nicht kampflos ergeben. Das Ding war völlig nutzlos, nur weil er nicht der rechtmäßige Besitzer war und die Ziffernkombination, die es entsperren würde, nicht kannte. Alexander presste seinen mageren Daumen auf den Bildschirm. Am liebsten hätte er das Gerät in der Mitte gefaltet und so lange an die Wand geworfen, bis es in tausend Stücke zerfiel. Stattdessen griff er nach seinem Stift und kritzelte die Kombination, die er gerade eingegeben hatte, auf ein Stück Papier. Beim vorigen Mal war er mit dem Geburtsdatum des Besitzers ans Ziel gekommen. Diesmal wusste er nichts über die Person, der er die Aktentasche geklaut hatte. Er wusste nur, dass der Besitzer des Wagens allem Anschein nach gläubig war, denn am Rückspiegel hatte ein silbernes Kruzifix gehangen. Die Lösung des Coderätsels war jedoch nicht der Heiland, und nun konnte er erst in einer Stunde einen neuen Versuch starten.
Alexander schloss die Augen. In Gedanken hörte er immer noch das Splittern der Scheibe und das Heulen der Alarmanlage. Die Gelegenheit hatte den Dieb gemacht, buchstäblich. Die lederne Aktentasche hatte auf dem Rücksitz eines teuren Sportwagens in Munkkisaari gelegen, und nirgends war eine Menschenseele zu sehen gewesen. Obendrein gab es wie auf Bestellung ein paar Meter weiter eine verlassene Baustelle, an deren Rand ein Stapel Ziegelsteine lag, das geeignete Werkzeug für das Verbrechen. Das rechte hintere Seitenfenster hatte nach ein paar kräftigen Stößen nachgegeben, und obwohl er sich den Handrücken aufritzte, als er die Tasche herauszog, war er schon in weniger als einer Minute mit seiner Beute weit weg von dem Auto. Bei aller Spontaneität ein perfektes Verbrechen; allerdings drohte die Ausbeute mager zu bleiben.
Scheiße, Sascha, das Pad is nix wert, wenn man’s nich aufkriegt.
Alexander dachte an die Textnachricht, die Ripa ihm geschickt hatte, und die Erbitterung schnürte ihm die Kehle zu. Ripa gab sich als Freund aus, wusste aber überhaupt nicht, was Alexander in den letzten zwei Jahren durchgemacht hatte. Ripa hatte keine Ahnung, wie es war, ohne Geld in einer fremden Stadt zu leben, als angehender Gitarrist, der wie durch einen Blitzschlag zuerst die im Aufstieg begriffene Band gegen einen Scheißjob in einem Schnellrestaurant und dann auch noch seine Zweierbeziehung gegen bittere Einsamkeit eintauschen musste. Alles war umgefallen wie Dominosteine, und plötzlich war er nicht mehr der unter einem glücklichen Stern geborene junge Rockstar, als der er sich immer gesehen hatte. Trotzdem hatte er es um jeden Preis vermeiden wollen, nach Waterford zurückzukehren, denn das wäre die absolute Niederlage gewesen, die endgültige Kapitulation. If work was a bed, you’d sleep on the floor! Selbst Alexanders finnischer Vater, der die Einfälle seines Sohnes im Allgemeinen wohlwollend aufgenommen hatte, würde sich kaum über seine Rückkehr freuen. Ich habe es dir ja gesagt, würde er brummen. I told you so, Alex.
Trotzdem vermisste Alexander seinen Vater. Sein Vater hatte ihn zum Flughafen gebracht, war an der Sicherheitskontrolle zurückgeblieben und hatte mit den Tränen gekämpft – das erste Mal, dass er seine Gefühle gezeigt hatte. Ironischerweise erst, als Alexander sich entschieden hatte, die Flügel auszubreiten und ans andere Ende Europas zu reisen.
Jetzt, anderthalb Jahre später, waren der warme Sommer und das unermüdliche Licht in Helsinki zum zweiten Mal der Kälte und Dunkelheit gewichen, und diesmal war Alexanders Stimmung durch und durch düster. Er vertrieb sich die Zeit, indem er in der Innenstadt umherstreifte und die gut situierten Helsinkier beobachtete, die in gemütlichen kleinen Restaurants saßen und bei Kerzenlicht ihren Wein genossen. Der Wechsel der Jahreszeiten, der die nördliche Halbkugel so hart behandelte, störte sie offenbar nicht, sie schienen sich selbst im tiefsten Winter wohlzufühlen. Diese Gefühlsseligkeit war Alexander verwehrt geblieben; in den letzten Monaten hatte er die Kontrolle über seinen Alkoholkonsum verloren, und ohne Geld und ohne Freunde war er in kurzer Zeit immer tiefer in Düsterkeit versunken. Von seinen Eltern hatte er seit Anfang September ebenfalls nichts mehr gehört, wie denn auch: Er hatte im Lauf des Jahres wer weiß wie oft seine Telefonnummer gewechselt, von einem Prepaid zum nächsten. Womöglich machten sie sich sogar Sorgen um ihn. Vielleicht würde sein Vater herkommen, um ihn zu suchen und ihn nach Hause zurückzuholen. Falls ja – würde er die helfende Hand ergreifen?
Alexander legte das Tablet neben sich auf das Sofa und lehnte den Kopf an die Wand. Zu allem Überfluss hatte er bei den falschen Typen Schulden gemacht. Nicht so viel, dass sein Leben in Gefahr war, aber genug, um schwer eins in die Fresse zu kriegen, wenn er das Geld nicht bis heute Abend zurückzahlte. Er musste das Pad unbedingt öffnen.
In der Brusttasche seiner Steppjacke steckte noch ein letzter Joint, den könnte er rauchen und die Sorgen für eine Weile vergessen. In einer Stunde konnte er dann einen neuen Versuch starten. Vielleicht schaffte er es, das Pad zu öffnen, und Ripa oder irgendein anderer würde ihm wenigstens ein paar Hunderter dafür zahlen. Alexander steckte den Zettel in die Jeanstasche und machte sich auf den Weg in die Diele. Überall lagen Klamotten und Pappteller herum, die von Mikropizzas und Fleischpasteten verfärbt waren. Ein paar leere Kartons, ein Beutel Schmutzwäsche, die er schon vor einiger Zeit gesammelt, aber dann doch nicht in die Waschküche gebracht hatte. Die Folie vom gestrigen Dürüm-Döner, aus der Soße auf den Laminatboden gelaufen und festgetrocknet war. Die einzigen Dekorationselemente in der kleinen Zweizimmerwohnung waren die Poster von The Shades, Panik Attaks und Edwyn Collins und ein gerahmtes Foto vom McLaren MP4/4 der Formel 1 von 1988. Die schwarze Aktentasche wirkte in dem Durcheinander fehl am Platz, wie ein Gast in Smoking und Lacklederschuhen im Pub um die Ecke. Womöglich war die Tasche sogar wertvoller als das gesperrte Pad.
Alexander hatte gerade die Hand in die Brusttasche der auf dem Boden liegenden Steppjacke gesteckt, als er im Wohnzimmer einen lauten Signalton hörte. Der Schweiß unter seinem Hemd fühlte sich wie eine kalte Umarmung an. Irgendwer ortete das Gerät, das er gestohlen hatte, mit dem Suchdienst Find my iPad. Er musste das Ding so schnell wie möglich loswerden.
Im selben Moment klopfte jemand an die Tür, und Alexanders Herz schien einen Schlag auszusetzen. Scheiße, wer war das? Wenn er noch auf dem Sofa säße, hätte er sich jetzt eingerollt und die Augen zugemacht. Und wäre aus dieser Welt verschwunden wie Harry Potter in seinem Tarnumhang. Oder vielleicht eher wie ein Kaninchen, das den Kopf ins Gebüsch steckt. Aber Alexander hockte in der Diele, nur ein paar Schritte von dem Anklopfenden entfernt: Um die Person zu sehen, brauchte er lediglich aufzustehen und durch den Türspion zu gucken. Und genau das würde er tun, ohne einen Laut von sich zu geben.
Wieder wurde geklopft. Diesmal fordernder. Verdammt, vielleicht waren es doch die Schuldeneintreiber.
Alexander legte die Wange an die Tür und hielt den Atem an. Dann warf er einen schnellen Blick ins Treppenhaus. Okay. Okay. Kein Grund zur Panik. Vor der Tür stand ein Mann, der auf den ersten Blick in keiner Weise bedrohlich wirkte. Er trug einen hellbraunen Wollmantel, ein schwarzes Polohemd und eine dicke Brille; seinem Habitus nach war er kein Ganove, aber auch kein Polizist. Eher einer dieser scheißwichtigen Fachidioten, wie sie in den gläsernen Bürotürmen in Ruoholahti arbeiteten: ein Steuerjurist oder vielleicht ein Versicherungsagent. Also keiner, dem er die Tür öffnen musste.
Da hob sich plötzlich mit leisem Knarren die Klappe am Briefschlitz.
»Ich weiß, dass du zu Hause bist«, sagte eine Männerstimme.
Alexander holte lautlos Luft. Er war überzeugt, dass der Mann seinen rasenden Puls hören konnte, der in seinen Ohren dröhnte.
»Ich bin hier, um meine Aktentasche zu holen«, fuhr der Mann leise, mit ruhiger Stimme, fort.
Verdammt noch mal, dachte Alexander. Es war dumm von ihm gewesen, das Gerät in seine Wohnung mitzunehmen, obwohl er wusste, dass es praktisch unmöglich war, den Sicherheitscode zu knacken. Natürlich könnte er den Mann im Treppenhaus einfach ignorieren, aber als Nächstes würde zweifellos die Polizei vor der Tür stehen. Und dann wurde er verhaftet, vielleicht brummte man ihm wieder eine Gefängnisstrafe auf. Verdammte Scheiße. Allein schon das Autofenster kostete Tausende, er würde mindestens ein Jahr brauchen, um es zu bezahlen, selbst wenn er irgendwo einen neuen Job bekäme.
»Hör zu, ich bin dir nicht böse«, sagte der Mann. »Natürlich ärgere ich mich über das kaputte Fenster, aber ich nehme an, es war nicht persönlich gemeint, oder? Man darf seine Sachen nie so offen herumliegen lassen, dann ist man selber schuld.«
»Scher dich zum Teufel«, sagte Alexander leise. »Ich habe Freunde.«
Durch den Türspion sah er, dass der Mann belustigt grinste.
»Zweifellos, aber ich habe auch welche. Also machen wir die Sache nicht kompliziert und lassen die Freunde aus dem Spiel. Ich bin nur hier, um mir das zu holen, was mir gehört. Ich versuche, fair zu sein, und dasselbe hoffe ich von...